Montag, 30. Mai 2016

Brief 165 vom 29.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                          Konstanz, den 29.5.41                                 

 Ich schreibe heute doch wieder mit der Schreibmaschine, weil es nicht so anstrengt und ich auch schneller fertig bin.
Daß ich ganz gesund bin, kann ich Dir leider heute auch noch nicht schreiben. Mir selber geht die Besserung viel zu langsam vor sich. Es wartet ja so viel auf mich. Den Kindern wird`s auch schon langweilig. Da ist an den Schuhe etwas kaputt, da sind die Strümpfe zerrissen usw. Ich möchte den Kindern doch auch wieder einmal etwas Richtiges kochen. Meist haben meine Kräfte nur zu Kartoffelbrei oder Pudding gelangt. Es ist gut, daß ich auch noch Fleischmarken  von Dir habe, so hat es doch wenigstens Wienerle oder so etwas dazu gegeben. Heute schwinge ich mich einmal zu Eierkuchen auf, die sich die Kinder gewünscht haben. Ich selber habe bis jetzt auf nichts Appetit, höchstens einmal auf Pudding.
Gestern Nachmittag hat es einen Gewitterregen gegeben und heute Nacht hat es gestürmt und geregnet, daß alles, was nicht niet- und nagelfest war, durch die Luft geflogen ist. Heute Vormittag stürmt es immer noch, nur mit regnen hat es aufgehört. Die meisten Stützen beim Stachelbeerbäumchen hat es auch umgerissen, aber bei dem Sturm kann ich jetzt nicht runtergehen.
Eben bringt mir Jörg zwei Päckchen und drei Briefe von Dir, sowie ein Päckchen von Kurt. Ich will erst alles einmal aufmachen und schreibe dann weiter.
Da hatte ich ja viel zu tun. Zum lesen der Briefe habe ich mich wieder hingelegt. Es sind angekommen die Päckchen 8 und 10 mit den Schuhen für Jörg und den zwei Büchern. Die Schuhe passen prima. Sie sind auch sehr schön. Eines nur macht mir Sorge. Da sind doch ganze Gummiabsätze drauf. Meinst Du, die kann man hier auch wieder richten? Die Bücher freuen mich auch sehr. Nur schade, daß ich sie jetzt nicht lesen kann, aber dazu tut mir der Kopf zu weh.
Es freut mich, daß jetzt auch das Päckchen vom 15. angekommen ist, und daß es Dir langt.
Mit dem Schulranzen ist es so. Ich hatte ihn erst zu Böss geschafft, die mir sagten, daß sie ihn machen könnten. Als ich jetzt nach bald zwei Wochen hinkam sagten sie, daß sie es doch nicht machen könnten. Ich habe ihnen dann gleich gesagt, das hätten sie sicher auch vorher gewußt, da hätte ich nicht extra zwei Wochen warten müssen. Ich habe ihn dann zu dem Sattler gegenüber dem Jugendamt geschafft. Der sagte mir, daß er ihn machen kann. Er macht die Riemen für einen Mädchenschulranzen passend. Auch auffrischen kann er ihn, nur würde er natürlich nicht ganz  wie ein neuer. Das ist ja schließlich auch gar nicht nötig, wenn er nur wieder ordentlich aussieht. Ich will nun mal sehen, wenn ich ihn holen kann, wie er aussieht.
Mit dem neuen Briefmarkensatz ist es auch Geldschneiderei. Das sind die Briefmarken von der Post, die Du schon einmal hast, nur mit etwas anderen Farben. Herr Kuster hat sich auch darüber geärgert.
Du bist ein Schelm! Wenn Du mir nicht direkt schreiben darfst, wir sollen Dir nichts schicken, so tust Du es hintenherum. O, wenn ich Dich doch da hätte, daß ich Dich an Deinen Haaren reißen könnte. Das wäre die gerechte Strafe für Dich. Das mußt Du selber einsehen.
Mit dem ausgehen zu Pfingsten in den neuen Schuhen wird es wohl nun nichts. Aber ich werde ja auch später noch Gelegenheit haben, sie zu tragen.
Der Brief an Hellstern gefällt mir gut. Ich hatte erst schon gedacht, er wäre für den Bürgermeister bestimmt und war über den freundlichen Ton ganz erstaunt.
Sind Deine Wirtsleute nun freundlicher zu Dir? Bekommst Du sie öfter einmal zu Gesicht? Es ist ja allerhand, wenn sie extra eine Leitung für dich haben legen lassen.
Helga bekommt von morgen an bis nächsten  Donnerstag Ferien. Böse ist sie bestimmt nicht darüber. Denn das spielen ist doch das Hauptvergnügen.
Inzwischen ist es ja nun heraus, was in der Luft gelegen hat, daß Ihr keine Post bekommen habt. Der Angriff auf Kreta ist ja ein großartiges Unternehmen.
Es freut mich, daß Du beim schießen doch noch gut abgeschnitten hast. Es kann nichts schaden, wenn man sich auf jedem Gebiet Achtung verschafft.
Jetzt hast Du also wirklich einen Radioapparat. Da hast Du doch wenigstens Unterhaltung. Bei uns ist es ja jetzt so, daß wir meist Tanzmusik hören müssen, wenn wir nicht die Kammermusik vom Deutschlandsender hören wollen. Die anderen Sender, die so unterhaltendes Programm bringen, bekommen wir mit unserem Apparat nicht heran. Jetzt hören wir ja meist überhaupt nicht abends, weil wir schon zeitig ins Bett gehen.
Jetzt zu den Päckchen  von Kurt. Es waren für ihn zum aufheben zwei Steingutschalen und ein Pfeffer und Salzschälchen darin. Er schickt es mir, damit er es nicht doch noch zusammenschlägt. Jetzt ist aber unterwegs doch eine Schale kaputt gegangen. Wahrscheinlich wird er sich ärgern. Für Helga hat er ein kleines Stofftäschchen für das Taschentuch dazu gelegt.
Von der Stadt erhielt ich gestern das Schreiben, das ich beilege. Außerdem lege ich einige Zeitungsausschnitte bei. Das Ehepaar, von dem zwei Ausschnitte handeln, ist doch wirklich ein sauberes Ehepaar. Aber solchen Leuten schmeißt man das Geld hinterher, während sich andere um jeden Pfennig quälen müssen.
Nun will ich wieder schließen. Ich fange wieder an zu frieren und muß mich erst eine Weile hinlegen. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen