Donnerstag, 22. Juni 2017

Brief 360 vom 21./22.6.1942


Liebster Ernst!                                                             Konstanz, 21.6.1942

Auf einer Decke liegend schreibe ich dir jetzt, und es sieht auch dementsprechend aus. Wir sind beim Baden. Es weht ein starker Wind und die Wellen schlagen ans Ufer. Wir waren erst ein bißchen erschrocken, als wir hier ankamen und meinten, wir könnten gar nicht baden, da es ein kühler Wind ist, aber es ging dann doch prima. Nur mit dem Schwimmen war es nicht viel. Die Wellen waren zu hoch. Aber wir haben auch so unseren Spaß gehabt. Vor allen Dingen war ich zum ersten Mal wieder im See. Das ist doch immer wieder schön. Wenn man nur nicht so Hunger vom Baden bekäme. Ich habe zum Essen Zwieback von Dir und Marmelade mitgenommen. Da brauche ich nicht gar so viel Brot. Das ist ja immer ein bißchen knapp bei uns, aber es wird ja vom September an auch besser, denn vom 10.Jahr ab bekommt Helga nicht mehr 500g pro Woche weniger wie ich, sondern 500g mehr, so daß ich in der Woche also 1000g ausmacht, d.h. natürlich, wenn die Rationen gleich bleiben
Im Gegensatz zum vorigen Mal ist Helga heute nicht aus dem Wasser zu bekommen, während es Jörg eher friert. Gerade ist er wieder hier und hat Hunger. Also wollen wir mal essen.
Nachdem wir gegessen hatten, haben wir uns langsam angezogen und sind Heim gegangen. Gegen ¼ 7 waren wir hier. Wir haben Abendbrot gegessen, wobei ich wieder nicht sitzen konnte vor kribbeln. Das ist immer wieder dasselbe. Auch jetzt noch, um 9, muß ich ab und zu aufspringen. Es ist, als ob man in einem Ameisenhaufen sitzt. Aber fein war das baden doch. Wir haben auch ein sonniges, windgeschütztes Plätzchen hinter einer Hecke gehabt. Da konnten wir uns aufwärmen. Braun sind wir auch geworden.
Weißt Du, wen ich gestern gesehen habe? Den Rickert. Er sprach mit einer Frau. Die versoffene Stimme hat er immer noch. Der Brief von ihm an alle Kameraden, den du mir mitgeschickt hast, war ja für ihn typisch. Voll und ganz von sich eingenommen, als wenn er den ganze Kram allein schmeißt.
Als wir heute heim kamen und hörten, daß Tobruk genommen wurde, war ich doch erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, daß es so schnell geht. Die vielen Bombardierungen von Malta haben sicher dazu beigetragen, daß wir Nachschub nach Afrika bringen konnten und daß die Engländer nicht genügend bekamen. Es muß in der furchtbaren Hitze ein schwerer Kampf sein.

                                                                                                            22.6.
Jetzt will ich den Brief fertig schreiben, denn Jörg nimmt ihn mit, wenn er zur Schule geht. Gerade komme ich vom Garten. Ich habe erst mit einem Düngemittel gegossen und dann habe ich an die Tomaten noch eine Stange getan, da ich bei jeder Pflanze noch einen Nebentrieb stehen gelassen habe. Auch anbinden mußte ich sie wieder, denn sie wachsen gut und es hängen auch schon kleine grüne Tomaten dran. Auch die Gurken stehen bis jetzt gut da. Vielleicht bekommen wir diesmal mehr, wie im vergangenen Jahr, wo ja alle Pflanzen kaputt gegangen waren. Die Johannisbeeren sind schon ziemlich rot und die Kinder möchten sie am liebsten jetzt schon pflücken. Ich muß sie immer vertrösten.
Gerade habe ich deinen lieben Brief vom 4.6. bekommen. Du schneidest darin nochmal die Sache von Papa an und ich kann dir nur in allem zustimmen, was du schreibst. Eingewickelt hat das Fräulein Papa auf jeden Fall. Und aufdringlich ist sie auch. Ich hatte dir ja geschrieben, daß Siegfried mir noch einen Brief schicken wollte, in dem er die Unterredung mit Papa schildert. Wahrscheinlich werde ich noch eine Zeit lang warten müssen. Er wird während dem Kursus kaum Zeit haben. Interessieren würde es mich ja schon, was bei der Unterredung herausgekommen ist. An Erna werde ich heute noch schreiben und ihr mitteilen, daß ich mich freue, wenn sie her kommt.
Zwei Päckchen hast Du auch auf den Weg gebracht und hast dir extra die Schokolade abgespart. Du sollst doch so etwas auch für dich verwenden, denn sonst hast du doch auch keine Süßigkeiten. Für diesmal will ich nicht schimpfen, sondern dir recht sehr danken. Aber das nächste Mal mußt du´s selber essen, nicht wahr, Du lieber Ernst.
Nun muß Jörg zur Schule und ich beende meinen Brief. Ich grüße und küsse dich recht herzlich            Deine Annie.

Brief 359 vom 20./21.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 20.6.42 

Heute will ich noch deinen Brief vom 7.6. beantworten. Gestern bin ich nicht mehr dazu gekommen. Die 2 Bücher hat mir Papa also sauber übersandt. Bei uns im Garten wächst auch alles gut. Die Johannisbeeren werden auch schon rot. Mit der Heiratsangelegenheit sind wir also der gleichen Meinung. Ich könnte auch nicht mehr so freundlich mit Papa sein, wenn er mich so beiseiteschieben würde. Aber. Wie du schon schreibst, es hat keinen Zweck, Papa auf seine Widersprüche aufmerksam zu machen, die in seinen Briefen immer wieder auftreten. Ja, das hat Papa vollkommen vergessen, in welch scharfer und ablehnender Weise er dir früher entgegengetreten ist. Oder er sieht das als sein Recht an. Auf die Erbschaft lege ich wirklich keinen Wert. Einige kleine Andenken von Mama habe ich ja.
Die Zeitung „Das Reich“ bekomme ich jetzt regelmäßig. Die erste Sendung ist nur für die von früher her schon festen Bezieher, von der Nachlieferung wird mir immer eine Zeitung zurückgelegt. Die kommt meist den folgenden Donnerstag bis Samstag. Wie mir die Frau sagte, kommt die Zeitung aus Oslo, darum dauert es so lange. Aber die anderen Leute können ja die Zeitung auch erst an diesen Tagen kaufen. Heute habe ich „Das Reich“ auch an dich geschickt.
Am Nachmittag habe ich mir heute einen freien Tag gemacht und bin mit den Kindern in die Stadt gegangen. Erst haben wir uns in der Eisdiele Eis gekauft, dann sind wir noch in den Hafen gegangen. Erst haben wir aus Zeitungspapier ein Schiffchen gebaut und haben es schwimmen lassen. Dann haben die Kinder noch ein Bisschen im Wasser geplanscht. Später sind wir heimgegangen und haben Abendbrot gegessen. Es gab Erdbeeren mit Quark und mit Milch. Nach dem Essen haben die Kinder noch gebadet und sind ins Bett gegangen. Ich habe noch Radio gehört, was mit dem neuen Apparat immer wieder ein Genuss ist. Nun gehe ich bald schlafen, sobald Vater heimgegangen ist.

                                                                                                            21.6.
Nun ist wieder Sonntag. Nach anfänglicher Bewölkung hat es sich aufgeheitert und wir wollen nachher baden gehen. So warm, wie vor 14 Tagen wird ja das Wasser sicher nicht sein, aber wir probieren es mal. Wir wollen schon ganz zeitig essen, damit wir zeitig fort können. Vorhin bin ich noch schnell zu Vater gefahren und habe ihm ein paar Erdbeeren gebracht.
Nun will ich alles zum Fortgehen fertig machen und schließe deshalb.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 358 vom 19.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 19.6.42

Am Nachmittag erhielt ich Deine lieben Briefe vom 5., 6. Und 7.6. Ich danke dir dafür.
Ja, unsere Lauser sorgen immer wieder dafür, daß mir die Arbeit mit den Schuhen nicht ausgeht. Neben anderem verlieren sie besonders gern die Eisen. Da ich doch nicht mehr so viel bekomme, wie früher, habe ich zu den Kindern gesagt, wenn sie noch gute Schuheisen finden, sollen sie die mit heimbringen. Bis jetzt haben sie schon 25 Stück gebracht, die ich teilweise schon wieder verwenden konnte.
Wegen Büsings und Schwehrs rege ich mich gar nicht mehr auf. Erst ärgert man sich zwar, aber ich habe mir auch gesagt, es ist alles nur der Neid, daß wir unsere Sachen in Ordnung haben und zusammenhalten. Das können sie nicht sehen. Aber ich mache es eben so, daß die Leute mich Luft sind. Mit gerichtlich belangen hat das keinen Zweck, das tun schon andere und ich meine, ich komme so weiter.
Die Schrift von Helga ist nicht mehr so schön, wie früher, wo sie deutsch geschrieben haben. Die lateinische Schrift liegt ihr gar nicht. Es freut mich, daß das Besteck endlich angekommen ist und daß es dir gefällt.
Die Röhren des Radioapparates haben folgende Bezeichnungen: Die linke Röhre: VISSEAUX xG25Z6GT, die vordere linke Röhre VISSEAUX 6 Q 7 G, die vordere rechte Röhre (schwarz) TUNGSRAM 25L6G. Die linke vordere Röhre kann man selber nicht auswechseln, da sie oben mit einem Kabel verbunden ist, während man die anderen zwei , die bei angestelltem Apparat glühen, also wohl auch am meisten abgenutzt werden, einfach herüber ziehen kann.
Wenn Du nochmals 3 Röhren besorgen lassen könntest, wäre es ja schön. Nur soll sie der Mann auch gut verpacken, damit sie heil ankommen, denn die werden nicht so billig sein. Du mußt mir dann schreiben, an wen ich das Geld schicken soll.
Die Zeitungen habe ich nicht so verklebt, wie sie wahrscheinlich angekommen sind, ich habe die Streifen nur herum gelegt, an die Zeitung selber habe ich nichts geklebt. Inzwischen habe ich mir ja Kreuzband besorgt und ich denke, daß die Zeitungen nun nicht mehr so verklebt sein werden.
Wenn du es noch nicht getan hast, so schreibe doch nicht an Papa wegen der Zeitung „Das Reich“. Ich habe sie dir doch schon öfter geschickt und besorge sie dir gern. In Leipzig wird er sie auch nicht einfach bekommen. Die Bodensee-Rundschau werde ich also abbestellen, wenn du sie nicht willst.
Von den Zündplättchen habe ich für Jörg immer noch welche aufgehoben. Die Kinder möchten sie ihm nämlich gar zu gern ablocken. Darum halte ich ihn kurz.
Eine Kerze kann ich dir leider nicht senden, denn die gibt es hier schon lange nicht mehr. Einige Christbaumlichter habe ich noch da, davon schicke ich dir ein paar. Zur Not werden sie schon auch gehen. Die Rasierklingen besorge ich morgen mit.
Die Briefmarken vom Generalgouvernement habe ich in dein Briefmarkenalbum gelegt. Sie sind ja schon vor längerer Zeit angekommen.
Ich freue mich wirklich, dass ich einige Ersparnisse habe machen können. Freust Du dich aber auch? Das ist mir nämlich die Hauptsache. Ich habe mich schon ein paar Mal über was gefreut, aber wenn ich gemerkt habe, Du freust Dich nicht so, da war´s mir verleidet.
Jetzt weiß ich wirklich nicht, ob du nicht doch ein bißchen böse bist, daß ich die Grüße zu den Festen immer vergesse. Aber 14 Tage vor Pfingsten habe ich wirklich noch nicht an das Fest gedacht und auch dann habe ich es noch vergessen. Die Feste sind mir alle so gleichgültig. Etwas anderes ist es beim Geburtstag. Da habe ich doch rechtzeitig daran gedacht. Ich hoffe jedenfalls, daß alles rechtzeitig ankommt, gedacht habe ich an den Geburtstag ja schon viel länger. Ja, eigentlich denke ich doch das ganze Jahr daran.
Heute waren die Kinder wieder im Turnen. Es gefällt ihnen jedes Mal sehr gut. Nächstes Mal müssen sie donnerstags gehen und am Freitag treffen sie sich zum Schwimmen. Es soll noch in der Zeitung stehen, wann und wo Treffpunkt ist. Ich weiß nun nicht genau, ob sie da schwimmen lernen. Gut wäre es ja, wenn sie´s bald könnten.
Vorige Woche habe ich ein Buch für uns gekauft „Sagen und Schwänke vom Bodensee“. Augenblicklich braucht es Helga am meisten, weil sie in der Heimatkunde jetzt das ganze Bodenseegebiet besprechen und auch auf verschiedene Sagen zu sprechen kommen.
Unsere Glocken sind jetzt auch geholt worden. Auf dem Bahnhof stehen ca. 20 Stück große und kleine zum Abtransport bereit. Die Täufer sind auch wieder da, da kann man wieder zusehen.
Heute gehe ich ganz zeitig schlafen, so ca. ½ 9 Uhr. Ich bin ganz müd. Lieber stehe ich früh zeitiger auf. Den Brief nehme ich morgen früh mit.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Sonntag, 18. Juni 2017

Brief 357 vom 18.6.1942


Mein lieber Mann!                                                              Konstanz, 18.6.42

Seit gestern hat sich das Wetter wieder gebessert, darum habe ich mit den Kindern heute Nachmittag gleich im Garten geschafft. Vor allen Dingen dem Unkraut haben wir den Kampf angesagt. Es war sehr viel da. Aber zu dritt läßt sich´s ganz gut schaffen. Vom letzten Spinat, der nun abgeerntet ist, habe ich das Stück Beet noch umgegraben, ebenso das Stück vom Salat. Darauf kommt Grünkohl, sobald die Setzlinge groß genug sind.
Heute Morgen habe ich wieder einige Zeitungen für Dich besorgt und abgeschickt. Zu Mittag haben wir Kurt noch an der Bahnschranke gewinkt. An den Petershauser Bahnhof sind wir nicht mitgegangen, da Paula dort war, nur die Kinder haben sich dort noch von Kurt verabschiedet. Viel gesehen haben wir ja Kurt auch in diesem Urlaub nicht, aber er wohnte ja schließlich bei Paula und kann sich auch nicht zweiteilen. Die Hauptsache, daß es eine Erholung für ihn war. Sachen habe ich ja noch ziemlich von ihm hier liegen, die ich wieder versorgen muß. Bloß muß ich mir erst wieder überlegen, wohin?
19.6.
Mit dem Fertigschreiben ist es gestern Abend nichts mehr geworden, weil ich wieder zu müd war. Du wirst es ja noch von früher kennen, daß mir da einfach die Augen zufallen. Heute Morgen war ich in der Stadt und wollte noch „Das Reich“ besorgen, aber es war immer noch nicht da. Die Frau will mir nun eins zurücklegen, und ich kann es morgen Vormittag, wenn ich einkaufen gehe, mit besorgen. Vorhin habe ich gerade wieder 2 Pfund Erdbeeren rübergeholt, die ich mit Rhabarber einkoche. Erdbeeren haben wir bis jetzt ca. 20 Pfund. *
Der Briefträger brachte mir heute eine Karte von Siegfried. Er schreibt, daß er einen Tag zuhause war und mit Papa gesprochen hat. Ich brauchte in dieser Sache nicht mehr an Papa schreiben. Über seine Unterhaltung mit Papa berichtet er mir in einem Brief, den er bald schreiben wird. Erna kommt im Juli wahrscheinlich auf 4 Wochen zu Besuch. Ich werde es dann, wenn du nichts dagegen hast, wahrscheinlich so machen, daß ich in deinem Bett schlafe und Erna in meinem. Da brauche ich die Kinder nicht erst auszuquartieren. Auf dem Sofa kann ich Erna ja nicht gut schlafen lassen, wenn ein Bett frei steht. Ob Papa mitkommt, weiß ich ja nicht, glaube es aber kaum.
Ich grüße und küsse dich für heute wieder recht herzlich, Deine Annie.

*Im Laden kostet 1 Pfund 70 – 80 Pfg. und man bekommt pro Person ½ Pfund.

Brief 356 vom 17.6.1942


Mein lieber Mann!                                                              Konstanz, 17.6.42

Gestern Nachmittag erhielt ich deine 3 lieben Briefe vom 8., 9. und 10.6., die du einem Kameraden mitgegeben hast und die deshalb so schnell hier waren. Ich habe mich sehr gefreut. Es ist einfach schön, wenn ich mal so schnell liebe Grüße von dir bekomme.
Wie du das Bild vom Ausblick vom Fürstenberg dir in Gedanken ausmalst, so ist es wirklich gewesen und man meint fast, du seist hier gewesen. Schön ist es ja hier, man kann sich gar nicht satt sehen. Und sauber, nicht so ein Dreck wie dort.
Ich freue mich auch immer, wenn die Kinder schon fleißig helfen. Das Unkraut rausmachen im Garten ist ja nicht so beliebt, aber wenn wir alle zusammen schaffen, geht’s schon. Nötig ist es ja immer wieder.
Daß Jörg mit dem Metallbaukasten spielen kann, freut mich auch. Da kann er sich doch im Winter manche Stunde damit unterhalten. Die selber gemachten Briefumschläge kommen hier immer ordentlich an. Du kannst sie also gut verwenden.
Geimpft wirst du ja jetzt genug, und Tabletten mußt du auch noch schlucken. Aber es wird ja wohl nötig sein, denn gerade diese Krankheiten, gegen die das alles gemacht wird, sind ja so schwer. Gerade von Malaria habe ich erst kürzlich etwas gelesen. Man bekommt diese Krankheit ja nicht mehr los, und es gibt nur Mittel, sie zu unterdrücken, aber endgültig heilen kann man sie noch nicht.
Daß Du aus Zerbst zur Ahnenforschung wieder 4 Urkunden erhalten hast, wußte ich noch nicht. Vielleicht hast Du´s geschrieben, aber ich habe die Briefe noch nicht. Mich wundert es , dass die Pfarrämter im Krieg auch noch Urkunden ausstellen. Aber es ist schön, wenn wir wieder ein Stück weiter kommen. 
Darüber, dass ich dir unsere Inspirol-Tabletten mitgeschickt habe, brauchst du Dir wirklich keine Gedanken zu machen. Es gibt ja noch andere Sachen, z.B. so gummiähnliche Halspastillen, die du sicher nicht so gern magst, die uns aber ganz gut schmecken. Die haben wir jetzt da.
Du gehst auf den Brief von Papa ein. Mir erscheint Papa auch manchmal unberechenbar. Erst kommt er mit Erna nicht aus, dann sollen sie dort wohnen bleiben. Erst will er am Kriegsende heiraten, dann gleich nach dem Trauerjahr. Mir kommt es vor, als hätte ihn das Fräulein schon richtig unter der Fuchtel. Denk dir mal, was das wird, wenn die alte Frau noch mit in die Wohnung zieht. Mal sehen, wie lange es Papa passen wird. Nein, ein zuhause ist das für uns nicht mehr.
Daß du mit dem einverstanden bist, was ich geschrieben habe, ist mir eine Erleichterung. Weißt Du, es ist manchmal schwer. Früher konnte ich mich einfach auf dich verlassen. Du hast immer das Richtige getroffen, und ich habe mich dabei so geborgen gefühlt. Aber jetzt, wo die Briefe so lange unterwegs sind, kann ich dich ja nicht erst fragen, was ich tun soll. Inzwischen habe ich ja nun auf Siegfrieds Brief geantwortet, habe an Erna geschrieben und sie hat mir sehr verständig geantwortet. Ich werde ja nun sehen, was weiter wird.
Papa hat ja noch Nichts wieder von sich hören lassen. Wenn ich ihm alles geschrieben hätte, was ich denke, wäre es ja zu keiner Verständigung gekommen. Denn weißt Du, ein Bisschen könnte das Fräulein auf die Gefühle von uns schon Rücksicht nehmen und nicht schon jetzt in der Wohnung herumwirtschaften und sogar zu Pfingsten schon dort schlafen.
Was hat Papa früher immer von seiner Erna gesprochen und daß die Leute nichts zu reden haben sollen. Jetzt ist es ihm auf einmal wurscht. Und dass das Fräulein gleich mit nach Neustadt fährt. Das ist eigentlich schon eine Frechheit. Ach, ich hätte noch manches auf dem Herzen, aber es lohnt sich ja nicht, dass ich mich wieder aufrege. Ich stelle mir immer vor, es sind ganz fremde Leute, die mich nichts angehen. Da komme ich am besten zurecht.
Ganz fest kann ich es ja noch nicht versprechen, dass ich Papa nicht doch mal meine Meinung schreibe, wenn es mir zu dumm wird.
In deinem Brief schreibst du, dass ich eben auf den Bescheid vom Wittenburg warten muß, ehe ich das Geld weg schicke. Nun ist dieses ja schon eine Weile unterwegs, denn auf Bescheid kann ich wohl vergeblich warten. Die Dienststelle kann ja schließlich nichts anderes tun, als evtl. das Geld zurück schicken, wenn sie es nicht weiterleiten kann oder will.
Bei den Stiefeln drück es mir nicht direkt an den Waden, sondern mehr in den Kniekehlen, wo die Stiefel enger werden. Ich werde mich mal erkundigen, on man sie abändern kann.
Wenn auch der Bezug von Magermilch eingeschränkt ist, zur Herstellung von Pudding oder Gries langt es immer noch, bekomme ich doch 3 x ½ l Magermilch und 2 x ¼ l Vollmilch  pro Tag, also insgesamt 1 ¼ l. Da kann man schon noch mit auskommen.
Mit den Pralinen haben wir uns ja nichts abgespart. Das war doch dein Teil von Ostern, wie wir es auch gehabt haben. Du gehörst doch schließlich zu uns, nicht wahr?
Morgen Mittag 13.20 Uhr fährt Kurt wieder nach Karlsruhe. Sein Urlaub ist herum. Er will aber nochmals ein Gesuch einreichen, da er nur 14 Tage Urlaub hatte. In letzter Zeit hat Kurt davon gesprochen, dass er nach dem Krieg heiraten will. Er habe es satt, so weiter zu leben, wie vor dem Kriege, das er nirgends richtig hin gehört. Scheinbar kennt er auch ein Mädel, die ihm gut gefällt, denn er war ein paar Mal mit ihr fort. Gefragt habe ich ihn aber nicht darum. Wenn er´s sagen will, wird er´s schon selber erzählen.
Heute haben wir auf die Mangelwaren-Karte pro Person ½ Pfund Kirschen bekommen. Da habe ich zum Abendbrot einen Kirschenmichel gebacken. (Das ist ein Kuchen aus in Milch geweichten Brötchen mit Butter, Zucker, Eiern und Kirschen) Auf einen anderen Abschnitt bekomme ich wahrscheinlich morgen nochmals das gleiche Quantum. Daraus mache ich Marmelade. Da braucht man doch so wenig Zucker dazu.
Doch nun will ich schlafen gehen. Es ist bereits ¾ 11 Uhr. Bleib recht gesund und sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 355 vom 15./16.6.1942


Mein lieber Ernst!                                                   Konstanz, 15.6.42            

Auch heute ist es wieder spät geworden, ehe ich zum Schreiben komme. Am Morgen hatte ich zu putzen, dann zu bügeln, dann Essen zu kochen. Am Nachmittag war ich in der Stadt einkaufen, dann musste ich Jörg beim Zusammenbau eines Flugzeugmodells helfen, dann haben wir Abendbrot gegessen und hinterher habe ich noch Marmelade eingekocht. So ist der Tag vergangen.
Heute Morgen erhielt ich von Papa ein Päckchen mit einigen Zeitungen und für Jörg Modellierbogen für einen Zerstörer, ein Flugzeug und Soldaten. Von Erna erhielt ich auf mein Schreiben einen Brief, über den ich mich gefreut habe, da er vernünftig geschrieben ist. Ich schicke dir morgen eine Abschrift mit. Heute bin ich schon zu müde.

16.6.

Eigentlich wollte ich gestern weiter schreiben, aber mir fielen dabei immer die Augen zu. Ich bin dann gleich ins Bett gegangen und habe doch nicht gut geschlafen, sondern lauter dummes Zeug durcheinander geträumt.
Nun nochmal zu Erna´s Brief. Ich kann ihr nur Recht geben, wenn sie nicht mit Pap und seiner Frau zusammen wohnen will. Es klappt jetzt schon nicht, geschweige denn nachher. Papa will nicht einsehen, dass sich, wenn er heiratet, vieles ändert. Aber es ist doch so. Ich werde ja z.B. auch nicht mehr nach Leipzig in Ferien reisen, denn was soll ich bei einer fremden Frau? Doch für heute genug davon. Ich werde ja sehen, was ich weiter für Briefe bekomme.
Eben kam der Briefträger und brachte mir deinen lieben Brief vom 3.6. Daß man es doch so merkt, wenn Deutsche da sind. Daß da gleich so viel größere Ordnung herrscht. Mit der Feldbestellung müssen wir uns ja hier nicht mehr plagen. Wenn dort richtig angepackt wird, kann ja wohl die Versorgung weitgehend gesichert werden. Aber in diesen Jahren ist wohl noch mit viel Sabotage zu rechnen.
Das ist gut, wenn du dort jemanden aus Lindenberg getroffen hast, der auch Alfred Seifert kennt. Wie doch manchmal der Zufall spielt.
Über Gewittermangel haben wir hier auch nicht zu klagen. Im Anschluß an das letzte Gewitter regnet es noch immer mit kurzen Unterbrechungen und es ist sehr kühl geworden. Das ist schade für die Erdbeeren und manches Heu auf dem Land geht auch kaputt. Ca. 15 Pfund Erdbeeren haben wir bisher geerntet. Am Sonntag haben die Kinder Vater 2 Pfund runter gebracht. Seine Erdbeeren wird er ja schon vermissen.
Nun will ich dir noch von den Kindern aus der Schule erzählen. Jörg ist zum ersten Mal an den Ohren gezogen worden, weil er in der Religion gegessen hat. Helga hätte sich ja da schwer gekränkt, aber Jörg macht sich da nichts draus. „Religion ist gar keine richtige Schule und ich habe schon mal gegessen, da hat er mich bloß nicht erwischt.“ Als ich die Kinder mal rein rufen wollte, hörte ich gerade, wie sich Jörg mit anderen Buben unterhielt über Tatzen usw. Jeder wußte was, was er angestellt hatte und Jörg lachte ganz zufrieden, dass er auch mit etwas aufwarten konnte. Ganz große Töne hat er gemacht.
Bei Helga ist es nun ganz anders. Ich schrieb dir ja schon, dass ihr das Kopfrechnen etwas schwer fällt. D.h. zuhause, wenn ich mit ihr übe, geht es ganz gut, aber wenn sie etwas aufgeregt wird, ist es aus. So auch manchmal in der Schule, wenn es schnell gehen soll. Einmal kam sie auch heim. Da hat sie die Lehrerin vor gerufen und angeschimpft. Das wäre die Höhe, sie sollte sich was schämen, wenn sie das nicht mal könnte usw. Vorige Woche war wieder was anderes. Da hatte Helga etwas nicht richtig verstanden und demgemäß auch geschrieben. Da hat die Lehrerin auch getobt und zuletzt das Heft auf die Erde gepfeffert. Helga kränkt sich darüber schwer. Daß die Lehrerin aber sonst mit ihr zufrieden sein muss zeigt doch, dass sie meinte, sie könne mit in die Hauptschule. Ich weiß garnicht, ob ich dir schon mal davon geschrieben habe. Mittwochs ist doch Spielschar. Ich lasse Helga ja wegen der Frau Synkwiß nicht mehr hin gehen.
Die Kinder, die nun nicht in die Spielschar gingen, bekamen jedesmal so viel Hausaufgaben auf. Außerdem wurde jedesmal gefragt, warum sie nicht gingen. Da bin ich mal in die Schule gegangen und habe der Lehrerin gesagt, dass sie von mir aus nicht gehen darf. Das wollte sie vorher der Helga nicht glauben, da sie nicht den Grund angegeben hatte. Ich fand es aber nicht nötig, dass alles in die Klasse hinausposaunt wird. Aber wie mir scheint, ist die Lehrerin überhaupt neugierig. Zum Muttertag war auch so ein Theater. Helga mußte einen Aufsatz darüber schreiben. Zufällig mußte sie auch vorlesen. Als sie an den Satz kam:“…mußte sich meine Mutter die schönen Geschenke ansehen“ mußte sie aufhören und die Lehrerin sagte:“ Hör mit Geschenken auf. Was werdet ihr schon für schöne Geschenke haben. Hättet ihr Eurer Mutter lieber Blumen geschenkt, da hätte sie mehr Freude gehabt.“ Ist das nicht ein Quatsch? Wenn sie von ihren Kindern (sie hat 3) lieber Blumen mag, ist das ihre Sache. Ich habe mich jedenfalls sehr über ihre viele Mühe gefreut. Blumen hätten sie bestimmt leichter kaufen können, denn überall hat man Kinder mit einem Blumenstock gesehen. Und nachdem ich den wunderschönen Strauß von Dir bekam, wäre der Blumenstock vielleicht in den Hintergrund getreten. So aber stand der Strauß da, davor das Messer und der Teller und das kleine Buch. Dazu die Karten und Zettel mit viel Liebe gemalt. Aber das hatte die Lehrerin doch erreicht, daß sich Helga die ganze Zeit Gedanken machte, ob ich mich über ihre Sachen auch wirklich gefreut habe.
Bei unserem Apfelbaum sieht man schon die kleinen Äpfel leuchten. Wenn alle groß würden, gäbe es eine gute Ernte. Es kommt aber noch sehr auf´s Wetter an.
Nun will ich schließen. Ich muß an´s Kochen denken. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                               Konstanz, 16.6.42     

Diesmal müssen wir schon beizeiten an deinen Geburtstag denken, wenn dich der Brief noch erreichen soll. Du bist ja diesmal an diesem Tag auch nicht daheim und noch weiter weg, wie beim letzten Mal. Aber in unseren Gedanken werden wir bei dir sein.
Ich wünsche dir für das kommende Lebensjahr vor allem, daß du gesund bleibst und daß es dir nicht schlecht gehen möge. Weiter wünsche ich, auch mit als Wunsch für uns, daß du in nicht zu langer Zeit wieder einmal Urlaub bekommst, und daß wir uns alle nach dem Krieg gesund wiedersehen.
Ich hätte dir gern zum Geburtstag einige kleine Überraschungen bereitet, aber es ging nicht zu machen. So mußte ich mich darauf beschränken, dir nur eine Kleinigkeit zu backen. Aber um dir doch eine kleine Freude zu machen, habe ich die Kinder einige Male photografiert und schicke dir die Aufnahmen, zusammen mit zwei Bildern, die wir während deines Urlaubs gemacht haben, mit. Ich hoffe, daß sie dir gefallen.
Im vergangenen Jahr hatten wir ja gehofft, daß du dieses Jahr wieder daheim wärst. Leider ging dieser Wunsch noch nicht in Erfüllung. Vielleicht ist es nächstes Jahr der Fall. Das wäre ja eine große Freude. Die Hoffnung darauf wollen wir nicht aufgeben. Wie waren doch die Jahre schön, als du daheim warst. Und die Geburtstage  waren immer liebe Feste, nicht wahr? Vielleicht können wir sie doch bald wieder zusammen feiern.
Verlebe deinen Geburtstag gesund und denke daran, daß wir mit unseren Gedanken bei dir sind.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 354 vom 14.6.1942


Mein lieber Ernst!                                                   Konstanz, 14.6.42

Nachdem ich bereits deine Briefe bis zum 1.6. erhalten habe, kamen heute zwei Bummelanten nach, die Briefe vom 24. Und 25.5. Ich habe mich aber trotzdem noch gefreut. Du bittest um Zahnpasta. Hier gibt es ja keine mehr zu kaufen, aber ich hatte noch eine Tube Clorodent von Siegfried da, die ich heute für Dich verpackt habe. Ich muß morgen noch abwiegen, ob sie nicht zu schwer ist. Für uns habe ich ja noch die französische Zahnpasta da. Da du schreibst, dass du dort schon Zigaretten brauchen kannst, schicke ich morgen 3 Schachteln weg.
Da du dir ca. 100 Briefumschläge gemacht hast, werde ich mit dem Zusenden weiterer Umschläge einstweilen aufhören. Sonst hast Du so viel dort, dass du nicht weißt, wohin damit.
Oh, ich bin gar nicht böse, wenn du einen Brief einem Kameraden mitgeben kannst und er zeitiger eintrifft. Da weiß ich doch, dass du gesund bist und erwarte dann mit etwas mehr Ruhe deine anderen Briefe.
Gegessen habt ihr ja zu Pfingsten nicht schlecht. Da bekommt man selber Appetit. Ich bin froh, dass es dir in dieser Beziehung gut geht.
Tee haben wir dieses Jahr schon ziemlich gesammelt, wenn auch nicht so viel Schlüsselblumen. Man nimmt eben, was es gibt.
Die Kinder in der Schule sammeln ja den Tee für die Soldaten. Wenn alle Schulen in Deutschland sammeln, kommt schon was zusammen.
Mit dem Senden von Lebensmitteln ist es jetzt im Sommer bei der langen Beförderungszeit ja nichts. Du wirst dort ja auch kaum etwas bekommen. Es war mir ja eine große Freude, dass du mir noch die Butter schicken konntest. Das war lieb von dir. Aber auch das ginge ja jetzt nicht mehr.
Wir waren heute beim Bannsportfest. Es war ganz unterhaltend. Du warst ja auch schon mit und kannst es dir ungefähr vorstellen. Auf dem Hinweg zum Stadion trafen wir an der ev. Kirche den Musikzug der H.J., was die Kinder ganz besonders gefreut hat. So konnten wir mit ihm zum Stadion marschieren. Das Wetter hat bis zum Schluss ausgehalten, dann allerdings fing es zu regnen an, was uns aber nichts machte, da wir die Regenmäntel mitgenommen hatten. Heimzu sind wir wieder mit dem Musikzug bis zur Kirche gelaufen. ¾ 7 waren wir daheim und haben Abendbrot gegessen. Nun, ½ 9, gehen die Kinder ins Bett. Ich mache es ihnen bald nach, denn ich bin auch müd geworden.
Nun grüße und küsse ich dich wieder recht herzlich Deine Annie.

Brief 353 vom 13.6.1942


Mein lieber, lieber Ernst!                                          Konstanz, 13.6.42

Nun will ich noch an dich schreiben, wenn es auch schon ziemlich spät ist. Viel habe ich ja heute nicht gerade zu berichten. Wie ich dir gestern schon schrieb, habe ich nun 70.-RM an die Dienststelle der Feldpostnummer 38293 geschickt, nachdem du gestern schriebst, dass es schon richtig sei, wenn ich das Geld an die Dienststelle schicke. Ich habe auf dem Abschnitt vermerkt:
Ich bitte um Weiterleitung an: L. Henkes, Montigny-en-Ostrevent, Rue de la Chapelle, für den K.V.Ass. Ernst Rosche, Feldpostnummer 23552 (bisher 38293).
Ich hoffe, dass es so richtig ist.
Kurt gab mir heute zwei kleine Bilder von Helga und Jörg, die er bei seinem letzten Urlaub gemacht hat. Die Kinder stehen an den Bierhöhlen. Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt. Das Licht ist so eigenartig.
Gestern war Jörg nun zum ersten Mal beim Turnen. Es hat ihm gut gefallen und er freut sich schon auf´s nächste Mal. Heute Nachmittag ist Jörg mit Papier und Bleistift bewaffnet zu dem Holzpanzer, den die Soldaten zum Üben haben, gegangen und hat ihn gezeichnet. Es ist ihm gut gelungen und er schickt dir die Zeichnung mit.
Wir haben hier jetzt jeden Tag Gewitter und viel Regen. Es langt jetzt bald. Heute hatte es etwas aufgeheitert, aber prompt kam heute Abend noch ein Gewitter. Wenn es bei Euch so regnete, müßten ja die Straßen grundlos sein.
Vorgestern hatte ich Briketts bestellt, und gestern wurden sie mir schon gebracht. 15 Ztr. Habe ich einstweilen erhalten. Die restlichen 14 Ztr. Kann ich erst später bestellen. Aber ich habe vom vergangenen Jahr noch ca. 15 Ztr. Da, so daß der Keller sowieso voll ist.
8 ½ Pfund Erdbeeren haben wir bis jetzt geerntet. Einige Male haben wir welche mit Milch und Zucker gegessen, während ich heute Rhabarber-Erdbeer-Marmelade gekocht habe. Ich habe es mal versucht, und es schmeckt gut. Rhabarber habe ich ja auch genug. Es ist gut, daß ich noch Zucker von dir habe. Ich hätte gern selber noch welchen gespart, aber man bekommt ja leider schon lange Zeit keinen Süßstoff mehr, mit dem man aushelfen könnte.
Morgen ist Bannsportfest. Sollte es das Wetter erlauben, werde ich mit den Kindern hin gehen. Sie freuen sich schon darauf.
Nun laß mich wieder schließen. Nein, noch was. Damit die Zeitungen nicht mehr so verklebt ankommen, habe ich jetzt Kreuzbänder gekauft. So wird es wohl besser sein, nicht wahr? Aber nun wirklich Schluß. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 352 vom 12.6.1942


Mein lieber, lieber Ernst!                                          Konstanz, 12.6.42

Ich danke dir vielmals für deinen lieben Brief vom 30.5., in dem du mir noch den langen Brief beantwortest.
Ja, im Garten bin ich mit allem fertig geworden. Den Salat, den wir jetzt gegessen haben, hast du im vergangenen Jahr gesetzt. Der neue ist noch nicht soweit. Das Bohnenstangen fertig machen hatte mich schon ein bißchen geschlaucht, aber ich habe es ja fertig bekommen. Ich wollte nicht bis spät abends warten, dass Vater dann anfing. Du weißt ja, er macht dann alles erst so umständlich.
Die Zeitungssendungen von dir vermisse ich schon. Aber dafür habe ich jetzt die große Freude, dir welche schicken zu können. Das freut mich so, du glaubst es gar nicht. Hoffentlich macht es dir auch ein wenig Freude, denn wie ich heute wieder aus deinem Brief lese, seid ihr ja dort mit Lesestoff schlecht versorgt.
Das Geld an den Henkes, bzw. an die Dienststelle, schicke ich nun fort, nachdem du nun geschrieben hast, dass es schon richtig wäre. Der Wittenburg hat mir ja bisher nicht geantwortet und ich habe mich scheinbar doch getäuscht, als ich meinte, du hättest wegen der Restschuld nach Frankreich geschrieben. 70.-Mk. bringe ich auf den Weg. Wegen dem Rest erkundigst du dich doch wohl selber? Den kann man ja vielleicht später noch schicken.
Den anderen Handarbeitsunterricht besucht Helga jetzt nicht mehr, da sie mit ihrer Arbeit fertig ist und die neue beginnen sie erst. Es kommt eben darauf an, wie sie wieder nachkommt. Das Bratkartoffeln braten hatte ich ihr nicht gezeigt, aber sie sagte, sie hätte ja schon gesehen, wie ich es mache. Beim Kuchen backen hat sie fleißig mitgeholfen, nur das kneten wollte noch nicht so gehen. Da fehlt die Übung noch.
Die Patronen hat Jörg ja nicht mehr, weil er dafür das Seitengewehr eingetauscht hat. Wenn Du noch etwas Zwiebelsamen bekommen hast, so reicht er mir gut. Ich habe ja bisher erst eine Tüte verbraucht, damit ich nächstes Jahr noch etwas habe.
Nachdem ich den neuen Tarif im Licht habe, spüre ich die Erhöhung des Lichtverbrauchs nicht mehr so. Wenn der Apparat mehr so Strom verbraucht, so habe ich beim hören aber auch mehr Genuß, als beim alten Radio, wo man immer die Ohren spitzen musste, um etwas zu verstehen. Und der Ton ist auch viel schöner.
Ich sende dir heute ein Kurzgeschichtenheft mit. Es sind gute Sachen und kein Kitsch. Wenn Du´s gelesen hast, kannst du es ja wegwerfen.
Für heute grüße und küsse ich dich wieder recht herzlich und bin in Gedanken immer bei dir, Deine Annie.

Brief 351 vom 11.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 11.6.42

Zwei liebe Briefe erhielt ich heute von dir, vom 31.5. und 1.6. Nach ihnen zu schließen, bekommst du ja nun wieder regelmäßig Briefe von uns und das freut mich sehr. Die Beschreibung vom Muttertag hast du also bekommen und wunderst dich, wie Helga das Herz gemalt hat. Wir schicken dir mal ein Muster mit. Du brauchst das Herz nur auf ein Papier zu legen und mit dem Finger leicht die Farbe vom Herz aufs Papier zu streichen. Die Wirkung ist doch aber ganz nett, nicht wahr?
Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich den Bienenkasten auch mal mit beseitigen. Wir brauchen ihn in nächster Zeit ja nicht und es hat keinen Zweck, so viel herum stehen zu haben.
Der Apfelbaum hat gut angesetzt und ich hoffe, dass wir Äpfel bekommen. Von den Erdbeeren haben wir in den letzten drei Tagen 4 Pfund geerntet. Die hinter dem Haus angepflanzt sind, machen sich gut heraus. Sie tragen auch schon ganz schön. Mit den Brombeeren ist dieses Jahr nicht so viel los. Hier in der ganzen Umgebung sind die meisten erfroren. Neue Triebe hat es ja viel.
Fliegenfänger habe ich erst mal 4 Stück besorgt und sende sie dir zu. Inspiroltabletten sind ja schon auf dem Weg. Ich werde aber mal zusehen, ob ich noch so Emser-Pastillen bekomme.
Den Brief an Kurt werde ich ihm morgen geben. Heute ist er in Meersburg. Ich habe ihm dazu deine grünen Knickerbocker, Strümpfe und deinen alten Pullover borgen müssen, da er nur seine Sonntagssachen da hatte und damit nicht durch den Wald streifen kann. Du wirst sicher nichts dagegen haben, glaube ich.
Am Nachmittag war ich in der Stadt, habe zwei Zeitungen aan Dich geschickt und zwei weitere besorgt, die ich am Nachmittag weg gesandt habe. Am Nachmittag habe ich im Garten geschafft. Durch den Regen der letzten Tage ist alles fest gewachsen, leider auch das Unkraut. Da habe ich mich erst mal darüber gemacht. Dabei haben auch die Kinder geholfen. Dann habe ich Busch- und Stangenbohnen gehäufelt und zuletzt die Kartoffeln. Damit bin ich nun auch fertig.
Heute hat die Lehrerin gefragt, wer später mal in die höhere Schule soll. Helga hat nicht den Finger gestreckt. Da hat die Lehrerin gefragt „da kommst du sicher in die Hauptschule, wer da hin kommt, kann stolz sein.“ Die Hauptschule ist doch eine neue Einrichtung. 1/3 der Volksschüler wird dafür ausgelesen. Für die höhere Schule halte ich Helga nicht so geeignet, sie ist nicht so kräftig. Sie ist jetzt schon manchmal so nervös. Auch fällt ihr das Kofrechnen etwas schwer. Was meinst du zu der ganzen Sache? Es hat ja, soviel ich weiß, noch ein Jahr Zeit. Aber wenn in der Schule gefragt wird, können wir uns ja auch einmal damit beschäftigen.
Vorhin kam Vater und brachte uns ein halbes Brot von Fricks mit. Er sagt, er brauche es nicht, da er noch Brot da habe. Ich aber bin um das Brot froh.
Nun laß mich für heute wieder schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 350 vom 10.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 10.6.42

Heute bekam ich deine beiden lieben Briefe vom 27. und 28.5. Beim ersten hattest du ja noch keine Briefe erhalten. Das hat wirklich lange gedauert und du musst ja bald die Geduld verloren haben. Dafür bist du aber am nächsten Tag belohnt worden. Du hast recht, wenn du von einem Buch sprichst, das ich in der adresselosen Zeit geschrieben habe. Hoffentlich hat es dich nicht gelangweilt, denn es standen ja meist Sachen drin, die schon lange vergangen waren. Aber du hattest wenigstens einen Einblick, was während dieser Zeit alles gelaufen ist.
Du hast recht, wenn du schriebst, dass ich mich doch sicher über den Keks gewundert habe, den du geschickt hast. Ja gewundert und sehr gefreut. Das ist doch immer ein gewisser Rückhalt, den man zum ausgleichen da hat. Etwas haben wir ja schon davon gegessen, aber ich habe wieder mit selbst gebackenem aufgefüllt, sodass ich immer die Schachteln voll habe.
Wenn Du mehr bekommen könntest, das wäre fein. Wenn Du 5 Kg bekommen kannst, so ist das so viel, wie ich mir in 2 Monaten auf meine Marken kaufen kann. Das würde mir schon viel helfen.
Leider muss ich heute noch mal mit der Leipziger Sache anfangen. Ich habe mir die Sache noch mal eine Nacht überschlafen und habe nun an Erna laut beiliegendem Durchschlag geschrieben. Ich hoffe, dass es dir recht ist. Ich habe ja auf alle mögliche Art versucht, mit Papa gut auszukommen und habe auch in mancher Beziehung nachgegeben. Es wäre mir nach wie vor recht, wenn wir im Guten auseinander kommen könnten, aber wenn es gar nicht geht, werden wir uns wohl auf die Seite von Siegfried und Erna stellen. Meinst Du das auch?
Ich finde die Frau, bzw. das Fräulein ist so aufdringlich. Überall gleich mit hin gehen, sogar nach Neustadt, die sie doch gar nicht eingeladen hatten. Dann habe ich mir das auch überlegt. Papa hat wer weiß wie gemault, weil Erna zu Siegfried gefahren ist und er mal allein war. Was macht denn aber das Fräulein, wenn sie einfach einige Tage verreist? Sie lässt ja ihre Mutter auch allein, und die ist nicht mal gesund, während sich Papa doch schon mal die Sachen selber machen kann.
Von dem Zimmer habe ich Erna nun doch gleich geschrieben, damit sie sich schon etwas darauf einrichten kann. In unserer Wohnung ist es für längere Zeit doch zu eng.
Heute früh hatte ich im Garten angefangen mit Kartoffeln hacken, also im großen Garten. Leider fing es gleich wieder mit regnen an, sodass ich nur die Hälfte fertig bekommen habe. Ich musste dann auch gleich Brot holen fahren, da sie sonst wieder ausverkauft sind, wie es mir gestern ging. Da habe ich Jörg gleich mit in die Schule gefahren, worüber er gar nicht böse war. Heute Nachmittag ist er auf die Jahnwiesen gegangen, wo die Soldaten einen Panzer aus Holz zum üben aufgestellt haben. Da klettert er nun drauf herum. Ehe er aus der Schule heim kam, hatte er es auch schon gemacht. Helga ist zu ihrer Schulfreundin in die Gebhardstraße gegangen, sodass ich jetzt mal ganz allein zuhause bin. Kurt war am Vormittag hier. Es hat im trotz des unbeständigen Wetters doch gut in Bregenz gefallen. Er sagt, dass vom Pfänder aus wohl über den See nichts zu sehen gewesen sei, aber ins Hinterland hinein hätte man gute Aussicht gehabt. Nur eine Erkältung hat er sich auf dem Schiff geholt.
Ich habe heute 7 kleine Päckchen für dich verpackt, die zu deinem Geburtstag bestimmt sind. Ich habe sie heute schon weggeschickt, da sie wohl länger als die Briefe unterwegs sein werden.
Ich will nun noch in die Stadt fahren und einige Zeitungen für dich besorgen. Am Mittwochabend bekommen die Geschäfte sie schon immer herein.
Ich grüße und küsse dich für heute wieder recht herzlich, mein lieber Ernst, und denke immer an dich, Deine Marianne

Jetzt habe ich ganz aus Versehen mit Marianne unterschrieben, weil ich es vorhin bei dem anderen Brief so gemacht habe. Das tut ja wohl einmal nicht, nicht wahr?

Freitag, 9. Juni 2017

Brief 349 vom 9.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 9.6.42

Es ist nur gut, dass ich dich habe. Meine Leute in Leipzig machen mir dauernd Sorge. Heute habe ich folgenden Brief von Siegfried erhalten, den ich dir gleich abschreibe, denn das Original möchte ich hier behalten, da Siegfried in seinem nächsten Brief  vielleicht darauf zurückkommt. Er lautet:

Meine liebe Marianne! Entschuldige bitte, dass ich dir erst heute wieder schreibe, denn ich war jetzt mit dem Zug in Lemberg und wir haben dort ein paar Tage gestanden. Ich wollte dir von dort aus nicht schreiben, weil diese Briefe dann zu lange dauern, ehe sie dich erreichen. Ich habe dir ja in meinem letzten Brief über die Verhältnisse zuhause geschrieben und ich habe mich gefreut, dass du auch meiner Meinung bist. Ich bin nun heute wieder durch Leipzig gekommen und konnte mich mit Erna noch mal aussprechen, da ich ihr Bescheid geben konnte, dass ich durch Leipzig komme. Wir hatten nun in Engelsdorf längeren Aufenthalt und da war nun Erna dort, sodass wir bald 1 ½ Stunden zusammen sein konnten. Ich habe nun von Erna gehört, dass Erna mit dem Fräulein Ludwig in Neustadt zur Hochzeit von Gertrud war und anschließend noch in der Sächsischen Schweiz. Vom Pfingstsonnabend bis zum Pfingstmontag war diese Person mit ihrer Mutter bei uns zuhause und sie haben auch dort geschlafen. Wahrscheinlich hat es diesen Leuten dort sehr gut gefallen und ich hörte von Erna, dass Papa voraussichtlich im Herbst dieses Fräulein heiraten will. Als ich damals zu meinem Urlaub zuhause war, hatte ich mit Papa schon einmal eine Unterredung, in der er mir zusicherte, dass er solange Krieg ist und ich nicht zuhause bin, nicht heiraten will. Wahrscheinlich hat sich Papa mit diesem Fräulein schon zu weit eingelassen und diese wird drängen, dass sie sich so bald als möglich heiraten. Fräulein Ludwig will nicht mehr länger arbeiten und sie wohnt jetzt wohl auch mit ihrer Mutter in einem Hinterhaus, sodass sie unsere Wohnung reizt. Ich hatte von Lemberg aus, wo ich von den Heiratsgedanken noch nichts wusste, bereits schon einen ziemlich scharf gehaltenen Brief geschrieben, den ich auch erst im Reichsgebiet in den Kasten werfen wollte. Ich habe diesen Brief nun erst Erna heute zu lesen gegeben und stecke ihn heute erst in den Kasten. Erna, die Pfingsten verschiedene Besuche gemacht hat, weil diese Leute bei uns waren, wurde auch von Fräulein Ludwig, die bereits glaubt, bei uns zuhause zu sein, ein paar Mal sehr dumm angeredet, worauf Erna die antwort natürlich nicht schuldig blieb. Ich warte nun die Antwort auf meinen Brief an Papa ab und werde dann Fräulein Ludwig persönlich einen Brief schreiben und ihr ein für alle Mal auf´s schärfste verbieten, sich Erna gegenüber so aufzuspielen. Auch glaubt dieses Fräulein ein Recht darauf zu haben, von dem Essen, was Erna von Papas und ihren Marken kauft, verfügen zu können. Ich hatte ja bisher, was ich nach hause schicken konnte, heimgeschickt, wovon Papa ja auch sein Gutes gehabt hat, ich will direkt sagen, er hat das meiste davon gehabt, denn Erna ist ja das allerwenigste. Das hat nun diesem Fräulein gut gefallen, sich von diesen Sachen, die ich besonders Für Erna und Papa gedacht hatte, satt zu essen.
Natürlich habe ich meine Konsequenzen gezogen und so wird alles, was ich heim schicke, von Erna entweder allein verbraucht oder für mich aufgehoben. Auf Grund der Sachen, die ich von Erna gehört habe, ist Erna von mir beauftragt worden, sich nach einer Wohnung bzw. ein paar Zimmern umzusehen. Ich werde, sobald ich Gelegenheit habe, nach Hause zu kommen, einen klaren Trennungsstrich zwischen Papa und mir ziehen, und wenn sich eine Wohnung oder ein Zimmer gefunden hat, von zuhause weg ziehen. Paul und Alice, die in nächster Zeit auch umziehen, wollen Erna und mir ihr Schlafzimmer verkaufen, sodass ich in dieser Beziehung keine Sorge habe. Sollte es mit der Wohnung nicht klappen, werde ich meine Sachen sicherstellen und hätte Dich nun gern gefragt, ob du Erna so lange, bis diese Angelegenheit geklärt ist, bei dir aufnehmen könntest. Wenn dies nicht möglich wäre, würde Erna so lange bei ihrer Mutter wohnen, was ich aber nicht gern haben möchte. Ich bitte Dich, mir in deinem nächsten Brief deine Meinung darüber zu schreiben. Sobald Papa heiraten sollte, ist von mir aus die Verbindung zu Papa zerschnitten. Solltest Du, aber auch Ernst im Falle einer Heirat von Papa weiter in dem Verhältnis, wie es jetzt ist, zu Papa bleiben, würde es für mich bedeuten, dass ich auch zu Euch keine Bindung mehr hätte und dann wäre meine Anfrage wegen dem Dortwohnen von Erna gegenstandslos geworden. Ich glaube, dass Du verstehst, wie ich es meine. Es täte mir ja dann leid, wenn ich dadurch außer Papa auch noch Dich und Ernst verlieren würde, aber ich kann von meiner Einstellung nicht ab gehen, denn dafür habe ich unsere liebe Mama zu gern gehabt und sie als Mutter viel zu hoch geschätzt, als dass ich jetzt so ohne weiteres es mit ansehen könnte, wie sich Papa mit einer anderen Frau verheiratet und dann meine Schwester und mein Schwager dies auch so ohne weiteres hinnehmen würden. Wenn Papa Erna nicht hätte und die Wirtschaft allein machen sollte, könnte ich vielleicht die Notwendigkeit noch einsehen, würde aber trotzdem von meinen Maßnahmen nicht abgehen. Wie es mir vorkommt, und wie ich dir in diesem Brief schon schrieb, hat sich meiner Ansicht nach Papa schon zu weit mit Fräulein Ludwig eingelassen, sodass er gar keine eigene Meinung mehr hat und er von dieser Person gegen Erna besonders und gegen mich aufgehetzt wird. Mit getraut sich Papa nichts zu sagen und hackt umso mehr auf Erna ein, was ich natürlich unter keinen Umständen mehr dulden werde.
Wenn Papa mir mal schreibt, so versucht er auf eine Tour zu gehen, die mir Mitleid mit ihm ablocken soll. Zum Beispiel er wäre immer alleine, Erna würde nicht mehr, wie früher, mit ihm zusammen sitzen. Alt und jung vertrügen sich nicht usw.
Du wirst ja auch Erna kennen gelernt haben und so kann ich es mit Stolz sagen, dass sie wirklich eine Frau ist, mit der ein jeder Mensch auskommen kann. Wenn Papa aber versucht, auf betreiben von Fräulein Ludwig, Erna mir und Hausbewohnern gegenüber schlecht zu machen und mit Sachen kommt, die vollkommen erlogen sind, hat es nun endgültig bei mir geschnappt und ich werde jetzt endlich reinen Tisch machen, egal, wie es kommt. Ich hätte nie gedacht, dass alles so einmal kommen würde bei uns zuhause, aber man merkt es eben, dass unsere gute Mama fehlt, die leider viel zu früh von uns nach einem zu arbeitsreichen Leben gegangen ist.

Siegfried schreibt dann noch, dass er noch keinen Brief von Dir erhalten hat, da sie noch nicht wieder in Berlin waren und dass ich dir Grüße übermitteln soll.
Was sagst du nun zu dem Brief? Das klingt wieder ganz anders, als Papa immer schreibt. Es ist so schwer, sich da zu Recht zu finden. Das eine halte ich für sicher, dass sich Papa von dem Fräulein sehr beeinflussen lässt, denn sonst könnte er nicht einmal sagen, er heiratet erst nach dem Kriege und dann schon im Oktober oder November. Ich habe gar nicht gewusst, dass das Fräulein mit in Neustadt war und dann in der Sächsischen Schweiz. Ich muss schon sagen, die hält sich ran und nutzt jede Gelegenheit aus, in die Familie zu kommen. Jetzt wird mir auch klar, warum Gertrud gesagt hat, dass sie zum Mittagessen auch nichts mehr für sie hätte. Die werden sicher ganz erstaunt gewesen sein, dass Papa das Fräulein mitbringt. Mir hat das Fräulein in dem letzten Brief ja auch Grüße ausrichten lassen, die ich aber unbeantwortet gelassen habe. Wenn ich auch geschrieben habe, dass Papa machen soll, was er mag, und dass ich gegen das Fräulein persönlich nichts habe, da ich sie ja gar nicht kenne, so ist ja noch nicht gesagt, dass ich gleich Freundschaft mit ihr schließen will.
Dürfte ich dich bitten, lieber Ernst, auf diesen Brief hin an Siegfried zu schreiben? Es ist mir alles Recht, was du schreibst. Ich richte mich ganz nach dir. Vielleicht regst du dich nicht so auf, wie ich. Ich habe ja einstweilen laut beiliegendem Durchschlag geantwortet.
Mit dem Wohnen von Erna bei uns ist es so eine Sache. Ich habe sie wirklich gern, aber unsere Wohnung ist eben doch nicht groß. Wenn es sich um 1 – 2 Monate handelte, ginge es noch, aber länger ist es wohl kaum möglich. Auch wenn du einmal auf Urlaub kämst, wäre es nicht schön, wenn wir nie allein wären. Man könnte es dann höchstens so machen, dass sie sich hier in der Nähe, wenn es möglich ist, ein Zimmer mietet. Am besten wäre es eben, Erna käme erst mal in den Ferien her. Sie würde dann sicher selber sehen, dass wir wenig Platz haben. Davon brauchst du ja Siegfried noch nichts schreiben.
Nun noch zu etwas anderem. Die Abschrift des Prüfungszeugnisses schicke ich dir heute mit. Eine beglaubigte Abschrift ist nicht vorhanden.
Im Garten habe ich heute noch ein paar Setzlinge zwischen bzw. an die Seite der Kartoffelreihen gesetzt. Auch den Platz zwischen den Stachelbeerbäumchen habe ich dafür verwendet. Außerdem habe ich die Kartoffeln im kleinen Garten gehäufelt. Im anderen garten wollte ich es auch tun, aber da hat mir der Brief von Siegfried alle Lust dazu genommen. Wenn es nicht regnet, setze ich mich morgen dahinter.
Kurt war ja heute in Bregenz. Da hat er aber nicht gerade den besten Tag erwischt, denn es war meist dunstig und einige Male hat es auch geregnet.
Viel schönes habe ich ja heute nicht zu berichten gehabt, aber ich musste dir ja wohl davon Kenntnis geben, nicht wahr? Da es nun schon ziemlich spät ist, will ich Schluss machen. Ich grüße und küsse dich für heute recht herzlich, Deine Annie.

Brief 348 vom 8.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 8.6.42 

Heute bekam ich drei Briefe von dir. Alle kommen durcheinander an. Es waren die vom 17., 18. und 29. (Bis zum 23.5 habe ich jetzt alle Briefe) es fehlen vom 23. an noch die Briefe vom 24., 25., 27. und 28. Wenn diese ankommen, werde ich dann wissen, wann du die erste Post von uns bekommen hast.
Leider ist der Brief vom 18. so lange unterwegs gewesen, dass ich dir nun erst heute die gewünschte Badehose, Sporthose, Schulterstücke, Zwirn und Sicherheitsnadeln schicken kann. Die beiden Hosen und Schulterstücke konnte ich nur als Päckchen wegschicken, sodass du wohl 3 – 4 Wochen darauf warten kannst, was mir sehr leid tut, da du die Sachen ja jetzt schon gebrauchen könntest.
Ich freue mich immer wieder, dass ich dir den kleinen Brief vorher geschrieben hatte. Die Päckchenangelegenheit hat sich ja nun erledigt, nur die Geldsache noch nicht, und das macht mir noch Sorgen, vor allen Dingen, wo mir nun Kurt sagte, dass ich das Geld einfach an die Einheit hätte schicken können, wie du mir geschrieben hast. Du wirst dir sicher gedacht haben „oh, wie ungeschickt stellt sich das Mädel an.“ Aber vorläufig unternehme ich mal nichts, denn du wirst mir ja bald davon schreiben.
Es ist recht, dass du auf Papas Brief nicht erst antwortest, so ist ja soweit alles geregelt. Erna hat mir heute auch geschrieben. Sie meint auch, Papa muss ja wissen, was er tut.
Dass es mir erst nicht ganz recht war, dass du in Leipzig warst, musst du mir nicht mehr übel nehmen. Ich war direkt ein bisschen neidisch. Ich hätte dich ja so gern hier gehabt, ich musste immer daran denken, wie lange ich dich jetzt nicht sehe. Denn mit Urlaub ist ja nicht gleich zu rechnen, vor allem, wo du jetzt in Russland bist. Das machte mir das Herz ganz schwer und es waren keine leichten tage für mich. Aber ich habe ja dann eingesehen, dass für dich die eingelegte Ruhepause in der Fahrerei gut war.
Das Essen ist bei Euch, wie ich aus deinen Briefen ersehe, wirklich ganz gut. Nutze die gute Zeit nur aus, wer weiß, wie lange es so bleibt.
Am 29. hattest du ja wiederholt Post von uns erhalten. Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das freut. Es muss ja so quälend sein, solch lange Zeit keine Briefe zu bekommen. Du warst ja immer so lieb und hast mich nie so lange warten lassen. Aber ich konnte dir ja leider nicht eher schreiben.
Bezüglich meines Vaters hast du recht. Er hat sich eben noch nie unterordnen müssen. Meine Mutter hat sich ja auch stets nach ihm gerichtet. Aufregen tue ich mich wegen der Sache nicht mehr.
Mit dem Strauß zum Muttertag hast du mir eine ganz große Freude gemacht. Geld hätte mich wirklich nicht so gefreut, da hast du recht. So war es für mich richtig ein wunder, besonders, da ich geglaubt hatte, du würdest, abgelenkt durch die Veränderungen, in die du gekommen bist, gar nicht an den Tag denken.
Ja, unsere Helga ist schon so groß, dass sie mir helfen kann. Sie wird ja auch schon 10 Jahre alt. Ich habe ihr dein Lob vorgelesen und sie hat sich sehr gefreut.
Die Abschrift des Prüfungsscheines vom Kurs sende ich dir morgen mit, da ich heute den Zwirn mitschicke.
Gestern Abend war der Vorschaltwiderstand kaputt gegangen. Ich habe ihn gleich heute Morgen zum Radio-Mayer gebracht und bekam ihn heute Abend wieder. Er hat schon in den letzten Tagen manchmal ausgesetzt. Wie mir gesagt wurde, ist der eine Steckerstift locker geworden und hat sich gedreht, wenn ich den Stecker aus der Dose zog. Da ist inwendig der Draht gerissen. Heute Abend können wir schon wieder Radio hören und es gefällt mir immer von neuem. Mit dem Radio hast du uns ja auch eine große Freude gemacht.
Am Nachmittag waren wir im Kino. Ich habe mir den „Blaufuchs“ mit der Zarah Leander angesehen. Das war sehr schön.
Im garten habe ich nicht gießen müssen. Gestern und heute hat es noch Gewitter mit ziemlich Regen gegeben. Aber an´s Kartoffeln häufeln muss ich mich bald machen. Die ersten erdbeeren haben wir auch schon gehabt. Wir haben sie mit großem Genuß gegessen. Da wir dieses Jahr so viel Erdflöhe im großen Garten haben, die die Setzlinge furchtbar zurichten, habe ich ein Mittel dagegen gekauft. Bei den vielen Setzlingen reicht die Tabakasche von Vater nicht aus.
Nun ist es ¾ 11 Uhr geworden und ich will meinen Brief schließen. Ich grüße und küsse dich, mein lieber Mann, recht herzlich, Deine Annie.

Brief 347 vom 7.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 7.6.42

Heute schreibe ich dir vom Strand aus. Wir sind beim Wasserwerk. Die Kinder sind schon fest im Wasser. Das Motorboot ist natürlich wieder dabei. Ich kann heute leider nicht baden. Dafür habe ich mir eine schattige Bank direkt am Wasser herausgesucht, wo ich die Kinder jederzeit sehen kann. So habe ich auch meine Erholung. Wenn ich Lust zum Sonnenbad habe, ist auch gleich eine sonnige Wiese da. Schöner kann man es doch nicht haben, nicht wahr? Wir sind schon ¾ 1 Uhr daheim weggegangen, damit wir länger hier bleiben können.
Einen Brief habe ich heute nicht von dir bekommen, nur eine Karte von Papa, in der er mir schreibt, dass er einige Zeitungen und einige Modellierbogen für ein Schiff für Jörg weggeschickt habe.
Es wird nun bald Zeit für uns, heimzugehen. Vorher will ich aber den Brief fertig schreiben. Wir sind den ganzen Nachmittag in der Sonne gelegen. Helga und Jörg waren oft im Wasser. Jörg ist auch jetzt noch drin, er bekommt nicht genug. Es ist aber auch schön warm. So haben wir wenigstens einen schönen Sonntag verlebt. Wenn wir heim kommen, steht schon Pudding bereit.
Ich wüsste gerne, was du heute tust? Wahrscheinlich wirst du dort sitzen müssen. Habt ihr Gelegenheit zum baden im Freien? Ich warte auch immer auf den Brief, in dem du uns mitteilst, dass du Post von uns erhalten hast.
Für heute grüße und küsse ich dich wieder recht herzlich, Deine Annie.

Brief 346 vom 6.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 6.6.42

Ich sitze jetzt am Zeppelin-Denkmal im Stadtgarten. Die Kinder sind unten am See. Jörg lässt sein Motorboot fahren und hat meist mehrere Bewunderer bei sich, die das Boot bestaunen. Anfang dieser Woche hatte ich es ja versprochen, dass ich mit ihnen nochmals hergehen würde, das musste ich doch auch halten. Jörg hat mir auch gleich beim Treppeputzen mitgeholfen, damit ich ja rechtzeitig fertig werde. Für morgen habe ich noch einen Quarkkuchen gebacken, auf dem langen Blech. Da freuen sich die Kinder heute schon darauf, denn das ist doch ihr Lieblingskuchen.
Seit ein paar Tagen ist bei uns Sommerwärme, die Kinder laufen meist nur im Badeanzug herum. Gestern haben sie in einer Wanne im Hof gebadet, nachdem Helga vom Turnen gekommen ist. Vom nächsten Freitag an, will Jörg auch mit turnen gehen. Schaden könnte es ihm ja nichts.
Kurt hat heute kurz im Vorbeigehen bei uns herein geschaut und sagte, dass er heute nach St. Kathrinen und morgen nach Überlingen ginge. Gestern war er beim baden.
Gestern habe ich Jörg auf langes Bitten einen kleinen eisernen Anker für sein Boot mitgebracht. Er kostete 35 Pfg. So viel habe ich jetzt auch Helga gegeben, damit sie sich selber was kaufen kann. Vorhin ist sie gerade in die Stadt gegangen. Mal sehen, was sie anbringt?
Ich will nun schließen und grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 345 vom 5.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 5.6.42

Zwei liebe Briefe habe ich heute von dir erhalten, vom 22. und 26. In dem ersten führst Du ja Klage, dass du noch keinen Brief erhalten hast, und ich kann dich nur zu gut verstehen. Wenn die Briefe dorthin auch 14 Tage unterwegs wären, hättest du ja schon mindestens am 22. Post erhalten müssen. Hoffentlich hast du nicht mehr zu lange warten müssen. Aus dem Brief vom 26. geht ja nicht hervor, ob du inzwischen Nachricht bekommen hast. Ich hoffe es aber ganz fest.
Wie ich aus deinem Brief entnehme, hast du scheinbar auch nach Frankreich geschrieben, um zu erfragen, was du noch zu zahlen hast. Vielleicht schreibt da Herr Wittenburg an dich und du gibt’s mir nachher Bescheid. Es ist mir gar nicht recht, dass ich das Geld nicht schon fortschicken konnte, aber ich wusste bestimmt nicht, wohin. Hoffentlich bist du mir deshalb nicht böse.
Wenn es notwendig sein sollte, werde ich mir etwas mehr Wirtschaftsgeld nehmen, aber im Allgemeinen will ich in derselben Höhe bleiben. Wie du ganz recht gedacht hast, lege ich etwas auf die Sparkasse, damit man ein paar Pfennig hat, wenn man nach dem Kriege verschiedenes braucht. Mit Kleidung sind wir ja, dank deiner Vorsorge, noch versorgt. Darüber bin ich auch immer wieder froh. Du musst dir keine Gedanken machen, dass du uns keine Lebensmittel mehr schicken kannst. Ich werde es schon einteilen, dass es langt. Ich habe ja noch manches da, das ich erst nach und nach verbrauche. Wenn Du wirklich so viel Brot hast, dass du es nicht verbrauchen kannst, kannst Du ja mal etwas davon schicken. Wenn es nicht so feucht ist, dass es schimmelt, ginge es ja. Hart dürfte es ruhig sein. Man kann es ja einweichen und zu Brotsuppe usw. verwenden. Du kannst ja mal sehen, ob es zu machen geht. Aber bitte, nicht absparen!
Es muß wohl so sein, dass es einem nirgends zu gut gehen soll. Etwas ist also auch dort nicht ganz richtig. Manche hinken eben mit ihren Anschauungen Jahrzehnte hinterher und die anderen sollen sich danach richten.
Über Euern werten, ertrunkenen Hausgenossen hätte man ja bald trauern können, so traurig hast du diese Tragödie erzählt. Dass die Ratte sich in´s Wasser gestürzt hat, daran ist sicher nur Eure schlechte Behandlung schuld, denn an Sauberkeit ist doch den Bewohnern des Landes wenig gelegen.
Heute habe ich mal Nudeln selber gemacht. Sie sind mir auch gut gelungen. Die hebe ich noch auf, damit ich immer etwas Reserve da habe. Auf die Karten bekomme ich ja im Monat nur 1 ½ Pfund Teigwaren für uns drei.
Nun will ich schließen. Ich schaffe gleich noch den Brief und die Zeitungen für dich fort und hole Helga vom Turnen ab.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Sonntag, 4. Juni 2017

Brief 344 vom 4.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 4.6.42

Ich schreibe dir wieder am Abend. Tagsüber habe ich meine große Wäsche weggebügelt. Am Nachmittag war Kurt mit dem Hund da. Das hat Jörg, der ja gestern nicht dabei war, großen spaß gemacht. Am liebsten hätte er ihn da behalten. Vorhin hat sich Kurt sein Briefmarkenalbum vom Speicher geholt und klebt nun drüben in der Stube Marken ein. Vater, der vorhin auch gekommen ist, sitzt bei ihm und sie unterhalten sich. Unsere Kinder sind gerade beim waschen und gehen dann in´s Bett. Bei Jörg ist es ja immer noch so, dass er abends nicht fertig wird, weil er andauernd zu schwätzen oder zu spielen hat. Es ist jetzt gerade um 9 Uhr. Nachricht habe ich  auch heute nicht von dir. Vielleicht kommt morgen ein Brief. Ich warte ja immer sehrsüchtig darauf.
Gestern habe ich im Garten Grünkohl ausgesät und an einzelnen freien Stellen noch Wirsing und Kohlrabi ausgepflanzt. Ich nutze jedes Eckchen aus, damit auch die Kinder mal zwischendurch einen Kohlrabi oder Möhren essen können. Durch den starken Wind ist der Boden schon wieder so trocken geworden, dass man wieder einzelne Sachen gießen muss.
Morgen Vormittag will ich zusehen, dass ich wieder einige Zeitungen für dich bekomme. Ich kann dir jetzt ja so wenig zu Liebe tun, dass ich mich direkt freue, wenn ich dir diese schicken kann.
Ich hoffe, dass du gesund bist und grüße und küsse dich, mein lieber, lieber Ernst, Deine Annie.

Herzliche Grüße sendet Dein Vater.

Brief 343 vom 3.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 3.6.42

Einen Brief habe ich auch heute nicht von dir erhalten, aber Besuch haben wir bekommen. Kurt ist da. Wohnen und essen tut er ja bei Paula. Aussehen tut Kurt gut, er ist ganz braun gebrannt. Seine zwei Wunden befinden sich auf dem Rücken auf dem Schulterblatt. Wie er sagt, sind sie noch nicht ganz verheilt, er hat sich aber freiwillig aus dem Lazarett gemeldet, da ihm verschiedenes nicht gefallen hat. Vor allem das Essen. Bei der Genesungskompanie, wo er jetzt ist, hat er´s besser. Urlaub hat er 14 Tage, vom Lazarett aus eigentlich 4 Wochen, aber von der Kompanie aus ist er ihm gekürzt worden. Diesmal will Kurt, wie er sagt, nicht so viel wegen anderen Leuten herumlaufen, sondern sich ausruhen und ein paar Mal wegfahren, z.B. nach Bregenz. Heute Vormittag kam Kurt mit dem Hund von Paula. Das ist ein ulkiges Vieh. Wir haben ihm ein paar Lumpen gegeben, die hat er nach allen Regeln der Kunst zerfetzt. Verspielt ist der Kerl. Leider war nur Helga da. Jörg war noch in der Schule. Nun hat Kurt vorhin, als er noch mal hier war, vorgeschlagen, dass er ihn morgen noch mal mitbringt. Kurt sagte aber, Jörg muss sich mehr vorsehen, Buben mag der Hund nicht so gern, da sie ihm öfter Steine nachwerfen. Jetzt sind die Kinder mit ihm zum Vater runter gegangen. Er will nur einen Zettel hinlegen, dass er morgen Abend runter kommt, heute will er zeitig schlafen gehen, da er gestern nur drei Stunden geschlafen hat.
Ehe Kurt am Vormittag kam, habe ich im Garten aufgeharkt. Es ist schade, dass heute so ein starker Ostwind weht, der trocknet den Boden so schnell aus. Es könnte mal ein paar Tage warm und windstill sein.
Am Nachmittag haben wir gebadet, hinterher habe ich noch etwas gewaschen. Nun ist der Tag schon wieder vorbei. Gerade sind die Kinder und Kurt wieder heim gekommen. Er schreibt gerade noch einen Gruß an dich unter den Brief.
Ich grüße und küsse dich für heute wieder herzlich, Deine Annie.

Bis in einigen Tagen schreibe ich dir. Heute grüßt dich vielmals Kurt.

Brief 342 vom 2.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 2.6.42

Heute schreibe ich zuletzt an Dich. Vorhin habe ich grade meine Briefschulden gegenüber Papa und Erna erledigt. Erna hatte mir ja einen Brief versprochen, der aber bis jetzt nicht eingetroffen ist. Vielleicht ist Erna böse, dass ich mit Papa soweit zu einer Einigung gekommen bin. Es täte mir sehr leid, denn am liebsten würde ich mit allen in Frieden leben. Ich werde ja sehen, was Siegfried in seinem nächsten Brief schreibt. Ich weiß, dass sie es in Leipzig viel schwerer haben, wie ich hier, denn, wie ich schon in dem Brief an Papa schrieb, es ist für Siegfried und Erna nicht leicht, jetzt plötzlich kein richtiges Heim mehr zu haben. Ich könnte es auch nicht ohne weiteres, mich unterordnen, nachdem ich bisher in dem Haushalt selbständig gearbeitet habe. Ich denke auch, dass Erna deshalb in ihren Bemühungen um Papa nachgelassen hat, denn ihr Interesse wird nachgelassen haben. Es haben sie doch erst alle gelobt. Es ist ja möglich, dass sich dieser oder jener Fehler herausgestellt hat, aber letzten Endes glaube ich doch, dass die veränderten Verhältnisse an diesem ganzen Durcheinander die Schuld tragen. Um vieles leichter wäre es für sie, wenn sie eine eigene Wohnung hätten, da bekämen sie von der ganzen Sache einen gewissen Abstand. Sollte es ja wahr sein, wie Papa denkt, dass Erna vielleicht zu ihrer Mutter zieht, könnte es ja zu einem Bruch zwischen Siegfried und Papa kommen. Ich mag mich mit der Sache nicht mehr herumschlagen. Ich mache mich kaputt, Ihr habt den Schaden und an sich ändert es die ganze Sache nicht. Das hat keinen Zweck.
Heute Vormittag habe ich für die Spinnstoffsammlung allerhand herausgesucht. Kleider habe ich ja nicht, dafür aber alte Stoffreste, bzw. Lumpen. Es ist ein ganzer Pack geworden, den wir in den nächsten Tagen zur Sammelstelle bringen wollen.
Am Nachmittag war ich mit den Kindern in der Stadt und habe verschiedene Sachen eingekauft. Für Jörg ein paar Holzkläpperle, für Helga konnte ich keine mehr bekommen. Dann einige Mottenschutzsäcke für meinen Pelzmantel und auch für deine Mäntel und Anzüge. Du hattest doch schon hier gesagt, dass du es gerne hättest, wenn ich meinen Pelzmantel in einen solchen Sack tun würde. Die Sachen riechen dann natürlich ziemlich nach Mottenpulver, aber man kann sie ja vor Gebrauch wieder richtig auslüften.
Lieber Ernst, bist mir nicht böse, aber ich muss jetzt schließen. Mir fallen schon die Augen zu. Ich will aber den Brief noch fortbringen.
Ich denke  immer an dich, mein lieber Mann, und grüße und küsse dich recht, recht oft herzlich Deine Annie.
Etwas habe ich noch vergessen. Herr Mettenberger hat mir die Abschrift geschickt, die ich dir hier beilege.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 341 vom 1.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 1.6.42

Heute bin ich reichlich mit Post von dir versorgt worden, 3 Briefe, vom 19., 20. und 21., sowie die 2 Päckchen mit Butter habe ich erhalten. Ich habe es doch wirklich besser, wie du. Wie lange musst du vergeblich auf Post warten. Es freut mich nur, dass du den kurzen Brief, den ich mit einer anderen Nummer ab gesandt hatte, doch erhalten hast.
Du wirst doch sicher nicht an Herrn Wittenburg wegen der Päckchen geschrieben haben. Auf meinen Brief wegen dem Geld habe ich noch keine Antwort von ihm bekommen. Vielleicht schreibst du mir mal, an welche Adresse ich es schicken soll. Ob an den Zahlmeister oder so.
Die Leute müssen dort wahrhaftig sehr ärmlich dran sein. Man kann sich das gar nicht so vorstellen.
Ich weiß nicht, ob ich dir´s schon mal geschrieben habe. Bei Stromeyer schaffen gegangene Russen, die haben sich zuerst gar nicht miteinander zu reden getraut und wenn Pause war, haben sie weiter geschafft und trauten sich nicht, aufzuhören. Wenn der Saal von ihnen ausgekehrt wurde, haben sie sich aus dem Dreck Brotkrumen, Apfelbutzen usw. aufgelesen und schnell in die Tasche getan. Einer hat auch schon gesagt, Deutschland sei gut, er wolle da bleiben. Auch die Ukrainer, die dort wegfahren, werden erstaunt sein, wenn sie nach Deutschland kommen.
Wenn ich auch nicht mehr so furchtsam bei den Maikäfern bin, so kann ich mir doch was Schöneres vorstellen, als dort spazieren zu gehen, wo sie nur so rumbrummen. Du hast sicher lachen müssen, wenn du dir vorgestellt hast, wie es wäre, wenn ich mit dort gewesen wäre.
Ich glaube dir gern, dass du bald nicht mehr weißt, was du schreiben sollst, wenn du so lange keine Nachricht von uns hast. Hoffentlich hast du nicht mehr zu lange warten müssen.
Die Impferei bei Euch ist ja sehr unangenehm, aber eben doch nötig. Denn krank sein ist noch viel schlimmer. Hoffentlich überstehst du das Impfen gut und es nimmt dich nicht so mit.
In dem Friseurladen würde es mir dort auch grausen. Es ist nur gut, dass du dir gleich hinter dem Haarschneiden den Kopf gewaschen hast. Ja, dort muß man sich ja an manches gewöhnen, wovon wir hier gar keine Ahnung haben.
Ich hatte heute Wäsche und habe auch alles trocken bekommen. Am Nahmittag habe ich noch für Vater die Rente geholt und die Miete bezahlt. Jetzt habe ich schon bald wieder Schlaf. Lange bin ich sicher nicht mehr munter, aber den Brief schaffe ich noch fort.
Ich grüße und küsse dich wieder recht herzlich, Deine Annie.

Brief 340 vom 31.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 31.5.42

Der Sonntag ist auch wieder vorbei. Jetzt regnet es draußen, genau, wie am Vormittag, nur über Mittag hat es sich etwas aufgeheitert. Wir waren daheim, und ich habe mich etwas ausgeruht. Von der Gartenarbeit der Woche war ich doch etwas kaputt. Am liebsten ginge ich auch bald in´s Bett, aber Vater kommt erst noch und bringt die Wäsche für Morgen zum waschen.
Einen Brief habe ich heute nicht zu beantworten, aber dafür will ich dir ein paar Sachen von unseren beiden Lausern erzählen.
Gestern kam Jörg atemlos, aber strahlend angerannt „Aber jetzt bin ich gefegt“ waren seine ersten Worte. Dann hat er nach und nach erzählt. Er ist noch mit dem Werner, Richard und Gusti zu den Bauvereinshäusern in die Austraße gegangen, um mit anderen Buben zu kämpfen. Aber die haben ihren Eltern geklingelt, und erst ist die Mutter von dem einen gekommen und dann ist ihnen der Vater mit dem Rad hinterher, weil sie in den Hof eingedrungen waren. Jörg ist entkommen, aber den Richard hat er  erwischt. „Warum lasst ihr denn die Buben nicht in Ruhe“ habe ich gefragt. Da kam ich aber schön an. „Erst wollen sie mitkämpfen, dann haben die Feiglinge gar nicht mitmachen wollen, da haben wir angefangen. Da haben sie nachher sogar noch geklingelt.“ Unser Lauser weiß überhaupt manchmal nicht mit seiner Kraft wohin. Da fehlst Du, dass er sich mal mit dir rumkampeln  könnte. Manchmal stürzt er sich auf den Richard und versucht, ihn auf die Erde zu bringen, was ihm auch meist gelingt.
Helga macht wieder andere Sachen. Sie denkt sich Märchen und Geschichten aus. Da es sie schon immer geärgert hat, dass es fast keine Lieder mit meinem Namen gibt, hat sie mir heute eins gemacht. Nun hör mal zu:
„Marianne, Marianne, wo bist du die ganze Zeit?
Jeden Morgen, jeden Abend steh ich hier in diesem Kleid.
Hast Du mich vergessen und liebst du einen andern
Komm doch her und liebe mich und keinen andern.“
Na, was sagst du nun? Voll Freude hat Helga mir´s vorgesagt und ich durfte sie auch bestimmt nicht auslachen.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass Kurt wieder bei seiner alten Kompanie in Karlsruhe ist. In der kommenden Woche will er ja nun auf Urlaub kommen.
Von Vater soll ich dir Grüße bestellen. Er liest gerade die Zeitung. Vorhin hat er noch die Wäsche gebracht. Er will heute bald wieder gehen, weil er einen Kuchen im Ofen hat. Ich hätte ja die Ruhe nicht, ich hätte immer Angst, dass er verbrennt.
Nun gehe ich doch bald schlafen. Nur den Brief bringe ich noch fort.
Schlaf du auch gut, mein lieber ernst, wach gesund wieder auf und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 339 vom 30.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 30.5.42

Ich erhielt heute deinen lieben Brief vom 16.5. Du entschuldigst dich ja fast wegen des vorhergehenden Briefes, und doch hat er mir gut gefallen. Es war ein Rückblick und ein Besinnen. Ich beneide dich manchmal fast, dass du so schöne Briefe schreiben und einem so alles vor Augen führen kannst.  Denken tue ich oft an die Dinge, aber schreiben kann ich sie nicht und ich habe manchmal den Eindruck, dass dir meine Briefe wohl recht trocken und nüchtern vorkommen werden. Es ist ja auch fast nur alltägliches, was ich schreibe. Ich möchte wohl manchmal viel Zärtliches und Liebes an dich schreiben, aber dann kann ich es nicht, und ich muß es auch meist fest in mir verschließen, damit die Sehnsucht nach dir nicht zu groß wird. Denn das ist nicht gut, wo ich dich doch jetzt mit aller Sehnsucht nicht heim holen kann. Einmal ist es mir so gegangen und es waren schlimme Tage, bis ich mein Herz wieder zur Ruhe gebracht hatte. Denn sonst kann man ja die Zeit nicht durchstehen.
Deine Schilderung über den Spaziergang im Park hat mich gefreut. Ich bitte dich nur, sei vorsichtig, denn die Leute dort sind doch wohl auch nicht einwandfrei.
So ist es nun, du freust dich, dass du ein bisschen französischen Cognac bekommst, und ich habe welchen hier und trinke keinen. Na, wenn du wieder mal auf Urlaub kommst (nicht wahr, ich habe eine vorauseilende Phantasie?) hast du wenigstens ein bisschen Vorrat da.
Ich schicke dir die Zeitung von heute zu, ab Montag erhältst du sie direkt vom Verlag zugeschickt.
Unser Jörg verkitscht jetzt immer was. Vorgestern für seine Patronen ein Seitengewehr aus dem Weltkrieg, heute für 5 Pfg. 3 kleine Papierzelte, die er sich selber geschnitten und bemalt hatte. Diese 5 Pfg. wollte er einmal nicht sparen und ist dafür von der Schule bis zum frieden mit dem Omnibus gefahren.
Ich habe heute 40.-Mk. auf die Sparkasse geschafft, sodass wir jetzt 293.- drauf haben. 40.-Mk habe ich für Briketts dabehalten, diese will ich in den nächsten Tagen bestellen.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich mit sehnsuchtsvollem Herzen und großer Liebe, Deine Annie.