Mein liebster Ernst! Konstanz, 9.6.42
Es ist nur gut, dass ich dich
habe. Meine Leute in Leipzig machen mir dauernd Sorge. Heute habe ich folgenden
Brief von Siegfried erhalten, den ich dir gleich abschreibe, denn das Original
möchte ich hier behalten, da Siegfried in seinem nächsten Brief vielleicht darauf zurückkommt. Er lautet:
Meine liebe Marianne! Entschuldige bitte, dass ich dir
erst heute wieder schreibe, denn ich war jetzt mit dem Zug in Lemberg und wir
haben dort ein paar Tage gestanden. Ich wollte dir von dort aus nicht
schreiben, weil diese Briefe dann zu lange dauern, ehe sie dich erreichen. Ich
habe dir ja in meinem letzten Brief über die Verhältnisse zuhause geschrieben
und ich habe mich gefreut, dass du auch meiner Meinung bist. Ich bin nun heute
wieder durch Leipzig gekommen und konnte mich mit Erna noch mal aussprechen, da
ich ihr Bescheid geben konnte, dass ich durch Leipzig komme. Wir hatten nun in
Engelsdorf längeren Aufenthalt und da war nun Erna dort, sodass wir bald 1 ½
Stunden zusammen sein konnten. Ich habe nun von Erna gehört, dass Erna mit dem
Fräulein Ludwig in Neustadt zur Hochzeit von Gertrud war und anschließend noch
in der Sächsischen Schweiz. Vom Pfingstsonnabend bis zum Pfingstmontag war
diese Person mit ihrer Mutter bei uns zuhause und sie haben auch dort
geschlafen. Wahrscheinlich hat es diesen Leuten dort sehr gut gefallen und ich
hörte von Erna, dass Papa voraussichtlich im Herbst dieses Fräulein heiraten
will. Als ich damals zu meinem Urlaub zuhause war, hatte ich mit Papa schon
einmal eine Unterredung, in der er mir zusicherte, dass er solange Krieg ist
und ich nicht zuhause bin, nicht heiraten will. Wahrscheinlich hat sich Papa
mit diesem Fräulein schon zu weit eingelassen und diese wird drängen, dass sie
sich so bald als möglich heiraten. Fräulein Ludwig will nicht mehr länger
arbeiten und sie wohnt jetzt wohl auch mit ihrer Mutter in einem Hinterhaus,
sodass sie unsere Wohnung reizt. Ich hatte von Lemberg aus, wo ich von den
Heiratsgedanken noch nichts wusste, bereits schon einen ziemlich scharf
gehaltenen Brief geschrieben, den ich auch erst im Reichsgebiet in den Kasten
werfen wollte. Ich habe diesen Brief nun erst Erna heute zu lesen gegeben und
stecke ihn heute erst in den Kasten. Erna, die Pfingsten verschiedene Besuche
gemacht hat, weil diese Leute bei uns waren, wurde auch von Fräulein Ludwig,
die bereits glaubt, bei uns zuhause zu sein, ein paar Mal sehr dumm angeredet,
worauf Erna die antwort natürlich nicht schuldig blieb. Ich warte nun die Antwort
auf meinen Brief an Papa ab und werde dann Fräulein Ludwig persönlich einen
Brief schreiben und ihr ein für alle Mal auf´s schärfste verbieten, sich Erna
gegenüber so aufzuspielen. Auch glaubt dieses Fräulein ein Recht darauf zu
haben, von dem Essen, was Erna von Papas und ihren Marken kauft, verfügen zu
können. Ich hatte ja bisher, was ich nach hause schicken konnte, heimgeschickt,
wovon Papa ja auch sein Gutes gehabt hat, ich will direkt sagen, er hat das
meiste davon gehabt, denn Erna ist ja das allerwenigste. Das hat nun diesem
Fräulein gut gefallen, sich von diesen Sachen, die ich besonders Für Erna und
Papa gedacht hatte, satt zu essen.
Natürlich habe ich meine Konsequenzen gezogen und so
wird alles, was ich heim schicke, von Erna entweder allein verbraucht oder für
mich aufgehoben. Auf Grund der Sachen, die ich von Erna gehört habe, ist Erna
von mir beauftragt worden, sich nach einer Wohnung bzw. ein paar Zimmern
umzusehen. Ich werde, sobald ich Gelegenheit habe, nach Hause zu kommen, einen
klaren Trennungsstrich zwischen Papa und mir ziehen, und wenn sich eine Wohnung
oder ein Zimmer gefunden hat, von zuhause weg ziehen. Paul und Alice, die in
nächster Zeit auch umziehen, wollen Erna und mir ihr Schlafzimmer verkaufen,
sodass ich in dieser Beziehung keine Sorge habe. Sollte es mit der Wohnung
nicht klappen, werde ich meine Sachen sicherstellen und hätte Dich nun gern
gefragt, ob du Erna so lange, bis diese Angelegenheit geklärt ist, bei dir
aufnehmen könntest. Wenn dies nicht möglich wäre, würde Erna so lange bei ihrer
Mutter wohnen, was ich aber nicht gern haben möchte. Ich bitte Dich, mir in
deinem nächsten Brief deine Meinung darüber zu schreiben. Sobald Papa heiraten
sollte, ist von mir aus die Verbindung zu Papa zerschnitten. Solltest Du, aber
auch Ernst im Falle einer Heirat von Papa weiter in dem Verhältnis, wie es
jetzt ist, zu Papa bleiben, würde es für mich bedeuten, dass ich auch zu Euch
keine Bindung mehr hätte und dann wäre meine Anfrage wegen dem Dortwohnen von
Erna gegenstandslos geworden. Ich glaube, dass Du verstehst, wie ich es meine.
Es täte mir ja dann leid, wenn ich dadurch außer Papa auch noch Dich und Ernst
verlieren würde, aber ich kann von meiner Einstellung nicht ab gehen, denn
dafür habe ich unsere liebe Mama zu gern gehabt und sie als Mutter viel zu hoch
geschätzt, als dass ich jetzt so ohne weiteres es mit ansehen könnte, wie sich
Papa mit einer anderen Frau verheiratet und dann meine Schwester und mein
Schwager dies auch so ohne weiteres hinnehmen würden. Wenn Papa Erna nicht
hätte und die Wirtschaft allein machen sollte, könnte ich vielleicht die
Notwendigkeit noch einsehen, würde aber trotzdem von meinen Maßnahmen nicht
abgehen. Wie es mir vorkommt, und wie ich dir in diesem Brief schon schrieb,
hat sich meiner Ansicht nach Papa schon zu weit mit Fräulein Ludwig
eingelassen, sodass er gar keine eigene Meinung mehr hat und er von dieser
Person gegen Erna besonders und gegen mich aufgehetzt wird. Mit getraut sich
Papa nichts zu sagen und hackt umso mehr auf Erna ein, was ich natürlich unter
keinen Umständen mehr dulden werde.
Wenn Papa mir mal schreibt, so versucht er auf eine
Tour zu gehen, die mir Mitleid mit ihm ablocken soll. Zum Beispiel er wäre
immer alleine, Erna würde nicht mehr, wie früher, mit ihm zusammen sitzen. Alt
und jung vertrügen sich nicht usw.
Du wirst ja auch Erna kennen gelernt haben und so kann
ich es mit Stolz sagen, dass sie wirklich eine Frau ist, mit der ein jeder
Mensch auskommen kann. Wenn Papa aber versucht, auf betreiben von Fräulein
Ludwig, Erna mir und Hausbewohnern gegenüber schlecht zu machen und mit Sachen
kommt, die vollkommen erlogen sind, hat es nun endgültig bei mir geschnappt und
ich werde jetzt endlich reinen Tisch machen, egal, wie es kommt. Ich hätte nie
gedacht, dass alles so einmal kommen würde bei uns zuhause, aber man merkt es
eben, dass unsere gute Mama fehlt, die leider viel zu früh von uns nach einem
zu arbeitsreichen Leben gegangen ist.
Siegfried schreibt dann noch,
dass er noch keinen Brief von Dir erhalten hat, da sie noch nicht wieder in
Berlin waren und dass ich dir Grüße übermitteln soll.
Was sagst du nun zu dem
Brief? Das klingt wieder ganz anders, als Papa immer schreibt. Es ist so
schwer, sich da zu Recht zu finden. Das eine halte ich für sicher, dass sich
Papa von dem Fräulein sehr beeinflussen lässt, denn sonst könnte er nicht
einmal sagen, er heiratet erst nach dem Kriege und dann schon im Oktober oder
November. Ich habe gar nicht gewusst, dass das Fräulein mit in Neustadt war und
dann in der Sächsischen Schweiz. Ich muss schon sagen, die hält sich ran und
nutzt jede Gelegenheit aus, in die Familie zu kommen. Jetzt wird mir auch klar,
warum Gertrud gesagt hat, dass sie zum Mittagessen auch nichts mehr für sie
hätte. Die werden sicher ganz erstaunt gewesen sein, dass Papa das Fräulein
mitbringt. Mir hat das Fräulein in dem letzten Brief ja auch Grüße ausrichten
lassen, die ich aber unbeantwortet gelassen habe. Wenn ich auch geschrieben
habe, dass Papa machen soll, was er mag, und dass ich gegen das Fräulein
persönlich nichts habe, da ich sie ja gar nicht kenne, so ist ja noch nicht
gesagt, dass ich gleich Freundschaft mit ihr schließen will.
Dürfte ich dich bitten,
lieber Ernst, auf diesen Brief hin an Siegfried zu schreiben? Es ist mir alles
Recht, was du schreibst. Ich richte mich ganz nach dir. Vielleicht regst du
dich nicht so auf, wie ich. Ich habe ja einstweilen laut beiliegendem
Durchschlag geantwortet.
Mit dem Wohnen von Erna bei
uns ist es so eine Sache. Ich habe sie wirklich gern, aber unsere Wohnung ist
eben doch nicht groß. Wenn es sich um 1 – 2 Monate handelte, ginge es noch,
aber länger ist es wohl kaum möglich. Auch wenn du einmal auf Urlaub kämst,
wäre es nicht schön, wenn wir nie allein wären. Man könnte es dann höchstens so
machen, dass sie sich hier in der Nähe, wenn es möglich ist, ein Zimmer mietet.
Am besten wäre es eben, Erna käme erst mal in den Ferien her. Sie würde dann
sicher selber sehen, dass wir wenig Platz haben. Davon brauchst du ja Siegfried
noch nichts schreiben.
Nun noch zu etwas anderem.
Die Abschrift des Prüfungszeugnisses schicke ich dir heute mit. Eine
beglaubigte Abschrift ist nicht vorhanden.
Im Garten habe ich heute noch
ein paar Setzlinge zwischen bzw. an die Seite der Kartoffelreihen gesetzt. Auch
den Platz zwischen den Stachelbeerbäumchen habe ich dafür verwendet. Außerdem
habe ich die Kartoffeln im kleinen Garten gehäufelt. Im anderen garten wollte
ich es auch tun, aber da hat mir der Brief von Siegfried alle Lust dazu
genommen. Wenn es nicht regnet, setze ich mich morgen dahinter.
Kurt war ja heute in Bregenz.
Da hat er aber nicht gerade den besten Tag erwischt, denn es war meist dunstig
und einige Male hat es auch geregnet.
Viel schönes habe ich ja
heute nicht zu berichten gehabt, aber ich musste dir ja wohl davon Kenntnis geben,
nicht wahr? Da es nun schon ziemlich spät ist, will ich Schluss machen. Ich
grüße und küsse dich für heute recht herzlich, Deine Annie.