Samstag, 29. Februar 2020

Briefe 775 a + b vom 28.8.1944


 Mein liebster Ernst !                                                                                          28.8.44

Nun ist auch dieser Urlaub vorbei. Es waren wieder so schöne Tage, die wir verleben durften. Du weißt, daß ich alles tun würde, um Dich hier zu behalten. Aber es geht ja nicht, wir müssen diesen Kampf durchkämpfen. So sollst Du wissen, daß ich immerzu an Dich denke. Belib uns gesund und denke vor allem daran, Dich draußen zu schützen. In freien Minuten werden Deine Gedanken ja doch bei uns sein. Nun kann ich Dich nur noch grüßen und Dir sagen, daß ich Dich unendlich lieb habe. Du bist mein größtes Glück.  Behalte uns alle lieb. 

Deine Annie.  Komm gesund heim ! 

Mein liebster Ernst !                                                                                Konstanz 28.8.44

Wir haben vorhin voneinander Abschied nehmen müssen. Wir hoffen ja, daß es nicht für sehr lange Zeit ist, damit wir uns alle gesund wieder sehen.  Ein Abschied ist immer so hart. Welch glückliche Zeit war es doch, als wir früher jahrelang zusammen leben durften.  Dankbar wollen wir auch sein, daß wir jetzt wieder vierzehn Tage zusammen verleben konnten. Weißt Du noch, wie Du am Sonntag kamst? Es klingelte und klingelte. Ich wußte erst garnicht, was ich tun sollte. An der Haustür traute ich mich garnicht raus zu schauen. Dann war es doch Wirklichkeit, Du warst da. Wie schnell sind die Kinder aus den Betten gesprungen. Und dann hatten wir gleich noch den ganzen Sonntag vor uns. Wie haben wir uns mächtig gefreut.  Weißt Du noch, wie wir Pilze geholt haben ? Und wie wir eingeregnet sind? Aber es war doch ein schöner Tag. Auch unser Spaziergang im Wald war schön. Wie hat sich Jörg über die Krause Glucke gefreut. Und dann die herrlichen Badetage.  Welch herrliche Erfrischung war das immer. Das Tauchen hat Jörg und ich nun auch noch gelernt. Weißt Du noch, wie Du und ich gestern unter Wasser an einander vorbei geschwommen sind und dann ganz verdutzt dastanden? Es sind wieder so viel Erinnerungen, die wir an diesen Urlaub haben, wunderschöne Erinnerungen. Und wie Du mit den Kindern am ersten Samstag mit den vielen, vielen Pflaumen kamst. Ich habe mich mächtig gefreut. Wir haben davon gebacken, Kompott gekocht und auch so gegessen. Wie viel Apfelmus haben wir gekocht und Apfelringe geschnitten und getrocknet. Die ganze Wohnung hing voller Girlanden. Ich werde nun diese Arbeiten einstweilen allein weiterführen müssen. Vielleicht bist Du nächsten Herbst für immer bei uns daheim. vorerst haben wir ja noch eine schwere Zeit vor uns.   
Weißt Du noch, wie Du die Kinder abends per Eisenbahn ins Bett gebracht hast? Ich konnte manchmal nicht richtig pfeifen, wenn ich Dich anschaute vor allem nicht. Du lachtest dann so lieb. Einmal hat die Lokomotive sogar gehinkt. Welche Freude war das immer abend und wie schön war es, wenn Du vorgelesen hast. Die ganze Familie saß so friedlich zusammen.  Gerade jetzt wirst Du in Villingen sein, es ist 10,40.  Du sorgst immer dafür, daß wir solche herrliche Urlaubserinnerungen haben.  Jetzt ist es gleich 1 Uhr. Im Geist habe ich Dich auf Deiner Fahrt weiter begleitet. Von Villingen nach Triberg, nach Hausen, nach Offenburg. Von dort bist Du nun auch weiter gefahren. Jetzt müßtest Du in Appenweiher gewesen sein.  Ich kann es noch garnicht fassen, daß Du, mein liebster bester Mann, wieder fort bist. Immer meine ich, Du müßtest zur Tür herein kommen. Es könnte nicht sein, daß Du nicht hier bist. Hier liegen noch Deine Sachen. Es ist, als seist Du nur einmal in den Garten gegangen und kämst gleich wieder. Und doch weiß ich, Du bist fortgefahren. Es ist so schwer. Ich weiß gar nicht, was ich vor Unruhe tun soll.  Vorhin war ich mit Jörg im Garten. Zuerst haben wir Brombeeren geholt, dann die Ranken verschnitten, hinterher die Äpfel aufgelesen. Es hat wieder einen Eimer voll gegeben. Vorhin habe ich noch Helga‘s Rad repariert. Im Schlauch steckte ein Stückchen Holz, wie ein kleines Ästchen. Soeben waren wir alle  Helga ist inzwischen heim gekommen  im Garten und haben 10 Pfund Tomaten gepflückt. Nun werden wir bald essen. Wir haben noch Reste von gestern. Kartoffeln, Rotkraut und Soße.  Der Himmel hat sich heute ganz bezogen. Nun fängt es an zu regnen. Helga sagte, das Wetter weint auch, weil Vaterle fort ist. Ach Ernst, mir ist alles so verleidet, seit Du nicht mehr hier bist. Bleibe nur immer gesund und komm wieder Ernst, komm wieder, komm wieder.  Es ist jetzt gleich 3 Uhr. vorhin hat es uns keine Ruhe gelassen, wir sind zum Bahnhof gegangen und haben uns die Zeiten und einzelnen Stationen aufgeschrieben, an denen Du vorbei fährst. Danach hast Du garnicht lange Aufenthalt in Karlsruhe gehabt, sondern konntest bereits 14,35 weiterfahren. In Königsberg bist Du morgen bereits um 13,39. Aber wir haben nachgesehen, es fährt kein anderer Zug dorthin. Wie schade, daß ich Dir keine Marken mitgegeben habe. Evtl. hättest Du Dir doch etwas zu essen kaufen können. Aber man vergißt ja immer etwas. _ Vorhin fing es an zu regnen und der Himmel war schwarz. Jetzt hat es sich wieder aufgeklärt und mit dem erwarteten Regen ist es nichts geworden, denn die paar Tropfen gelten ja nicht.  Es ist jetzt gleich ½ 5 Uhr. Lieber Ernst, es hilft alles nichts. Wir müssen noch eine Weile aus dem Haus. Es drückt uns fast das Herz ab, alles arbeiten hilft nichts. Ich hätte Dir so gern die Freude gemacht und hätte viel Äpfel geschält. Sei mir nicht bös. Ich kann es jetzt nicht, gewiß nicht.  Nun ist es ½ 8 Uhr geworden und wir sind gerade heim gekommen. Wieder ist es so einsam hier. Jörg hat sich am ehesten in alles gefunden. Er bastelt wieder und ist am frohesten. Wir haben vorhin verschiedenes eingekauft. Auch die 4 Eier auf Deine Karte habe ich bekommen. Von der Molkerei haben sie uns zum Kaufmann Heilig geschickt, der hatte welche. Konnten sie uns das nicht auch am Samstag sagen, da hätte ich sie Dir mitgeben können. Beim Tengelmann bediente mich wieder die Verkäuferin, die wir nicht leiden können. Da aber auch die Frau Heß im Laden war, habe ich die wegen Süßstoff gefragt und auch eine Packung bekommen. Ich einem Geschäft, in dem wir garnicht danach fragen wollten, bekamen wir eine Schachtel schwarzes Schuhcreme.  Unsere Filme bin ich auch los geworden, aber sie können einstweilen nur entwickelt werden. Zu Abzügen haben sie kein Papier. Aber da kann ich ja immer wieder nachfragen.  Ja lieber Ernst, nun ist es wieder einsam bei uns geworden. Deine frohe Gegenwart fehlt uns so sehr.  Ehe ich jetzt schlafen gehe, es ist ¼ 10 Uhr, grüße ich Dich von ganzem Herzen. Ich werde mir zu verschiedenen Zeiten den Wecker stellen, denn wahrscheinlich wirst auch Du an den verschiedenen Stationen munter sein. Bleib gesund, lieber Schatz!  29.8 Die Nacht ist vorbei. Ich war munter, als Du in Sangerhausen, Berlin warst, oder doch sein solltest. Um 3 Uhr habe ich die Luftlagenmeldung gehört. Es befanden sich aber glücklicherweise keine Flugzeuge über dem Reichsgebiet, als Du in Berlin warst. Nun bist Du schon in Schneidemühl gewesen und fährst nach Dirschau weiter, immer weiter von uns weg.  Der ersehnte Regen ist nun doch noch gekommen. Es regnet jetzt, was vom Himmel runter will. Wir haben auch gleich alle Blumentöpfe rausgestellt, damit die Pflanzen gut wachsen.   Nachher will ich gleich wieder fleißig sein und Äpfel schälen und schneiden, damit Du dich freuen kannst. Ich selbst habe bis jetzt noch nicht die richtige Ruhe zum schaffen, aber ich werde mich ja wieder daran gewöhnen. Von Papa und Lotte kam gestern eine Karte, daß sie am Montag, also gestern, wieder heimfahren würden. Sie wünschen Dir alles Gute und daß Du gesund zu uns zurückkehren möchtest. Das ist ja auch unser innigster Wunsch, das weißt Du ja. 30.8. Mein liebster Ernst! Gestern Abend kam ich nicht mehr zum schreiben. Ich will Dir vom gestrigen Nachmittag berichten. Es wurde doch ein jugendfreier Film gespielt. In den bin ich mit den Kindern gegangen. Ich hatte wohl die ganze Zeit geschafft, aber ich war noch so unruhig. Um 2 Uhr sind wir fort gegangen.  Also nachdem Du wahrscheinlich in Königsberg angekommen warst. Um ½ 3 Uhr kamen wir am Kino an und habe mich angestellt. Kurz vor mir war alles ausverkauft.  Inzwischen hatte es noch mit regnen angefangen, sodaß wir uns unterstellen mußten.  Die Kinder wären ja ungern wieder heim gegangen, vor allem, nachdem ich ihnen gesagt hatte, daß es das letzte Mal sei, daß ich ins Kino ginge. Gestern standest Du noch nicht an der Front, da ging es noch. Aber wenn Du wieder kämpfen mußt, will ich mich nicht daheim im Kino unterhalten. Du hast da draußen ja auch nichts.  Wir sind einkaufen gegangen und haben uns um 4 Uhr wieder angestellt. Dann sind wir noch eine Weile herumgelaufen. Um 5 Uhr war Einlaß, aber im Vorraum mußte man noch stehen. Das ging dann bis ½ 6 Uhr. Sie hatten mit der vorherigen Vorstellung später beginnen können wegen Stromausfalls. Der Film war sehr schön. Im wesentlichen handelte es sich um die Erfindung eines neuen Kolbens für ein Rennauto.  Während der Abwesenheit des Obermeisters und Erfinders wird diese Erfindung von seinem Vertreter durch Nachschlüssel gestohlen und an die Firma verkauft. Gleichzeitig soll sie aber auch ans Ausland verkauft werden. Durch unglückliche Umstände kommt der Betrüger bei der Auseinandersetzung um. Der Verdacht des Mordes richtet sich gegen den Obermeister und einen Ingenieur, der den Ermodeten aufsuchen sollte und ihn tot gefunden hat. Der Ingenieur nimmt einstweilen den Verdacht auf sich, bis der Kolben fertig konstruiert und das Auto für das Rennen um den großen Preis fertig ist. Es kommt dann zu einem Freispruch, da der Obermeister in Notwehr gehandelt hat.Vorher war ein Film von den Wiener Sängerknaben.  Wir kamen nun um 8 Uhr heim, haben gegessen und hinterher habe ich noch die Äpfel fertig geschnitten und das eine Glas Brombeeren sterilieseirt. Bei den Tomaten hat es 6 größere und 2 kleine Flaschen  mit Tomatenmus gegeben. Die 4 Eier, die ich bekommen hatte, habe ich gestern auch in Garantol eingelegt. Heute werde ich auch wieder Apfelringe schneiden.  Wo wirst Du jetzt sein, mein liebster Ernst?  Von Königsberg bis zur Front ist es ja nicht so sehr weit. Hoffentlich hast Du es nicht so sehr schwer.  Vorhin hörte ich im Wehrmachtsbericht, daß in der Nacht Königsberg angegriffen worden ist. Nun ist meine Befürchtung doch wahr geworden. Ich hoffe, daß Du gut davon gekommen bist. Ganz beruhigt werde ich ja erst sein, wenn ich entsprechende Nachricht von Dir erhalte.  Heute habe ich vor allem Apfelringe geschnitten. Alle Girlanden hängen wieder da, auch bei uns im Schlafzimmer. Eine Schüssel Apfelmus habe ich auch  gekocht fürs Frühstück. Vormittags habe ich die Truhen entsprechend umgepackt. Wir hatte ja davon gesprochen, als Du hier warst.  Es ist nun schon der dritte Abend, an dem wir wieder allein sind. Ach, was waren es doch für schöne Tage, als Du hier warst. 

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