Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 337 vom 28.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 28.5.42

Gerade bin ich vom Garten gekommen, wo ich die Kartoffeln fertig geharkt und alle Setzlinge gegossen habe. Im Briefkasten fand ich deinen lieben Brief vom 15.5. Gern habe ich gelesen, wie du dich an unsere Trennungen und Wiedersehen erinnerst, sehe ich doch daraus, dass du uns auch weit von daheim nicht vergisst. Ich habe auch schon oft daran gedacht, aber durch deinen Brief hast du mir es nochmals vor Augen geführt. Ja, die Trennungen waren nie leicht und auch so während deines Fernseins ist mir manchmal das Herz schwer. Man meint dann, der Krieg nähme überhaupt kein Ende und doch lebt man nur in der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Aber wir müssen ja durchhalten und hier in der Heimat alles in Ordnung halten damit ihr, wenn ihr später heim kommt, nicht enttäuscht seid.
Und siegen müssen wir in diesem Krieg, denn unsere Feinde würden uns ja nicht das nackte Leben lassen, wenn sie in unser Land könnten. Dafür steht ihr ja draußen, dass die Heimat behütet ist.
Das Gefühl, dass man sich wie ein Gefangener vorkommt, kenn ich auch, am Abend, wenn ich so ganz allein dasitze, noch mehr, als bei Tag. Am liebsten gehe ich dann immer gleich schlafen, in der Hoffnung, dich vielleicht im Traum zu sehen. Auf jeden Fall vergisst man dann für eine Weile alles.
Ich möchte dir noch verschiedene Sachen berichten. Von Herrn Wittenburg habe ich noch keine Nachricht bekommen. Vielleicht hatte er noch keine Zeit. Ich habe also auch noch kein Geld wegschicken können.
Du hattest doch Stiefel mitgeschickt, die ich evtl. anziehen sollte. Am Fuß passen sie gut, da die Schäfte aber oben enger werden, schneidet es mir unterm Knie das Blut ab, dass ich einen richtigen Krampf im Bein bekomme. Ich müsste die Schäfte höchstens etwas kürzer machen lassen, aber das wirst du wohl auch nicht wollen.
Ich habe wieder versucht, eine Butterdose für dich zu bekommen. Es gab aber keine.
Von dem Schinken, den du mal mitgebracht hattest, habe ich immer noch was im Keller hängen. Er ist noch gut. Da ich doch nicht so oft auf´s Brot welchen esse, mache ich es jetzt anders. Das Magere koche ich mit in weißen Bohnen, das Fette lasse ich aus und habe dadurch wieder Fett. Heute hat es auch wieder zwei kleine Schüsseln voll gegeben. Es ist mir also auch so wieder eine Hilfe.
Heute komme ich erst dazu, dir das Päckchen mit zwei Schachteln Inspirol-Tabletten zu schicken. Ein paar Feuersteine habe ich noch beigefügt. Es sind nur fünf Stück.
Vom 1. Juni an bekommen wir auch Magermilch-Bezugsscheine. Pro Person gibt es ¾ Liter pro Tag. Es ist noch nicht bestimmt, ob die Kinder außer ihrer Vollmilch noch ¼ Magermilch bekommen. Wenn es so wäre, könnte man ja gut auskommen. Bisher haben die Kinder ja ziemlich Milch trinken können. Bis vor einem Monat hatten wir 2 Liter Mager- und ½ Vollmilch. Bis auf den Rest für´s Frühstück haben das die Kinder immer ausgetrunken.
Nun laß mich schließen. Ich will noch auf die Post fahren und das Päckchen wiegen, damit es nicht zu schwer ist. Meine Waage wiegt nicht so genau.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

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