Donnerstag, 7. September 2017

Brief 412 vom 5.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 5.9.42

Heute will ich Dir gleich 3 Briefe beantworten, vom 22., 25. Und 26.8. Den vom 22. Habe ich gestern erhalten, aber leider bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Am Morgen habe ich Äpfel fertig gemacht, dann waren wir, Jörg und ich, beim Gärtner und haben einen Blumenstock für Helga geholt. Wir verlangten „Fleissiges Lieschen“, wie Du mal eins mitgebracht hast. Da führte uns die Gärtnersfrau zu einem Blumentopf, den ich gar nicht kannte. „Nein, die Blumen mag ich nicht, sondern die da vorne stehen“ sagte ich. „Ja, das sind Begonien“ meinte sie. Also habe ich bzw. Jörg, Begonien genommen. Das sind die mit den vielen Blüten. Gegen Mittag habe ich dann Essen gekocht, später habe ich Apfelkuchen gebacken, dann für uns und Vater Pflaumen geholt. Dann war ich wegen Kartoffeln für Vater in der Wilhelmstraße, wo er eingetragen ist. Es gab aber keine, so daß ich unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Gegen Abend habe ich den Geburtstagstisch hergerichtet. An der Schütze hatte ich auch noch etwas zu sticken. Ich war in den letzten Tagen nicht ganz fertig geworden, da ich wenig dazu gekommen bin. Als ich mit allem fertig war, war es bereits 11 Uhr.
Heute Morgen sind wir schon zeitig aufgestanden. Ich habe noch einen schönen Strauß Dahlien aus dem Garten geholt, gewissermaßen noch als einen Gruß von Dir. Dann kam die Bescherung. Helga hat sich riesig gefreut. Sie hat bekommen:
Von Dir 20.- Mk., von Jörg 1 Blumenstock, ¼ Pfund Gebäck, 1.- Mk., von mir 1 Buch „Janne und Didi“,  1 Bluse, 1 schöne Schachtel für ihre Ketten und Armbänder, 1 Holzkette, 1 Brosche, 1 Malbuch, 1 kl. Puppenbett, Pralinen, von Vater 5.- Mk. und Pralinen und von Erna 1 Schürze (die ich noch bestickt habe) und ein Geburtstagstelegramm von Siegfried und Erna. Von Alice kam eine Karte. Von Papa kam ein Brief und ein Buch „Elbsagen“ an. Der Brief war schon gestern eingetroffen, während das Paket, in dem noch Zeitungen waren, heute ankam. Papa teilte mir mit, daß Siegfried bis 13.9 Urlaub hat, und daß Papa am 14.9 zu uns abfährt, so daß er am 15.9. mittags um 11:55 Uhr hier eintrifft. Papa schreibt noch, es fiele ihm schon etwas schwer, die lange Reise zu machen in seinem Alter, außerdem wäre das Geld knapp, aber er wolle doch kommen, schon um sich mit mir nochmal über seine Zukunft zu unterhalten, wie er es jetzt auch mit Siegfried getan habe. Ich bin ja gespannt, wie das wird. Gedanken brauchst Du Dir keine machen, denn ich habe vor, mich gar nicht aufzuregen. Die Kinder freuen sich ja schon auf den Besuch.
Beim Geburtstag von Jörg waren wir doch in Singen im Cafe. Damals bat Helga schon, daß wir doch zu ihrem Geburtstag auch in ein Cafe gehen möchten. Das hatte ich ihr auch versprochen und heute haben wir es nun wahr gemacht. Wir haben ein Stück Torte und ein Eis gegessen. Da war Helga wieder befriedigt.
Nun zu Deinen lieben Briefen. Ganz so schnell, wie du meintest, kommen ja die Briefe von dir hier nicht an. Meist brauchen sie 8 – 10 Tage. Aber laufend habe ich in letzter Zeit Post erhalten. Nur die Päckchen sind noch nicht alle eingetroffen. Das Päckchen Nr.17 können wir ja wahrscheinlich als verloren ansehen. Außerdem sind die Päckchen Nr. 27, 28 und 30 noch nicht angekommen, während sie sonst bis 34 schon alle da sind. Na, vielleicht kommen sie doch noch.
Kuchen oder dergleichen hätte ich Dir jetzt gar nicht viel schicken können, weil wir ja weniger Mehr bekommen wie früher. Da ich aus deinen Briefen weiß, dass ihr noch gut versorgt werdet, hatte ich dir jetzt auch Nichts schicken wollen. Was anderes wär´s, wenn Du nichts hättest, da würde das, was wir hier haben, auch noch für Dich reichen.
An die Beerensträucher traue ich mich nicht so richtig heran, damit ich nichts Falsches wegschneide. Vielleicht geht es auch noch so. Bald kommen ja auch die Brombeeren wieder dran. Davor graut mir, denn die haben gewuchert, dass es schon nicht mehr schön ist. Manche lassen nur die langen Ruten an sich stehen und schneiden die Nebentriebe ab. Meinst Du, dass das richtig ist und soll ich es auch ab machen? Ich glaube auch nicht daran, daß du bald mal Urlaub bekommst, wenn andere von der Ostfront so lange immer nicht heim kommen. Ich denke auch gar nicht dran, sonst wird man nur ungeduldig. Spät nachts klingelte es jetzt mal. Da ist es wie ein Riss durch mich gegangen und ich meinte im Moment, das seist Du, trotzdem ich mir hinterher gleich sagte, dass das nicht der Fall sein konnte. Es war dann nur Frau Leimenstoll, der die Sicherung durchgeschlagen war und die mich fragte, ob ich eine da habe, was ich dann bestätigen konnte. Aber da habe ich erst wieder gemerkt, wie riesengroß die Freude sein würde, wenn Du auf Urlaub kämst. Aber wie gesagt, wir wollen geduldig bleiben.
Es war mir wirklich eine Freude, als Erna hier war. Du meinst, Du könntest mich nicht aus dem Bau locken, solange Du nicht hier seist. Na, ganz so schlimm ist es nicht. Ich gehe ja jetzt öfter mal fort, aber im Sommer ist es am besten, am Sonntag baden zu gehen, denn auf der Bahn oder auf dem Schiff ist ein derartiges Gedränge, dass es keine Erholung mehr ist. Das wird erst mal besser, wenn nicht mehr so viele Fremde hier sind, denn an denen fehlt es bestimmt nicht. Als Erna hier war, konnten wir auch wochentags gehen, da ging es besser, weil da viele von Konstanz doch im Geschäft waren und nicht fahren konnten, was am Sonntag natürlich anders ist.
Wie kannst Du auch glauben, dass es mir langweilig sein sollte, wenn Du mir Deine Erinnerungen an unsere früheren Fahrten schilderst. Im Gegenteil, da erleb auch ich alles nochmals mit. Es war doch eine schöne Zeit, als wir noch zusammen sein konnten.
Die Rasierklingen werde ich Dir besorgen. Es kann schon sein, dass die letzten nicht viel getaugt haben, aber man kann sich jetzt nicht mehr heraussuchen, was man haben will, wenn man nur überhaupt einige Stücke bekommt. Im Allgemeinen gibt es nur 3 Stück.
Die verschiedenen Durchschläge, die du mitgeschickt hast, habe ich noch nicht gelesen, ich wollte erst gleich an Dich schreiben. Die Bilder hebe ich mit auf.
Diesen Brief will ich gleich mit Flugpost wegschicken, damit du für den gestrigen Ausfall eines Briefes entschädigt wirst.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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