Freitag, 15. September 2017

Brief 415 vom 8.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 8.9.42

Die letzten Tage habe ich wohl geschrieben, aber doch immer ziemlich kurz, weil die Zeit immer knapp war. Heute will ich nun einige Sachen nachholen, die immer keinen Platz mehr gefunden haben. Zuerst möchte ich Dir aber für deinen lieben Brief vom 27.8. danken, den ich heute Nachmittag erhielt. Post hattest Du da noch keine erhalten, was aber in der Zwischenzeit wohl behoben ist. Ja, das Warten auf Briefe ist immer schwer.
Jörg lernt jetzt in der Schule auch das lateinisch schreiben, die meisten Buchstaben haben sie jetzt schon gelernt. Ins Hausheft hat er heute auch zum ersten Mal mit Tinte schreiben müssen, was ihn ganz besonders stolz gemacht hat.
Ich habe doch noch den alten Radioapparat da. Als der Wiederstand jetzt kaputt war, habe ich probiert, ob er aushelfen kann. Es ist aber nichts zu machen. Es ist auch so, dass er im Keller ganz verschimmelt. Auf den Speicher kann ich ihn auch nicht stellen wegen dem Luftschutz, da steht auch so noch genug da, was man sonst nicht unterbringen kann. Als ich gestern den Wiederstand holte, sprach der Mayer gerade mit jemand. Sie suchen alte Apparate zum Ausschlachten, damit sie andere Apparate wieder reparieren können. Meinst Du, ich soll ihn hin bringen? Gebrauchen kann ich ihn nicht mehr, und er steht im Weg herum. Bekommen wird man freilich nur ein paar Pfennig dafür, aber so geht er uns auch kaputt. Schreib mir mal darüber.
Mit dem Luftschutz geht es jetzt bei uns auch strenger her. Es müssen etwas Wäsche, Kleider, Papiere, Geld, Lebensmittel- und Kleiderkarten, Bestecke, und etwas zum Essen mitgenommen werden. Außerdem wird kontrolliert, ob Jeder im Keller ist, andernfalls gibt es Strafzettel. Ich habe jetzt auch soweit alles hergerichtet. Ich habe den großen Koffer gepackt und einige Kleidungsstücke hinein getan. In die Truhen, die du mitgebracht hast, habe ich alle neuen Sachen getan und außerdem habe ich noch deinen neuen blauen Anzug dazu gepackt, weil ich meine, wenn ja etwas passiert und Brandbomben ins Haus fallen, so könnte man evtl. noch die Truhen heraus ziehen und so wenigstens noch etwas retten. Bei einer anderen Bombe wäre ja sowieso alle hin, und für diesen Fall möchte ich Dich bitten, Dir doch die Nummern unserer Sparbücher aufzuschreiben. Denn das Geld brauchtest Du doch der Sparkasse nicht zu schenken, wenn uns ja was passieren sollte, was wir zwar nicht hoffen wollen. Die Nummern sind; Unser Buch 19837, Helga 11632, Jörg 16041.
Unsere Kinder waren heute wieder baden. Helga übt immer fleißig das schwimmen, während Jörg noch nicht so viel Lust hat. Wenn ich später öfter mitgehen kann, muss er aber auch mitmachen.
Im Freibad hat Jörg heute einen echten silbernen Ring gefunden, der ganz schwarz angelaufen war. Er passt Helga gerade, und so hat er ihn ihr geschenkt.
Nun will ich Dir noch vom Dauerwellen machen erzählen, wie ich es dir gestern versprochen habe. Solltest Du den vorherigen Brief noch nicht erhalten haben, so möchte ich dir nochmal schreiben, daß ich mir von einem Teil meines Geburtstagsgeldes, was von dir ist, Dauerwellen habe machen lassen. Also das ging so zu:
Erst wurde das Haar in ca. 20 Rattenschwänze aufgeteilt. Zwischen 2 Gummiplättchen, die zusammen zu klammern gingen, wurde je so ein Haarteil gesteckt. Dann kamen Gummilockenwickler, auf die die Haare aufgerollt wurden, darauf, dann kam ein Stück Papier und darauf eine Klammer.
Dann wurde ein Apparat herangefahren mit ca. 40 Schnüren mit Steckern. Die kamen in jede Seite der Lockenwickler. Dann wurde der Strom eingeschaltet und es wurde ziemlich warm. Geduldig habe ich dagesessen. Endlich wurde alles wieder aufgewickelt. Ich denke, na, endlich fertig. Aber da habe ich mich geschnitten. Ich bekomme einen Waschlappen in die Hand gedrückt und gucke ganz erstaunt. „Ja, nun müssen die Haare gewaschen werden“. Ich habe mein Haupt geneigt, den Waschlappen vor das Gesicht gehalten, und dann ging´s los. Nachdem die Haare abgetrocknet waren, hingen sie in lauter Schlangen herunter. „Die Dauerwellen sind sehr gut geworden“, meinte die Friseuse, was ich aber noch gar nicht finden konnte. Aber nur Geduld, es ging noch weiter. Jetzt fing sie an, Locken zu legen, Kämme und Wickler in die Haare zu tun, bzw. einzuwickeln, dann kommt wieder so ein Ungetüm angerollt, wie eine Kappe, aber aus lauter Röhren. In vielleicht 10cm Entfernung schwebt sie über meinem Kopf, wieder wird der Strom angestellt, und es wird ziemlich warm. So habe ich wieder eine ganze Zeit lang gesessen. Dann behaupteten sie, die Haare wären trocken, wickelten sie von den Wicklern, kämmten sie und ich durfte heimgehen. ¾ Jahr sollen die Locken halten. Wir werden ja sehen, ob´s stimmt.
So viel Lob, wie in letzter Zeit, seit ich die Haare geschnitten habe, habe ich vorher lange Zeit nicht gehört. Aber glaubst Du, es ist doch einmal ganz schön, wenn man auch mal gelobt wird. Da muss ich dem Jürnjakob Swehn Recht geben, der sagt: “Das hat der alte Adam gern, wenn er gelobt wird.“ Das Buch habe ich jetzt auch erst wieder gelesen (ich weiß nicht zum wievielten Mal), und es freut mich immer wieder. Damit hast Du mir auch eine Freude gemacht, als Du es kauftest.
Einige Rasierklingen schicke ich dir heute mit, morgen folgen noch einige. Die hatte ich noch hier. Zu kaufen gibt es augenblicklich kein Stück, in ganz Konstanz. Es kann sein, dass in 10 – 14 Tagen welche herein kommen, aber dann bekomme ich wahrscheinlich auch nur einige Stück. Holen werde ich sie jedenfalls, und in nächster Zeit immer nachfragen.
Nach Halsketten werde ich auch fragen und dir dieselben zuschicken, wenn ich sie bekomme.
Heute war ich doch wieder beim Nähen. Die Leute, mit denen ich sonst immer zusammen sitze, sind ja wieder abgereist. Da hab ich mich an den anderen Tisch gesetzt, und habe es gerade so getroffen, dass ich zu zwei Frauen zu sitzen kam, die die ganze Zeit zu reden hatten. Aber das ist schlimm. Keinen Moment stand der Schnabel ruhig, von 9 bis ½ 12 Uhr. Dabei wurde auch über Herrn Zahn hergezogen. Der hat sich schwer verhasst gemacht in der Austraße, weil er sich in alles einmischt. Einen hat er auch wieder besonders auf dem Korn, der aber scheinbar ein ruhiger Mensch ist. Da hat er es auch wieder mit dem fromm sein. Resi sagte mir schon mal, das bei ihnen kein Mensch Herrn Zahn leiden kann. Die Frauen sagten heute auch, dass Frl. Zahn so unzufrieden sei, weil sie nie fort dürfte und immer alles schaffen muss. Ich habe ja nichts dazu gesagt, und auch nicht gesagt, dass mir Herr Zahn bekannt ist, aber ich habe so gedacht, im Frieden kann er auch mit niemand leben, der sich nicht bevormunden lässt.
Noch eine kleine Bitte habe ich an dich. Schreib mir doch bitte einmal, dass Du mich noch ganz lieb hast, ich hab so Sehnsucht danach. Am liebsten würde ich es von dir selber hören. Aber nur schreiben, wenn es auch ganz bestimmt wahr ist.
Nun grüße und küsse ich Dich, mein liebster Ernst, wieder recht herzlich, Deine Annie.

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