Mittwoch, 8. November 2017

Brief 435 vom 7.11.1942


Mein liebster, besterErnst!                                         Konstanz, 7.11.42

Nun sitze ich wieder beim Brief schreiben, denn Du sollst, wenn Du dort ankommst, recht bald einen Gruß von uns erhalten. Jetzt, während ich schriebe, bist Du ja noch innerhalb Deutschlands, und doch wie unerreichbar für mich. Ich kann es ja noch gar nicht fassen, dass Du wieder von uns fort bist. Ich meine immer, es müsste klingeln und Du kämst heim. Der Tag heute war sehr hart. Es hat uns den ganzen Tag umhergetrieben. Von der Bahn aus sind wir zum Beck gegangen und haben die Rechnung bezahlt, dann sind wir zum Tengelmann gegangen und haben den Wein abgeholt. Ich bekam für mich und für Vater je 2 Flaschen Weißwein. Der Wermut, den Du bekommen hast, war eine besondere Gefälligkeit. Da wir an den Flaschen schwer zu tragen hatten, mussten wir heim. Aber wir haben es daheim nicht ausgehalten. Ich habe nur Wäsche eingeweicht, dann haben wir ein Stück Brot gegessen und sind gleich wieder fort gegangen. Für warmes Essen hatten wir hatten wir alle kein Interesse. Um ½ 1 waren wir schon wieder unterwegs. Wir sind dann noch in der Stadt umhergelaufen, haben noch die Blumen für Leipzig bestellt, und sind dann ins Kino gegangen. Das hat uns für einen Augenblick aufgeheitert, aber es hielt nicht lange an. Wieder wollte niemand heim. So sind wir nochmals in der Stadt herumgelaufen, bis wir dann ¼ 7 Uhr mit dem Omnibus nach Hause gefahren sind.
Den großen – gerade musste ich die Kinder aus dem Bett holen, Fliegeralarm, jetzt schon um 9 Uhr. Scheinwerfer suchen den Himmel ab. Zu hören ist bis jetzt nichts. Von Leimenstolls ist jemand draußen und sagt, wenn wir in den Keller müssen. Einstweilen bleiben wir in der warmen Küche. Also, den großen Wunsch der Kinder habe ich heute noch erfüllt und habe ihnen je eine Leuchtplakette in Form einer Blume gekauft. Sie haben sich wohl gefreut, aber als wir heim kamen, und alles so einsam war, waren auch sie wieder traurig. Nun musste ich sie aus dem ersten Schlaf wieder heraus reißen. Für mich ist es so traurig, wenn ich ins Schlafzimmer komme. Da sah ich Dich gestern Abend und auch noch heute Morgen im Bett liegen und nun ist alles so leer und einsam. Nur ein Duft von Deinen Sachen liegt noch in der Luft, darum öffne ich heute auch nicht das Fenster.
Wie schnell doch diese Wochen vergangen sind. Welch große Freude war es, als ich das Telegramm, dass Du kommst. Man meint, solch Urlaub könnte nicht zu Ende gehen. Wir haben ja auch schöne Tage miteinander verlebt, und wir haben die Zeit auch ausgenützt. Wie schön war doch die Fahrt nach dem Haldenhof. Das wird auch eine bleibende Erinnerung für uns sein. Und die schwersten Arbeiten hast Du mir auch abgenommen, das Brombeerenverschneiden, das Umgraben im großen Garten, das Sträucher verschneiden. Dafür möchte ich Dir auch noch sehr danken, ebenso dafür, dass Du mir den Kopf etwas zurecht gerückt hast. Es war notwendig. Ich musste das selber einsehen. Und es ist so lieb von Dir, dass Du es vergessen willst, wenn ich Dich geärgert habe.
10 Minuten nach ½ 10 ist nun der Alarm vorbei. Die Kinder liegen wieder im Bett und schlafen auch schon wieder fest.
Als wir heute im Kino waren, dachte ich daran, wie du vor einigen Tagen noch mit mir den Film angesehen hast. Hinterher waren wir noch in der „Post“ und beim „Adler“. Du hast mich auch darin wieder verwöhnt. Und wir freue ich mich über die Primeln, die Du mir noch geschenkt hast. Sie werden mich immer an diesen schönen Urlaub erinnern, der so unverhofft kam. Wir wollen immer dankbar dafür sein, dass wir wieder einmal zusammen sein durften. Auch über die Bücher freue ich mich sehr. Ich werde öfter Deine liebe Widmung lesen.
Während ich nun hier schreibe, sitzt Du auf der Bahn. Hoffentlich hast Du einen Platz bekommen, wo Du auch etwas schlafen kannst. Du hast es ja noch schwerer, wie wir, denn Du bist ganz allein. Ich habe gestern und heute früh gemerkt, dass es dir auch schwer fällt, wieder fort zu fahren. Ich hab daraus auch gesehen, dass du uns lieb hast und gern bei uns warst. Ich will Dir diese Liebe, die mich so glücklich macht, auch immer mit viel Liebe vergelten.
Ich wollte ja munter bleiben, bis Du in Güsten oder Berlin bist. Aber ich kann es nicht. Es ist so einsam hier. Ich will lieber schlafen gehen und stelle mir den Wecker. Es ist hier so traurig ohne Dich.
Ich bringe jetzt noch den Brief fort, damit Du ihn bald erhältst und nicht so lange warten musst. Du mein lieber, lieber, guter Ernst, ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine traurige Annie.

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