Freitag, 15. September 2017

Brief 420 vom 14.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 14.9.42

Ich erhielt heute Deine lieben Briefe vom 2. Und 3.9. Leider musste ich lesen, daß es dir gar nicht gut war. Du sprachst zwar die Hoffnung aus, dass es am nächsten Tag vorbei sein möge. Ob es auch der Fall gewesen ist? Ich wäre ja sehr froh darüber und warte nun mit Sehnsucht auf Deinen nächsten Brief. Du mein liebster Schatz, Du darfst dich nicht krank werden.
Der Brief vom 15. Ist dir also doch nachgeschickt worden. Das freut mich wirklich. Daß Du Dich so über Papa ärgerst, das wollte ich ja nicht. Du sollst Dir nicht auch den Kopf schwer machen müssen. Aber Du hast die Äußerung über die Bezahlung der Fracht auch häßlich gefunden. Da sind wir also auch einer Meinung. Aber bei Papa ist es eigenartig, er beleidigt schnell jemand und vergißt schnell, daß er es getan hat. Aber er ist schnell beleidigt, wenn man ihm was sagt. Als ich mal geschrieben habe, wie er früher gegen Dich war, hat er ganz erstaunt zu Erna gesagt:“ Das soll ich getan haben, das kann ich mir nicht denken.“ Aber ich glaube, da haben wir das bessere Gedächtnis.
Ich bin ja gespannt, was Papa alles zu erzählen hat, wenn er kommt. Auf ein paar Predigten kann ich mich ja gefaßt machen. Aber alles mit der Ruhe, nur keine Aufregung.
Von Beeren habe ich geerntet:
Johannisbeeren ca. 20 Pfund. Die die Kinder so vom Strauch gegessen haben, sind nicht dabei. Das macht auch einige Pfund aus.
Stachelbeeren ca. 34 Pfund gepflückte, sonst wie vorstehend.
Erdbeeren ca. 28 Pfund.
Brombeeren hat es keine gehabt, nur einzelne. Aber es hat nirgends welche gehabt, ich habe überall geschaut. Wenn ich sie nur erst wieder verschnitten hätte, es ist jetzt der richtige Urwald.
Wenn Du mir etwas Butter schicken kannst, so bin ich dir natürlich absolut nicht böse. Eine Rücklage schadet ja nie. Wie ich Dir schon schrieb, habe ich ja auch bisher nicht alles verbraucht, sodaß ich zwei kleine Töpfe mit Butter da habe. Von dem Zwieback, den Du uns noch aus Frankreich geschickt hast, habe ich jetzt zwei Mal eine Zwiebacktorte gemacht. Da kommt unten hin Zwieback, darüber Apfelmus oder eine flüssige Marmelade, dann wieder Zwieback und dann Pudding. Davon sind die Kinder begeistert. Die Füllung weicht den Zwieback etwas auf, sodaß er dann wie ein Kuchenteig ist.
Nach einer oder mehreren Blechbüchsen werde ich einmal nachsehen und schicke sie dir dann, ebenso Bindfaden. Wie die Eier ankommen, bin ich auch gespannt. Ich werde sie dann schon bald verbrauchen, wenn sie noch gut sind.
Mit der Gartenarbeit war es in letzter Zeit nicht so schlimm. Man kann jetzt wenig tun, dafür häuft sich die Arbeit in wenigen Wochen, wenn es ans Einkellern und Umgraben geht. Heute habe ich nur mal den Komposthaufen umgestochen. Das meiste ist schon zu Erde geworden. Dann habe ich einige trockene Bohnen gepflückt und ausgekernt.
Geärgert hat sich Helga nicht, daß Jörg erst mehr auf der Sparkasse hatte, denn ich habe sie gleich auf ihren Geburtstag vertröstet. Und sie ist ja auch nicht enttäuscht worden.
Die 2 großen Umschläge mit Briefumschlägen sind heute auch angekommen. Ich kann sie sehr gut brauchen und muß sie nicht auf Eis legen. Ich hatte fast nur die mit „Donau“ noch. Jetzt können die einstweilen noch in Reserve bleiben.
Heute waren die Kinder schon wieder baden. Meinst Du nicht, es müssten ihnen bald Flossen wachsen? Heute hatten mich die Kinder gebeten, ich sollte, wenn ich in die Stadt fahre, mal am Rhein beim Bad rufen. Das habe ich auch getan, und sie kamen gleich oben, wo früher das Cafe im Bad war, angerannt. Ehe ich mich´s versah, war Jörg über´s Gitter geklettert, die Wand runtergerutscht und stand vor mir. Ich dachte: “Wie wir er wieder rauf kommen?“ Aber das ging so fix. Oben am Gitter angefasst, Beine und Arme ein wenig angezogen, und schon stand er wieder oben. An so Sachen sieht man manchmal, wie die Kinder größer werden. Vor einigen Jahren wäre er noch nicht so geklettert.
Von Siegfried bekam ich heute einen Brief, den er kurz vor Urlaubsende geschrieben hat. Aber die Verhältnisse zuhause will er mir nochmals ausführlich schreiben. Ich habe an eran heute eine Karte geschrieben, in der ich mich für die gesandten Backpulver bedankt habe, ebenso für den Geburtstagsbrief.
Nach dem Nachttischlämpchen für Helga laufe ich noch immer herum. Jetzt soll es wahrscheinlich nächste Woche kommen. Ich bin wirklich gespannt, ob´s stimmt? 20 Mal lange nicht, wie oft ich schon danach gelaufen bin.
Vater hat jetzt auch eine Debatte im Geschäft. Sie bekommen doch Zusatzkarten. Davon wurden ihm jetzt Fleisch und Fett abgeschnitten. Dazu soll er noch Nährmittelkarten hergeben und soll zu Mittag in der Kantine essen. Das will er aber nicht, weil er doch nicht alles isst. Jetzt hat er nun Krach gemacht, aber es nutzte nichts. Nun war er auf der Arbeitsfront. Die haben gesagt, das wäre eine neue Bestimmung, wer kurze Mittagspausen hat, dass er nicht heim gehen kann, muß in der Werksküche essen. Vater will nun nochmals auf´sErnährungsamt gehen. Ich bezweifle ja, dass es etwas nützt. Aber richtig finde ich es ja nicht, dass man einfach dort essen muss. Evtl. will Vater auf die Fleisch- und Fettkarten verzichten, aber essen tut er nicht dort.
Sonst hätte ich eigentlich nichts mehr zu berichten. Darum lass mich schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und hoffe, dass Du wieder ganz gesund bist.     Deine Annie.

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