Montag, 30. Mai 2016

Brief 166 vom 30.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, den 30.5.41                                                                       

Vor allen Dingen möchte ich Dir erst einmal frohe Pfingstfeiertage wünschen. Das habe ich in den letzten Tagen ganz vergessen. Wenn die Wünsche jetzt zu spät eintreffen sollten, so nimm es bitte nicht krumm.
Vorhin kamen die beiden Pakete mit den Schuhen für Helga und mich. Ich muß Dir leider eine Enttäuschung bereiten. Meine Schuhe passen mir ganz und gar nicht. Sie sind aber auch nur eine Nummer größer wie Helga ihre. Ich habe sie auf der Sohle, ohne Wölbung gemessen. Helgas Schuhe sind 25 und meine 26 cm lang. Sind es Nr. 40? Nach dem Holzschuhmuster könnten sie ungefähr langen, wenn sie nicht so schmal oben verarbeitet wären. Du mußt dich aber nicht darüber ärgern. Ich hebe die Schuhe bis nächstes Jahr für Helga auf. Da kann sie sie bestimmt tragen.
Solltest Du noch Gelegenheit haben, welche zu bekommen, so sende ich Dir nochmals ein Muster von meinen bequemsten Schuhen, den schwarzen Schnürschuhen. Die eingezeichneten Linien sind die Größe der Schuhe, die Du mir gesandt hast. Wenn Du keine bekommst, so schadet es auch nichts. Ich habe ja noch zwei Paar Holzschuhe.
Helga ist von ihren Schuhen ganz begeistert. Am liebsten hätte sie sie gar nicht mehr ausgezogen. Sie gefallen ihr so gut. Ich habe ihr versprechen müssen, daß sie die Schuhe heute Nachmittag, wenn sie für mich einkaufen geht, einmal anziehen darf. Ich danke Dir, mein lieber Ernst, recht sehr für die viele Mühe, die Du Dir für uns gemacht hast.
Mir geht es schrittweise besser. Jetzt löst es sich im Hals, so daß es mir da vielleicht auch bald leichter wird. Nur der Kopf will einfach noch nicht. Da habe ich noch viel Kopfweh und schwindlig ist mir auch noch. Vor allen Dingen kann ich dadurch nachts nicht richtig schlafen. Du weißt vielleicht noch, wo Du mal aufs Rentamt gekommen bist, wo Du viel mit Zahlen zu tun hattest, da hast du doch auch nachts immer zusammenrechnen müssen. Nur wirbeln mir lauter Buchstaben vor den Augen herum und ich krieg und krieg sie nicht richtig in die Reihe. Meist wache ich dann auf und nun fängt der Husten an. Dann muß ich wieder einmal Platten aufeinander legen, was natürlich auch nicht gelingt. So geht die Komödie immer wieder von vorn los. Wenn ich dann aufwache, habe ich meist auch mächtige Kopfschmerzen. Auch bei Tag, wenn ich auf dem Liegestuhl liege, muß ich mir über die Augen ein zusammen gefaltetes Handtuch legen, damit kein heller Schimmer in die Augen kommt, denn auch bei geschlossenen Augen tut mir der Lichtschimmer im Kopf weh. So habe ich aber einmal ein bißchen Ruhe. Wenn das vorbei wär, da wär ich froh.
Wenn Dich dieser Brief noch vor Pfingsten erreicht, so möchte ich Dir sagen, daß Du Dir die Pfingstfeiertage ja nicht durch mich verderben lassen sollst. Wahrscheinlich werde ich bis dahin wieder Fortschritte gemacht haben. Wenn Ihr fortfahren solltet, so würde ich mich wieder sehr über einen Pfingstbericht freuen. Du weißt ja, so was lese ich von Dir sehr gern. Vor allen Dingen, wo Du so ein lieber, reiselustiger Kerl bist.
Heute ist bei uns ganz sonniges Wetter. Ich will sehen, daß ich mich am Nachmittag mit dem Liegestuhl in den Hof setzen kann. Ich sehe sowieso so weiß wie eine Wand aus. Von meiner Bräune ist überhaupt nichts mehr zu sehen. Das muß ich doch wieder aufholen.
Nun laß mich für heute schließen, mein lieber Schatz, und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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