Mein liebster Ernst! Konstanz, 23.11.42
Ich bekam Deinen lieben Brief vom 13.11. Du glaubst gar
nicht, wie es mich freut, wenn du mir so von der Fahrt erzählst. Ich erlebe da
alles ein wenig mit.
Ich glaube Dir gern, dass es eine ziemliche Überraschung
war, als Du unterwegs den einen Kameraden getroffen hast. So hast Du wenigstens
ein Stück eine kurzweilige Fahrt gehabt. Das freut mich für Dich.
Deinen Löffel und die Bürste habe ich Dir nun inzwischen
doch zugeschickt. Ich dachte, Du würdest die Sachen brauchen.
Gefreut hat es mich, dass Du einen Wunsch geäußert hast. Den
Kopfschützer werde ich Dir machen. Ich denke, dass ich ihn bis Samstag fertig
habe, damit er noch vor der Päckchensperre ab 30.11. mit fortkommt. So erhältst
Du ihn wenigstens bis Weihnachten. Ich werde auf den Karton „Kopfschützer“
schreiben, damit Du dieses Päckchen evtl. schon vorher aufmachen kannst, wenn
es kalt ist. Es hat ja dann keinen Wert, erst bis Weihnachten zu warten. Graue
Wolle habe ich ja nicht, sondern ein mattes Blau. Aber das wird wohl nichts
machen. Erstens bekomme ich jetzt keine Wolle, und zweitens ist die jetzige
Wolle etwas kratzig, wie ich an der braunen Wolle, die ich vor einiger Zeit
bekam, merke. Und das Kratzen kannst Du doch nicht so gut vertragen.
Das ist fein, dass die Kameraden so gut für Dich gesorgt
haben, als Du hier warst. Das wird Dich auch gefreut haben. Du hast doch daran
gemerkt, dass Du nicht ganz allein dastehst, sondern dass Deine Kameraden auch
etwas Interesse für Dich haben.
Die Marken hast Du also tatsächlich wieder zurück geschickt.
Wenn du sie nicht gebraucht hast, ist es auch nicht schlimm. Aber zur Vorsicht
hast Du sie wenigstens dabei gehabt. Es ist ja gut, wenn die Verpflegung jetzt
noch besser ist, als vorher. Da habt Ihr wenigstens etwas, über das Ihr Euch
freuen könnt.
Über das mitgesandte Bild habe ich mich auch sehr gefreut,
und mit mir die Kinder. Es steht jetzt auf dem Radio, damit wir es stets sehen.
Ich danke Dir dafür.
Gestern Abend hatten wir wieder mal Alarm. Erst wollten wir
oben bleiben, als aber die Flieger kamen, sind wir doch alle runter. Von 9 – ½
11 waren wir unten. Einige Leuchtbomben haben sie geworfen, sonst sind wir
verschont geblieben. Heute Morgen war wieder das Rätselraten um den
Schulanfang. Schließlich sind doch beide so um 8 Uhr gegangen. Helga hat dann
ab 9 Uhr, Jörg ab ¾ 10 Uhr Schule gehabt.
Jörg malt jetzt immer kleine Bilder für sich. Einen
„Sonnenuntergang“, einen „Wald“, einen „Wasserfall“ und noch eins ohne Namen
hat er bis jetzt fertig. Davon hat er bisher an Kinder 2 Stück verkauft. Eins
für 10 Pfg., eins für 5 Pfg. Jörg sagte zu mir: „Siehst Du, so kommt man zu
Geld.“ Er ist doch geschäftstüchtig, nicht wahr?
Ein Fräulein, von Fräulein Weber vom Geschäft geschickt,
fragte nach Deiner Adresse. Vielleicht bekommst Du wieder eine Kleinigkeit zu Weihnachten.
Der Ottmar von Webers, der nach Russland gekommen ist, hat
die Ruhr bekommen, wie Frau Weber sagte. Es ist doch so, wie Du mal schriebst,
viele bekommen die ukrainische Krankheit oder sowas. Russland ist eben ein
scheußliches Land.
Papa schrieb heute eine Karte, dass sie am Totensonntag nach
dem Friedhof gehen würden. Auf Mamas Grab würden sie einen Kranz tun und auf
die Gräber von Deiner Mutter und Deinem Bruder je einen Tannenstrauß mit
Blumen.
Er schreibt mir das, damit wir sehen, dass unsere Toten auch
nicht bergessen werden. Oh, ich vergesse sie auch nicht. Oft muss ich jetzt
daran denken, wie wir im vergangenen Jahr noch in Leipzig waren. Die schönen
Tage, dann der Abschied auf dem Bahnhof. Ich bin ein paar Mal aus dem Zug
gestiegen und habe Mama wieder einen Kuss gegeben und ihr gesagt: „Wir kommen
nächstes Jahr wieder.“ Schon eher war ich wieder dort. Und dieses Jahr hat
schon eine andere Frau Mamas Platz eingenommen. Aber bei mir nicht, nein!
Du hattest doch geschrieben, was in Berlin auf dem Bahnhof
für ein Gedränge war, und auch im Zug. Da habe ich Dir was ausgeschnitten aus
dem „Schwarzen Korps“. Das dürfte doch bald stimmen, wie es da gemalt ist. Ein
Vergnügen ist so eine Fahrt ja bestimmt nicht, und ich glaube Dir gern, dass Du
froh bist, wieder dort zu sein. Da hast Du doch wenigstens festen Boden unter
den Füssen und nicht dauernd das Geratter. Was machen eigentlich die Männer,
die früher gesagt haben, sie könnten die Bahnfahrt nicht vertragen?
Doch nun Schluss für heute. Ich will nachher gleich noch ein
bisschen stricken. Erfriere Dir inzwischen, bis Dich das Päckchen mit den
Schützern erreicht, nicht die Ohren und bleib auch sonst ganz gesund, Du mein
liebster, bester Ernst. Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine Annie.
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