Samstag, 29. Februar 2020

Brief 790 vom 29.9.1944


Mein lieber Ernst !                                                                                                 29.9.44

Ein richtiger Sonnentag war heute. Da ist auch gleich was geschafft worden. Jörg hat 16 Pfund Äpfel abgepflückt und gegen Abend, als er vom schaffen kan, 1 Reihe Kartoffeln raus gemacht. Helga hat am Morgen 2 Reihen und am Nachmittag 1 Reihe ausgegraben. Zusammen hat es 66 Pfund ergeben. Das ist doch sehr schön, nicht wahr. Im ganzen haben die Kinder bis jetzt ca. 110 Pfund Kartoffeln ausgegraben.  Jörg hat heute beim verkitten der Treibhausfenster geholfen. Er hat den Kitt weichgeklopft und ihn dann dem Mann zugereicht. Um 5 Uhr kommt er jetzt immer heim, um 2 Uhr fängt er an.  Die größte Freude habe ich heute über Deine lieben Brief Nr. 54 und 55 vom 14./15. gehabt. Es ist doch immer wieder so schön, wenn der Briefträger klingelt und ein Brief von Dir kommt.   
Ihr seid nun also wieder marschiert und habt Euern Bunker verlassen müssen. Ärgerlich ist es ja, wenn Ihr Euch wieder eine Unterkunft gebaut hattet und gleich wieder fort mußtet. Aber am besten ist es ja wohl, wenn man sich über sowas garnicht ärgert, sonst käme man aus dem Ärger garnicht raus. Du erinnerst dich an unsere Apfelmusfabrik. Ja, die ist eingegangen. Nur für den täglichen Hausbedarf arbeitet sie noch. Die Apfeltrocknungsanlagen arbeiten aber jetzt noch. Wenn nicht das Pech mit meinem Fuß gewesen wär, hätte ich die Äpfel schon abgenommen und mit dem trocknen wärs vorbei. Aber etwas muß man eben in Kauf nehmen. Ich will froh sein, daß mein Fuß richtig wieder gut wird. Da müssen wir eben auf etliche Äpfel zum einwintern verzichten. Heute bin ich schon mal mit im Garten gewesen und habe mir alles angesehen. Viel helfen konnte ich ja nicht, nur mal einen Korb und einen Eimer mit rüber nehmen. Aber es wird ja immer besser.  Mit der Wallhausenfahrt ist es ja nun nichts geworden und wird wohl auch nichts werden. Bis ich so lange Strecken fahren kann, vergeht schon noch einige Zeit und dann muß ich sowieso erst unseren Garten  fertig machen. Es ist ja alles liegen geblieben. 
Von Papa erhielt ich einen Brief. Denk Dir, mein Brief bezw. Karte hat 13 bezw. 6 Tage gebraucht, bis er sie bekommen hat. Ich weiß nicht, was mit Erna und Papa los ist. Da will es scheinbar garnicht mehr klappen. Da fehlt eben Mama, sie würde bestimmt alles wieder ins Reine bringen, da wäre es sicher garnicht soweit gekommen; denn an Mama hat Erna ja auch sehr gehangen. Papa weiß nicht, warum Erna dickscht. Erna wird sicher noch beleidigt sein, weil Papa so an Siegfried geschrieben hat, als hätte sie ihm etwas nicht gegeben, was Siegfried für ihn geschickt hat. Lotte ist ja auch nicht diejenige, die begütigend eingreift. Man muß sich ja jetzt das Leben noch schwerer machen als es sowieso ist, so ists recht.  Stell Dir vor, heute haben wir 6 Pfirsiche von Herrn Zahn bekommen. Doch nobel, nicht? Daf ür haben wir aber vorher seine sprüche anhören müssen, dioe er immer macht.  In der Bücherei habe ich mir jetzt verschiedene Bücher von Peter Rosegger besorgen lassen. 
Diese lese ich sehr gern. Wenn man später wieder Bücher kaufen kann, dann wünsche ich mir sicher einige davon.  Nun gehen wir wieder ins Bett. Die Kinder freuen sich mächtig drauf, weil sie heute zum ersten Mal wieder die Federdecke nehmen können. Solche Freuden kann man ihnen doch gern gönnen. Ob Du am heutigen Tag wohl schon meine ersten Briefe bekommen hast? Lange genug hast Du ja sowieso warten müssen.  Ich schicke Dir wieder viele Grüße und Küsse. 

Behalte immer lieb Deine Annie.

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