Montag, 2. Mai 2016

Brief 147 vom 26./27.4.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                        Konstanz, 26.4.41       

 Es ist jetzt 1/2 12 Uhr nachts. Du bist nun schon einen ganzen Tag unterwegs. Bis 12 wirst Du noch in Duisburg sein. Und solange warte ich, bevor ich ins Bett gehe. Nachher im Zug wirst Du vielleicht auch ein wenig schlafen können, da schlafe ich dann auch.
Der Tag heute war grau und trostlos. Alles war uns leer ohne dich. Man kann sich so schwer daran gewöhnen, daß Du wieder fort bist. Es ist eben  doch ein ganz anderes Leben, wenn Du da bist. Am unbekümmertsten war Jörg. Er hat sich seine Kaserne auf den Boden gestellt. Unter dem Kindertisch hat er sich den grünen Teppich vorgeholt. Der war eine Wiese. Da der Teppich nicht glatt genug war, hat er ihn sich erst glattgebügelt. Ein bißchen habe ich ihm dabei geholfen. Dann hat er gespielt von heute Vormittag bis heute Abend. Ich muß sagen, durch den Teppich haben die Soldaten wirklich natürlicher gewirkt, als wenn sie nur auf dem Steinboden stehen.
Helga hat mehrere Male um Dich geweint. Ein bißchen haben ich sie trösten können, indem ich mit ihr gerechnet habe. Da haben ihre Augen jedes Mal geglänzt, wenn ich sie loben konnte, daß sie die Aufgaben so schnell heraus bekommt.
Heute Abend habe ich verschiedene Briefe beantwortet. Das hat mich ein bißchen abgelenkt. Die Durchschläge sende ich Dir mit. Bei dem Brief an Frau Diez kommt der Schluß etwas plötzlich, aber ich habe tatsächlich nicht gewußt, was ich noch schreiben soll.
Am Abend ist Vater noch gekommen. Vorhin, gegen 11 Uhr, ist er wieder fortgegangen. Es ist mir heute am wohlsten, wenn ich mit niemand reden muß. Seinen Kopf habe ich wieder fertig gemacht. Es bessert sich jetzt viel.
Die Kinder haben mit heute Abend gesagt, ich soll sie bestimmt wecken, wenn Du von Duisburg weg fährst. Das werde ich dann auch tun. Natürlich werde ich sie nicht hell wach machen.
Jetzt muß ich Dir auch noch etwas trauriges erzählen. Als wir heute früh heim gingen, bin ich bei Kusters wegen der Führermarke mit vorbei gegangen. Erst kam Frau Kuster mit verweinten Augen raus. Ich fragte, ob ihr Mann krank sei. Sie sagte, nein, die Kleinste, die Brigitte. Ich wollte da nicht stören und wollte gehen. Da kam Herr Kuster. Ich habe ihm nun gesagt, was ich wollte, da er danach fragte. Hinterher erkundigte ich mich, was das Kind hat. Es ist Gehirnhautentzündung. Ich wünschte recht baldige Besserung. Da fing auch er an zu weinen und sagte, wir wissen, daß es hoffnungslos ist.
Hätte ich das gewußt, daß das Kind krank ist, wäre ich natürlich nicht hingegangen. Frau Weber sagte mir später, daß das halbe Gesicht und der Hals schon gelähmt sind. Aber das Herz schaffe noch fest. Sie sagte mir auch, daß bei Kusters ein Bub von Frau Kuster zu Besuch war. Der ist auf einmal krank geworden und am Blinddarm operiert worden. Gestern ist auch er gestorben. Kusters werden doch nie fertig. Immer ist jemand krank. Einmal er, einmal sie (sie hat Herzgeschichten durch die vielen Aufregungen). Ihr Vater, also nicht sein Vater, liegt auch schwer krank im Krankenhaus. Die Leute sind doch zu bedauern. Da sieht man erst wieder, wie froh man sein kann, wenn die Familie gesund ist. Gesundheit ist doch das höchste Gut. Was nützt da alles Geld.
Mein lieber Ernst! Jetzt ist es 1.10 Uhr
Du wirst also gleich weiter fahren. Ich gehe nun auch schlafen. Gute Nacht!

Guten Morgen, mein lieber Ernst!                                                          27.4. 

Nun sitzt Du immer noch auf der Bahn. Hoffentlich hast Du ein bißchen schlafen können. Meine ersten Gedanken heute früh gingen zu Dir. Es ist heute gar kein richtiger Sonntag ohne Dich. Zum Tee suchen können wir heute auch nicht gehen, es hat die ganze Nacht geregnet und jetzt sieht es auch trüb aus. Helga freut sich schon aufs rechnen und Jörg sitzt, seit er sich angezogen hat, bei seinen Soldaten. Unter die „Wiese“ hat er an verschiedenen Stellen Bausteine und Rollen gelegt, das sind die Buckel auf dem Exerzierplatz. Vorhin sagte er: „Ich habe heute morgen gar keinen Hunger, ich brauche gar nichts essen.“ Ich merkte natürlich, woher der Wind weht und sagte: „Aber solange wir essen, mußt Du wenigstens am Tisch sitzen.“ Da sagte er ganz aufgeregt: „Dann esse ich auch was, wenn ich doch nicht spielen  darf.“ Jetzt macht er die ganze Zeit Militärmusik, weil alle Soldaten ausmarschieren. Ich werde heute schaffen, wenn auch Sonntag ist, denn zum hin sitzen habe ich doch keine Ruhe. Ich denke immer an Dich. Wenn Du nur gesund hinkommst.
Jetzt ist es 4 Uhr. Da solltest Du eigentlich in einigen Minuten an Deinem Bestimmungsort sein. Aber ganz pünktlich wird wohl der Zug nicht eintreffen. Du wirst froh sein, wenn Du endlich die lange Bahnfahrt hinter Dir hast.
Wir sitzen zu hause. Heute sind schon mehrere Sondermeldungen gekommen. Du wirst sie dort sicher auch gleich hören oder lesen. Das sind ja wieder gewaltige Erfolge. Lange werden sich die Griechen sicher nicht mehr halten können.
Abends. Nun ist der 2. Tag vorbei seit Du fortgefahren bist. Ich bin froh, daß es wieder Abend ist. Ich gehe jetzt schlafen. Als Du hier warst, sind die Tage so fröhlich verlaufen und ich hatte ganz vergessen, daß sie auch so öde sein können. Gut ist es immer wieder, daß ich unsere Kinder habe. Wo wirst Du heute Abend übernachten. Eine Woche wird ja immerhin vergehen, ehe ich auf meine Fragen eine Antwort erhalten kann, denn eher wird kaum ein Brief kommen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst!




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