Samstag, 29. Februar 2020

Brief 780 vom 17.9.1944


 Mein liebster Ernst !                                                                                           17.9.44      

Sonntag, ich sitze auf dem Liegestuhl, Helga ist bei Ingrid, Jörg hat bis jetzt gebastelt und geht nun ein bißchen raus. Ingrid war heute Morgen da und hat Helga gesagt, daß sie auf unbestimmte Zeit ein Pflegekind angenommen haben. Es ist 1 Jahr alt. Bisher hatte es Dickreiters, aber da die Frau Gelbsucht hat, hat Resi das Kind genonnem. Da mußte Helga natürlich hingehen. Sie mag ja Kinder so gern.  Ich konnte heute Nacht fast nicht schlafen. Ich habe schrecklich geschwitzt und mir war so heiß. Dazu sind mir die Gedanken im Kopf rum gewirbelt, als hätte ich Fieber. Das muß von der Tetanusspritze kommen, denn um den Einstich herum habe ich seit gestern einen handgroßen roten heißen Fleck bekommen.  Jetzt bei Tag ist es mir wieder wohl.  Heute Morgen haben wir wieder  Apfelringe geschnitten. Bis jetzt haben wir 4 ½ Beutel schon fertig getrocknete. Die jetzt aufgehängten ergeben mindestens wieder ½ Beutel voll. 
Das ist doch ganz schön, nicht wahr?  Am Nachmittag habe ich versucht, ein wenig auf der Ferse zu humpeln. Es ist, mit anhalten, auch gegangen. Ich muß doch ein bißchen trainieren, sonst komme ich doch am Dienstag nicht mit dem RAd fort. Vorhin habe ich den Verband erneuert, da er zu locker geworden war. Die Wunde sieht garnicht schlecht aus. Sie eitert ein wenig, aber nicht sehr. Ich glaube, ich kann wirklich von Herzen froh sein, daß es noch so abgeht.Unser Jörg hat doch heute gebastelt. Er hat seinen Lastwagen getarnt. Erst wolle einfach die Farbe nicht halten. Da hat er sie mit Leim gemischt. Nun geht es besser.  Einen Scheinwerfer für seine Soldaten hat er sich auch zusammengebaut. 
Da kann er sich garnicht davon trennen. Wenn man zum Essen oder zum schlafen ruft, muß man immer erst energisch werden, sonst bastelt er und bastelt er immerfort. Helga nimmt die knappe Zeit, die ihr jetzt immer bleibt, gern ein bißchen zum lesen wahr. Ich kann ihr jetzt beim schaffen wenigstens schon wieder ein bißchen helfen. Abtrocknen, Äpfel schneiden, Soße kochen, das geht schon wieder. Ich sitze natürlich  dabei. Es macht direkt Freude, wenn man nicht mehr so hilflos rumliegt. Während dem liegen lese ich ja jetzt auch mancherlei. Jetzt habe ich mir wieder einmal „Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer“ vorgenommen. 
Es macht mir auch diesmal wieder Freude.   

18.9.  Heute Nacht habe ich wunderbar geschlafen und von Dir geträumt. Das sind die schönsten Nächte, in denen ich Dich sehe.  Die Kinder fahren jetzt einkaufen. Da gebe ich gleich den Brief mit. Das Humpeln geht schon prima.  Ich hab heute Morgen schon mein Bett selber machen können und entdunkeln konnte ich im Schlafzimmer auch schon. Ich bin so froh, daß es so gut vorwärts geht. Du auch? Nun laß dich wieder fest grüßen und küssen von Deiner Annie.

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