Donnerstag, 7. September 2017

Brief 408 vom 30.8.1942


Mein liebster Ernst!                                               Konstanz, 30.8.42

Heute möchte ich Dir Deine lieben Briefe vom 16., 17. und 18. Beantworten. Ich habe nun gelesen, dass Du in C. angekommen bist und soweit alles gut vorgefunden hast, außer den kleinen Haustieren. Du hast ja gleich mit rauer Hand zugefasst, als solch ein liebliches Tier mit Dir Bekanntschaft schließen wollte. Wie kann man auch so roh sein.
Ein eigenes Zimmer hast Du auch wieder. Das wird Dich freuen. Aber die Hauptsache ist doch, dass die Kameraden nett sind, denn das verbessert doch gleich alles. Wenn Du durch Zuzahlen etwas besseres Essen bekommen kannst, so nimm das nur wahr. Wer weiß, wie lange das so geht.
Schön ist es bestimmt nicht gewesen, als in Eurem letzten Einsatzort die Flieger so angegriffen haben. Man ist so hilflos dagegen. Es ist ja kein Vergleich dazu, aber als vor 2 Nächten die Flieger so über uns wegflogen, war es doch auch ein komisches Gefühl. Man sitzt so da und könnte sich gar nicht wehren, wenn es ihnen einfallen sollte, Bomben fallen zu lassen. Viel schlimmer ist es ja, wenn man so direkt im Freien steht.
Gespannt bin ich, ob Dein Gesuch an die Stadt Erfolg hat. Zu hoffen wäre es ja, aber wenn man den Mann kennt, der da zu bestimmen hat, so hat man doch manchen Zweifel. Aber auch da heißt es abwarten. Das lernt man ja jetzt.
Wenn sich die Leute geniert (scheniert!) haben, als Du mit einer schäbigen Uniform ankamst, so finde ich das ja einen Quatsch. Wir haben ja schließlich Krieg, und nicht jeder hat eine vornehme Herkunft. Aber böse wirst Du ja über eine bessere Uniform nicht sein, Du hattest Dich ja schon vorher um eine bemüht. Man bewegt sich gleich ein wenig sicherer, wenn man ordentlich angezogen ist.
Ich danke dir, dass du an unseren Hochzeitstag gedacht hast. Wenn du mir nicht dazu schreiben konntest, so ist das gar nicht schlimm. Die Hauptsache ist doch, du denkst daran, und denkst gerne daran. Und das hoffe ich.
Es waren doch schöne Jahre, die wir zusammen verlebt haben. Bereut habe ich es noch nie, und du schreibst ja auch, dass du es noch nicht getan hast, dass wir seinerzeit geheirate haben. Wie der Geburtstagsbrief ausgefallen ist, weiß ich ja noch nicht, denn ich habe ihn ja noch nicht gelesen. Aber ich glaube, dass er mir sicher gefallen wird, denn Dich sehe ich doch im Geist dahinter und weiß auch, dass du an diesem Tag mit deinen Gedanken bei mir bist. Wenn es nach dem Schreiben geht, so bin ich manchmal mit meinen Briefen nicht zufrieden, aber ich meine, Du wirst mich schon verstehen, und weißt, wie ich es meine.
Wenn du schreibst, dass die Ernährung bei der Bevölkerung dort so schlecht ist, so sieht man erst wieder, wie gut wir es doch haben. Ich habe zwar noch nie geklagt, aber man nimmt es doch ziemlich selbstverständlich hin, dass man alles noch soweit bekommt.
Wir waren doch gestern in „Struwelpeter“. Ich hatte mir nicht viel davon versprochen, aber ich muss sagen, ich war sehr angenehm enttäuscht. Es wurde mit einfachen Kulissen und Mitteln gespielt, aber so lebendig und natürlich, dass es wirklich Freude machte. Die Kostüme waren genau dem Bilderbuch nachgemacht. Ich habe nicht bereut, dass ich mit den Kindern gegangen bin.
Heute Morgen waren wir in der Wochenschau. Vor allen Dingen wurden die Kämpfe bei Dieppe gezeigt. Es ist da wirklich schlimm zugegangen. Vielleicht siehst du die Wochenschau auch, da du jetzt in einer Stadt bist. Jedenfalls haben die Engländer den Angriff teuer bezahlen müssen. Vor den Deutschen Stellungen liegen die Toten wie gemäht, und am Strand werden immer Tote angespült, die es dann dauernd hin und her wirft. Auch die Gefangenen sehen schlimm aus, besonders gerade nach der Gefangennahme. Manche werfen ihre Stahlhelme weg, als wollten sie sagen, es hat ja alles keinen Zweck.
Wir haben jetzt immer noch täglich eine reiche Apfelernte. Mindestens 5 Pfund jeden Tag, heute sogar 10 Pfund. Das kommt auf´s Wetter drauf an. Wir machen davon Apfelmus, Apfelringe, und essen sie auch so. Verbraucht werden sie also restlos. Manchmal gebe ich ja auch Nussbaumers und Leimenstolls welche ab, denn kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, und man ist auch froh, wenn einem wieder einmal ein Gefallen getan wird. Und auch sonst, wenn man genügend hat, braucht man ja nicht knausrig sein.
Ich habe dir doch die Bilder von mir geschickt. Wenn ich sie jemand gezeigt habe, auch Vater, sagen alle, so richtig lachend würden sie mich gar nicht kennen, aber das andere Bild wäre so, wie ich immer bin. Lachen würde ich wenig. Was meinst Du dazu? Als Erna da war, hatten wir eben manchmal Spaß, so dass man schon lachen konnte.
Den Sonntag habe ich heute eigentlich nur mit schreiben verbracht. Ich habe an Papa, Erna und Kurt geschrieben. Eigentlich sollte Elsa noch dran kommen, aber ich bin jetzt gar nicht mehr in Stimmung dazu. Außerdem müssen wir Abendbrot essen, es ist schon ¼ 7 Uhr. Es muss erst noch hergerichtet werden. Aber hat sie jetzt schon so lange warten müssen, kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an.
Helga hat doch jetzt eine neue Lehrerin, Fräulein Allgeyer. Bis jetzt scheint sie ganz vernünftig zu sein. Sie haben jede Woche ihren Wochenspruch. Jetzt haben sie vom Schweigen gesprochen. Sie hat ihnen gesagt, dass Schwätzen Blech und Schweigen Gold sei. Ein Mensch müsse auch schweigen können. Ein Mensch, der schweigen könnte, sei auch ein wertvoller Mensch. Dann hat die Lehrerin ihnen gesagt, dass die Mutter ihre Kinder am liebsten hätte, die streng mit ihnen sei, denn sie würde schon ihr Leben sehen, wie es später sei, und wollte sie zu guten Menschen erziehen. Auch in der Schule sei es so. Wir werden abwarten, ob die Lehrerin auch weiterhin so bleibt.
Das hatte ich noch vergessen, zu schreiben. Erna hat mir in ihrem letzten Brief einen Zuckerabschnitt von 900g mitgeschickt. Das ist doch sehr nett. Sie schrieb, dieser Zucker sie für´s Apfelmus bestimmt. Sie sagte mir schon hier, dass sie von Siegfried noch welchen hätte. Aber sie hätte es doch nicht nötig gehabt, mir welchen zu schicken, bzw. die Abschnitte, damit ich mir welchen kaufen kann. Einige Backpulver will sie mir auch noch senden, da es doch jetzt keine mehr gibt, oder höchstens alle Monat mal eins.
Nun lass mich schließen. Bleib gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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