Montag, 27. November 2017

Brief 450 vom 23.11.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 23.11.42

Ich bekam Deinen lieben Brief vom 13.11. Du glaubst gar nicht, wie es mich freut, wenn du mir so von der Fahrt erzählst. Ich erlebe da alles ein wenig mit.
Ich glaube Dir gern, dass es eine ziemliche Überraschung war, als Du unterwegs den einen Kameraden getroffen hast. So hast Du wenigstens ein Stück eine kurzweilige Fahrt gehabt. Das freut mich für Dich.
Deinen Löffel und die Bürste habe ich Dir nun inzwischen doch zugeschickt. Ich dachte, Du würdest die Sachen brauchen.
Gefreut hat es mich, dass Du einen Wunsch geäußert hast. Den Kopfschützer werde ich Dir machen. Ich denke, dass ich ihn bis Samstag fertig habe, damit er noch vor der Päckchensperre ab 30.11. mit fortkommt. So erhältst Du ihn wenigstens bis Weihnachten. Ich werde auf den Karton „Kopfschützer“ schreiben, damit Du dieses Päckchen evtl. schon vorher aufmachen kannst, wenn es kalt ist. Es hat ja dann keinen Wert, erst bis Weihnachten zu warten. Graue Wolle habe ich ja nicht, sondern ein mattes Blau. Aber das wird wohl nichts machen. Erstens bekomme ich jetzt keine Wolle, und zweitens ist die jetzige Wolle etwas kratzig, wie ich an der braunen Wolle, die ich vor einiger Zeit bekam, merke. Und das Kratzen kannst Du doch nicht so gut vertragen.
Das ist fein, dass die Kameraden so gut für Dich gesorgt haben, als Du hier warst. Das wird Dich auch gefreut haben. Du hast doch daran gemerkt, dass Du nicht ganz allein dastehst, sondern dass Deine Kameraden auch etwas Interesse für Dich haben.
Die Marken hast Du also tatsächlich wieder zurück geschickt. Wenn du sie nicht gebraucht hast, ist es auch nicht schlimm. Aber zur Vorsicht hast Du sie wenigstens dabei gehabt. Es ist ja gut, wenn die Verpflegung jetzt noch besser ist, als vorher. Da habt Ihr wenigstens etwas, über das Ihr Euch freuen könnt.
Über das mitgesandte Bild habe ich mich auch sehr gefreut, und mit mir die Kinder. Es steht jetzt auf dem Radio, damit wir es stets sehen. Ich danke Dir dafür.
Gestern Abend hatten wir wieder mal Alarm. Erst wollten wir oben bleiben, als aber die Flieger kamen, sind wir doch alle runter. Von 9 – ½ 11 waren wir unten. Einige Leuchtbomben haben sie geworfen, sonst sind wir verschont geblieben. Heute Morgen war wieder das Rätselraten um den Schulanfang. Schließlich sind doch beide so um 8 Uhr gegangen. Helga hat dann ab 9 Uhr, Jörg ab ¾ 10 Uhr Schule gehabt.
Jörg malt jetzt immer kleine Bilder für sich. Einen „Sonnenuntergang“, einen „Wald“, einen „Wasserfall“ und noch eins ohne Namen hat er bis jetzt fertig. Davon hat er bisher an Kinder 2 Stück verkauft. Eins für 10 Pfg., eins für 5 Pfg. Jörg sagte zu mir: „Siehst Du, so kommt man zu Geld.“ Er ist doch geschäftstüchtig, nicht wahr?
Ein Fräulein, von Fräulein Weber vom Geschäft geschickt, fragte nach Deiner Adresse. Vielleicht bekommst Du wieder eine Kleinigkeit zu Weihnachten.
Der Ottmar von Webers, der nach Russland gekommen ist, hat die Ruhr bekommen, wie Frau Weber sagte. Es ist doch so, wie Du mal schriebst, viele bekommen die ukrainische Krankheit oder sowas. Russland ist eben ein scheußliches Land.
Papa schrieb heute eine Karte, dass sie am Totensonntag nach dem Friedhof gehen würden. Auf Mamas Grab würden sie einen Kranz tun und auf die Gräber von Deiner Mutter und Deinem Bruder je einen Tannenstrauß mit Blumen.
Er schreibt mir das, damit wir sehen, dass unsere Toten auch nicht bergessen werden. Oh, ich vergesse sie auch nicht. Oft muss ich jetzt daran denken, wie wir im vergangenen Jahr noch in Leipzig waren. Die schönen Tage, dann der Abschied auf dem Bahnhof. Ich bin ein paar Mal aus dem Zug gestiegen und habe Mama wieder einen Kuss gegeben und ihr gesagt: „Wir kommen nächstes Jahr wieder.“ Schon eher war ich wieder dort. Und dieses Jahr hat schon eine andere Frau Mamas Platz eingenommen. Aber bei mir nicht, nein!
Du hattest doch geschrieben, was in Berlin auf dem Bahnhof für ein Gedränge war, und auch im Zug. Da habe ich Dir was ausgeschnitten aus dem „Schwarzen Korps“. Das dürfte doch bald stimmen, wie es da gemalt ist. Ein Vergnügen ist so eine Fahrt ja bestimmt nicht, und ich glaube Dir gern, dass Du froh bist, wieder dort zu sein. Da hast Du doch wenigstens festen Boden unter den Füssen und nicht dauernd das Geratter. Was machen eigentlich die Männer, die früher gesagt haben, sie könnten die Bahnfahrt nicht vertragen?
Doch nun Schluss für heute. Ich will nachher gleich noch ein bisschen stricken. Erfriere Dir inzwischen, bis Dich das Päckchen mit den Schützern erreicht, nicht die Ohren und bleib auch sonst ganz gesund, Du mein liebster, bester Ernst. Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine Annie.
Ich schicke Dir noch einen älteren Zeitungsausschnitt mit, der mir immer wieder gefällt. Vielleicht geht Dir´s genauso.

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