Mein liebster Ernst! Konstanz, 26.11.42
Ich hatte Dir ja versprochen, gestern Abend noch zu
schreiben, aber es ging nicht. Doch ich will der Reihe nach erzählen. Gestern
Mittag sind wir also ins Kino gegangen. Es hat uns sehr gut gefallen. Man hat
so gesehen, wie sie im Land herumfahren, wie die einzelnen Theateraufführungen
stattfinden, und unter welch primitiven Umständen manchmal. Wie es aber doch
den Schauspielern und den Soldaten Freude macht.
Nach dem Kino sind wir zum Doktor gegangen, d.h. vorher
haben wir noch eingekauft. Wir kamen ¾ 6 Uhr hin und kamen gleich dran. In
letzter Zeit war die Geschwulst etwas weicher geworden, aber die andere Brust
wurde auch etwas fest. Der Arzt sagte nun, dass wir gar nichts mehr machen
brauchen, denn die natürliche beidseitige Entwicklung habe eingesetzt, und
wegen dieser Sache ist die Behandlung abgeschlossen. Ich will mich nicht zu
früh freuen, aber schön wär´s doch, wenn nun alles gut wär, nicht wahr?
Nachdem wir beim Arzt waren, sind wir mit dem Omnibus
heimgefahren. Zuhause bekam ich plötzlich ein wahnsinniges Kopfweh und es wurde
mir ganz schlecht. Ich konnte den Kopf überhaupt nicht mehr bewegen. Ich habe
dann einmal „gekümmelt“, weil das doch voriges Mal, als Du hier warst, auch
geholfen hat. Aber nichts war´s. Ich wollte gleich ins Bett gehen, aber nichts
war´s, denn gerade gestern kam Vater. Gleich fortschicken konnte ich ihn auch
nicht, denn er fror sehr und bei ihm ist es ja kalt. Also hat er Zeitung
gelesen und ich habe inzwischen mit dem Kopf auf den Armen auf dem Tisch
gelegen. ½ 10 Uhr ist Vater dann gegangen und ich bin gleich ins Bett. Längere
Zeit konnte ich erst nicht einschlafen, weil mir sogar auf dem weichen Kissen
der Kopf so wehtat. Siehst Du, deshalb konnte ich Dir nicht schreiben.
Heute Morgen ist das Kopfweh ziemlich besser, aber ich kann
leider nicht mit baden gehen. Wir bleiben dann sicher alle daheim.
Heute Morgen habe ich mich nun gleich ans Schreiben gesetzt.
Nachher will ich noch die Zeitungen für Dich holen und für Vater die
Gasrechnung bezahlen.
2 Päckchen für Dich nehme ich auch noch mit.
Jörg geht jetzt gerade in die Schule, nachdem er vorhin noch
Schulaufgaben gemacht hat, die er ja gestern nicht machen konnte.
Bei uns ist es jetzt auch kalt geworden. Gestern hatten wir
6 Grad Kälte. Heute habe ich noch nicht gemessen. Aber die Fenster sind
gefroren. Warm ist es also sicher nicht. Fein ist es da, wenn man eine warme
Stube hat, wo man sich fein aufwärmen kann, wenn man heim kommt.
Hoffentlich habt ihr es jetzt auch so gut und müsst nicht
frieren.
In den nächsten Tagen werde ich sicher für die Kinder noch
ein paar Handschuhe stricken. Das gibt dann auch noch ein Weihnachtsgeschenk.
Für die Sonderzuteilung an Zuckerwaren habe ich mich schon eintragen lassen. Da
weiß man doch wenigstens, dass man den Kindern auch davon was unter den
Weihnachtsbaum legen kann. Das ist doch für sie auch eine Hauptsache, etwas zum
Naschen. Backen tue ich ja auch noch. Ende dieser Woche werde ich sicher ein
Backpulver bekommen. Das reicht dann für mehrere Sorten Kleingebäck.
Nun lass mich schließen. Für heute grüße und küsse ich Dich
ganz fest und herzlich, Deine Annie.
Mein lieber, guter Ernst! Konstanz,
26.11.42
Am Morgen habe ich ja einen Brief an Dich geschrieben, aber
jetzt, ehe ich schlafen gehe, will ich doch noch ein wenig an Dich schreiben.
Es fehlt mir einfach, wenn ich nicht mit Dir gesprochen habe, wenn es auch nur
im Brief ist.
Viel war ja heute nicht los. Am Morgen war ich in der Stadt,
Zeitungen holen, konnte aber einstweilen nur die „Grüne Post“ bekommen. Die
anderen erhalte ich am Samstag. Ich habe dann gleich einmal wegen Rasierklingen
geschaut und konnte auch drei Stück erhalten. Nach einem Rasierpinsel habe ich
auch wieder überall gefragt. Damit ist aber nichts zu machen. Am Nachmittag
habe ich verschiedenes aufgeschafft, was in den letzten Tagen liegen geblieben
war. Leider hatte, und habe ich noch, den ganzen Tag Kopfweh. Nicht so schlimm,
wie gestern. Aber ein bisschen hindert es doch beim Schaffen.
Jörg hat heute einige Bilder gemalt, die ich Dir mitschicke.
Er hat sich große Mühe gegeben. Heute Abend hättest Du hier sein müssen. Den
ganzen Abend haben die Kinder gelacht und zuletzt habe ich auch noch mitlachen
müssen. Wir haben gar nicht mehr aufhören können, sogar beim Beten nicht. Da
habe ich den Kindern gesagt, sie sollten woanders hingehen, nicht zu mir, damit
wir nicht lachen müssen. Da ist Helga unter die Bettdecke geschlüpft. Da hat
man dann immer so murmeln hören, und als Jörg noch fragte: „Hörst Du sie?“, da
ging das Lachen wieder los. Uns hat dann alles wehgetan. Aber fröhlich sind die
Kinder doch eingeschlafen.
Ich habe vorhin noch gestopft und nun gehe ich schlafen,
denn ich bin sehr müd und auch das Kopfweh wird wieder schlimmer. Gute Nacht
lieber Ernst, wach gesund wieder auf.
27.11.
Ich habe eine große Freude gehabt, Dein lieber Brief
14.11.ist angekommen, dazu die Bilder und die Briefmarken, die ich aufheben
werde. Was ist das für ein großes, zusammengeschachteltes Gebäude,, vor dem Ihr
photographiert habt?
Das dachtest Du ja auch nicht, als Du hier weg fuhrst, dass
Du dort wegen dem Schlafen so herumziehen müsstest. Wenn Du es aber nur in
deiner behelfsmäßigen Unterkunft einstweilen aushalten kannst. Wohnst Du noch
mit jemand zusammen oder wo sind die anderen Kameraden untergekommen? Du weißt
ja, böse bin ich dir nicht, wenn Du mir Butter schicken könntest. Man kann sie
ausgelassen ja gut aufheben.
Dass Dir die Bilder gefallen haben freut mich. Schade ist
es, dass die Granatsplitter schon so trocken waren und auch noch den Geschmack
von der Holzwolle angenommen haben. Vielleicht kann ich Dir bei Gelegenheit mal
wieder welche schicken, die dann besser schmecken.
Von Siegfried erhielt ich einen längeren Brief, in dem er
von seiner jetzigen Tätigkeit erzählt. Ich schicke ihn mit, wenn ich ihn
beantwortet habe. Er hat ziemlich zu tun und zu beaufsichtigen. Am Tag, ehe er
geschrieben hat, musste er 600 Soldaten impfen. Er ist, wie er schreibt, dabei
schön ins Schwitzen gekommen.
Auf das Kind freut er sich schon sehr, und es ist ihm
gleich, ob es ein Bub oder Mädel ist. Wenn nur Mutter und Kind gesund bleiben.
Siegfried schreibt noch, zur Hochzeit habe ihm Papa voll
Stolz und Freude den Strauß und die Karte von uns gezeigt.
Jetzt fällt mir gerade ein, dass Jörg heute die 30 Pfg. für
seine Karte fürs Theater vergessen hat. Ich werde mich gleich mal fertig machen
und rein fahren, denn er würde sehr traurig sein, wenn er nicht bei der Bühne
sitzen dürfte.
Ich höre deshalb jetzt mit schreiben auf. Sicher fange ich
den nächsten Brief heute Abend noch an.
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