Mittwoch, 15. November 2017

Brief 443 vom 15.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 15.11.42

Ehe ich noch an Siegfried schreibe, will ich erst an Dich schreiben, damit der Brief noch ½ 5 mit weg kommt. Ich sitze heute schon den ganzen Nachmittag an der Schreibmaschine und habe bis jetzt die Briefe an Papa, Erna und Frau Diez fertig gemacht. Die Kleiderkarte schicke ich per Einschreiben an Frau Diez, denn sie ist immerhin sehr wichtig und nicht zu ersetzen, wenn sie weg käme.
Den Brief von Papa, den ich heute erhielt, sende ich Dir mit. Ich weiß nicht, ob er Dir auch einen Durchschlag geschickt hat. Vor seiner Verheiratung hat er doch noch mal an uns gedacht. Dass die Ehe nicht mehr so wird, wie die mit Mama, hat er scheinbar schon gemerkt. Aber das glaube ich auch gern. Denn eine Mama findet er auch nicht wieder. Hoffen wir, dass es ihm soweit gut geht. Ich wünsche ihm bestimmt nichts Böses.
Gestern Abend ist Vater nicht rauf gekommen. Ich habe deshalb Jörg heute früh zu ihm runter geschickt mit 2 Hemden, 1 Wirsing und Rotkraut und dem Brief von Kurt. Als er wieder kam, sagte er, Kurt habe an Deinen Vater geschrieben, dass er zum Obergefreiten befördert worden sei. Rauf gekommen sei Vater nicht, weil er so sehr an Händen und Füssen gefroren habe. Er kommt aber heute Abend. Er hat Jörg auch gesagt, dass er Scharniere für die Tür des kleinen Schränkchens habe, aus eigenem Vorrat. Er habe in der Stadt nachgesehen. Aber da habe es nur welche aus Holz für 90 Pfg. gegeben. Das sei viel zu teuer. Er selber habe nun welche aus Eisen bei sich gefunden und die hätten früher nur 20 Pfg. gekostet. Das macht ihm nun wieder Freude, dass er die teuren nicht kaufen braucht.
Unseren Sohn habe ich heute Mittag erst wieder richtig versohlt. Er wollte wieder seinen Dickkopf durchsetzen und als es nicht ging, meinte er, er würde auch nicht wieder zum Großvater runter gehen. Da hatte es aber geschnappt. Heute Nachmittag ist er nun wieder der beste Kerl und folgt prima. Da es ziemlich kalt draußen ist, sind Helga und Jörg heute auch drin geblieben und spielen. Helga mit ihren Puppen. Dazu haben wir das Kindertischchen aus dem Kinderzimmer geholt. Da sitzen nun alle Puppen und trinken Kaffee. Jörg hat die Zinkwaschwanne oben und lässt seine Schiffle fahren. Er war ganz glücklich, als ich es ihm erlaubte. So ist es ihnen wenigstens nicht langweilig.
Wir haben jetzt immer so dunstiges Wetter. Es klärt sich gar nicht mehr auf. Immer ist der Himmel bedeckt. Nur nachts kommen manchmal die Sterne durch. Und kalt ist es auch. Wenn auch nicht übermäßig, so friert man doch an Händen und Füssen. Es ist ja auch Mitte November und gar nicht anders zu erwarten. Bei Euch wird es wahrscheinlich noch kälter sein. Viel Licht braucht man jetzt wieder, denn gegen 5 Uhr ist es schon dunkel im Zimmer.
Wenn ich nachher noch an Siegfried geschrieben habe, so werde ich noch stopfen und Radio hören. So geht der Sonntag auch vorbei. Es ist nun schon der zweite, an dem Du nicht mehr bei uns bist. Wenn ich nur erst die Nachricht von Dir habe, das Du gut angekommen bist.
Vielleicht hast Du mir auch einen Luftpostbrief geschrieben. Da würde ich ja bald Nachricht bekommen. Gell, ich bin schon wieder ungeduldig, und Du bist schon manchmal mehrere Wochen ohne Nachricht geblieben.
Nun will ich wieder schließen. Bleib gesund, Du mein liebster, bester Ernst und sei recht fest gegrüßt und geküsst von deiner Annie.

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