Mein lieber Ernst! Konstanz, 13.5.41
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom
9.5., aus dem ich ersehen konnte, daß Du endlich auch Post von uns erhalten
hast. Nun ist ja die Wartezeit für Dich vorbei.
Bei dem Schlüsselblumensuchen haben wir
uns schon angestrengt, aber soviel wie sonst, wenn Du da warst, haben wir doch
nicht zusammenbekommen. Du hast eben auch hier gefehlt. Über den Ort, wo Du
bist, bin ich mir jetzt im Klaren. An Herrn Zahn werde ich Deinen Dank
bestellen. Es schadet ja nichts, wenn man ihm in dieser Weise schmeichelt, das
weißt Du ja. Einen Dank hört er ganz gern. An Fräulein Amann kannst Du ja eine
Glückwunschkarte schreiben. Aber Du weißt ja nicht, ob sie noch in Konstanz
ist, höchstens daß man an die Eltern schreibt. Das Inspirol besorge ich Dir und
schicke es in den nächsten Tagen. Wie ich aus dem Brief ersehe, mußt Du ja
keinen Hunger leiden. Das freut mich und beruhigt mich auch.
Wie ich Dir schon schrieb, haben sich bei
Vaters Kopf einige Blüten gebildet. Die haben sich jetzt zusammengezogen und
geben wahrscheinlich wieder ein Furunkel. Ich habe Vater gesagt, wenn es
schlimmer wird, muß er zum Arzt gehen, denn sonst bekommt er das Zeug überhaupt
nicht los, davon will er aber immer nichts wissen und biegt das Gespräch schnell
ab. Ich habe ihm gestern nun ein Zugpflaster darauf gemacht, auf seinen Wunsch
hin. Ich lasse aber nicht ab und stelle ihm immer wieder vor, daß er zum Arzt
muß. Du mußt es nicht übel nehmen, aber ich bin da ein bißchen eklig. Nicht das
Aufmachen ekelt mich, aber wie gestern wieder, immer faßt er mit der Hand drauf
und hinterher faßt er wieder andere Sachen an. Das ist es. Ich wasche mir bei
jeder Berührung die Hände, wie es sich ja auch schließlich gehört. Aber wenn er
den Kopf angefaßt hat und ich gebe ihm die Hände zum Gute-Nacht-Sagen oder auch
sonst, wenn er mir etwas gibt, was ich ihm besorgen soll, da juckt es mich am
ganzen Körper. Das ist natürlich nur Einbildung, aber ich kann es nicht ändern.
Was sagst Du zu Rudolf Hess? Wir haben es
gar nicht begreifen können. Wie kann er nur so etwas tun. Er muß wirklich nicht
ganz beieinander sein. Hoffentlich gibt er den Engländern in seinem Wahn keine
Unterlagen. Da werden sich die Engländer wieder freuen. Ich bin ja gespannt,
was die Untersuchungen noch ergeben werden. Sagen kann man da ja noch gar
nichts.
Warum willst Du Dir Stiefel und
Stiefelhosen machen lassen? Kannst du da besser laufen? Ist das im Sommer nicht
recht warm? Das sind viele Fragen auf einmal, aber wahrscheinlich wirst Du sie
schon beantworten können.
Ich habe heute im Garten wieder 5 Pfund
Rhabarber holen können. Anfang nächster Woche werde ich auch Spinat holen. Er
ist schon bald groß genug. Vorhin habe ich noch einmal Asche auf die Sämlinge
gestreut, damit die Erdflöhe nicht alles wegfressen. Die Beerensträucher hängen
dieses Jahr wieder voll, aber mit den Erdbeeren ist nicht viel. Wenn ich aber
die anderen Beeren einmache, langt es auch, denn soviel Zucker habe ich doch
nicht. Als ich den Kindern sagte, daß Du einen Brief von uns bekommen hast,
fragte Jörg: Hat sich Vaterle gefreut? Als ich ihm mit Ja antwortete, sagte er:
das ist recht, freuen ist besser als schimpfen. Er bringt ab und zu so weise
Sprüche an. Heute ist er schon wieder die ganze Zeit im Freien, denn es ist
heute ein ganz sonniger Tag. Helga hat heute bis 6 Uhr Schule.
Wie ich heute von Frau Weber hörte, sind
die Bolzens nebenan schon seit
Weihnachten verheiratet. Das habe ich bisher noch nicht gewußt. Du siehst also,
wie wenig ich mich um die Leute kümmere. Bei Vater wird doch meist das Gas
nicht abgelesen, weil er nie daheim ist. Sie schreiben „so ungefähr“ hin, was
er verbraucht haben könnte. Gestern war er nun gerade einmal zuhause. Da ist
abgelesen worden. Weißt Du wie viel? 235 cbm. Das ist für ca. 50,-. Heute Abend
wird die Gasuhr noch einmal kontrolliert, ob sie richtig läuft. Vater sagt
aber, es könnte etwa stimmen. Da sie immer nur 7 oder 8 cbm in Rechnung
gestellt haben, hat er gedacht, na, das bezahle ich immer noch und hat auch
manchmal das Gas länger brennen lassen, als es vielleicht nötig gewesen wäre.
Du weißt es ja selbst, wie er es immer gemacht hat mit dem Pfeifeanzünden. Die
letzten 5 Monate ist nie abgelesen worden.
Gerade als ich das geschrieben habe,
klingelt es und der Bote brachte mir einen großen Brief. Es ist das
Prüfungszeugnis der Badischen Gemeindeverwaltung und ein Schreiben dazu,
welches ich Dir zusende. Du mußt es unterschreiben. Das Zeugnis will ich Dir
gerade noch abschreiben. Mit dem Ergebnis kannst Du ja zufrieden sein, nicht
wahr? Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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