Samstag, 23. September 2017

Brief 428 vom 23.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 23.9.42

Viel wird es heute nicht mit dem Schreiben, denn ich bin sehr müd. Papa ist heute früh nach der Reichenau gefahren. Ich bin einkaufen gefahren, habe gekocht, und nach dem Essen habe ich angefangen, Kartoffeln auszubuddeln. Plötzlich sehe ich Papa daherkommen. Er ist von der Reichenau heim gelaufen. Er ist gleich mit zum Kartoffelbuddeln angetreten, und wir haben alle raus gemacht. Im großen Garten waren es 1 ½ Zentner. Die diesjährige Kartoffelzuteilung beträgt 4 Zentner pro Person, sodass ich also 12 Zentner bekomme. Das langt ja gut. Wir müssen sie aber selber holen, und zwar am Güterbahnhof in der Stadt. Es wurden dieses Jahr überhaupt keine gebracht. Nun will Papa morgen mitfahren, und wir wollen erst mal 4 Zentner holen. Ich soll Dir schreiben, dass er nachmittags das Essen abverdienen will, da ich kein Geld will. Grüße soll ich Dir auch ausrichten. Hoffentlich regnet es nicht, denn da fahre ich nicht. Nasse Kartoffeln halten sich nicht. Du wirst Dich überhaupt wundern, dass ich die Kartoffeln nicht bei Webers hole. Die nehmen aber keine Bestellungen an, da Herr Weber nur noch bis Wollmatingen mit dem Auto fahren kann.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 12.9. es ist ja schlimm, dass ihr immer die so genannte Ukrainische Krankheit habt. Das schwächt doch. Da braucht ihr schon gute Kost, damit ihr durchhalten könnt. Hoffentlich wird es nicht zu schlimm.
Das Päckchen Nr.37 mit Butter ist heute gut angekommen. Ich danke Dir sehr dafür. Die kleinen Kisten von den Eiern werde ich also aufheben und Dir wieder zuschicken. Nur brauche ich da wieder Zulassungsmarken.
Vater hatte jetzt mal seinen Wagen geholt, weil er im Geschäft einen Sack Holz bekommen konnte. Heute Abend habe ich mir den Wagen für morgen geholt. Da hat Vater mir gleich einen Sack Holz mitgegeben und hat noch mit ziehen geholfen. Vater hat auch für den Wagen einen Einsatz aus Brettern gemacht, sodass man jetzt gut 1 Zentner Kartoffeln usw. hinein schütten kann.
Nun lass mich schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 427 vom 22.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 22.9.42

Dass ich gestern nicht geschrieben habe, musst Du bitte entschuldigen. Gestern Nachmittag war ich mit Papa im Kino und gestern Abend war Luftschutzübung. Da hättest Du dabei sein müssen. Das reine Theater. Aus Karlsruhe war natürlich niemand da, das war Schwindel vom Schwehr. Dafür kam der Lehrer Leiber. Er hat uns erst einen Vortrag gehalten. Dann fragte er, ob alles in Ordnung sei. Ich sagte nein, der Speicher von Büsings sei dermassen in Unordnung, dass kein Mensch laufen könnte. (da liegt nämlich alles durcheinander, Wäsche, Wäsche- und Sterilisiertöpfe, Koffer, Kinderwagen, Betten usw.) Papa hatte mir gesagt, ich sollte es melden, da ich ja als erster Feuerwehrmann im Ernstfalle der Dumme sei.
Der Lehrer sagte zum Schwehr, er solle danach sehen. Der hat es natürlich übergangen. Frau Büsing war auch nicht erschienen. Sie hätte ja nicht tun brauchen, nur zuzuhören, damit sie auch Bescheid weiß. Dafür hat sie am Fenster geguckt. Darüber haben wir uns auch beschwert, dass sie nicht herunter kommt und auch nie den Luftschutzkeller aufsucht. Wir haben gesagt, dass wir uns im Ernstfalle nicht um diese Familie kümmern würden, denn warum sollen wir wegen deren Dummheit unser Leben gefährden?
Es war dann noch viel Theater. Im Nebenhaus auf dem Speicher haben wir löschen geübt. Trotzdem es vorgeschrieben war, hatte ich als einzige richtige Luftschutzkleidung an (wofür ich zwar auch ein Lob geerntet habe.)
Da Männer, wenn sie da sind, auch mit helfen müssen, hat Herr Leimenstoll mitgeholfen. Er hat sich flach auf den Boden geworfen und hat die Spritze gehalten, ich das Schutzschild. Dann musste ich Rauchvergiftung markieren, dafür musste Frau Bolz antreten. Sie hatte sich ganz in eine Ecke verzogen, damit sie nicht in der Nähe von Herrn Schwehr stand, dafür hatte sie aber wenigstens ihr bestes Kleid angezogen, sodass sie sich überhaupt nicht bewegen konnte.
Unten vorm Haus wurde dann wenigstens gleich die Gelegenheit benutzt, um zwischen Schwehr und Bolz einen Krach zu fabrizieren. Es war sehr erbaulich. Der Schwehr suchte durch schreien zu imponieren, und Frau Bolz konnte ihren Schnabel auch nicht halten. Zum ersten Mal sprach Herr Bolz dazwischen und war wesentlich ruhiger, als der Schwehr. Das bewog Papa, Herrn Schwehr die Meinung zu sagen, worüber sich alle fest gefreut haben. Papa sagte zu ihm:
„Wissen Sie, Herr Schwehr, wenn ich hier wohnte und sie brüllten mich so an, da wäre in den nächsten Minuten eine Meldung bei der Kreisleitung: ´Setzen Sie den Mann ab, der eignet sich ganz und gar nicht zum Luftschutzwart´. Sie haben doch keine Schulbuben vor sich, mit denen Sie so umspringen können, nein, nein, das geht nicht. Entweder müssen Sie sich in Ruhe Respekt verschaffen, oder Sie eignen sich nicht für das Amt.“
Nun wollte Herr Schwehr sagen, Papa hätte hier nichts zu bestimmen, aber der ließ sich nichts sagen.
„Wissen Sie, wenn ich als Gast mit antreten muss, dann kann ich auch was sagen.“ Nachher sagte Herr Schwehr zu mir, sehr verärgert, das wegen Frau Büsing hätte ich nicht erst melden müssen, das hätte er allein gewusst, aber sie hätte ihn am Tage vorher schon so angebrüllt, als er ihr sagte, dass sie mit antreten müsste. Als wir dann ins Haus gingen, hatten Büsings aus reiner Bosheit das Haus abgeschlossen, trotzdem sie es im ganzen Jahr nicht tun. Also Freude über Freude. Jedenfalls hatte ich gar keine Lust mehr zum Schreiben. Mir war alles vergangen. Nur gut, dass wir anderen 3 Familien im Haus so gut harmonieren, und nur ein schwarzes Schaf da ist. Heute früh haben wir über alles wieder richtig lachen müssen.
Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief vom 10. Und heute den vom 7.9. Ich danke Dir für beide sehr. Ich will sie nun nach und nach beantworten.
Vor allem wegen Helga ihrer Brust. Ich schrieb Dir ja, dass es immer noch hart war. Wir haben immer weiter gewärmt und eingerieben. Vorige Woche tat es ihr ziemlich weh. In der Nacht vom Freitag zum Samstag bekam Helga aus der Scheide plötzlich einen ganz scheußlichen Ausfluss, etwas gelb, bald wie Eiter. Ich habe es erst im Nachthemd gesehen, als Helga in der Schule war. Als sie heim kam, fragte ich, wieso das gekommen sei. Sie sagte, es sei auch am Vormittag so gewesen. Ich wollte gleich zum Arzt mit ihr gehen, aber am Samstagnachmittag ist geschlossen. Ich habe ihr da gleich ein Dampfbad machen lassen. Es hatte aber schon aufgehört und ist bis jetzt nicht wieder gekommen, aber an der Brust ist der harte Knollen seitdem ganz verschwunden. Ich will nun in den nächsten Tagen mit Helga nochmals zum Arzt und fragen, ob das zusammen hängt. Ich glaube es sicher, will mich aber doch vergewissern. Die Brust tut ihr seitdem auch nicht mehr weh.
Wegen dem Nähen ist es so, dass ich ganz gern gehe und auch gern helfe, wenn ich kann. Weißt Du, auf die Höheren kann sich der Führer doch nicht so verlassen, da müssen wir anderen schon alle zusammenstehen. Die Reichen, die hängen zu sehr an ihrem Geld, da kommt nichts dagegen auf. Erst jetzt ist hier wieder ein Berliner Industrieller über die Grenze beim Paradies gefahren. Er hatte sich als Beauftragter für irgendwas ausgegeben, und hat dadurch auch erfahren, wenn die Grenze für die Paradieser Gärtner aufgemacht wird und mit 80 Sachen ist er nach der Schweiz gebraust. Ich will damit nicht sagen, dass alle so sind, aber mit diesen Leuten allein würden wir keinen Krieg gewinnen.
Wegen des Geburtstagsbriefes für Vater hast Du mich falsch verstanden. Du meinst, ich hätte ihm den Durchschlag Deines Briefes gegeben, ich habe ihm aber den Originalbrief gegeben, denn den hattest Du wohl an Adolf Rosche, aber nach der Wollmatinger Straße geschickt, sodass er mir mit gegeben wurde.  Ich freue mich auch, dass ich mich mit Vater so gut verstehe. Ein guter Kerl ist er doch, das musste sogar Papa anerkennen, wenn er auch die Einschränkung machte, dass er eben ein bißchen ein Sonderling ist. Dein Vater freut sich aber auch selber, dass wir uns gut verstehen, das hat er erst jetzt wieder zu Papa gesagt. Dass er immer so lange hier bleibt, nehme ich ihm nicht übel, und es macht mir auch nichts weiter aus. Er kommt ja selten, und da ist er eben auch müde vom Schaffen, den ganzen Tag. Er wird eben auch älter und ist nicht mehr so fest, wie früher. Wir wissen ja auch nicht, wie es uns später mal geht.
Im Wege war mir Dein Briefmarkenalbum nicht, es war mir nur immer nicht recht, dass ich so gar keinen guten Platz dafür hatte. Die Briefmarken sind doch Deine Freude, und so sollen sie doch nicht so nebensächlich behandelt werden, sondern sollen auch ihren richtigen Platz haben.
Mit Wäsche bin ich wirklich ganz gut versorgt. Da brauchte ich in nächster Zeit nichts mehr kaufen. Die Hauptsache ist natürlich, dass wir alles heil aus dem Krieg bringen. Aber wenn ihr, meine Lieben, alle gesund bleibt, so soll mir das sogar noch gleich sein. Sachen kann man wieder erarbeiten, Leben nicht.
Um den Garten bin ich immer wieder froh. Man kann sich doch mit manchem helfen. Auc gerade mit den Kartoffeln. Und das Obst nicht zu vergessen. Das haben ja viele Menschen jetzt nicht. Das tut auch den Kindern gut.
Das war der Brief vom 7. Nun will ich den vom 8. Beantworten, den mir der Briefträger soeben gebracht hat, und über den ich lachen musste wegen des russischen Leimes. Also mein Wasserglas ist vollkommen geruchlos, was ja ein großer Vorteil ist, denn Limburger Käse, überhaupt Käse, rieche ich nicht gern.
Wie ich Dir schon schrieb, hat Helga im Schwimmen große Fortschritte gemacht. Bei Jörg klappt es noch nicht ganz. Er bekommt die Beine noch nicht hoch. Wenn ich ihn  aber an der Seite der Badehose halte, geht es schon ganz gut. Ich denke, dass er es auch bald raus haben wird.
Lachen muss ich auch, wenn Du schreibst, dass ich ja wüsste, dass du nicht zu wiedersprechen wagen würdest, auch wenn Du nicht mit dem Kauf eines Hutes einverstanden wärst. Ja, das weiß ich ganz genau, Du armer Kerl. Du traust Dir ja nicht, den Mund aufzutun. Du bist zu bedauern. Meinst Du nicht auch, oder bist Du anderer Meinung?
Die Berliner Illustrierte werde ich also nicht mehr kaufen, während ich Dir die anderen auch weiterhin zuschicke.
Es ist mir wirklich immer eine Beruhigung, wenn ich weiß, wo Du bist, und wie Du untergebracht bist. Wenn die Kameraden auch weiterhin nett sind, so freut mich das sehr. Dass jeder seine Eigenheiten hat, das ist ja nun mal so. Aber Du bist ja auch verträglich. Wenn einer nicht besonders boshaft ist, geht es meistens.
Die Lehrerinnen der Kinder sind scheinbar ganz ordentlich. In nächster Zeit will ich mal zur Lehrerin gehen und mit ihr reden, weil Helga jetzt manchmal so matt und nervös ist, damit sie vielleicht ein bißchen Rücksicht nimmt. Auch wegen der Hauptschule will ich mit ihr sprechen. Aber dafür sollte schon bald ein viertel Jahr vergangen sein, damit sie die Kinder erst richtig kennt.
Papa fährt am Freitagnachmittag wieder weg. Die Tage sind bisher ganz friedlich vergangen. Ich bin zu der Einsicht gekommen, dass es vielleicht doch besser ist, wenn er heiratet. Er ist doch noch ziemlich lebenslustig, und so hat er dann noch seine richtige Ordnung. Für immer harmonieren Papa und Erna doch nicht zusammen. Ich schreibe Dir drüber noch näher, wenn Papa wieder fort ist.
Heute ist der erste Regentag, den wir seit Papas Kommen haben. Papa weiß nicht, was er machen soll. Er möchte immer was schaffen, und so viel hab ich nicht für ihn zu tun. Gestern hat er mir noch die alten Bretter und Holzstücke im Vorraum zersägt und gehackt, sowie den Bienenkorb kaputt gemacht. Es hat alles ziemlich viel Holz ergeben. Die Wände des Bienenkorbes, die aus ziemlich dick geflochtenem Stroh bestehen, nehmen wir jetzt im Luftschutzkeller unter die Füße. Das wird sicher warm halten.
Nun lass mich wieder schließen. Was ich gestern nicht schrieben konnte, das habe ich doch heute wieder gut gemacht, nicht wahr?
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, mein allerliebster Ernst, Deine Annie.

Brief 426 vom 20.9.1942


Mein liebster Mann!                                      Konstanz, 20.9.42

Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Darum will ich von heute erzählen.
Am Morgen- halt, in der Nacht muss ich anfangen. Von 1 – 3 Luftalarm. Über die Schweiz sind die Flieger gekommen, die nach München geflogen sind. Wir waren noch gar nicht fertig angezogen, da flogen schon die ersten über uns weg. Dann kam Welle auf Welle. Wenige sind wieder zurückgekommen. Papa hat im Keller alle unterhalten und es ist viel gelacht worden. Wenn Frau Leimenstoll oder Herr Nußbaumer gesprochen hat, hat Papa kein Wort oder doch was Verkehrtes verstanden. Heute Morgen bin ich vor ¼ 9 Uhr gar nicht munter geworden. Meine Leute standen auch gleich auf, so dass wir bald Frühstück essen konnten. Später ist Papa mit Jörg noch ein Bisschen spazieren gegangen. Dann haben wir zu Mittag gegessen und sind dann zum Stadion gegangen. Um 4 Uhr waren die Wettkämpfe zu Ende. Wir sind dann noch ins Waldhaus Jakob gegangen und haben Bier bzw. Limonade getrunken. Dann sind wir an der Seestraße entlang heimzu gegangen. Unterwegs haben wir noch bei Cafe Müller Eis gegessen. Daheim gab es gleich wieder Abendbrot. Nun ist es ¾ 9 Uhr und die Kinder liegen schon eine Weile im Bett. Helga ist jetzt immer müd. Sie wächst so sehr. Am Essen fehlt es nicht, denn sie isst reichlich und bekommt auch Butter, Wurst usw. Helga legt sich jetzt auch bei tag manchmal auf´s Sofa, um auszuruhen und das kann ihr ja nur gut tun.
Jetzt spielten sie gerade im Radio: „Annchen, herzliebstes Mädel mein, denk dein in der Ferne….“, das hör ich so gerne. Ich mein immer, das könntest Du mir sagen.
Als Jörg mit Papa heute heim kam, brachten sie mir einen großen Strauß Astern mit, den Papa gekauft hatte. Ich habe mich gefreut.
Gestern habe ich zwei Päckchen mit Marmelade an dich abgesandt. Hoffentlich kommen sie gut an und die Marmelade schmeckt dir. Recht guten Appetit. Für heute grüße und küsse ich dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 425 vom 19.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 19.9.42

Diese Woche ist wieder zu Ende. Am Vormittag war Papa beim Angeln an der Rheinbrücke. Helga ist gleich von der Schule aus zu ihm hingegangen und kam mittags mit ihm heim. Ich bin inzwischen einkaufen gegangen und habe Mittagessen gekocht. Später haben wir gegessen. Dann hat mir Papa einige Kartoffeln rausgemacht und ist hinterher mit den Kindern in die Stadt gegangen, wo von den Sportlern, die heute für´s WHW sammeln, geturnt, getanzt, geboxt usw. wurde. Ich hatte inzwischen Zeit, wieder mal alles aufzuräumen. Gegen 7 Uhr kamen sie heim. Wir haben dann Abendbrot gegessen und nun sind die Kinder im Bett.
Vorhin kam Vater. Wir sitzen nun zusammen. Vater und Papa sagen jetzt „Du“ zueinander. Wir haben uns vorhin über alles ausgesprochen. Ich berichte dir wahrscheinlich morgen oder übermorgen darüber. Heute habe ich auf Bitten von Papa einen freundlichen Gruß auf einer Karte bei gefügt.
Wie Papa sagt, hat Frl. Ludwig ihn gebeten, hier her zu fahren und sich mit mir auszusprechen. Papa hatte tatsächlich gemeint, ich würde ihn schlecht empfangen. Dazu wäre ja kein Grund vorhanden gewesen. Da hätte ich ihn ja nicht eingeladen. Aussprechen ist doch besser, als schreiben.
Morgen gehen wir entweder mal auf den Tabor oder in die Bodenseekampfbahn. Es ist Wehrkampf der S.A. Vorhin hatte ich den Brief schon halb geschrieben, aber da ist Cognac drüber gelaufen. Die Brüderschaft musste doch begossen werden.
Nun lass mich schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 424 vom 18.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 18.9.42

Heute erhielt ich Deinen lieben Luftpostbrief vom 11.9. und das Päckchen Nr.36 mit den Eiern. 2 Stück waren schlecht, bzw. gleich angeschlagen. Bei einem war etwas ausgelaufen, beim anderen sah man nur einen Riss, und als ich es in eine Tasse schlagen wollte, gab es direkt einen Krach und es flog auseinander. Einen Gestank hat es verbreitet, das glaubst du nicht. Drei Eier habe ich heute für Kartoffelpuffer verwendet. Ich danke dir jedenfalls sehr dafür, dass du mir welche geschickt hast. Da du nun bald keine mehr sehen kannst, schicke ich dir gerne Marmelade. Ich freue mich ja so, dass ich dir einen Wunsch erfüllen kann, du lieber Kerl.
Die 4 Päckchen, von denen ich dir schrieb, müssen wir wohl abschreiben, aber einen Gauner hat man ja in Konstanz nun erwischt.
4 Rasierklingen habe ich dir wieder besorgen können. Ich schicke sie dir in den nächsten Tagen mit. Papa hat einen Rasierklingenschärfer, mit dem er sehr zufrieden ist.Er will ihn dir schenken. Es ist ein halbrundes Metallding. Das muss man leicht einfetten. Dann ist eine Scheibe mit einem kleinen Knopf da. Das wird auf das Halbrunde gelegt, darauf die Klinge, dass der Knopf durch die Rasierklinge schaut, dann hin und her geschoben. Vielleicht nutzt es dir was, wo die Klingen jetzt so rar sind. Es werden ja jetzt auch nur noch zwei Einheitssorten hergestellt.
Heute Vormittag habe ich Lebensmittelkarten geholt. Helga bekommt diesmal, da sie nun 10 Jahre alt ist, 2600g Brot in der Woche, statt 1700g bisher. Das macht doch schon was aus. Erwachsene bekommen 2000g. Vom nächsten Mal an wird ja die Ration wieder auf 2250g erhöht. Auch gibt es wieder 50g Fleisch mehr. Bei den Kindern bleiben die Brotrationen die gleichen.
Von 11 bis 1 waren die Kinder mit Papa beim Angeln. Dann haben wir Mittag gegessen. Später sind die Kinder ins Turnen und Papa und ich ins Kino gegangen. Es wurde „Die rote Mühle“ gespielt. Hinterher sind wir noch einkaufen gegangen. 1 ½ Pfund Weintrauben haben wir sogar bekommen. Später hat Papa in der „Post“ noch zwei Bier getrunken und wir Limonade. Dann sind wir heimgegangen. Nach dem Abendbrot und dem Aufräumen habe ich mich nun ans Schreiben gesetzt. Nun bin ich aber mit meiner Weisheit zu Ende (wie du manchmal sagst) und will schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 423 vom 17.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 17.9.42

Deine lieben Briefe vom 4., 5. und 6.9. habe ich heute erhalten. Ich bin froh, dass es dir noch soweit gut ging und dass du nicht krank geworden bist.
Die Badetage haben wir, und vor allem die Kinder, wirklich ausgenutzt. Heute bin ich wieder mal mitgegangen. Es war fein. Nur muss man sich bald ins Hallenbad verziehen, es wird schon kühl. Helga hat mir ihre Schwimmkünste vorgeführt. Im Hallenbad, wo wir auch rauf gegangen sind, ist Helga über die ganze Breitseite der Halle geschwommen, wenn auch noch mit zu schnellen Bewegungen. Das sind doch schon gute Fortschritte.
Auch ich erinnere mich gern an alles, was früher so war, an unser ganzes früheres Leben. Aber manchmal muss ich alle Erinnerungen verbannen, denn dann werden Wünsche übermächtig und die Gegenwart ist sehr schmerzlich. Am liebsten gehe ich da gleich schlafen, und am nächsten Morgen habe ich mich wieder soweit gefunden, dass ich meine Arbeit wieder tun kann. Als ich heute deine Schilderung vom Baden las, dachte ich auch so daran, wie ich früher nur soweit schwimmen konnte, wie ich stehen konnte. Dann bekam ich es mit der Angst zu tun. Dann hast Du mir aber gut zugeredet, und zuletzt konnte ich soweit mit hinausschwimmen, dass ich die Pappel von der Mainau sah. Fein war´s damals schon. Dieses Jahr waren wir nun vor allem im Hallen- bzw. Freibad. Es war auch schön, aber das freie Schwimmen hat man doch nicht.
Wenn dir die Erinnerungen eine Stärkung der seelischen Kraft bedeuten, so bin ich sehr froh darüber, sehe ich doch daraus, dass du dich gern an die zusammen erlebten Jahre erinnerst und dass du uns auch nicht vergisst.
Ich glaube nicht, dass die Nähmaschine in der Küche leidet, haben doch Nußbaumers z.B. ihre Maschine schon jahrelang in der Küche. Und bei denen ist es viel feuchter, als bei uns.
Helga hat sich schon ein Bisschen geärgert, dass sie am Geburtstag in die Schule gehen musste. Ich habe es ihr aber dadurch versüßt, dass sie ihr gutes Kleid anziehen durfte. Ich habe ihr auch gesagt, dass es mir früher genauso ging.
Dein Brief an Jörg ist heute angekommen. Er hat ihn mit Freude gelesen und hat öfter lachen müssen. Er will dir bald wieder schreiben. Solange Papa da ist, wird es zwar nichts werden.
Bei uns ist es scheinbar mit dem Sommer auch vorbei. Gegen Abend wird es schon sehr kalt. Man kann gut eine Jacke tragen. Es ist ja auch bald Oktober.
Die Preise von dort sind ja unverschämt hoch. Da kann man ja gar nichts kaufen. Für das Rezept danke ich dir. Ich probiere es sicher mal. Ich denke, dass der Kuchen gut schmecken wird.
Nun hast Du endlich wieder die laufenden Briefe von mir bekommen. Das freut mich. Die Bilder haben dir also auch vergrößert gefallen. Sollte ich so einen ähnlichen Hut bekommen, kaufe ich mir vielleicht einen. Wenn du nur hier wärst. Für dich möchte ich doch vor allem schön sein.
Heute Abend höre ich auch Belgrad und denke dabei ganz besonders an Dich. Ich höre es nicht jeden Abend, weil ich es manchmal nur mit schweren Störungen bekomme. Aber soweit ich kann, werde ich ihn jetzt abends einstellen und werde dadurch etwas mit dir verbunden sein.
Papa war heute Nachmittag beim Angeln. Am Vormittag hat er erst Würmer gesucht und hat meinen ganzen Komposthaufen durcheinander gebracht. Gefunden hat er doch nichts darin, weil er erst neu gebaut war. Dafür hatte er dann in Leimenstolls Misthaufen reiche Ernte. Frl. Ludwig hat heute an Papa 2 Päckchen Zigaretten, ihr Bild und 1000g Brotmarken geschickt.
Nun mein lieber, lieber Ernst, lass mich schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, deine Annie.

Brief 422 vom 16.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 16.9.42

Zuerst möchte ich vor allem schreiben, dass ich heute keinen Brief bekommen habe und ein Bisschen in Sorge bin, weil Du doch im letzten Brief vom 3. Geschrieben hast, dass du nicht ganz gesund warst. Hoffentlich ist es nicht schlimmer, sondern bald besser geworden. Ich wünsche es von ganzem Herzen, du mein lieber Mann.
Nun will ich dir von heute erzählen. Wie ich dir schon schrieb, wollten wir auf den Pfänder. Am Morgen war es trüb, und regnete auch. Aber Papa wollte doch gehen. Mit dem Postomnibus sind wir in die Stadt gefahren, mit dem Schiff ging es um 8 Uhr fort. Bis Lindau regnete es teilweise noch, dann fing es an, sich aufzuhellen. In Bregenz sind wir gleich zur Pfänderbahn gegangen und sind rauf gefahren. Oben haben wir uns erst alles angesehen, die Aussicht war halbwegs gut. Dann haben wir im Pfänderhotel Suppe und Salatplatte (Kartoffelsalat mit grünem Salat, Tomaten, Gurken und Rettich) gegessen. Es hatte sich inzwischen weiter aufgeklärt und ein ziemlich kühler Wind wehte. Um 2 Uhr sind wir wieder herunter gefahren. Dann haben wir mal gesucht, wo wir die Angelkarte für Papa bekommen.  Dreimal sind wir erst falsch wohin geschickt worden, bis wir endlich beim Fischereiamt gelandet sind. Da hat Papa innerhalb ½ Stunde den Ausweis erhalten. Ich muss sagen, die Beamten überall (wir waren noch auf dem Rathaus und dem Landratsamt, nachdem uns erst eine Frau an ein Fischereiartikelgeschäft gewiesen hatte) waren sehr höflich und entgegenkommend. Das war direkt wohltuend. Bis Papa die Karte bekam, sind wir nochmal in ein Cafe gegangen und haben einen Kaffee getrunken. Dann sind wir zum Schiff gegangen. Wir hatten dann eine schöne Fahrt heim. Es hatte heute ziemlich Wellen, so dass es manchmal bis auf´s Deck spritze. Das hat unserem Jörg viel Spaß gemacht.
Die ganze Fahrt hat mich nichts gekostet, Papa wollte alles allein bezahlen. Es war auch ganz schön, nur ist es natürlich nicht so, als wenn wir zusammen gefahren sind. Papa hat nirgends richtige Ruhe. Na, du kennst ihn ja. Dass er so alt geworden ist, wie er manchmal schreibt, das ist auch nicht der Fall. Er rennt noch die ganze Zeit. Auf dem Heimweg kam Papa auf Erna zu sprechen. Da habe ich schon gemerkt, dass wir nicht ganz einer Meinung sind. Übrigens hat Siegfried und Erna ein großes Zimmer für sich gemietet bei einer Frau mit Kinde. 20.-Mk. kostet es im Monat. (Nun hab ich auch noch einen Klex gemacht. Das sollte nicht passieren, aber an der Feder war eine Fussel.)
Als wir heim kamen, haben wir erst noch Abendbrot, Bratkartoffeln mit Sauerkraut, gegessen. Die Kinder sind dann gleich in´s Bett gegangen. Papa hat noch die Nachrichten gehört und hat sich dann auch hingelegt. Ich sitze nun noch alleine hier. Aber schlafen will ich nun auch gehen, denn es ist ¼ 12 Uhr. Du wirst vielleicht schon schlafen, nicht wahr?
Die Kinder haben Papa erzählt, dass sie 117,50 auf der Sparkasse haben. Da hat er jedem 2,50 geschenkt, damit die 120.- voll werden.
Nun wirklich gute Nacht, mein lieber Ernst, wach gesund wieder auf. Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

Freitag, 15. September 2017

Brief 421 vom 15.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 15.9.42

Heute erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 31.8. und 1.9. Über den letzteren habe ich mich ganz besonders fest gefreut. Dein Lob über mein Aussehen auf den Bildern hat mir so gut getan, das glaubst Du gar nicht. Ich bin doch auch eine Frau und möchte Dir gefallen. Die Bilder habe ich Dir nicht nur wegen meiner Frisur geschickt, sondern vor allem, damit Du siehst, wie ich jetzt aussehe. Du sollst doch sehen, daß Du eine Frau hast, an der Du Dich auch ein Bisschen freuen kannst. Die Bilder hat Erna mit unserem Photo gemacht. Verschnitten habe ich sie deshalb, weil sie nicht ganz so waren, wie ich sie wollte. Ich wollte nur Brustbilder haben und nicht fast den ganzen Körper. Es wirkt ganz anders. Sonst war Zaun, Blumen usw. mit drauf.
Den Schrank unterzubringen war gar nicht so schwer.Enger ist es nicht geworden, im Gegenteil ist der Gang zum Fenster breiter, weil der Schrank viel schmaler ist, als die Waschkommode.
Über Deine Schilderung von der Stadt habe ich mich auch gefreut. Man lernt da ein wenig das Land kennen.
Heute Mittag ist nun Papa angekommen. Ich habe ihn von der Bahn abgeholt und wir sind mit dem Postomnibus heimgefahren. Um ¾ 1 ist Papa den Kindern entgegen gegangen, die aus der Schule kamen. Helga hat ihn erkannt, Jörg ist vorbei gelaufen. Nach dem Mittagessen haben die Kinder Schulaufgaben gemacht und Papa hat geschlafen. Dann sind wir in die Stadt gegangen. Bei Müllers haben wir erst ein Eis und ein Stück Torte gegessen. Dann hat sich Papa auf der Polizei angemeldet, dann hat er sich die Grenze angesehen und dann sind wir heimgefahren. Ich hatte leider so rasende Kopfschmerzen bekommen, daß es mir ganz schlecht wurde. Jetzt ist es wieder besser. Wenn es morgen schön sein sollte, wollen wir nach Bregenz fahren. Papa will sich dabei gleich eine Angelkarte inBregenz besorgen. Bis jetzt ist zwar noch ein Gewitter, aber es ist ja möglich, daß es sich aufklärt.
Papa hat uns heute einige Bücher mitgebracht. Für mich: Der Heiland vom Linsenhofe von Schröer und der Schuß von der Kanzel von Meyer. Für Helga: Schlesische Sagen und für Jörg: Wir funken für Franco, von Helmut von Führing.
Nun mein liebster, bester Ernst, bleib mir ganz gesund. Ich grüße und küsse Dich ganz oft und fest. Deine Annie.
Alle meine Leute sind schon im Bett. Auch Papa, denn er war von der Fahrt müde. Ich sitze mit Vater noch allein hier. Er nimmt nachher den Brief noch mit. Ich gehe nun auch bald schlafen, denn ½ 6 heißt es raus, wenn wir fortfahren wollen. Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner immer an Dich denkenden Annie.

Brief 420 vom 14.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 14.9.42

Ich erhielt heute Deine lieben Briefe vom 2. Und 3.9. Leider musste ich lesen, daß es dir gar nicht gut war. Du sprachst zwar die Hoffnung aus, dass es am nächsten Tag vorbei sein möge. Ob es auch der Fall gewesen ist? Ich wäre ja sehr froh darüber und warte nun mit Sehnsucht auf Deinen nächsten Brief. Du mein liebster Schatz, Du darfst dich nicht krank werden.
Der Brief vom 15. Ist dir also doch nachgeschickt worden. Das freut mich wirklich. Daß Du Dich so über Papa ärgerst, das wollte ich ja nicht. Du sollst Dir nicht auch den Kopf schwer machen müssen. Aber Du hast die Äußerung über die Bezahlung der Fracht auch häßlich gefunden. Da sind wir also auch einer Meinung. Aber bei Papa ist es eigenartig, er beleidigt schnell jemand und vergißt schnell, daß er es getan hat. Aber er ist schnell beleidigt, wenn man ihm was sagt. Als ich mal geschrieben habe, wie er früher gegen Dich war, hat er ganz erstaunt zu Erna gesagt:“ Das soll ich getan haben, das kann ich mir nicht denken.“ Aber ich glaube, da haben wir das bessere Gedächtnis.
Ich bin ja gespannt, was Papa alles zu erzählen hat, wenn er kommt. Auf ein paar Predigten kann ich mich ja gefaßt machen. Aber alles mit der Ruhe, nur keine Aufregung.
Von Beeren habe ich geerntet:
Johannisbeeren ca. 20 Pfund. Die die Kinder so vom Strauch gegessen haben, sind nicht dabei. Das macht auch einige Pfund aus.
Stachelbeeren ca. 34 Pfund gepflückte, sonst wie vorstehend.
Erdbeeren ca. 28 Pfund.
Brombeeren hat es keine gehabt, nur einzelne. Aber es hat nirgends welche gehabt, ich habe überall geschaut. Wenn ich sie nur erst wieder verschnitten hätte, es ist jetzt der richtige Urwald.
Wenn Du mir etwas Butter schicken kannst, so bin ich dir natürlich absolut nicht böse. Eine Rücklage schadet ja nie. Wie ich Dir schon schrieb, habe ich ja auch bisher nicht alles verbraucht, sodaß ich zwei kleine Töpfe mit Butter da habe. Von dem Zwieback, den Du uns noch aus Frankreich geschickt hast, habe ich jetzt zwei Mal eine Zwiebacktorte gemacht. Da kommt unten hin Zwieback, darüber Apfelmus oder eine flüssige Marmelade, dann wieder Zwieback und dann Pudding. Davon sind die Kinder begeistert. Die Füllung weicht den Zwieback etwas auf, sodaß er dann wie ein Kuchenteig ist.
Nach einer oder mehreren Blechbüchsen werde ich einmal nachsehen und schicke sie dir dann, ebenso Bindfaden. Wie die Eier ankommen, bin ich auch gespannt. Ich werde sie dann schon bald verbrauchen, wenn sie noch gut sind.
Mit der Gartenarbeit war es in letzter Zeit nicht so schlimm. Man kann jetzt wenig tun, dafür häuft sich die Arbeit in wenigen Wochen, wenn es ans Einkellern und Umgraben geht. Heute habe ich nur mal den Komposthaufen umgestochen. Das meiste ist schon zu Erde geworden. Dann habe ich einige trockene Bohnen gepflückt und ausgekernt.
Geärgert hat sich Helga nicht, daß Jörg erst mehr auf der Sparkasse hatte, denn ich habe sie gleich auf ihren Geburtstag vertröstet. Und sie ist ja auch nicht enttäuscht worden.
Die 2 großen Umschläge mit Briefumschlägen sind heute auch angekommen. Ich kann sie sehr gut brauchen und muß sie nicht auf Eis legen. Ich hatte fast nur die mit „Donau“ noch. Jetzt können die einstweilen noch in Reserve bleiben.
Heute waren die Kinder schon wieder baden. Meinst Du nicht, es müssten ihnen bald Flossen wachsen? Heute hatten mich die Kinder gebeten, ich sollte, wenn ich in die Stadt fahre, mal am Rhein beim Bad rufen. Das habe ich auch getan, und sie kamen gleich oben, wo früher das Cafe im Bad war, angerannt. Ehe ich mich´s versah, war Jörg über´s Gitter geklettert, die Wand runtergerutscht und stand vor mir. Ich dachte: “Wie wir er wieder rauf kommen?“ Aber das ging so fix. Oben am Gitter angefasst, Beine und Arme ein wenig angezogen, und schon stand er wieder oben. An so Sachen sieht man manchmal, wie die Kinder größer werden. Vor einigen Jahren wäre er noch nicht so geklettert.
Von Siegfried bekam ich heute einen Brief, den er kurz vor Urlaubsende geschrieben hat. Aber die Verhältnisse zuhause will er mir nochmals ausführlich schreiben. Ich habe an eran heute eine Karte geschrieben, in der ich mich für die gesandten Backpulver bedankt habe, ebenso für den Geburtstagsbrief.
Nach dem Nachttischlämpchen für Helga laufe ich noch immer herum. Jetzt soll es wahrscheinlich nächste Woche kommen. Ich bin wirklich gespannt, ob´s stimmt? 20 Mal lange nicht, wie oft ich schon danach gelaufen bin.
Vater hat jetzt auch eine Debatte im Geschäft. Sie bekommen doch Zusatzkarten. Davon wurden ihm jetzt Fleisch und Fett abgeschnitten. Dazu soll er noch Nährmittelkarten hergeben und soll zu Mittag in der Kantine essen. Das will er aber nicht, weil er doch nicht alles isst. Jetzt hat er nun Krach gemacht, aber es nutzte nichts. Nun war er auf der Arbeitsfront. Die haben gesagt, das wäre eine neue Bestimmung, wer kurze Mittagspausen hat, dass er nicht heim gehen kann, muß in der Werksküche essen. Vater will nun nochmals auf´sErnährungsamt gehen. Ich bezweifle ja, dass es etwas nützt. Aber richtig finde ich es ja nicht, dass man einfach dort essen muss. Evtl. will Vater auf die Fleisch- und Fettkarten verzichten, aber essen tut er nicht dort.
Sonst hätte ich eigentlich nichts mehr zu berichten. Darum lass mich schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und hoffe, dass Du wieder ganz gesund bist.     Deine Annie.

Brief 419 vom 13.9.1942


Mein lieber Ernst!                                       Konstanz, 13.9.42

Heute, am Sonntagnachmittag, sitze ich allein daheim. Die Kinder sind beim Baden. Ich konnte leider nicht mit. Heiß ist es ja wieder sehr. Am nächsten Samstag wird das Freibad geschlossen. Da wollen sie es noch ausnutzen. Die Kinder freuen sich schon, dass der Baldisch nachher auch ins Hallenbad rauf kommt als Bademeister. Den mögen sie gern.
Du schreibst in Deinem Brief, den ich gestern erhielt, etwas vom Eis essen. Also, den Bauch haben wir uns nicht verkühlt. Dass das Geschäft jetzt zu ist, wird vielleicht daher kommen, dass der Mann genug verdient hat. Da er ja Italiener ist, ist er vielleicht wieder nach Italien gefahren. In Cafes gibt es ja noch Eis, aber so gut ist es doch nicht.
Nun kommt ja Papa bald. Ich will heute schon alles fertig schaffen, was noch zu tun ist. Bloß bei der Hitze und bei den ekelhaften Fliegen hat man gar keine richtige Lust dazu. Vater schafft heute den ganzen Tag in der Fabrik, bis ½ 6 Uhr. Ganz leicht ist es ja für ihn auch nicht mehr.
Hast Du dort eigentlich auch Radio? Vielleicht hörst Du auch heute Nachmittag. Noch wahrscheinlicher wird es aber wohl sein, dass du in der Stadt bist, wenn Du frei hast. Bis jetzt war es mit der Freizeit ja nicht so gut bestellt.
Weißt Du, was ich noch gar nicht getan habe? Dir auf Deinen Geburtstagsbrief geantwortet. Das will ich aber gleich nachholen. Vor allem möchte ich Dir dafür danken, auch besonders für Deine guten Wünsche. Hoffentlich bleibe ich, wie du schreibst, gesund, da wird auch alles weiter gehen. Mir ist die Hauptsache, dass du uns lieb behältst. Da habe ich zu allem Lust und Freude und gebe mir auch Mühe, dass alles richtig klappt.
Wie ich Dir schon schrieb, habe ich das Geburtstagsgeld ja gut verwendet. Du musst dich doch nicht entschuldigen, dass du nur Geld schicken konntest. Ich weiß ja, dass es nichts zu kaufen gibt. Und außerdem hast du so viel Geld geschickt, dass ich wirklich ganz erstaunt war. Dass ich einen Teil gespart habe, darüber wirst du doch nicht böse sein.
Du fügst Deinem Brief noch den Wunsch hinzu, dass wir bald wieder einmal einige Urlaubstage zusammen verleben könnten. Diesen großen Wunsch habe ich auch. Aber es wird wohl nicht so bald möglich sein, darum denke ich so wenig, wie möglich daran. Sonst wird die Sehnsucht immer größer und das Warten noch schwerer.
Nun will ich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 418 vom 12.9.1942


Mein lieber Ernst!                                       Konstanz, 12.9.42

Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen, aber nun will ich gleich damit anfangen, damit es nicht erst wieder Abend wird. Gestern war ich den halben Tag nähen, weil ich die 2 kommenden Wochen nicht gehen kann, wenn Papa kommt. Nachmittags habe ich geputzt und bin einkaufen gefahren. Heute hatte ich es in der Hauptsache mit dem Luftschutz zu tun. Vor allem habe ich den Speicher in Ordnung gebracht und das Kaspertheater auf den Trockenspeicher gestellt. Bei uns war es einfach zu eng, während es auf dem Trockenspeicher gar nicht im Wege steht. Ich habe auch Sandtüten in die Wohnung gestellt, wie es jetzt Vorschrift ist. An der Haustüre, an dem linken kleinen Stück, habe ich neues Verdunklungspapier dran gemacht, die Gasmasken stehen auf dem Korridor. Ich denke, daß soweit alles in Ordnung ist. Wir haben jetzt noch ein neues Warnungszeichen bekommen. 3x gleichmäßiger Entwarnungston bedeutet „Allgemeine Luftwarnung“, und wird dann gegeben, wenn die Flieger eingeflogen sind, aber nur mit einzelnen Abwürfen gerechnet wird. Es geht dann alles einen Gang weiter, aber man richtet alles zum in den Keller gehen her. Wenn man dann Flieger hört, saust man los.
Heute erhielt ich das Päckchen Nr.35 mit Fisch. Die anderen 4 Päckchen, die noch fehlen, sind sicher verloren. Entweder sind sie einem Angriff in Karlsruhe zum Opfer gefallen (wie der Briefträger meinte), oder aber noch wahrscheinlicher sind sie gestohlen worden, denn gestern ist ein langjähriger Beamter der hiesigen Post wegen Diebstahl von Feldpostpäckchen verhaftet worden. Der Name wurde noch nicht bekannt gegeben. (Ich habe gerade den Briefträger gefragt, der mir Deinen Brief vom 30.8. brachte. Buchinger heißt der Dieb. er war bei der Bahnpost.)
Unsere Kinder sind wieder beim Baden. Ich konnte leider nicht mit. Es ist heute wieder sehr heiß. Nur morgens haben wir immer Nebel. Es wird eben doch Herbst.
Nun zu Deinem lieben Brief. Im Theater hat es dir also gefallen. Es wundert einen wirklich, daß es sowas dort gibt. Ob die Bevölkerung bisher auch etwas davon hatte?
Die Fahrt auf den Pfänder war schön, aber die Aussicht war nicht ganz so gut, wie Du sie beschreibst. Dem See zu sah man nicht sehr viel. Vielleicht ist es ein andermal besser.
Siegfried hat die Telefonnummer von Webers schon seit seinem letzten Besuch. Er hätte auch sicher angerufen, aber sie haben nur ausgeladen und sind gleich wieder ab.
Wie ich dir schon schrieb, hat Helga jetzt genau so viel Geld auf der Sparkasse, wie Jörg. Er hatte erst nur durch seinen Geburtstag etwas mehr, was sie ja nun aufgeholt hat.
Ja, Jörg ist ein richtiger Lauser. Ich habe manchmal mit ihm zu tun. Gut ist nur, dass er im Grund gutmütig ist. Aber einen harten Kopf muss ich manchmal haben, denn er versucht auf jede Weise seine Meinung und seine Wünsche durchzudrücken. Bis jetzt hatte ich immer noch den härteren Willen. Ich muss auch aufpassen, dass er recht bleibt. Gestern, als er vom Baden kam, brachte er zwei kleine Holzstangen, so ca. 50cm hoch mit. Ich fragte, woher? Da haben sie sie beim Ellegast geholt. Der Richard von Büsings hatte gesagt, es sieht niemand, wir nehmen sie mit. Als ich das hörte, habe ich mir unseren Jungen vorgenommen. Ich habe zu ihm gesagt: “ Du weißt doch, dass man nichts nehmen darf, auch nicht das Geringste, wa einem nicht gehört. Du weißt doch, dass es bei Büsings heißt, man darf nichts liegen lassen, weil sie stehlen. Soll man das bei dir auch sagen? Wenn auch die Stöcke nur ein paar Pfennig Wert sind, so ist das ganz gleich. Ich will, dass man bei Euch jederzeit alles liegen lassen kann, ohne dass ihr was nehmt.“ Ich habe ihm noch ins Gewissen geredet. Er hat dann sehr geweint und eingesehen, dass es Unrecht ist. Wenn er es aus Dummheit genommen hätte, wäre es nicht so schlimm gewesen, aber weil der Büsing gesagt hat:“…es sieht niemand, da könne wir es nehmen“. Ich will nicht, dass sie unsere Kinder zum Stehlen verleiten. Es ist schlimm genug, dass man vor Büsings nicht liegen lassen kann, ohne dass es weg kommt. Aber deren Mutter findet ja nichts dabei
Aber sonst ist Jörg ein lieber  Kerl. Er lernt gut in der Schule, ist auch aufmerksam. Außerdem ist er ja unser Raupenfänger. Darauf ist er stolz.
Helga hat es jetzt am meisten mit dem Schwimmen. Sie übt unermüdlich.
Nun laß mich schließen. Es ist gleich ½ 5 Uhr. Der Brief soll noch fort. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich  Deine Annie.

Brief 417 vom 10.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 10.9.42

Am Morgen, als ich die Zeitung für Dich holte, habe ich zwei kleine Päckchen mit den Ketten für Dich auf die Post gebracht. Hoffentlich kommen sie gut an.
Ich hatte Jörg auf dem Rad mit in die Stadt genommen, ehe er in die Schule ging. Als wir aus der Post kamen, lief uns Helga entgegen. Ich war ganz erstaunt, wo sie plötzlich her kommt. Da stand die ganze Klasse draußen. Sie haben im Stadtgarten am Thermometer Wetterkunde getrieben. Ich habe die Gelegenheit gleich benutzt und habe die Lehrerin gefragt, ob Helga nächste oder übernächste Woche einmal einen Tag frei bekäme, weil wir mit Papa einmal fortfahren wollten. Sie meinte, eigentlich sollte es nicht sein, aber schließlich hat sie doch eingewilligt. Ich bin dann noch zur Lehrerin von Jörg gefahren. Die sagte:“ Selbstverständlich bekommt er frei.“ Das wäre also erledigt.
Ich habe heute wieder etwas Vorratswirtschaft getrieben. Erst wieder Apfelringe geschnitten, dann Tomatenpüree gekocht, dann Gurkensalat sterilisiert. Mal sehen, wie sich alles hält. Eigentlich wollte ich heute nochmals nähen gehen, weil ich dann zwei Mal nicht gehen kann, wenn Papa da ist. Nun hab ich´s auf Morgen verschoben.
Nachmittags erhielt ich Deinen lieben Brief vom 29.8. mit der Abschrift Deines Gesuchs an die Stadt. Ich finde es ganz gut. Etwas verdutzt war ich eigentlich nur über den Anfang: „Ich bitte, mich zum Stadtsekretär befördern zu wollen.“ Aber es ist sicher gut, wenn sie gleich am Anfang merken, was du willst. Das Schreiben von der Dienststelle ist auch gut, es hat mich gefreut, daß Du gelobt wirst. Man sieht doch, daß sie mit dir zufrieden sind.
Daß Kurt so große Schwünge bei der Schrift macht, ist uns auch gleich aufgefallen. Ich glaube schon, daß es für ihn nicht einfach ist, wieder draußen zu sein. Einige weitere Wochen Urlaub hätten ihm bestimmt nicht geschadet. Mit Erna habe ich mich wirklich gut vertragen. Ich finde, sie ist wirklich verträglich. Früher war Papa ja auch mit ihr zufrieden, aber du weißt ja, wenn er mal gegen jemand was hat, dann ist´s aus. Scheinbar haben sie sich in Leipzig jetzt nochmals ausgesprochen und sich noch über manches geeinigt, wie sie schrieben. Ich werde ja hören, was Papa erzählt, wenn er herkommt.
Unser Jörg hat es jetzt mit dem finden. Vor einigen Tagen hat er den kleinen Ring gefunden, heute eine Rolle Haftgarn und einen kleinen Schraubenschlüssel. Er ist darüber natürlich mächtig stolz. Sie waren heute wieder baden. Helga übt fest das Schwimmen. Dieses Jahr haben sie ja die Badezeit gut ausgenützt.
Nun laß mich wieder schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 416 vom 9.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 9.9.42

Spät ist es heute geworden, schon gleich 10 Uhr. Wir sind gerade von Vater gekommen, dem wir die Kartoffeln gebracht haben, die ich für ihn besorgt habe.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 28.8. Du armer, lieber Kerl. So lange mußt Du auf Post warten. Da habe ich es doch besser.
Heute habe ich 7 Halsketten besorgt, einige zu 1.-, 2 Stück zu -.75 Pfg. und einige noch billiger. Ich schicke sie morgen weg. Die Preise lasse ich dran, damit Du Dich beim Verkaufen danach richten kannst.
Das Geld von Helgas Geburtstag habe ich heute auf die Sparkasse geschafft. Sie hat nun auch 117,50. Von meinem Geburtstag habe ich auch 30.- auf die Kasse gebracht, so daß wir jetzt 448.-Mk. haben. Von dem übrigen Geld habe ich mir noch einen Hüftgürtel gekauft und das andere habe ich so aufgehoben, damit wir bei Papas Besuch nicht ohne jeden Pfennig sind.
Denk Dir, in der vergangenen Nacht habe ich von Dir geträumt. Es war so schön, daß ich Dich schon kannte. Ich bin immer froh, daß es Träume gibt. So sehe ich Dich doch hin und wieder. Noch viel schöner wäre es zwar, wenn Du selber hier wärst.
Helga hat dir heute auch wieder geschrieben. Ich denke, daß Du Dich darüber freuen wirst. Sie hat den Brief ja sogar schön verziert.
Heute erhielt ich von Erna 5 Backpulver und 4 Päckchen Süßstoff. Ich habe mich sehr gefreut, denn das ist jetzt doch was ganz seltenes. Erna hat auch nur von Siegfried noch was da. Die Backpulver verwende ich aber nur zu Honiggebäck, wo man nicht gut Hefe verwenden kann.
Als wir bei Vater waren, sah Jörg viele Streichholzschachteln liegen. Da musste ich Vater fragen, ob er die bekommen kann, denn er kann sie doch verwenden. Vater hat dann jedem 4 Schachteln gegeben. Jörg will nun Eisenbahnen, Helga Puppenwägelchen bauen. Zu was es doch gut ist, wenn man alles aufhebt, nicht wahr?
Du siehst, ich verschreibe mich schon immer. Ich bin so müde, drum schließe ich auch jetzt. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 415 vom 8.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 8.9.42

Die letzten Tage habe ich wohl geschrieben, aber doch immer ziemlich kurz, weil die Zeit immer knapp war. Heute will ich nun einige Sachen nachholen, die immer keinen Platz mehr gefunden haben. Zuerst möchte ich Dir aber für deinen lieben Brief vom 27.8. danken, den ich heute Nachmittag erhielt. Post hattest Du da noch keine erhalten, was aber in der Zwischenzeit wohl behoben ist. Ja, das Warten auf Briefe ist immer schwer.
Jörg lernt jetzt in der Schule auch das lateinisch schreiben, die meisten Buchstaben haben sie jetzt schon gelernt. Ins Hausheft hat er heute auch zum ersten Mal mit Tinte schreiben müssen, was ihn ganz besonders stolz gemacht hat.
Ich habe doch noch den alten Radioapparat da. Als der Wiederstand jetzt kaputt war, habe ich probiert, ob er aushelfen kann. Es ist aber nichts zu machen. Es ist auch so, dass er im Keller ganz verschimmelt. Auf den Speicher kann ich ihn auch nicht stellen wegen dem Luftschutz, da steht auch so noch genug da, was man sonst nicht unterbringen kann. Als ich gestern den Wiederstand holte, sprach der Mayer gerade mit jemand. Sie suchen alte Apparate zum Ausschlachten, damit sie andere Apparate wieder reparieren können. Meinst Du, ich soll ihn hin bringen? Gebrauchen kann ich ihn nicht mehr, und er steht im Weg herum. Bekommen wird man freilich nur ein paar Pfennig dafür, aber so geht er uns auch kaputt. Schreib mir mal darüber.
Mit dem Luftschutz geht es jetzt bei uns auch strenger her. Es müssen etwas Wäsche, Kleider, Papiere, Geld, Lebensmittel- und Kleiderkarten, Bestecke, und etwas zum Essen mitgenommen werden. Außerdem wird kontrolliert, ob Jeder im Keller ist, andernfalls gibt es Strafzettel. Ich habe jetzt auch soweit alles hergerichtet. Ich habe den großen Koffer gepackt und einige Kleidungsstücke hinein getan. In die Truhen, die du mitgebracht hast, habe ich alle neuen Sachen getan und außerdem habe ich noch deinen neuen blauen Anzug dazu gepackt, weil ich meine, wenn ja etwas passiert und Brandbomben ins Haus fallen, so könnte man evtl. noch die Truhen heraus ziehen und so wenigstens noch etwas retten. Bei einer anderen Bombe wäre ja sowieso alle hin, und für diesen Fall möchte ich Dich bitten, Dir doch die Nummern unserer Sparbücher aufzuschreiben. Denn das Geld brauchtest Du doch der Sparkasse nicht zu schenken, wenn uns ja was passieren sollte, was wir zwar nicht hoffen wollen. Die Nummern sind; Unser Buch 19837, Helga 11632, Jörg 16041.
Unsere Kinder waren heute wieder baden. Helga übt immer fleißig das schwimmen, während Jörg noch nicht so viel Lust hat. Wenn ich später öfter mitgehen kann, muss er aber auch mitmachen.
Im Freibad hat Jörg heute einen echten silbernen Ring gefunden, der ganz schwarz angelaufen war. Er passt Helga gerade, und so hat er ihn ihr geschenkt.
Nun will ich Dir noch vom Dauerwellen machen erzählen, wie ich es dir gestern versprochen habe. Solltest Du den vorherigen Brief noch nicht erhalten haben, so möchte ich dir nochmal schreiben, daß ich mir von einem Teil meines Geburtstagsgeldes, was von dir ist, Dauerwellen habe machen lassen. Also das ging so zu:
Erst wurde das Haar in ca. 20 Rattenschwänze aufgeteilt. Zwischen 2 Gummiplättchen, die zusammen zu klammern gingen, wurde je so ein Haarteil gesteckt. Dann kamen Gummilockenwickler, auf die die Haare aufgerollt wurden, darauf, dann kam ein Stück Papier und darauf eine Klammer.
Dann wurde ein Apparat herangefahren mit ca. 40 Schnüren mit Steckern. Die kamen in jede Seite der Lockenwickler. Dann wurde der Strom eingeschaltet und es wurde ziemlich warm. Geduldig habe ich dagesessen. Endlich wurde alles wieder aufgewickelt. Ich denke, na, endlich fertig. Aber da habe ich mich geschnitten. Ich bekomme einen Waschlappen in die Hand gedrückt und gucke ganz erstaunt. „Ja, nun müssen die Haare gewaschen werden“. Ich habe mein Haupt geneigt, den Waschlappen vor das Gesicht gehalten, und dann ging´s los. Nachdem die Haare abgetrocknet waren, hingen sie in lauter Schlangen herunter. „Die Dauerwellen sind sehr gut geworden“, meinte die Friseuse, was ich aber noch gar nicht finden konnte. Aber nur Geduld, es ging noch weiter. Jetzt fing sie an, Locken zu legen, Kämme und Wickler in die Haare zu tun, bzw. einzuwickeln, dann kommt wieder so ein Ungetüm angerollt, wie eine Kappe, aber aus lauter Röhren. In vielleicht 10cm Entfernung schwebt sie über meinem Kopf, wieder wird der Strom angestellt, und es wird ziemlich warm. So habe ich wieder eine ganze Zeit lang gesessen. Dann behaupteten sie, die Haare wären trocken, wickelten sie von den Wicklern, kämmten sie und ich durfte heimgehen. ¾ Jahr sollen die Locken halten. Wir werden ja sehen, ob´s stimmt.
So viel Lob, wie in letzter Zeit, seit ich die Haare geschnitten habe, habe ich vorher lange Zeit nicht gehört. Aber glaubst Du, es ist doch einmal ganz schön, wenn man auch mal gelobt wird. Da muss ich dem Jürnjakob Swehn Recht geben, der sagt: “Das hat der alte Adam gern, wenn er gelobt wird.“ Das Buch habe ich jetzt auch erst wieder gelesen (ich weiß nicht zum wievielten Mal), und es freut mich immer wieder. Damit hast Du mir auch eine Freude gemacht, als Du es kauftest.
Einige Rasierklingen schicke ich dir heute mit, morgen folgen noch einige. Die hatte ich noch hier. Zu kaufen gibt es augenblicklich kein Stück, in ganz Konstanz. Es kann sein, dass in 10 – 14 Tagen welche herein kommen, aber dann bekomme ich wahrscheinlich auch nur einige Stück. Holen werde ich sie jedenfalls, und in nächster Zeit immer nachfragen.
Nach Halsketten werde ich auch fragen und dir dieselben zuschicken, wenn ich sie bekomme.
Heute war ich doch wieder beim Nähen. Die Leute, mit denen ich sonst immer zusammen sitze, sind ja wieder abgereist. Da hab ich mich an den anderen Tisch gesetzt, und habe es gerade so getroffen, dass ich zu zwei Frauen zu sitzen kam, die die ganze Zeit zu reden hatten. Aber das ist schlimm. Keinen Moment stand der Schnabel ruhig, von 9 bis ½ 12 Uhr. Dabei wurde auch über Herrn Zahn hergezogen. Der hat sich schwer verhasst gemacht in der Austraße, weil er sich in alles einmischt. Einen hat er auch wieder besonders auf dem Korn, der aber scheinbar ein ruhiger Mensch ist. Da hat er es auch wieder mit dem fromm sein. Resi sagte mir schon mal, das bei ihnen kein Mensch Herrn Zahn leiden kann. Die Frauen sagten heute auch, dass Frl. Zahn so unzufrieden sei, weil sie nie fort dürfte und immer alles schaffen muss. Ich habe ja nichts dazu gesagt, und auch nicht gesagt, dass mir Herr Zahn bekannt ist, aber ich habe so gedacht, im Frieden kann er auch mit niemand leben, der sich nicht bevormunden lässt.
Noch eine kleine Bitte habe ich an dich. Schreib mir doch bitte einmal, dass Du mich noch ganz lieb hast, ich hab so Sehnsucht danach. Am liebsten würde ich es von dir selber hören. Aber nur schreiben, wenn es auch ganz bestimmt wahr ist.
Nun grüße und küsse ich Dich, mein liebster Ernst, wieder recht herzlich, Deine Annie.

Donnerstag, 7. September 2017

Brief 414 vom 7.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 7.9.42

Der Geburtstag ist nun auch bald vorbei. Ich will Dir davon erzählen.
Am Morgen haben mir die Kinder gratuliert und ich wurde in die Stube geführt. Da hatten sie aufgebaut 2 Blumentöpfe, Begonien, wie wir sie Helga geschenkt haben. (Jetzt muß ich bald Kakteen wegtun) 1 kleines Perlenkettchen, 1 Perlendeckchen, 5 Postkarten (eine Leidenschaft von Jörg) 1 gestreiften Waschlappen und einen kleinen Taschentuchhalter von Helga, den sie selber gemacht hat.
Wir haben dann Frühstück gegessen, Pflaumenkuchen. Hinterher sind die Kinder in die Schule gegangen und ich bin in die Stadt gefahren und habe den Widerstand weggeschafft, den ich übrigens heute Abend frisch gewickelt wiederbekommen habe. Dann habe ich noch was gemacht, du wirst staunen.
Du hast mir doch Geld geschickt, mit dem ich machen kann, was ich will. So habe ich mir Dauerwellen machen lassen. Na, staunst Du nicht? Vater gefällt es sogar gut, denk mal. Die ganze Prozedur erzähl ich dir morgen mal, über 3 Stunden hat es gedauert. Aber der Erfolg ist wenigstens da.
Als ich heim kam, war es gleich Mittag. Ich habe noch Essen gekocht und am Nachmittag sind wir ins Kino, „Die große Liebe“ mit Zarah Leander, Paul Hörbiger, Viktor Stahl und Grete Weiser wurde gespielt. Es war sehr schön. Der Film spielt im Kriege. Nach dem Film sind wir nochmal über die Messe gegangen. Als wir heim kamen, haben wir Abendbrot gegessen und dann kam schon Vater. Er brachte mir 10.-Mk. und ¼ Pfd. Pralinen. Das ist doch sehr schön von ihm. Ich habe mich sehr gefreut und Helga hat ihm für mich einige Küsse geben müssen.
Dich hätte ich gern hier, dass ich dich für deine Geburtstagsgeschenke recht, recht fest abdrücken und abküssen könnte. Das hole ich aber alles nach, wenn du mal auf Urlaub kommst.
Also, du siehst, am Geburtstag habe ich nur gefaulenzt. Von Papa kam ein Brief, dass er mir ein Geschenk mitbringen oder hier etwas kaufen will. Erna schrieb, dass sie das Geschenk für mich noch nicht bekommen habe und sie hoffe, dass sie es Papa mitgeben könne.
Nun laß mich schließen. Morgen früh geht es wieder zum Nähen.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie, Du Liebster, Bester.

Brief 413 vom 6.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 6.9.42

Der Sonntag ist vorbei. Wir waren auf der Messe. Es war wieder ein richtiger Trubel. Erst sind wir durch alle Buden gelaufen und haben uns alles angesehen. Die Kinder haben sich einige kleine Sachen gekauft, Jörg Abziehbilder, einen Zeppelin aus Pappe, Helga eine Klapper für ihre Puppe, 1 Papierstrandhut. Dann sind wir auf´sDöbele gegangen, wo wir erst Mal Eis gegessen haben. Vorher musste ich mich deshalb aber anstellen. Dann sind die Kinder einige Male Karussell gefahren. Hinterher haben wir nochmals Eis gegessen und sind heimzu gegangen. An den Spielwarenbuden musste ich ihnen noch einige Kleinigkeiten kaufen, Helga eine kleine Puppenwärmflasche, Jörg ein Rennauto.
Heute Morgen waren Helga und Jörg bei Vater unten und haben ihm gebügelte Hemden und Falläpfel gebracht. Er hat ihnen gleich je 60 Pfg. für die Messe gegeben. Ich habe während dieser Zeit gekocht, wieder Apfelringe geschnitten und Pfannenkuchen für morgen gebacken. Apfelringe habe ich dieses Jahr schon viel mehr, als im vergangenen Jahr. Übrigens gibt es dieses Jahr wieder schrecklich viel Raupen. Sie kommen bis in die Wohnung gekrochen. Ich mag das Viehzeug ja nicht anfassen, aber die Kinder haben Vorgestern alles Kraut abgelesen.
Gestern schriebst Du, Du freust Dich, dass der Vorschaltwiederstand funktioniert. Du hast es berufen. Als wir heute heim kamen und anstellen wollten, ging es nicht mehr. Ich denke, dass es nur der Wiederstand ist und werde ihn morgen gleich wegschaffen. Könnte man da eigentlich nicht auch noch einen besorgen? Röhren hast Du wohl schon bestellt?
Denk mal, diesen Monat haben wir eine Sonderzuteilung von je 1/4 und 1/8 Käse pro Person bekommen, während doch unsere richtige Zuteilungsmenge pro Person und Monat ¼ Käse und ¼ Quark beträgt. Wir haben also dieses Mal über nochmal soviel bekommen. Ich habe welchen genommen, den ich noch aufheben kann, denn jetzt haben wir ja noch Tomaten und Gurken.
Vorhin haben die Kinder gerade den Geburtstagstisch für mich hergerichtet und nun gehen sie schlafen. Morgen früh wollen wir doch etwas zeitiger aufstehen.
Ich grüße und küsse Dich wieder recht herzlich Deine Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Und von mir auch noch viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.

Brief 412 vom 5.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 5.9.42

Heute will ich Dir gleich 3 Briefe beantworten, vom 22., 25. Und 26.8. Den vom 22. Habe ich gestern erhalten, aber leider bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Am Morgen habe ich Äpfel fertig gemacht, dann waren wir, Jörg und ich, beim Gärtner und haben einen Blumenstock für Helga geholt. Wir verlangten „Fleissiges Lieschen“, wie Du mal eins mitgebracht hast. Da führte uns die Gärtnersfrau zu einem Blumentopf, den ich gar nicht kannte. „Nein, die Blumen mag ich nicht, sondern die da vorne stehen“ sagte ich. „Ja, das sind Begonien“ meinte sie. Also habe ich bzw. Jörg, Begonien genommen. Das sind die mit den vielen Blüten. Gegen Mittag habe ich dann Essen gekocht, später habe ich Apfelkuchen gebacken, dann für uns und Vater Pflaumen geholt. Dann war ich wegen Kartoffeln für Vater in der Wilhelmstraße, wo er eingetragen ist. Es gab aber keine, so daß ich unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Gegen Abend habe ich den Geburtstagstisch hergerichtet. An der Schütze hatte ich auch noch etwas zu sticken. Ich war in den letzten Tagen nicht ganz fertig geworden, da ich wenig dazu gekommen bin. Als ich mit allem fertig war, war es bereits 11 Uhr.
Heute Morgen sind wir schon zeitig aufgestanden. Ich habe noch einen schönen Strauß Dahlien aus dem Garten geholt, gewissermaßen noch als einen Gruß von Dir. Dann kam die Bescherung. Helga hat sich riesig gefreut. Sie hat bekommen:
Von Dir 20.- Mk., von Jörg 1 Blumenstock, ¼ Pfund Gebäck, 1.- Mk., von mir 1 Buch „Janne und Didi“,  1 Bluse, 1 schöne Schachtel für ihre Ketten und Armbänder, 1 Holzkette, 1 Brosche, 1 Malbuch, 1 kl. Puppenbett, Pralinen, von Vater 5.- Mk. und Pralinen und von Erna 1 Schürze (die ich noch bestickt habe) und ein Geburtstagstelegramm von Siegfried und Erna. Von Alice kam eine Karte. Von Papa kam ein Brief und ein Buch „Elbsagen“ an. Der Brief war schon gestern eingetroffen, während das Paket, in dem noch Zeitungen waren, heute ankam. Papa teilte mir mit, daß Siegfried bis 13.9 Urlaub hat, und daß Papa am 14.9 zu uns abfährt, so daß er am 15.9. mittags um 11:55 Uhr hier eintrifft. Papa schreibt noch, es fiele ihm schon etwas schwer, die lange Reise zu machen in seinem Alter, außerdem wäre das Geld knapp, aber er wolle doch kommen, schon um sich mit mir nochmal über seine Zukunft zu unterhalten, wie er es jetzt auch mit Siegfried getan habe. Ich bin ja gespannt, wie das wird. Gedanken brauchst Du Dir keine machen, denn ich habe vor, mich gar nicht aufzuregen. Die Kinder freuen sich ja schon auf den Besuch.
Beim Geburtstag von Jörg waren wir doch in Singen im Cafe. Damals bat Helga schon, daß wir doch zu ihrem Geburtstag auch in ein Cafe gehen möchten. Das hatte ich ihr auch versprochen und heute haben wir es nun wahr gemacht. Wir haben ein Stück Torte und ein Eis gegessen. Da war Helga wieder befriedigt.
Nun zu Deinen lieben Briefen. Ganz so schnell, wie du meintest, kommen ja die Briefe von dir hier nicht an. Meist brauchen sie 8 – 10 Tage. Aber laufend habe ich in letzter Zeit Post erhalten. Nur die Päckchen sind noch nicht alle eingetroffen. Das Päckchen Nr.17 können wir ja wahrscheinlich als verloren ansehen. Außerdem sind die Päckchen Nr. 27, 28 und 30 noch nicht angekommen, während sie sonst bis 34 schon alle da sind. Na, vielleicht kommen sie doch noch.
Kuchen oder dergleichen hätte ich Dir jetzt gar nicht viel schicken können, weil wir ja weniger Mehr bekommen wie früher. Da ich aus deinen Briefen weiß, dass ihr noch gut versorgt werdet, hatte ich dir jetzt auch Nichts schicken wollen. Was anderes wär´s, wenn Du nichts hättest, da würde das, was wir hier haben, auch noch für Dich reichen.
An die Beerensträucher traue ich mich nicht so richtig heran, damit ich nichts Falsches wegschneide. Vielleicht geht es auch noch so. Bald kommen ja auch die Brombeeren wieder dran. Davor graut mir, denn die haben gewuchert, dass es schon nicht mehr schön ist. Manche lassen nur die langen Ruten an sich stehen und schneiden die Nebentriebe ab. Meinst Du, dass das richtig ist und soll ich es auch ab machen? Ich glaube auch nicht daran, daß du bald mal Urlaub bekommst, wenn andere von der Ostfront so lange immer nicht heim kommen. Ich denke auch gar nicht dran, sonst wird man nur ungeduldig. Spät nachts klingelte es jetzt mal. Da ist es wie ein Riss durch mich gegangen und ich meinte im Moment, das seist Du, trotzdem ich mir hinterher gleich sagte, dass das nicht der Fall sein konnte. Es war dann nur Frau Leimenstoll, der die Sicherung durchgeschlagen war und die mich fragte, ob ich eine da habe, was ich dann bestätigen konnte. Aber da habe ich erst wieder gemerkt, wie riesengroß die Freude sein würde, wenn Du auf Urlaub kämst. Aber wie gesagt, wir wollen geduldig bleiben.
Es war mir wirklich eine Freude, als Erna hier war. Du meinst, Du könntest mich nicht aus dem Bau locken, solange Du nicht hier seist. Na, ganz so schlimm ist es nicht. Ich gehe ja jetzt öfter mal fort, aber im Sommer ist es am besten, am Sonntag baden zu gehen, denn auf der Bahn oder auf dem Schiff ist ein derartiges Gedränge, dass es keine Erholung mehr ist. Das wird erst mal besser, wenn nicht mehr so viele Fremde hier sind, denn an denen fehlt es bestimmt nicht. Als Erna hier war, konnten wir auch wochentags gehen, da ging es besser, weil da viele von Konstanz doch im Geschäft waren und nicht fahren konnten, was am Sonntag natürlich anders ist.
Wie kannst Du auch glauben, dass es mir langweilig sein sollte, wenn Du mir Deine Erinnerungen an unsere früheren Fahrten schilderst. Im Gegenteil, da erleb auch ich alles nochmals mit. Es war doch eine schöne Zeit, als wir noch zusammen sein konnten.
Die Rasierklingen werde ich Dir besorgen. Es kann schon sein, dass die letzten nicht viel getaugt haben, aber man kann sich jetzt nicht mehr heraussuchen, was man haben will, wenn man nur überhaupt einige Stücke bekommt. Im Allgemeinen gibt es nur 3 Stück.
Die verschiedenen Durchschläge, die du mitgeschickt hast, habe ich noch nicht gelesen, ich wollte erst gleich an Dich schreiben. Die Bilder hebe ich mit auf.
Diesen Brief will ich gleich mit Flugpost wegschicken, damit du für den gestrigen Ausfall eines Briefes entschädigt wirst.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 411 vom 3.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 3.9.42

Gleich 2 Briefe habe ich heute von Dir bekommen, vom 23. Und 24.8. An dem Tag hattest Du also auch wieder Post von mir bekommen, lange hast Du ja warten müssen. Du fragst, warum Helga ein „Befriedigend“ in Größenlehre hat. Größenlehre ist ja „Rechnen“, und davon hatte ich dir ja schon geschrieben. Die Lehrerin sagte mir ja, daß die 3, bzw. befriedigend, dasselbe sei, wie früher die 2, weil ja jetzt die Zeugnisse bis 6 gehen. Es hätten sich schon manche Eltern beschwert und sie könnte immer nur sagen, daß befriedigend eine gute Note sei. 1 wird überhaupt nicht mehr gegeben, 2 bei überdurchschnittlichen Leistungen und 3 bei gutem Durchschnitt.
Die Briefe von Erna´s Besuch hast Du nun auch erhalten und weißt nun, was wir alles angestellt haben.
Beim Nähen im Ziegelhof ist es so, daß man kommen und gehen kann, wann man will. Es wird nur aufgeschrieben, wieviel Stück man fertig gemacht hat. Früh, wenn ich komme, sind nicht so Viele da. Ich gehe immer dienstags. Da sind Viele auf dem Markt. Die Frauen, die ch da kennen gelernt habe, sind 1. eine Frau aus Koblenz, die mit ihrer Tochter im Bahnhofshotel wohnt, 2. die Frau eines Schiffsingenieurs, 3. die Frau eines Offiziers, 4. Eine Frau, die bei der Beethovenstraße wohnt. Alles ziemlich wohlhabende Leute. Frau Leimenstoll, die nachmittags geht, sagte mir, daß da immer 20 – 25 Frauen da sind. 2 x in der Woche ist im Grünenberg Stopfen von Lazarettwäsche. Ich wollte schon mal hin gehen, habe aber bisher keine Zeit dazu gehabt. Erst mache ich mal meine Sachen fertig. Das Nähen geht bis zum Ende des Krieges.
Mit der Ernte der Äpfel weiß ich auch nicht genau, wie ich fertig werde. Ich werde wahrscheinlich so viele runter langen, wie ich erwische. Das andere muß eben selber herunter fallen.
Von Erna erhielt ich eine Karte, in der sie schreibt, daß Siegfried noch 16 Tage Urlaub bekommen hat. Das ist doch schön, nicht wahr?
Nachdem die Flieger jetzt öfter in der Nähe angreifen, haben wir jetzt einen Koffer mit den nötigsten Sachen gepackt, damit wir nicht ganz ohne was dastehen, wenn was passieren sollte. Den Keller haben wir uns auch ein bißchen eingerichtet. Heute Nacht hatten wir wieder Alarm.
Nun will ich schließen. Die Augen fallen mir zu. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 410 vom 2.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 2.9.42

Erst möchte ich mich entschuldigen, dass ich gestern nicht geschrieben habe, trotzdem doch ein wichtiger Tag für uns war. Ich hatte es mir auch ganz bestimmt für den Abend vorgenommen, aber dann war ich so müd, dass ich gar nicht wusste, was ich schreiben sollte. Tagsüber hatte ich immer zu schaffen, früh war ich ja nähen, und gegen Abend bat mich Jörg, dass ich ihm doch beim Ausschneiden und Zusammenkleben seiner kleinen Modellierhäuser helfen möge. Das habe ich dann auch getan und er hat sich sehr gefreut. Den Bogen hatte er doch am Geburtstag bekommen.
Ich habe gestern ganz besonders fest an Dich gedacht, und war erst direkt ein bisschen traurig geworden, dass wir nicht zusammen sein konnten. Aber das geht ja nun einmal nicht und unvernünftig sind wir ja auch nicht. Also müssen wir bis später warten, wo wir hoffentlich noch recht lange Jahre zusammen sein können.
Heute erhielt ich nun gleich drei Briefe von Dir, vom 19., 20. und 21.8., für die ich dir sehr danke. Du erwähnst zuerst Vaters Geburtstag, und sagst, dass er es im Allgemeinen nicht gern gehabt hat, wenn man viel davon spricht. Ach weißt Du, so abgeneigt ist er nicht mehr, vor allen Dingen, da er dabei so umhalst und abgeküsst wird von unseren beiden Lausern. Ich schrieb dir ja schon, das mag er gern. Sie sagen ja auch, dass sie ihn lieb haben, und darüber freut er sich auch. Als wir am Mittag hinkamen, sagte er gleich:“ Ich wollte gerade Brot holen, ich wäre aber die Schneckenburgstraße rauf gegangen, weil ich mir dachte, dass ihr vielleicht runter kommt." Rauf gekommen ist er an dem Abend auch gern. Ich meine immer, er freut sich, wenn er sieht, es hat ihn jemand gern, denn in den letzten Jahrzehnten hat er doch wenig Freude gehabt. Ich freue mich auch, dass ihn die Kinder gern haben und unterstütze das auch. Er ist ja auch immer gut zu ihnen.
Unterhaltung hättest Du also wieder genug, wenn Du immer von der Dienststelle weg könntest. Vielleicht kannst Du aber doch hin und wieder einmal ein Kino oder Oper besuchen, wenn es auch nicht so oft ist.
Dass ihr gutes Essen habt, finde ich ja schön. Weniger schön finde ich es, dass es sich so vom Mannschaftsessen unterscheidet. Es sollte da eigentlich kein Unterschied bestehen. Nicht, dass ich dir das Essen nicht gönnen würde, das weißt du schon, aber es tut doch draußen jeder seine Pflicht, da sollte auch die Verpflegung die gleiche sein.
Wegen uns brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen das wiederhole ich nochmals. Wir haben noch nicht hungern müssen, und die Einschränkungen sind wir schon gewöhnt. Wenn es so bleibt, kommen wir schon durch.
Mit dem Wotka mit Ei war es schon so, dass es mir schwindlig geworden ist, wenn Du es auch nicht glauben kannst. Du weißt ja, ich vertrage gar nicht viel. Ich habe es ja dann mit Milch getrunken, und da hat es sehr gut geschmeckt.
Wegen dem Schwimmen der Kinder ist es so, dass ich selber großes Interesse daran habe, es ihnen zu lernen. Als ich in der vergangenen Woche mit ihnen baden war, konnte Helga schon 2 – 3 Stöße machen, wenn ich sie nur ganz wenig anhielt. Ich mache es gern, dass ich mit ihnen im Winter öfter ins Hallenbad gehe, um ihnen das Schwimmen richtig zu lernen. Heute sind beide auch wieder im Freibad (Hallenbad). Ich wäre gern mitgegangen, denn es ist heute wieder sehr heiß, aber ich hatte bis vorhin Wäsche. Da ging es schlecht. Vielleicht packe ich´s jetzt noch und fahre hinterher. Mal sehen. Es ist jetzt ½ 5 Uhr. Bis ½ 8 ist ja auf.
Heute Abend will ich noch an der Schürze für Helga´s Geburtstag weiterschaffen, damit sie bis Samstag fertig wird.
Nun lass mich schließen. Ich fahre noch gleich baden. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 409 vom 31.8.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 31.8.42

Das Päckchen Nr.33 mit Butter ist heute prima angekommen. Nicht ein Tropfen ist ausgelaufen. Ich danke dir sehr. Es war ja auch so gut in Heu verpackt, welches noch richtig duftete. Mit der Butter aus Frankreich noch, habe ich jetzt 2 kleine Steintöpfe voll zur Reserve da.
Heute habe ich wieder Geld geholt und auch welches zur Sparkasse geschafft. Unser Guthaben beträgt jetzt 418.-Mk.  80 Mk. habe ich heute eingezahlt, 50.-Mk. vom heutigen Gehalt, 30.-Mk. von dem Geld, das ich für Frankreich noch zurückgelegt hatte (es waren 50.-, so dass noch 20.-Mk. für diesen Zweck bereit liegen).
Nach dem Geld holen waren wir noch beim Doktor. Wir mußten doch heute nochmals hinkommen. Er war mit dem Fortschritt zufrieden. Ich habe mir gleich nochmal Calzipot für Helga verschreiben lassen. Wir haben ziemlich lange beim Doktor warten müssen. ¼ 7 sind wir mit dem Omnibus heimgefahren. Jörg, der zuhause geblieben war, holte uns an der Haltestelle ab. Er hatte nicht mit wollen, das Warten ist ihm immer langweilig. So hat er inzwischen Schulaufgaben gemacht und ist zum Spielen raus gegangen. Einen Schlüssel zur Wohnung hatte er ja umhängen, so dass er jederzeit hinein konnte.
Morgen früh geht es wieder zum Nähen. Vorher muss ich noch Rente für Vater holen. Am Nachmittag will ich Wäsche einweichen, die ich am Mittwoch wasche. Viel zum Feiern komme ich an unserem Hochzeitstag nicht, aber an Dich werde ich immer denken. Du hast ja auch Deine Arbeit dort.
Du kannst Dir denken, wie sich Helga schon auf ihren Geburtstag freut, der ja schon nahe herbei gekommen ist. Wir wollen ihn ihr auch schön herrichten. Die Geschenke habe ich schon soweit zusammen, nur die Schürze muss ich noch fertigsticken. Nachher will ich auch noch ein wenig dran schaffen.
Ich grüße und küsse Dich für heute wieder recht herzlich, Deine Annie.

Brief 408 vom 30.8.1942


Mein liebster Ernst!                                               Konstanz, 30.8.42

Heute möchte ich Dir Deine lieben Briefe vom 16., 17. und 18. Beantworten. Ich habe nun gelesen, dass Du in C. angekommen bist und soweit alles gut vorgefunden hast, außer den kleinen Haustieren. Du hast ja gleich mit rauer Hand zugefasst, als solch ein liebliches Tier mit Dir Bekanntschaft schließen wollte. Wie kann man auch so roh sein.
Ein eigenes Zimmer hast Du auch wieder. Das wird Dich freuen. Aber die Hauptsache ist doch, dass die Kameraden nett sind, denn das verbessert doch gleich alles. Wenn Du durch Zuzahlen etwas besseres Essen bekommen kannst, so nimm das nur wahr. Wer weiß, wie lange das so geht.
Schön ist es bestimmt nicht gewesen, als in Eurem letzten Einsatzort die Flieger so angegriffen haben. Man ist so hilflos dagegen. Es ist ja kein Vergleich dazu, aber als vor 2 Nächten die Flieger so über uns wegflogen, war es doch auch ein komisches Gefühl. Man sitzt so da und könnte sich gar nicht wehren, wenn es ihnen einfallen sollte, Bomben fallen zu lassen. Viel schlimmer ist es ja, wenn man so direkt im Freien steht.
Gespannt bin ich, ob Dein Gesuch an die Stadt Erfolg hat. Zu hoffen wäre es ja, aber wenn man den Mann kennt, der da zu bestimmen hat, so hat man doch manchen Zweifel. Aber auch da heißt es abwarten. Das lernt man ja jetzt.
Wenn sich die Leute geniert (scheniert!) haben, als Du mit einer schäbigen Uniform ankamst, so finde ich das ja einen Quatsch. Wir haben ja schließlich Krieg, und nicht jeder hat eine vornehme Herkunft. Aber böse wirst Du ja über eine bessere Uniform nicht sein, Du hattest Dich ja schon vorher um eine bemüht. Man bewegt sich gleich ein wenig sicherer, wenn man ordentlich angezogen ist.
Ich danke dir, dass du an unseren Hochzeitstag gedacht hast. Wenn du mir nicht dazu schreiben konntest, so ist das gar nicht schlimm. Die Hauptsache ist doch, du denkst daran, und denkst gerne daran. Und das hoffe ich.
Es waren doch schöne Jahre, die wir zusammen verlebt haben. Bereut habe ich es noch nie, und du schreibst ja auch, dass du es noch nicht getan hast, dass wir seinerzeit geheirate haben. Wie der Geburtstagsbrief ausgefallen ist, weiß ich ja noch nicht, denn ich habe ihn ja noch nicht gelesen. Aber ich glaube, dass er mir sicher gefallen wird, denn Dich sehe ich doch im Geist dahinter und weiß auch, dass du an diesem Tag mit deinen Gedanken bei mir bist. Wenn es nach dem Schreiben geht, so bin ich manchmal mit meinen Briefen nicht zufrieden, aber ich meine, Du wirst mich schon verstehen, und weißt, wie ich es meine.
Wenn du schreibst, dass die Ernährung bei der Bevölkerung dort so schlecht ist, so sieht man erst wieder, wie gut wir es doch haben. Ich habe zwar noch nie geklagt, aber man nimmt es doch ziemlich selbstverständlich hin, dass man alles noch soweit bekommt.
Wir waren doch gestern in „Struwelpeter“. Ich hatte mir nicht viel davon versprochen, aber ich muss sagen, ich war sehr angenehm enttäuscht. Es wurde mit einfachen Kulissen und Mitteln gespielt, aber so lebendig und natürlich, dass es wirklich Freude machte. Die Kostüme waren genau dem Bilderbuch nachgemacht. Ich habe nicht bereut, dass ich mit den Kindern gegangen bin.
Heute Morgen waren wir in der Wochenschau. Vor allen Dingen wurden die Kämpfe bei Dieppe gezeigt. Es ist da wirklich schlimm zugegangen. Vielleicht siehst du die Wochenschau auch, da du jetzt in einer Stadt bist. Jedenfalls haben die Engländer den Angriff teuer bezahlen müssen. Vor den Deutschen Stellungen liegen die Toten wie gemäht, und am Strand werden immer Tote angespült, die es dann dauernd hin und her wirft. Auch die Gefangenen sehen schlimm aus, besonders gerade nach der Gefangennahme. Manche werfen ihre Stahlhelme weg, als wollten sie sagen, es hat ja alles keinen Zweck.
Wir haben jetzt immer noch täglich eine reiche Apfelernte. Mindestens 5 Pfund jeden Tag, heute sogar 10 Pfund. Das kommt auf´s Wetter drauf an. Wir machen davon Apfelmus, Apfelringe, und essen sie auch so. Verbraucht werden sie also restlos. Manchmal gebe ich ja auch Nussbaumers und Leimenstolls welche ab, denn kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, und man ist auch froh, wenn einem wieder einmal ein Gefallen getan wird. Und auch sonst, wenn man genügend hat, braucht man ja nicht knausrig sein.
Ich habe dir doch die Bilder von mir geschickt. Wenn ich sie jemand gezeigt habe, auch Vater, sagen alle, so richtig lachend würden sie mich gar nicht kennen, aber das andere Bild wäre so, wie ich immer bin. Lachen würde ich wenig. Was meinst Du dazu? Als Erna da war, hatten wir eben manchmal Spaß, so dass man schon lachen konnte.
Den Sonntag habe ich heute eigentlich nur mit schreiben verbracht. Ich habe an Papa, Erna und Kurt geschrieben. Eigentlich sollte Elsa noch dran kommen, aber ich bin jetzt gar nicht mehr in Stimmung dazu. Außerdem müssen wir Abendbrot essen, es ist schon ¼ 7 Uhr. Es muss erst noch hergerichtet werden. Aber hat sie jetzt schon so lange warten müssen, kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an.
Helga hat doch jetzt eine neue Lehrerin, Fräulein Allgeyer. Bis jetzt scheint sie ganz vernünftig zu sein. Sie haben jede Woche ihren Wochenspruch. Jetzt haben sie vom Schweigen gesprochen. Sie hat ihnen gesagt, dass Schwätzen Blech und Schweigen Gold sei. Ein Mensch müsse auch schweigen können. Ein Mensch, der schweigen könnte, sei auch ein wertvoller Mensch. Dann hat die Lehrerin ihnen gesagt, dass die Mutter ihre Kinder am liebsten hätte, die streng mit ihnen sei, denn sie würde schon ihr Leben sehen, wie es später sei, und wollte sie zu guten Menschen erziehen. Auch in der Schule sei es so. Wir werden abwarten, ob die Lehrerin auch weiterhin so bleibt.
Das hatte ich noch vergessen, zu schreiben. Erna hat mir in ihrem letzten Brief einen Zuckerabschnitt von 900g mitgeschickt. Das ist doch sehr nett. Sie schrieb, dieser Zucker sie für´s Apfelmus bestimmt. Sie sagte mir schon hier, dass sie von Siegfried noch welchen hätte. Aber sie hätte es doch nicht nötig gehabt, mir welchen zu schicken, bzw. die Abschnitte, damit ich mir welchen kaufen kann. Einige Backpulver will sie mir auch noch senden, da es doch jetzt keine mehr gibt, oder höchstens alle Monat mal eins.
Nun lass mich schließen. Bleib gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.