Samstag, 11. November 2017

Brief 438 vom 10.11.1942


Mein liebster, liebster Ernst!                           Konstanz, 10.11.42

Heute habe ich Deinen lieben Brief aus Berlin bekommen. Ich habe mich so sehr gefreut und gleichzeitig war ich doch traurig, denn es war mir, als würdest Du selber zu mir reden und doch bist Du so weit fort. Du hast Recht, wenn Du schreibst, wie schnell doch die schönen Urlaubstage vergangen sind. Ich kann es manchmal gar nicht glauben, dass es fast 3 Wochen gewesen sind. Dass Dir der Abschied diesmal schwer gefallen ist, das habe ich gemerkt. Wenn Du früher nach Frankreich gefahren bist, war doch die Entfernung nicht so groß und auch die Verhältnisse waren besser. Beim vorigen Urlaub wusstest Du ja schon, dass Du nach Russland kämst, aber eine richtige Vorstellung hattest Du doch noch nicht davon. Uns ist der Abschied auch sehr schwer gefallen. Die Kinder sind soweit wieder drüber weg, denn sie sind ja viel mit anderen Kindern zusammen und vergessen auch schneller. Mir ist das Herz noch sehr schwer, und ich schaffe und schaffe, damit ich nicht so allein dasitzen muss. Denken tue ich dabei aber immer an Dich und mein Herz ist bei Dir. Wir reden auch viel von Dir und rufen uns alles ins Gedächtnis zurück, wie schön es war, als Du hier warst. Helga denkt immer daran, wie Du ihr manchmal leicht auf die Backen geschlagen hast, bzw. sie gestreichelt hast, als wolltest Du damit sagen, wie lieb Du sie hast. (So hat sie es mir gesagt.) Jörg denkt daran, wie Du manchmal mit ihm gespielt hast, mit den Panzern. Und wieviele schöne Erinnerungen habe ich. Die kann man gar nicht alleaufzählen. Vor allem haben wir alle wieder erlebt,wie schön es ist, wenn Du hier bist. Wieviel besser und fröhlicher alles ist. Dafür möchte ich Dir auch noch recht sehr danken.
Ich habe heute im Garten geschafft, im großen Garten. Zuerst habe ich das Rot- und Weißkraut raus gemacht, dann die Möhren und habe die Stücke umgegraben. Das Kraut habe ich eingegraben. Nun habe ich die Roten Rüben raus gemacht und die Längsseite bei den Sträuchern umgegraben. An die Sträucher, die oberen Erdbeeren und den Rhabarber habe ich noch Mist getan. Am Nachmittag habe ich die unteren Erdbeeren ausgeputzt und noch umgegraben, sowie Mist dran getan. Den Rest des Haufens, der nicht verbrannt war, haben die Kinder hinter zum Friedhof geschafft. Der große Garten ist nun soweit fertig, nur die Sträucher habe ich noch nicht mit Kalk gespritzt. Die abgeschnittenen Triebe habe ich auch in die Erde gesetzt.
Im kleinen Garten habe ich die Dahlien abgeschnitten. Es hatte in der Nacht starken Frost, da hingen sie alle welk da. Dann habe ich die Möhren raus getan, das Stück umgegraben und das Brombeergerank verbrannt. Nun kann ich in den nächsten Tagen weiter umgraben.
Bis ich mit meiner Arbeit für heute fertig war, wurde es dunkel. Da habe ich eben aufgehört. Ich bin eigentlich nicht mal müde. Nur meine Hände sind wie ein Reibeisen, ganz rau. Dazu brennen noch die Ratzer von gestern von den Brombeeren ein Bisschen. Das ist alles.
Helga sagte gerade vorhin,  ehe sie ins Bett ging „ ach, wenn doch Vaterle da wäre, das wäre so schön“. Du siehst, auch die Kinder denken immer an Dich.
Ich habe mir heute gedacht, ob Du wohl heute schon bis Kiew gekommen bist. Nach der Zeit gerechnet, müsstest Du ziemlich dort sein. Wenn Du nur erst die Fahrt hinter Dir hast.
Weißt Du, was Du hier vergessen hast? Deine Handbürste. Ich schicke sie Dir bei Gelegenheit mit zu. Die Kölnisch-Wasser-Flasche hast Du wohl absichtlich hier gelassen?
Nun grüße und küsse ich Dich wieder ganz herzlich, mein liebster Mann, und denke immer an Dich,  Deine Annie.

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