Mittwoch, 15. November 2017

Brief 441 vom 13.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 13.11.42

Heute vor einer Woche war Dein letzter Urlaubstag. Ich habe schon den ganzen Tag daran gedacht. Am Nachmittag hatten wir noch gepackt und am Abend waren wir in der Stadt und haben die Koffer fort gebracht. Am Abend ist es mir nachher noch passiert, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich möchte Dich deswegen heut nochmals um Entschuldigung bitten. Als Du einmal aus der Stube gingst, wollte ich nur schnell mal die Augen schließen, da ich sie fast nicht mehr offen halten konnte. Dabei bin ich dann doch gleich eingeschlafen und Du musstest Dich noch am letzten Abend ärgern. Das tut mir auch heute noch leid. Sei mir nicht mehr böse über meine Rücksichtslosigkeit.
Ich will Dir noch vom heutigen Tag erzählen. Heute Morgen habe ich die Lebensmittelkarten geholt. Jörg war inzwischen daheim, denn er hatte keine Schule. Eigentlich hätte er von 8 – 9 Uhr Unterricht gehabt, aber seine Lehrerin hatte Nachtwache bis zum Morgen. Da konnte sie nicht gleich wieder Unterricht halten. Als ich heim kam, habe ich gleich etwas gebügelt, denn Vater sagte mir gestern Abend, er brauche bis morgen ein Hemd. Am Mittag gab es bei uns Möhren. Die hast Du doch das letzte Mal auch gern gegessen. Am Nachmittag bin ich in die Stadt gefahren bzw. ich bin mit den Kindern, die ins Turnen gingen, bis zur Rheinbrücke gelaufen, dann bin ich in die Stadt gefahren. Da traf ich zuerst Resi. Sie lässt Dir einen Gruß ausrichten. Fritz hat geschrieben, sie kämen nach dem Osten. Man weiß ja nicht, ob es sich durch die letzten Ereignisse geändert hat. Ich bin dann zum Kartenanmelden gefahren und habe hinterher die Zeitungen für Dich geholt. Ich hatte gestern immer nur an Dich gedacht und die Zeitungen ganz vergessen. Die Frau schaute mich ganz fremd an und sagte, sie habe keine Zeitungen zurückgelegt, denn ich habe sie ja abbestellt. Ich sagte, dass das wohl ein Irrtum sei. „Nein, der Herr, der sie das letzte Mal geholt hat, hat ausdrücklich betont, es sei das letzte Mal.“ Ich sagte ihr, dass es sich da doch nur um „Das Reich“ handle. Aber sie war ganz verbiestert. Dann habe ich doch noch „Die Post“ und den „Illustrierten Beobachter“ bekommen. Die grüne Post habe ich am Bahnhof geholt. So habe ich doch alle drei zusammen. Ich bin dann noch zum Metzger gefahren. Die haben jetzt auch die Nachricht erhalten, dass ihr Sohn gefallen ist, in Afrika. Nachdem ich beim Ellegast noch „Lohfix“ zum Anzünden geholt hatte, bin ich nochmals zur Luisenschule gefahren und habe die Kinder abgeholt. Ich hatte gar keine Lust, alleine heimzugehen und die Kinder haben sich sehr gefreut. Sie haben mich förmlich mit der Nachricht überfallen, dass sie jetzt doch zu Weihnachten mit auf der Bühne spielen können. Helga singt mit 8 Kindern zusammen. Sie sagte: „Beim Turnen, beim letzten Mal, da hat mich niemand weiter beachtet, weil es so viele waren. Aber diesmal bin ich dann ein „Sonderling“ und man sieht mich. Das habe ich schon lange gerne wollen. Wir müssen jetzt jeden Freitag um 3 schon kommen und nach 5 müssen wir noch dableiben, weil wir üben.“ Jörg freut sich auch schon sehr, dass er mit auf die Bühne darf.
Von Papa bekam ich heute eine Karte. Ich sollte ihm doch die Zeitungen aufschreiben, die ich immer selber kaufe. Die würde er dann Siegfried schicken. Der hätte jetzt schwere Langeweile. Die anderen Zeitungen würde er mir weiterhin schicken. Ein Paket habe er wieder auf den Weg gebracht. Eine Kleinigkeit, ein Andenken an Mama, läge noch bei. Davon sollte ich nichts erwähnen. Am Sonntag werde ich mal wieder meine sämtlichen Briefschulden erledigen. Es hat sich allerhand angesammelt.
In der vergangenen Nacht habe ich von Dir geträumt. Da warst Du wieder hier. Wenn doch nicht gleich das Erwachen hinterher käme und das Wissen, dass es mit dem Kommen wieder gute Weile hat. Aber wir wollen nicht undankbar sein. Wie vile würden uns um den Urlaub beneidet haben.
Für heute grüße und küsse ich Dich wieder recht sehr, mein liebster Mann, Deine Annie.

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