Donnerstag, 22. Juni 2017

Brief 359 vom 20./21.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 20.6.42 

Heute will ich noch deinen Brief vom 7.6. beantworten. Gestern bin ich nicht mehr dazu gekommen. Die 2 Bücher hat mir Papa also sauber übersandt. Bei uns im Garten wächst auch alles gut. Die Johannisbeeren werden auch schon rot. Mit der Heiratsangelegenheit sind wir also der gleichen Meinung. Ich könnte auch nicht mehr so freundlich mit Papa sein, wenn er mich so beiseiteschieben würde. Aber. Wie du schon schreibst, es hat keinen Zweck, Papa auf seine Widersprüche aufmerksam zu machen, die in seinen Briefen immer wieder auftreten. Ja, das hat Papa vollkommen vergessen, in welch scharfer und ablehnender Weise er dir früher entgegengetreten ist. Oder er sieht das als sein Recht an. Auf die Erbschaft lege ich wirklich keinen Wert. Einige kleine Andenken von Mama habe ich ja.
Die Zeitung „Das Reich“ bekomme ich jetzt regelmäßig. Die erste Sendung ist nur für die von früher her schon festen Bezieher, von der Nachlieferung wird mir immer eine Zeitung zurückgelegt. Die kommt meist den folgenden Donnerstag bis Samstag. Wie mir die Frau sagte, kommt die Zeitung aus Oslo, darum dauert es so lange. Aber die anderen Leute können ja die Zeitung auch erst an diesen Tagen kaufen. Heute habe ich „Das Reich“ auch an dich geschickt.
Am Nachmittag habe ich mir heute einen freien Tag gemacht und bin mit den Kindern in die Stadt gegangen. Erst haben wir uns in der Eisdiele Eis gekauft, dann sind wir noch in den Hafen gegangen. Erst haben wir aus Zeitungspapier ein Schiffchen gebaut und haben es schwimmen lassen. Dann haben die Kinder noch ein Bisschen im Wasser geplanscht. Später sind wir heimgegangen und haben Abendbrot gegessen. Es gab Erdbeeren mit Quark und mit Milch. Nach dem Essen haben die Kinder noch gebadet und sind ins Bett gegangen. Ich habe noch Radio gehört, was mit dem neuen Apparat immer wieder ein Genuss ist. Nun gehe ich bald schlafen, sobald Vater heimgegangen ist.

                                                                                                            21.6.
Nun ist wieder Sonntag. Nach anfänglicher Bewölkung hat es sich aufgeheitert und wir wollen nachher baden gehen. So warm, wie vor 14 Tagen wird ja das Wasser sicher nicht sein, aber wir probieren es mal. Wir wollen schon ganz zeitig essen, damit wir zeitig fort können. Vorhin bin ich noch schnell zu Vater gefahren und habe ihm ein paar Erdbeeren gebracht.
Nun will ich alles zum Fortgehen fertig machen und schließe deshalb.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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