Samstag, 29. Februar 2020

Briefe 776 (a-f) vom 31.8.1944


Mein liebster Ernst !                                                                                                   31.8.

 Wieder ist ein Tag vorbei, ein Regentag. Der Regen, der erst gefehlt hat, kommt jetzt mit Gewittern. Durch den fehlenden Regen haben wir wenigstens schöne Urlaubstage gehabt. Wie gern erinnere ich mich daran. Wie haben wir beim baden alle Farbe bekommen. Wie sind wir mit dem Ball herum gesprungen. Beim probieren des Handstands habe ich mir mal den Kopf angeschlagen, daß er brummte. Aber das machte alles nichts, die Freude überwog doch, daß ich endlich auch tauchen konnte. Das macht mir auch jetzt noch Freude. Bei dem jetzigen Wetter ist es mit dem baden ja sowieso aus. Heute habe ich mir wieder einmal Näharbeit vorgenommen. Ich habe Helgas gestreiften Rock ausgebessert und den blauen etwas kürzer gemacht. Außerdem habe ich verschiedenes ausgebessert. Am Nachmittag habe ich geputzt, da ich morgen wasche. Mit dem Mistholen ist es noch nichts. Ich soll nächste Woche nochmals nachfragen.  Von Frau Frick kam ein Brief. Sie hat dabei eine ganze Karte mit 2000 g Weißund 1000g Schwarzbrotmarken mitgeschickt. Freust Du Dich darüber? Es ist nur schade, daß sie erst jetzt kam und Dir dadurch nicht mehr zugute kam.  Während ich hier schreibe, regnet es, was nur vom Himmel will. Hoffentlich hast Du dort nicht so schlechtes Wetter. Da wärst Du ja bald durchweicht und müßtest in den nassen Sachen herumstehen oder liegen.

                                                                                                                                    1.9.

Unser Hochzeitstag. Wo wirst Du ihn verlebt haben und wie? Ob Du wohl Zeit gehabt hast, einmal an diesen Tag zu denken? Ich habe öfter daran gedacht und im Geist mit Dir gesprochen. Wie schnell sind doch die 13 Jahre vergangen, in denen wir verheiratet sind. Es waren schöne Jahre, das können wir doch wohl sagen. Vor allem natürlich die, in denen wir zusammen sein durften. Wir sprachen ja schon vor Deiner Abfahrt einmal von diesem Tag . Ich kann nur immer wieder sagen, ich bin sehr glücklich, daß ich Deine Frau bin.  Wenig feierlich ist zwar dieser Tag vorbei gegangen, denn ich hatte von morgens bis abends Wäsche. Aber darauf kommt es ja nicht an, meine Gedanken waren ja immer bei Dir.

                                                                                                                                         2.9.

Nun ist die Woche schon vergangen. Du wirst wahrscheinlich schon wieder bei Deiner Einheit sein und wirst es schwer haben. Man darf sich das garnicht so richtig vorstellen, sonst kommt man sich so ohnmächtig vor, wenn man hier ist und nirgends helfen kann. Ich hoffe nur immer wieder, daß Du gesund bleibst. Darum gehen auch meine Gedanken immer mit guten Wünschen zu Dir.  Das Wetter hatte sich heute etwas aufgeheitert. Ich habe gleich meine Wäsche aufgehängt und bekam sie auch trocken, ehe das nächste Gewitter kam und es wieder regnete. Das tut es nun auch jetzt noch. Ich habe mir heute ein Buch von Peter Rosegger geholt. „Waldheimat I Band das Waldbauernbübel“ Es ist sehr schön. Ich lese Rosegger Bücher ja sowieso gern.  Kartoffeln konnten wir heute 10 Pfund bekommen. Auch sonst habe ich allerhand Seltenheiten erhalten, wie Suppenwürfel, Backpulver, Vanillinzucker, Streichhölzer. Ich kam mir vor wie bei einer Weihnachtsbescherung.  Äpfel fallen jetzt augenblicklich nicht so viel herunter. Es gibt nur eine kl. Schüssel Apfelmus. Aber zum Frühstück langt es. Geld habe ich heute auch geholt. Diesmal wird wieder WHW abgezogen. Abgehoben habe ich 210 Mk, auf dem Konto habe ich zur sofortigen Verwendung noch 100,16 Mk stehen. Die kann ich also jederzeit abheben.  Vor einigen Tagen haben wir uns mal gewogen. Helga wiegt 94 Pfund, Jörg 71 Pfund und ich 138 Pfund.

                                                                                                                                         3.9.
Liebster, liebster Ernst ! 

Der erste Sonntag wieder ohne Dich. O, er ist nicht so festlich und feiertäglich wie der vorherige. Wir dachten da zwar auch schon an den Abschied, aber doch haben wir immer wieder diesen Gedanken beiseite geschoben. Früh hattest Du Deine Sachen eingepackt und dann noch verschiedene Bücher und Deine Briefmarken angesehen. Beim Mittagessen waren wir in der Stube vereint, Du lächeltest als ich Dich fragte, ob es Dir schmeckt und sagtest zu den Kindern: Gel, heute hat sich Mutterle wieder mal angestrengt.“ Am Nachmittag waren wir nochmals baden.  Es war so schön mit Dir zusammen. Als wir heim kamen, haben wir noch Kuchen gegessen. Ich sehe alles noch so deutlich vor mir. Heute sind wir nun wieder allein und ich habe Heimweh nach Dir. Am besten wäre es wohl, fest zu schaffen, aber es geht nich so gut. Vom schaffen, besonders von der Wäsche, habe ich tüchtiges Rückenweh.  Da muß ich einmal ausspannen. Aber gerade dieses ausruhen läßt mir das Alleinsein stärker zum Bewußtsein kommen. Ein richtiges wunschloses ausruhen ist ja nur möglich, wenn Du da bist. Sonst treibt mich eine Unruhe immer herum. Den Frieden meiner Seele nimmst Du stets mit fort. So soll es auch bleiben, bis Du zu uns zurück kehrst, denn nur mit Dir zusammen ist alles vollendet. Du wirst wahrscheinlich überhaupt nichts vom Sonntag merken. Vielleicht dauert es nicht mehr gar so lang, bis ich Deine neue Feldpostnummer weiß, dann kann ich ja diesen Brief gleich an Dich wegschicken, damit Du auch wieder Nachricht von uns hast.  Seit Du fort bist, ist kein Badewetter mehr gewesen. Heute ist es sogar richtig kalt geworden. Ohne Jacke kann man draußen garnicht herumlaufen. Dazu ein Wind, daß sich die Bäume biegen.

                                                                                                                                                   4.9.

Eine neue Woche. Ob ich wohl bald Post von Dir bekomme? Oder ob diese bei dem Angriff auf Königsberg mit verloren gegangen ist? Ich werde abwarten.  Gestern Nachmittag und Abend hatte ich mich auf den Liegestuhl gelegt. Ich hatte so Rückenweh. ½ 11 Uhr ging Vater heim und ich bin gleich ins Bett gegangen. Ich war so übermüd und konnte doch nicht schlafen. Es war scheußlich. In der Nacht hatte dann die Schweiu noch einige Male Alarm. Da hat man gespannt, ob wir auch bekämen. Aber es blieb ruhig. Gestern Vormittag hatten wir auch Alarm. Während des Alarms kamen schon die Flieger über uns hinweggeflogen. Sie kamen direkt aus der Schweiz.  Nun hat uns Finnland also auch verlassen, ebenso eigentlich auch bulgarien, nachdem sie eine nach links gerichtete Regierung haben. Nun sind wir ganz auf uns gestellt. Es wird sicher ein schweres Durchbeißen werden. Aber geschafft muß es doch werden. Ehe nicht alles verloren ist, verliere ich nicht den Glauben an den Sieg.  Gerade erhielt ich Deinen lieben Brief vom 30.8. Ich bin so froh, daß ich erst einmal weiß, daß Du dem Terrorangriff entgangen bist. Ich dachte mir schon, daß Ihr wahrscheinlich bei den Aufräumungsarbeiten helfen müßt.  Heute Nacht habe ich von Dir geträumt. Wir wollten Dich wieder ein Stück mit der Bahn begleiten und wieder ging es nicht. dAs war herb. Aber so habe ich Dich doch wieder gesehen und mit Dir gesprochen.  Heute Morgen waren nur 5 Grad Wärme. Gel, das hat schwer abgekühlt.  Für den morgigen Geburtstag habe ich einen Apfel und einen Napfkuchen gebacken.  Helga freut sich schon mächtig. Jörg hat Helga zu den Geschenken, die Du schon gesehen hast, 1 Federhalter und 2 Broschen aus Holz gekauft. Dazu hat er ihr eine Pfeife aus einem Holz und einer Kastanie gemacht, sogar den Kastanientabak dazu. Außerdem hat er noch ein Kastanienmännchen mit einem silbernen Helm auf den Geburtstagtisch gestellt. Bei allem stehen noch 2 Sträuße und 1 Kerze mit einem roten Band kreuzweise umwunden auf dem Tisch. Die Kerze in dem Ständer aus Charkow. Helga muß morgen erst um 9 Uhr zur Schule. Da kann man vorher noch in Ruhe bescheren. 

                                                                                                                                                 5.9.

Geburtstag! Welch herrliches Wetter für Helga. Gleich um 6 Uhr sind wir aufgestanden. Ich hatte schon gestern alles vorbereitet, sodaß ich nur noch die Kerze anzünden mußte Helga war sehr erstaunt, daß sie soviel geschenkt bekam. Ich habe ihr noch ein Buch geschenkt, das ich früher mal gekauft hatte. Es heißt „Das schnelle Schiff“. Es sind mehrere Geschichten drin. Das hat ihr viel Freude gemacht und sie liest schon fest. Am Nachmittag kam Ingridf und Hilde, Helgas Schulfreundin. Ingrid brachte 1 Pinsel, Löschpapier, 1 gr. und kl. Block, 1 Skizzenblock, Aufklebezettel für Hefte, Hilde brachte 1 Strauß Astern und 2 Stück Torte bezw. Kuchen. Wir haben zusammen Kuchen und Pudding gegessen. Hinterher haben wir Spiele gemacht und die Kinder sind alle sehr lustig geworden. ½ 7 Uhr haben wir Schluß gemacht.  Jörg mußte heute Morgen einmal in die Schule. Es wurde ihnen gesagt, daß sie Tee suchen müssen.  Helga hat morgen ihren letzten Schultag, dann wird auch ihre Schule geschlossen. Nur das Gymnasium bleibt noch offen von allen Schulen.  Dein Brief an Helga ist leider noch nicht angekommen. Von Papa und Lotte kam eine Karte für Helga und 1 Brief für uns.  Vielleicht werde ich meinen Grundsätzen noch einmal untreu und gehe noch einmal ins Kino. Aber nur, weil es ein Film ist, den Du schon gesehen hast und von dem Du sagtest, er sei sehr gut. Es ist „Träumerei“

                                                                                                                                                    6.9.

Ich finde, daß ich meinen Grundsätzen eigentlich nicht untreu geworden bin. In dem Film habe ich mich nicht unterhalten, sonder ich war ergriffen von dem Schicksal des Robert Schumann. Gewußt habe ich ja schon davon, aber bildlich dargestellt kommt einem die Schwere mehr zum bewußtsein. Es ist ein hervorragender Film.  Als ich heim kam, haben wir erst Abendbrot gegessen. Dann habe ich das Waschhaus geputzt und hinterher bin ich in den Garten gegangen und habe wieder verschiedenes gehackt. Spinat habe ich auch gesät. Zuletzt habe ich das untere Beet Erdbeeren ausgeputzt und umgegraben. Jetzt kann ich mich auch wieder besser bewegen.  Am Körper hatte ich gleich neben der aufgerissenen Haut (die übrigens verheilt ist) ein richtiges Blutgeschwür bekommen. Es war kein richtiges Furunkel, sonder ganz blaurot und es kam dunkles Blut heraus. Es ist jetzt am Verheilen.  Der Brief von Dir an Helga ist leider auch heute nicht angekommen. Es kam nur eine Karte von Erna und von Siegfried an Helga und von Siegfried an mich. Morgen muß ich unbedingt wieder mal an alle schreiben. Sie haben ja schon lange warten müssen.  Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Dir bald schreiben könnte. Aber es wird wohl noch eine Zeitlang dauern, bis ich Deine neue Nummer bekomme. Vielleicht hast Du mir inzwischen nochmals von Königsberg aus geschrieben. Ach Ernst, liebster, bester Ernst, wie war es doch schön, als Du hier warst. Du bist unser Allerliebster. 

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