Samstag, 28. Mai 2016

Brief 163 vom 26./27.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                              Konstanz, 26.5.41                               

Du mußt entschuldigen, daß ich gestern nicht geschrieben habe, ich war zur Abwechslung wieder einmal ein bißchen krank. Heute geht es mir ja auch noch nicht gerade ideal, aber doch schon viel besser als gestern. Ich schreibe deshalb auch mit der Schreibmaschine, das ermüdet nicht so.
Erst war das mit dem Bein. Da habe ich am Samstagabend fast nicht mehr laufen können. Ich weiß nicht, was mir dann noch angeflogen ist. In der Nacht zum Sonntag ist es mir schlecht geworden und dann habe ich geschwitzt, daß alles durchweicht war. Am Morgen wäre ich am liebsten nicht aufgestanden. Aber ich konnte die Kinder doch nicht einfach sich selbst überlassen. Ich habe mich dann in die Küche auf den Liegestuhl gelegt. Mir war ganz schwindlig und das schlimmste waren die furchtbaren Kopfschmerzen, die ich den ganzen Tag nicht losgeworden bin, trotzdem ich auch eine Kopfschmerzentablette genommen und kalte Umschläge gemacht habe. Heute Nacht habe ich auch wieder so sehr geschwitzt. Heute Morgen bin ich nun ziemlich kaputt, aber die Kopfschmerzen sind soweit weg. Ich denke, daß ich morgen wieder richtig munter bin.
Ich kann Dir sagen, ich war gestern so froh, daß ich unsere liebe, kleine Helga hatte. Sie wird ein recht liebes Hausmütterchen. Sie hat mir beim Betten machen geholfen, sie hat abgewaschen, sie hat mir zu trinken gebracht. Sie hat Jörg den Anzug geholt. Später hat sie sich neben mich gesetzt und hat mir vorgelesen. Ich habe sie direkt drängen müssen, daß sie eine Weile runter gegangen ist. Immer hat sie gesagt, sie möchte mich nicht allein lassen, wenn ich krank bin.  Abends hat sie für sich und Jörg Brote geschmiert. Ich konnte es gegen Abend nicht mehr auf dem Liegestuhl aushalten und bin ins Bett gegangen. Vorher habe ich nur noch verdunkelt, denn das kann sie beim besten Willen nicht. Sie hat dann dafür gesorgt, daß sich Jörg fertig gemacht hat. Später sind sie dann zu mir rüber gekommen und wir haben zusammen gebetet. Sie sind dann Beide ins Bett gegangen und haben sich ganz ruhig verhalten, damit ich einschlafen konnte. Heute Morgen sind sie dann Beide gleich gekommen und haben gefragt, wie es mir geht. Heute kann ich ja schon manches selber tun, nur muß ich mich öfter hinlegen. Heute Nachmittag geht Helga mit Jörg in die Stadt zum Einkaufen. Es ist doch etwas wert, wenn man schon so große Kinder hat, nicht wahr? Vorhin hat mir Jörg auch die Treppe geputzt.
Eben erhielt ich Deinen lieben Brief vom 20.5. Vielen Dank. Ich ersehe daraus, daß Du scheinbar das Briefpäckchen mit dem Inspirol immer noch nicht erhalten hast. Ich habe bestimmt gedacht, daß es wie ein regulärer Brief ankommt.
Die Leglers sind wirklich prompte Briefschreiber. Aber es ist ja nett von ihnen. Man sieht doch, daß sie ein Interesse am Briefschreiben haben.
Lieber Ernst, sei mir nicht böse, aber ich muß jetzt mit schreiben aufhören. Ich bin ganz kaputt. Übrigens, mein Bein ist jetzt wieder soweit in Ordnung.
Sei für heute rechtherzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Deinem Jörg.


 Mein lieber Ernst!                                                          Konstanz, den 27.5.41

Ich dachte bestimmt, daß ich heute wieder ganz auf der Höhe sei. Es ist aber noch nichts damit. Ich fühle mich ziemlich schwach. Das kommt, glaub ich daher, weil ich jede Nacht so sehr schwitzen muß. Ich schaffe ja heute schon wieder manches, aber die meiste Zeit liege ich noch auf dem Liegestuhl. Du wirst denken, na, das ist mir ein schöner Schlappschwanz. Aber ich kann wirklich nichts dafür. Mir ist es auch lieber, wenn ich wieder ganz gesund bin. Die Hauptsache ist aber, daß ich merke, es wird jeden Tag besser.
Gerade klingelte es und Dein lieber Brief vom 21.5. kam an. Er hat mich sehr gefreut.
Das ist ja schön, daß Du Schuhe bekommen hast. Zu teuer sind sie bestimmt nicht. Für Jörg seine letzten habe ich etwas über 10,-, für Helga ihre über 13,- bezahlt. Für mich bekomme ich Lederschuhe auch nicht unter 16/18,-Rm.
Wenn ich wieder Geld bekomme, schicke ich Dir dann 39,- Diesen Monat ist es mir nicht möglich und Du willst es ja auch gar nicht.
Nun wegen der Frau Bolz. Ich bin froh, daß Du so entschieden hast. Ich bin nämlich am liebsten allein und es hat mir ein bißchen gegraut, mich mit anderen Leuten so anzufreunden. Man ist dann so gebunden. Und es ist doch so, daß man dann dauernd reden muß und das ist mir schon lästig. Mir hat eigentlich nur die Frau leid getan und ich wollte sie nicht beleidigen. Aber nun werde ich schon immer eine Ausrede finden. Was ich richtig zu besprechen habe, das schreibe ich Dir, weniger wichtiges kann ich ab und zu mit Vater und den Kindern reden. Das langt mir gut. Das Verlangen, mich mit einer anderen Frau auszusprechen habe ich nicht. Man ist sich doch ziemlich fremd und um was dreht sich dann meist die Unterhaltung? Um die lieben Hausgenossen. Und das mag ich ja schon gar nicht. Also, über diese Sache herrscht Klarheit.
Den Muttertag haben unsere beiden kleinen Kerle mir wirklich festlich gestaltet. Sie haben sich selber auch fest gefreut. Natürlich haben wir alle Geschenke redlich geteilt und das hat die Freude noch erhöht. Es freut einen doch selber, wenn die Gesichter so strahlen. Die Küsse von Dir kann ich ihnen ja jetzt nicht geben, aber das hole ich später nach. Helga und Jörg sind jetzt gerade  unterwegs und holen Tussamag und etwas zum Mittagessen.
Ich habe doch, um das Brot zu strecken, immer abends Grieß oder Kartoffeln gekocht. Da ich das jetzt nicht konnte, ist natürlich der Brotverbrauch gestiegen, wenn ich selbst auch fast nichts gegessen habe. Da bin ich jetzt um die Urlaubsbrotmarken von Dir froh, die ich noch da habe. Da kann ich mir jetzt aushelfen.
Denke Dir, jetzt ist das Amaryllisblatt schon 2 1/2 cm groß. Wir beobachten jetzt schon das Wachstum mit dem Centimetermaß. Den Kindern macht es auch viel Freude.
Nun will ich aber wieder schließen. Heute bin ich nach dem schreiben schon nicht mehr so kaputt wie gestern. Das ist doch ein Fortschritt? Aber hinlegen tue ich mich nachher doch.
Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt (Das kann ich ja bei Dir jetzt trotzdem) von Deiner Annie.

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