Samstag, 14. Mai 2016

Brief 155 vom 13.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 13.5.41                              

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 9.5., aus dem ich ersehen konnte, daß Du endlich auch Post von uns erhalten hast. Nun ist ja die Wartezeit für Dich vorbei.
Bei dem Schlüsselblumensuchen haben wir uns schon angestrengt, aber soviel wie sonst, wenn Du da warst, haben wir doch nicht zusammenbekommen. Du hast eben auch hier gefehlt. Über den Ort, wo Du bist, bin ich mir jetzt im Klaren. An Herrn Zahn werde ich Deinen Dank bestellen. Es schadet ja nichts, wenn man ihm in dieser Weise schmeichelt, das weißt Du ja. Einen Dank hört er ganz gern. An Fräulein Amann kannst Du ja eine Glückwunschkarte schreiben. Aber Du weißt ja nicht, ob sie noch in Konstanz ist, höchstens daß man an die Eltern schreibt. Das Inspirol besorge ich Dir und schicke es in den nächsten Tagen. Wie ich aus dem Brief ersehe, mußt Du ja keinen Hunger leiden. Das freut mich und beruhigt mich auch.
Wie ich Dir schon schrieb, haben sich bei Vaters Kopf einige Blüten gebildet. Die haben sich jetzt zusammengezogen und geben wahrscheinlich wieder ein Furunkel. Ich habe Vater gesagt, wenn es schlimmer wird, muß er zum Arzt gehen, denn sonst bekommt er das Zeug überhaupt nicht los, davon will er aber immer nichts wissen und biegt das Gespräch schnell ab. Ich habe ihm gestern nun ein Zugpflaster darauf gemacht, auf seinen Wunsch hin. Ich lasse aber nicht ab und stelle ihm immer wieder vor, daß er zum Arzt muß. Du mußt es nicht übel nehmen, aber ich bin da ein bißchen eklig. Nicht das Aufmachen ekelt mich, aber wie gestern wieder, immer faßt er mit der Hand drauf und hinterher faßt er wieder andere Sachen an. Das ist es. Ich wasche mir bei jeder Berührung die Hände, wie es sich ja auch schließlich gehört. Aber wenn er den Kopf angefaßt hat und ich gebe ihm die Hände zum Gute-Nacht-Sagen oder auch sonst, wenn er mir etwas gibt, was ich ihm besorgen soll, da juckt es mich am ganzen Körper. Das ist natürlich nur Einbildung, aber ich kann es nicht ändern.
Was sagst Du zu Rudolf Hess? Wir haben es gar nicht begreifen können. Wie kann er nur so etwas tun. Er muß wirklich nicht ganz beieinander sein. Hoffentlich gibt er den Engländern in seinem Wahn keine Unterlagen. Da werden sich die Engländer wieder freuen. Ich bin ja gespannt, was die Untersuchungen noch ergeben werden. Sagen kann man da ja noch gar nichts.
Warum willst Du Dir Stiefel und Stiefelhosen machen lassen? Kannst du da besser laufen? Ist das im Sommer nicht recht warm? Das sind viele Fragen auf einmal, aber wahrscheinlich wirst Du sie schon beantworten können.
Ich habe heute im Garten wieder 5 Pfund Rhabarber holen können. Anfang nächster Woche werde ich auch Spinat holen. Er ist schon bald groß genug. Vorhin habe ich noch einmal Asche auf die Sämlinge gestreut, damit die Erdflöhe nicht alles wegfressen. Die Beerensträucher hängen dieses Jahr wieder voll, aber mit den Erdbeeren ist nicht viel. Wenn ich aber die anderen Beeren einmache, langt es auch, denn soviel Zucker habe ich doch nicht. Als ich den Kindern sagte, daß Du einen Brief von uns bekommen hast, fragte Jörg: Hat sich Vaterle gefreut? Als ich ihm mit Ja antwortete, sagte er: das ist recht, freuen ist besser als schimpfen. Er bringt ab und zu so weise Sprüche an. Heute ist er schon wieder die ganze Zeit im Freien, denn es ist heute ein ganz sonniger Tag. Helga hat heute bis 6 Uhr Schule.
Wie ich heute von Frau Weber hörte, sind die Bolzens  nebenan schon seit Weihnachten verheiratet. Das habe ich bisher noch nicht gewußt. Du siehst also, wie wenig ich mich um die Leute kümmere. Bei Vater wird doch meist das Gas nicht abgelesen, weil er nie daheim ist. Sie schreiben „so ungefähr“ hin, was er verbraucht haben könnte. Gestern war er nun gerade einmal zuhause. Da ist abgelesen worden. Weißt Du wie viel? 235 cbm. Das ist für ca. 50,-. Heute Abend wird die Gasuhr noch einmal kontrolliert, ob sie richtig läuft. Vater sagt aber, es könnte etwa stimmen. Da sie immer nur 7 oder 8 cbm in Rechnung gestellt haben, hat er gedacht, na, das bezahle ich immer noch und hat auch manchmal das Gas länger brennen lassen, als es vielleicht nötig gewesen wäre. Du weißt es ja selbst, wie er es immer gemacht hat mit dem Pfeifeanzünden. Die letzten 5 Monate ist nie abgelesen worden.
Gerade als ich das geschrieben habe, klingelt es und der Bote brachte mir einen großen Brief. Es ist das Prüfungszeugnis der Badischen Gemeindeverwaltung und ein Schreiben dazu, welches ich Dir zusende. Du mußt es unterschreiben. Das Zeugnis will ich Dir gerade noch abschreiben. Mit dem Ergebnis kannst Du ja zufrieden sein, nicht wahr? Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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