Samstag, 11. November 2017

Brief 439 vom 11.11.1942


Mein liebster, bester Ernst!                            Konstanz, 11.11.42

Nun hast du das Meiste der Fahrt hinter Dir, und wenn alles nach dem Fahrplan gegangen ist, so triffst Du morgen an Deinem Bestimmungsort ein. Hoffentlich war die Fahrt nicht gar so beschwerlich und Du hast zeitweilig Gelegenheit zum Schlafen gehabt. Du wirst mir ja in Deinen Briefen davon berichten. Auf diese freue ich mich schon, denn sie sind ja ein Stück von Dir und es ist, als ob Du selber mit mir reden würdest. Es scheint mir dann, als ob Du doch nicht ganz so weit von uns fort wärst. Erst durch Deine lange Fahrt zu uns nun wieder fort, ist mir die große Entfernung, die zwischen uns liegt, richtig klar geworden. Aber die Gedanken überbrücken auch diese Weite und meine Gedanken sind ja immer bei Dir.
Ich habe heute wieder im Garten geschafft. Der große Garten war ja fertig. Also kam der hinterm Haus dran. Zuerst habe ich die Dahlienstöcke ausgegraben. Dann habe ich im Kreis einen kleinen Graben um den Baum ausgehoben und mit Gülle gefüllt. Hinterher habe ich den ganzen Garten umgegraben. Später habe ich an die Sträucher, die Brombeeren und Erdbeeren Mist getan. Vorm Haus habe ich am Zaun das Beet umgegraben und das Strauchwerk von den blauen Blumen abgeschnitten. Die kleinen Beete am Haus habe ich auch hergerichtet. Nun ist alles fertig bis auf das Spritzen bzw. Stäuben der Sträucher mit Kalk. Das mache ich mal bei Gelegenheit. Den Leimring habe ich auch an den Baum gemacht.
Bei uns ist es jetzt richtig kalt geworden. Gestern Morgen hatte es Reif, aber am Tag war es noch ganz nett warm. Heute hatte es noch mehr Reif und den ganzen Tag über war es kühl. Beim Schaffen habe ich aber nicht viel davon gespürt.
Von Kurt kam heute ein Brief. Er schreibt, dass sie jetzt immer noch viel zu arbeiten haben. An Dich habe er auch einen Brief geschrieben. Vielleicht findest Du ihn schon vor, wenn Du dort ankommst. Das Bild, welches ich ihm geschickt hatte, wo Vater auch mit drauf ist, hat ihm gefallen.  Er meint, Helga sei ja schon wieder ein Stück gewachsen. Ihm selber gehe es gut, nur sei er von der Arbeit und von der Wache etwas müd. Sie würden eben auch 5 – 7 Stunden pro Nacht Wache stehen. Wie es mit Urlaub würde, wüsste er noch nicht, doch würde er wahrscheinlich noch in diesem Jahr dazu kommen. An Vater hat er ein Päckchen mit Rauchwaren geschickt.
Während ich hier schreibe, hat mir Helga schon Arbeit abgenommen, indem sie abgewaschen und abgetrocknet hat. Dafür dürfen jetzt auch alle zwei den Brief mit fortschaffen. Das mögen sie gern, und außerdem können sie ja da die Leuchtplaketten anstecken.
Jörg brachte mir heute die erste Eisplatte. Er hatte sie aus einem Wasserkessel beim Gärtner Leirer geholt und musste sie mir natürlich gleich zeigen. Du siehst also, dass es schon ziemlich kalt ist.
Heute sind ja nun unsere Soldaten durch das unbesetzte Frankreich marschiert. Die Leute werden geschaut haben, denn bisher haben sie doch vom Krieg noch nicht viel gemerkt. Ich muss nachher nochmals richtig den Aufruf des Führers hören. Morgen wird er ja sicher in der Zeitung stehen.
Nun mein liebster Ernst, lass mich schließen. Bleib mir recht gesund und behalte uns lieb. Ich grüße und küsse Dich recht, recht herzlich Deine Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen