Mein lieber Ernst! Konstanz, 26.5.41
Du mußt entschuldigen, daß ich gestern
nicht geschrieben habe, ich war zur Abwechslung wieder einmal ein bißchen
krank. Heute geht es mir ja auch noch nicht gerade ideal, aber doch schon viel
besser als gestern. Ich schreibe deshalb auch mit der Schreibmaschine, das
ermüdet nicht so.
Erst war das mit dem Bein. Da habe ich am
Samstagabend fast nicht mehr laufen können. Ich weiß nicht, was mir dann noch
angeflogen ist. In der Nacht zum Sonntag ist es mir schlecht geworden und dann
habe ich geschwitzt, daß alles durchweicht war. Am Morgen wäre ich am liebsten
nicht aufgestanden. Aber ich konnte die Kinder doch nicht einfach sich selbst
überlassen. Ich habe mich dann in die Küche auf den Liegestuhl gelegt. Mir war
ganz schwindlig und das schlimmste waren die furchtbaren Kopfschmerzen, die ich
den ganzen Tag nicht losgeworden bin, trotzdem ich auch eine
Kopfschmerzentablette genommen und kalte Umschläge gemacht habe. Heute Nacht
habe ich auch wieder so sehr geschwitzt. Heute Morgen bin ich nun ziemlich
kaputt, aber die Kopfschmerzen sind soweit weg. Ich denke, daß ich morgen
wieder richtig munter bin.
Ich kann Dir sagen, ich war gestern so
froh, daß ich unsere liebe, kleine Helga hatte. Sie wird ein recht liebes
Hausmütterchen. Sie hat mir beim Betten machen geholfen, sie hat abgewaschen,
sie hat mir zu trinken gebracht. Sie hat Jörg den Anzug geholt. Später hat sie
sich neben mich gesetzt und hat mir vorgelesen. Ich habe sie direkt drängen
müssen, daß sie eine Weile runter gegangen ist. Immer hat sie gesagt, sie
möchte mich nicht allein lassen, wenn ich krank bin. Abends hat sie für sich und Jörg Brote geschmiert. Ich konnte es
gegen Abend nicht mehr auf dem Liegestuhl aushalten und bin ins Bett gegangen.
Vorher habe ich nur noch verdunkelt, denn das kann sie beim besten Willen
nicht. Sie hat dann dafür gesorgt, daß sich Jörg fertig gemacht hat. Später
sind sie dann zu mir rüber gekommen und wir haben zusammen gebetet. Sie sind
dann Beide ins Bett gegangen und haben sich ganz ruhig verhalten, damit ich
einschlafen konnte. Heute Morgen sind sie dann Beide gleich gekommen und haben
gefragt, wie es mir geht. Heute kann ich ja schon manches selber tun, nur muß
ich mich öfter hinlegen. Heute Nachmittag geht Helga mit Jörg in die Stadt zum
Einkaufen. Es ist doch etwas wert, wenn man schon so große Kinder hat, nicht
wahr? Vorhin hat mir Jörg auch die Treppe geputzt.
Eben erhielt ich Deinen lieben Brief vom
20.5. Vielen Dank. Ich ersehe daraus, daß Du scheinbar das Briefpäckchen mit
dem Inspirol immer noch nicht erhalten hast. Ich habe bestimmt gedacht, daß es
wie ein regulärer Brief ankommt.
Die Leglers sind wirklich prompte
Briefschreiber. Aber es ist ja nett von ihnen. Man sieht doch, daß sie ein
Interesse am Briefschreiben haben.
Lieber Ernst, sei mir nicht böse, aber ich
muß jetzt mit schreiben aufhören. Ich bin ganz kaputt. Übrigens, mein Bein ist
jetzt wieder soweit in Ordnung.
Sei für heute rechtherzlich gegrüßt und
geküßt von Deiner Annie.
Viele
Grüße und Küsse von Deiner Helga und Deinem Jörg.
Mein lieber Ernst!
Konstanz, den 27.5.41
Ich dachte bestimmt, daß ich heute wieder
ganz auf der Höhe sei. Es ist aber noch nichts damit. Ich fühle mich ziemlich
schwach. Das kommt, glaub ich daher, weil ich jede Nacht so sehr schwitzen muß.
Ich schaffe ja heute schon wieder manches, aber die meiste Zeit liege ich noch
auf dem Liegestuhl. Du wirst denken, na, das ist mir ein schöner Schlappschwanz.
Aber ich kann wirklich nichts dafür. Mir ist es auch lieber, wenn ich wieder
ganz gesund bin. Die Hauptsache ist aber, daß ich merke, es wird jeden Tag
besser.
Gerade klingelte es und Dein lieber Brief
vom 21.5. kam an. Er hat mich sehr gefreut.
Das ist ja schön, daß Du Schuhe bekommen
hast. Zu teuer sind sie bestimmt nicht. Für Jörg seine letzten habe ich etwas
über 10,-, für Helga ihre über 13,- bezahlt. Für mich bekomme ich Lederschuhe
auch nicht unter 16/18,-Rm.
Wenn ich wieder Geld bekomme, schicke ich
Dir dann 39,- Diesen Monat ist es mir nicht möglich und Du willst es ja auch
gar nicht.
Nun wegen der Frau Bolz. Ich bin froh, daß
Du so entschieden hast. Ich bin nämlich am liebsten allein und es hat mir ein
bißchen gegraut, mich mit anderen Leuten so anzufreunden. Man ist dann so
gebunden. Und es ist doch so, daß man dann dauernd reden muß und das ist mir
schon lästig. Mir hat eigentlich nur die Frau leid getan und ich wollte sie
nicht beleidigen. Aber nun werde ich schon immer eine Ausrede finden. Was ich
richtig zu besprechen habe, das schreibe ich Dir, weniger wichtiges kann ich ab
und zu mit Vater und den Kindern reden. Das langt mir gut. Das Verlangen, mich
mit einer anderen Frau auszusprechen habe ich nicht. Man ist sich doch ziemlich
fremd und um was dreht sich dann meist die Unterhaltung? Um die lieben
Hausgenossen. Und das mag ich ja schon gar nicht. Also, über diese Sache
herrscht Klarheit.
Den Muttertag haben unsere beiden kleinen
Kerle mir wirklich festlich gestaltet. Sie haben sich selber auch fest gefreut.
Natürlich haben wir alle Geschenke redlich geteilt und das hat die Freude noch
erhöht. Es freut einen doch selber, wenn die Gesichter so strahlen. Die Küsse
von Dir kann ich ihnen ja jetzt nicht geben, aber das hole ich später nach.
Helga und Jörg sind jetzt gerade
unterwegs und holen Tussamag und etwas zum Mittagessen.
Ich habe doch, um das Brot zu strecken,
immer abends Grieß oder Kartoffeln gekocht. Da ich das jetzt nicht konnte, ist
natürlich der Brotverbrauch gestiegen, wenn ich selbst auch fast nichts gegessen
habe. Da bin ich jetzt um die Urlaubsbrotmarken von Dir froh, die ich noch da
habe. Da kann ich mir jetzt aushelfen.
Denke Dir, jetzt ist das Amaryllisblatt
schon 2 1/2 cm groß. Wir beobachten jetzt schon das Wachstum mit dem
Centimetermaß. Den Kindern macht es auch viel Freude.
Nun will ich aber wieder schließen. Heute
bin ich nach dem schreiben schon nicht mehr so kaputt wie gestern. Das ist doch
ein Fortschritt? Aber hinlegen tue ich mich nachher doch.
Sei nun für heute herzlich gegrüßt und
geküßt (Das kann ich ja bei Dir jetzt trotzdem) von Deiner Annie.
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