Mein liebster Ernst! Konstanz, 13.11.42
Heute vor einer Woche war Dein letzter Urlaubstag. Ich habe
schon den ganzen Tag daran gedacht. Am Nachmittag hatten wir noch gepackt und
am Abend waren wir in der Stadt und haben die Koffer fort gebracht. Am Abend
ist es mir nachher noch passiert, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich
möchte Dich deswegen heut nochmals um Entschuldigung bitten. Als Du einmal aus
der Stube gingst, wollte ich nur schnell mal die Augen schließen, da ich sie
fast nicht mehr offen halten konnte. Dabei bin ich dann doch gleich
eingeschlafen und Du musstest Dich noch am letzten Abend ärgern. Das tut mir
auch heute noch leid. Sei mir nicht mehr böse über meine Rücksichtslosigkeit.
Ich will Dir noch vom heutigen Tag erzählen. Heute Morgen
habe ich die Lebensmittelkarten geholt. Jörg war inzwischen daheim, denn er
hatte keine Schule. Eigentlich hätte er von 8 – 9 Uhr Unterricht gehabt, aber
seine Lehrerin hatte Nachtwache bis zum Morgen. Da konnte sie nicht gleich
wieder Unterricht halten. Als ich heim kam, habe ich gleich etwas gebügelt,
denn Vater sagte mir gestern Abend, er brauche bis morgen ein Hemd. Am Mittag
gab es bei uns Möhren. Die hast Du doch das letzte Mal auch gern gegessen. Am
Nachmittag bin ich in die Stadt gefahren bzw. ich bin mit den Kindern, die ins
Turnen gingen, bis zur Rheinbrücke gelaufen, dann bin ich in die Stadt
gefahren. Da traf ich zuerst Resi. Sie lässt Dir einen Gruß ausrichten. Fritz
hat geschrieben, sie kämen nach dem Osten. Man weiß ja nicht, ob es sich durch
die letzten Ereignisse geändert hat. Ich bin dann zum Kartenanmelden gefahren
und habe hinterher die Zeitungen für Dich geholt. Ich hatte gestern immer nur
an Dich gedacht und die Zeitungen ganz vergessen. Die Frau schaute mich ganz
fremd an und sagte, sie habe keine Zeitungen zurückgelegt, denn ich habe sie ja
abbestellt. Ich sagte, dass das wohl ein Irrtum sei. „Nein, der Herr, der sie
das letzte Mal geholt hat, hat ausdrücklich betont, es sei das letzte Mal.“ Ich
sagte ihr, dass es sich da doch nur um „Das Reich“ handle. Aber sie war ganz verbiestert.
Dann habe ich doch noch „Die Post“ und den „Illustrierten Beobachter“ bekommen.
Die grüne Post habe ich am Bahnhof geholt. So habe ich doch alle drei zusammen.
Ich bin dann noch zum Metzger gefahren. Die haben jetzt auch die Nachricht
erhalten, dass ihr Sohn gefallen ist, in Afrika. Nachdem ich beim Ellegast noch
„Lohfix“ zum Anzünden geholt hatte, bin ich nochmals zur Luisenschule gefahren
und habe die Kinder abgeholt. Ich hatte gar keine Lust, alleine heimzugehen und
die Kinder haben sich sehr gefreut. Sie haben mich förmlich mit der Nachricht
überfallen, dass sie jetzt doch zu Weihnachten mit auf der Bühne spielen
können. Helga singt mit 8 Kindern zusammen. Sie sagte: „Beim Turnen, beim
letzten Mal, da hat mich niemand weiter beachtet, weil es so viele waren. Aber
diesmal bin ich dann ein „Sonderling“ und man sieht mich. Das habe ich schon
lange gerne wollen. Wir müssen jetzt jeden Freitag um 3 schon kommen und nach 5
müssen wir noch dableiben, weil wir üben.“ Jörg freut sich auch schon sehr, dass
er mit auf die Bühne darf.
Von Papa bekam ich heute eine Karte. Ich sollte ihm doch die
Zeitungen aufschreiben, die ich immer selber kaufe. Die würde er dann Siegfried
schicken. Der hätte jetzt schwere Langeweile. Die anderen Zeitungen würde er
mir weiterhin schicken. Ein Paket habe er wieder auf den Weg gebracht. Eine
Kleinigkeit, ein Andenken an Mama, läge noch bei. Davon sollte ich nichts
erwähnen. Am Sonntag werde ich mal wieder meine sämtlichen Briefschulden
erledigen. Es hat sich allerhand angesammelt.
In der vergangenen Nacht habe ich von Dir geträumt. Da warst
Du wieder hier. Wenn doch nicht gleich das Erwachen hinterher käme und das
Wissen, dass es mit dem Kommen wieder gute Weile hat. Aber wir wollen nicht
undankbar sein. Wie vile würden uns um den Urlaub beneidet haben.
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