Mein liebster Ernst! Konstanz, 2.6.42
Heute schreibe ich zuletzt an Dich. Vorhin habe ich grade
meine Briefschulden gegenüber Papa und Erna erledigt. Erna hatte mir ja einen
Brief versprochen, der aber bis jetzt nicht eingetroffen ist. Vielleicht ist
Erna böse, dass ich mit Papa soweit zu einer Einigung gekommen bin. Es täte mir
sehr leid, denn am liebsten würde ich mit allen in Frieden leben. Ich werde ja
sehen, was Siegfried in seinem nächsten Brief schreibt. Ich weiß, dass sie es
in Leipzig viel schwerer haben, wie ich hier, denn, wie ich schon in dem Brief
an Papa schrieb, es ist für Siegfried und Erna nicht leicht, jetzt plötzlich
kein richtiges Heim mehr zu haben. Ich könnte es auch nicht ohne weiteres, mich
unterordnen, nachdem ich bisher in dem Haushalt selbständig gearbeitet habe.
Ich denke auch, dass Erna deshalb in ihren Bemühungen um Papa nachgelassen hat,
denn ihr Interesse wird nachgelassen haben. Es haben sie doch erst alle gelobt.
Es ist ja möglich, dass sich dieser oder jener Fehler herausgestellt hat, aber
letzten Endes glaube ich doch, dass die veränderten Verhältnisse an diesem
ganzen Durcheinander die Schuld tragen. Um vieles leichter wäre es für sie,
wenn sie eine eigene Wohnung hätten, da bekämen sie von der ganzen Sache einen
gewissen Abstand. Sollte es ja wahr sein, wie Papa denkt, dass Erna vielleicht
zu ihrer Mutter zieht, könnte es ja zu einem Bruch zwischen Siegfried und Papa
kommen. Ich mag mich mit der Sache nicht mehr herumschlagen. Ich mache mich
kaputt, Ihr habt den Schaden und an sich ändert es die ganze Sache nicht. Das
hat keinen Zweck.
Heute Vormittag habe ich für die Spinnstoffsammlung
allerhand herausgesucht. Kleider habe ich ja nicht, dafür aber alte Stoffreste,
bzw. Lumpen. Es ist ein ganzer Pack geworden, den wir in den nächsten Tagen zur
Sammelstelle bringen wollen.
Am Nachmittag war ich mit den Kindern in der Stadt und habe
verschiedene Sachen eingekauft. Für Jörg ein paar Holzkläpperle, für Helga
konnte ich keine mehr bekommen. Dann einige Mottenschutzsäcke für meinen
Pelzmantel und auch für deine Mäntel und Anzüge. Du hattest doch schon hier
gesagt, dass du es gerne hättest, wenn ich meinen Pelzmantel in einen solchen
Sack tun würde. Die Sachen riechen dann natürlich ziemlich nach Mottenpulver, aber
man kann sie ja vor Gebrauch wieder richtig auslüften.
Lieber Ernst, bist mir nicht böse, aber ich muss jetzt
schließen. Mir fallen schon die Augen zu. Ich will aber den Brief noch
fortbringen.
Ich denke immer an
dich, mein lieber Mann, und grüße und küsse dich recht, recht oft herzlich
Deine Annie.
Etwas habe ich noch vergessen. Herr Mettenberger hat mir die
Abschrift geschickt, die ich dir hier beilege.
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