Samstag, 14. Mai 2016

Brief 154 vom 12.5.1941


 Mein lieber, lieber Ernst!                                                                                 12.5.        

Gleich 2 Briefe habe ich vorhin von Dir bekommen, vom 7. und 8.5. Ich lasse jetzt erst einmal alles stehen und liegen und schreibe an Dich. Ich habe mich ja so sehr über die Briefe gefreut. Ich bekam nun schon seit  einer Woche Post, aber Du lieber Kerl hast noch ziemlich lange warten müssen. Inzwischen wirst Du aber sicher auch Briefe bekommen haben.
Freuen tut es mich, daß Ihr auch dort ab und zu einmal Kino oder etwas habt. Da bist Du doch nicht von allem abgeschnitten. Gerade wenn man kein richtiges Zuhause hat, braucht man ab und zu etwas Unterhaltung, sonst kommt einem alles noch trostloser vor.
Herr Graser hat ja auch Sorgen, ob er dort bleiben kann oder wo er hingeschickt wird. Bei Dir ist es nun schon entschieden. Die Sorge brauchst Du Dir nicht mehr machen.
Mit Freude habe ich gelesen, daß Du Dir Bücher gekauft hast. Das ist fein. Ich freue mich auch schon darauf, wenn ich sie lesen kann, aber bitte, lies sie erst in Ruhe durch. Wegen mir brauchst Du dich nicht beeilen. Jetzt wirst Du lachen und sagen, das hätte ich sowieso nicht getan. Zuerst habe ich sie ja schließlich für mich gekauft. Es war ja auch nur Spaß. Es war sonst ganz gut, daß ich in unserem Bücherschrank Platz gemacht habe. Ich habe immer ein stolzes Gefühl, wenn ich unsere Bücher in die Hand nehmen kann und mir sagen, daß sie alle uns gehören. Die Bücher haben uns doch schon viel Freude bemacht. Als wir die meisten gekauft haben, ist es uns nicht einmal immer leicht geworden, die 2,- monatlich aufzubringen.
Als ich vorhin vorgelesen habe, daß Du Schokolade besorgt hast, sogar Milchschokolade, da haben die Kinder aber gejubelt. Ich freue mich auch sehr darüber. Ich verspreche Dir aber, daß wir sie uns gut einteilen  und nicht einfach so hinteressen werden. Ich danke Dir auch sehr, daß Du so liebe an uns gedacht hast. Ich habe gar nicht geglaubt, daß Du noch solche bekommen würdest.
Die Impfungen hast Du nun auch wieder überstanden. Hat es Dich sehr mitgenommen? Und wie ist es mit Deinem Zahn, hat er gemacht werden können? Es wäre gut, wenn der auch einmal in Ordnung käme.
Heute morgen ist Helga auf einmal etwas eingefallen. Sie hat Deinen Nikolausbriefe herausgesucht, hat sie genau studiert und dann gesagt: „Die hat Vaterle  geschrieben. Er hat es aber fein gemacht, wenn das Kinder lesen würden, die noch an den Nikolaus glauben, die denken bestimmt, daß das der Nikolaus geschrieben hat.“ Dabei hat sie ganz vergessen, daß sie ja auch solche Kinder waren. Sie hat sich auch immer wieder gewundert, daß Du so schreiben kannst, daß man gar nicht merkt, daß Du es gemacht hast. Helga hat Jörg die Briefe noch einmal vorlesen müssen. Daraufhin hat er sich natürlich auch in den höchsten Tönen gewundert. Er darf doch da nicht zurückstehen, das ist ja klar. Die Kinder sind schon den ganzen Vormittag unten beim Spielen, trotzdem kein hervorragendes Wetter ist. Heute Morgen schien es, als ob es sonnig werden wollte, aber es hat sich auch wieder bezogen. Der Regen gestern hat dem Garten sehr gut getan. Am Samstag habe ich schon gießen müssen, wenigstens die Sämlinge. Diese Arbeit hatte ich heute auch nicht. Ich kann mir da gut vorstellen, daß es Dir in Deinem Zimmer zum Hinsetzen auch ungemütlich und kalt ist.
Wegen dem Kopf von Vater hat er Dir ja schon geschrieben. Wegen den neuen Blüten wollte ich gestern noch einmal nachsehen, aber er ist nicht heraufgekommen. Wahrscheinlich war ihm das Wetter zu schlecht. Vergangene Woche hat Vater sogar angefangen, im Garten zu schaffen. Der Feldhüter hatte in der Nachbarschaft schon gefragt, ob der Garten nicht bearbeitet würde. Vater ist seine Hacke gestohlen worden, er hat sie, soviel ich weiß, im Garten liegen lassen. Das ist natürlich ein gewisser Leichtsinn. Die Hacke ist ohne Stiel, er wollte sich erst einen dranmachen. Da hätte er sie ja leicht mit ins Haus nehmen können. Von mir ist nichts zu berichten. Ich habe heute, wie jeden Montag, gewaschen und  gebügelt und so ist der Tag fast herumgegangen. Ich fahre nachher noch in die Stadt. Beim Fotografen lasse ich noch verschiedene Bilder abziehen. Ein paar schicke ich meiner Mutter zum Muttertag und vielleicht 2 Stück an Alice, damit meine Eltern auch zufrieden sind. Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen