Samstag, 29. Februar 2020

Brief 785 vom 23 und 24.9.1944


 Mein liebster Ernst !                                                                                                 23.9.44 

Diese Woche ist auch wieder vergangen. Am meist en freue ich mich, daß mein Fuß immer besser wird. So kann ich doch hoffen, bald wieder richtig schlagen zu können. Ruhen läßt es mich ja jetzt auch schon nicht mehr und ich fasse überall mit zu. Nur wird der Fuß zu schnell müd, weil ich immer noch auf der Ferse rumhumpeln muß. Aber besser ist es doch als erst, wo ich den fuß überhaupt nicht nach unten hängen lassen konnte, ohne große Schmerzen zu haben. Ich muß auch schon zufassen. Helga hat sich beim Durchstechen der Apfelringe überall zerschunden und nun hat sie an den Fingern kleine Eiterstellen, die wir fleißig in Seifenwasser baden. Du siehst also noch ein Invalide.  Heute sind die buben zum Kriegseinsatz verteilt worden. Manche kommen nach auswärts. Ich wollte, daß Jörg hierbleibt. 
Die Buben, die hier bleiben, sollen zu Gärtnern kommen. Manche Kinder haben sich ja auch jetzt noch nicht gemeldet. Ich fragte Jörg, ob er nicht auch dableiben will. Er sagte aber, er will sich nicht drücken. Hier in der Stadt kann ich ja eher einmal kontrollieren, daß er nicht überanstrengt wird.  Bis jetzt haben die Kinder 3 Reihen Kartoffeln mit ca. 45 Pfund ausgegraben. Heute konnten sie nichts tun, da es regnete. Dafür haben wir wieder viel Apfelringe geschnitten, denn es waren ziemlich viel Äpfel runtergefallen.  Die ganze Küche hänt kreuz und quer voller Girlanden. Das gibt mehrere Beutel voll.  Es ist heute nur ein kurzer Brief, Du Lieber, aber Morgen folgt ja der nächste. Laß Dich recht oft küssen von 

Deiner Annie.


 Mein liebster Ernst !                                                                                            24.9.44

Die Grüße im gestrigen Brief sind etwas kurz ausgefallen.  Eigentlich sollte es nicht so sein, aber ich merkte zu spät, daß der Brief schon zu Ende war. Ich hole es jetzt nach und gebe Dir schon am Anfang dieses Briefes recht viel herzliche Grüße.  Der Sonntag ist recht ruhig wieder vorbei gegangen. Was ich konnte, habe ich geholfen. Die übrige Zeit habe ich meinen Fuß hochgelegt. Das Laufen auf dem ganzen Fuß habe ich auch probiert. Es ging, aber noch nicht gut. Die Wunde sieht gut aus, aber die vordere Hülfte des Fußes ist noch so angeschwollen, daß ich die Zehen nicht auf den Bode bekomme. Ich denke aber, daß sich das auch bald noch geben wird.  Zum fort gehen war das Wetter heute sowieso nicht gut. Morgens regnete es, dann heiterte es sich eine Weile auf und nun gießt es schon wieder. 
Die Kinder haben sich mit mehreren Decken eine Hütte gebaut. Damit haben sie den ganzen Nachmittag gespielt. Helga hat auch gelesen. Denk Dir, Jörg hat heute sogar zwei Mal abgewaschen, da es Helga mit ihren Eiterbläschen nicht gut konnte.  Vorhin hat FRau Ehret (eine tochter von Frau Nußbaumer) gerade ihren Koffer bei uns eingestellt, da ihre Mutter nicht daheim war. Sie will morgen ihren Mann im Lazarett in Feldkirch besuchen. Sie hat jetzt erst die Nachricht bekommen, daß er operiert worden ist. Man hat ihm die Schädeldecke aufgemeiselt. Er hatte Eiter im Kopf. von was das nur kommen kann? Vorher ist ihm manchmal Eiter aus den Ohren gekommen.  Da wir heute ein Bißchen Feuer hatten, sind manche Apfelringe trocken geworden. Auf der warmen Ofenplatte habe ich auch 3 Beutel nochmals nachgetrocknet. Sie hatte etwas Feuchtigkeit angezogen. 
Im ganzen haben wir jetzt 5 Beutel Apfelringe da. 3 große Girlanden hängen jetzt aber noch im Schlafzimmer und in der Küche. Morgen schneide ich wieder neue ringe. Heute haben wir mal nur Äpfel gegessen. Dafür war auch Sonntag.  Ja, lieber Ernst, was soll ich Dir noch erzählen? Wenn man so wie ich jetzt, bildlich gesprochen, an der Kette hängt und nicht fort kann, da sieht man ja auch nichts.  Ich habe mir noch nicht einmal angesehen, wie die Kinder unten die Kohlen geschichtet haben. TReppen gehen am scheußlichsten zu steigen und dann ist der Fuß so schnell ermüdet. Morgen fahre ich ja wieder zum Arzt, wenn es nicht gerade regnet. Denn ich kann ja nur Hausschuhe anziehen. Da komme ich ja wieder ins Freie. Jetzt freue ich mich immer, daß wir nicht in der Stadt wohnen. Auch wenn man nicht so fort kann, hat man doch immer einen herrlichen Ausblick, an dem man sich nicht satt sehen kann. Du weißt ja, daß ich überhaupt glücklich bin, daß wir so im Freien wohnen. Nun laß mich schließen. Ich gehe jetzt schon immer mit den Kindern schlafen. Und das wird jetzt Zeit.  Heute sollst Du nicht zu kurz kommen, sondern unendlich viele Grüße und Küsse bekommen von 

Deiner Annie.

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