Mein lieber Ernst! Konstanz, den 29.5.41
Ich schreibe heute doch wieder mit der Schreibmaschine, weil es
nicht so anstrengt und ich auch schneller fertig bin.
Daß ich ganz gesund bin, kann ich Dir
leider heute auch noch nicht schreiben. Mir selber geht die Besserung viel zu
langsam vor sich. Es wartet ja so viel auf mich. Den Kindern wird`s auch schon
langweilig. Da ist an den Schuhe etwas kaputt, da sind die Strümpfe zerrissen
usw. Ich möchte den Kindern doch auch wieder einmal etwas Richtiges kochen.
Meist haben meine Kräfte nur zu Kartoffelbrei oder Pudding gelangt. Es ist gut,
daß ich auch noch Fleischmarken von Dir
habe, so hat es doch wenigstens Wienerle oder so etwas dazu gegeben. Heute schwinge
ich mich einmal zu Eierkuchen auf, die sich die Kinder gewünscht haben. Ich
selber habe bis jetzt auf nichts Appetit, höchstens einmal auf Pudding.
Gestern Nachmittag hat es einen
Gewitterregen gegeben und heute Nacht hat es gestürmt und geregnet, daß alles,
was nicht niet- und nagelfest war, durch die Luft geflogen ist. Heute Vormittag
stürmt es immer noch, nur mit regnen hat es aufgehört. Die meisten Stützen beim
Stachelbeerbäumchen hat es auch umgerissen, aber bei dem Sturm kann ich jetzt
nicht runtergehen.
Eben bringt mir Jörg zwei Päckchen und
drei Briefe von Dir, sowie ein Päckchen von Kurt. Ich will erst alles einmal
aufmachen und schreibe dann weiter.
Da hatte ich ja viel zu tun. Zum lesen der
Briefe habe ich mich wieder hingelegt. Es sind angekommen die Päckchen 8 und 10
mit den Schuhen für Jörg und den zwei Büchern. Die Schuhe passen prima. Sie
sind auch sehr schön. Eines nur macht mir Sorge. Da sind doch ganze
Gummiabsätze drauf. Meinst Du, die kann man hier auch wieder richten? Die
Bücher freuen mich auch sehr. Nur schade, daß ich sie jetzt nicht lesen kann,
aber dazu tut mir der Kopf zu weh.
Es freut mich, daß jetzt auch das Päckchen
vom 15. angekommen ist, und daß es Dir langt.
Mit dem Schulranzen ist es so. Ich hatte
ihn erst zu Böss geschafft, die mir sagten, daß sie ihn machen könnten. Als ich
jetzt nach bald zwei Wochen hinkam sagten sie, daß sie es doch nicht machen könnten.
Ich habe ihnen dann gleich gesagt, das hätten sie sicher auch vorher gewußt, da
hätte ich nicht extra zwei Wochen warten müssen. Ich habe ihn dann zu dem Sattler
gegenüber dem Jugendamt geschafft. Der sagte mir, daß er ihn machen kann. Er
macht die Riemen für einen Mädchenschulranzen passend. Auch auffrischen kann er
ihn, nur würde er natürlich nicht ganz
wie ein neuer. Das ist ja schließlich auch gar nicht nötig, wenn er nur
wieder ordentlich aussieht. Ich will nun mal sehen, wenn ich ihn holen kann,
wie er aussieht.
Mit dem neuen Briefmarkensatz ist es auch
Geldschneiderei. Das sind die Briefmarken von der Post, die Du schon einmal
hast, nur mit etwas anderen Farben. Herr Kuster hat sich auch darüber geärgert.
Du bist ein Schelm! Wenn Du mir nicht
direkt schreiben darfst, wir sollen Dir nichts schicken, so tust Du es
hintenherum. O, wenn ich Dich doch da hätte, daß ich Dich an Deinen Haaren
reißen könnte. Das wäre die gerechte Strafe für Dich. Das mußt Du selber
einsehen.
Mit dem ausgehen zu Pfingsten in den neuen
Schuhen wird es wohl nun nichts. Aber ich werde ja auch später noch Gelegenheit
haben, sie zu tragen.
Der Brief an Hellstern gefällt mir gut.
Ich hatte erst schon gedacht, er wäre für den Bürgermeister bestimmt und war
über den freundlichen Ton ganz erstaunt.
Sind Deine Wirtsleute nun freundlicher zu
Dir? Bekommst Du sie öfter einmal zu Gesicht? Es ist ja allerhand, wenn sie
extra eine Leitung für dich haben legen lassen.
Helga bekommt von morgen an bis
nächsten Donnerstag Ferien. Böse ist
sie bestimmt nicht darüber. Denn das spielen ist doch das Hauptvergnügen.
Inzwischen ist es ja nun heraus, was in
der Luft gelegen hat, daß Ihr keine Post bekommen habt. Der Angriff auf Kreta
ist ja ein großartiges Unternehmen.
Es freut mich, daß Du beim schießen doch
noch gut abgeschnitten hast. Es kann nichts schaden, wenn man sich auf jedem
Gebiet Achtung verschafft.
Jetzt hast Du also wirklich einen
Radioapparat. Da hast Du doch wenigstens Unterhaltung. Bei uns ist es ja jetzt
so, daß wir meist Tanzmusik hören müssen, wenn wir nicht die Kammermusik vom
Deutschlandsender hören wollen. Die anderen Sender, die so unterhaltendes
Programm bringen, bekommen wir mit unserem Apparat nicht heran. Jetzt hören wir
ja meist überhaupt nicht abends, weil wir schon zeitig ins Bett gehen.
Jetzt zu den Päckchen von Kurt. Es waren für ihn zum aufheben zwei
Steingutschalen und ein Pfeffer und Salzschälchen darin. Er schickt es mir,
damit er es nicht doch noch zusammenschlägt. Jetzt ist aber unterwegs doch eine
Schale kaputt gegangen. Wahrscheinlich wird er sich ärgern. Für Helga hat er
ein kleines Stofftäschchen für das Taschentuch dazu gelegt.
Von der Stadt erhielt ich gestern das
Schreiben, das ich beilege. Außerdem lege ich einige Zeitungsausschnitte bei.
Das Ehepaar, von dem zwei Ausschnitte handeln, ist doch wirklich ein sauberes
Ehepaar. Aber solchen Leuten schmeißt man das Geld hinterher, während sich
andere um jeden Pfennig quälen müssen.
Nun will ich wieder schließen. Ich fange
wieder an zu frieren und muß mich erst eine Weile hinlegen. Sei Du, mein lieber
Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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