Montag, 2. Mai 2016

Brief 148 vom 28./29./30.4.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                    28.4.                                                             

Heute komme ich erst am Abend dazu, Dir zu schreiben. Ich war nämlich seit heute morgen den ganzen Tag im Garten. Das ganze Stück für die Kartoffeln habe ich umgegraben. Nach dem Stück kommen doch Erdbeeren. Da habe ich die ersten 2 Reihen mit umgegraben, da fast keine Stücke mehr da waren. Die noch da waren, habe ich in die nächsten Reihen gesetzt, denn da fehlten auch welche. So sind wenigstens 4 Reihen vollständig. An den Platz setze ich jetzt die Dahlien. Da sind die auch untergebracht. Den Mist habe ich jetzt vollständig verbraucht. Heute Morgen habe ich Tabaksasche gegen die Erdflöhe gestreut. Es war so, wie Du sagtest, noch etwas feucht aber kein Regen. Mal sehen, ob sich die Pflanzen noch entwickeln. Morgen Vormittag will ich einen Teil Kartoffeln rein tun, ganz fertig werde ich wahrscheinlich nicht werden, weil ich am Nachmittag zum Begräbnis von Brigitte Kuster gehen will. Ich habe Blumen für 3,- bestellt. Es gibt von 2,- an. Hoffentlich sehen sie gut aus. Ich habe heute Herrn Steinmehl gefragt, was seine Frau hat. Es ist ein Nervenzusammenbruch. Ich weiß nicht, ob ich sie einmal besuchen soll. Sie liegt in der ehemaligen Pension Wiehler(jüdisch), die enteignet worden ist. Scheinbar gehört sie jetzt zum Krankenhaus.
Heute hast Du ja dort auch wieder Deinen ersten Tag hinter Dir. Vielleicht weißt Du auch schon, wo Du hinkommst. Ich wünschte, ich hätte schon wieder einen Brief von Dir. Aber das wird noch eine Weile dauern und es ist gut, daß ich im Garten ziemlich zu tun habe, da vergehen doch wenigstens die Tage. Ich hoffen, daß noch eine Weile schönes Wetter bleibt, damit ich weiter schaffen kann.
Nun schließe ich für heute wieder und grüße Dich im Geist recht herzlich, mein liebster Ernst!

Lieber Ernst!                                                                                             29.4.

Wieder ist ein Tag vorbei. Ich will Dir auch heute schildern, wie er verlaufen ist. Am Morgen bin ich gleich in den Garten. Ich habe bis Mittag alle Kartoffeln rein getan. Damit wäre ich fertig.
Am Nachmittag bin ich zum Begräbnis gegangen. Ich habe mir das Kind noch angesehen. Es sah sehr entstellt aus, man hat es nicht wieder erkannt. Man hat es ihm angesehen, daß es sehr gelitten hat. 8 Tage vor seinen Tode dachte man, es würde besser werden, da es zu trinken und essen verlangt hat. Nachdem es etwas getrunken hat, wollte es noch etwas zu sich nehmen, plötzlich hat es nicht mehr schlucken können. 8 Tage hat es dann so gelegen, ohne daß es essen oder trinken konnte. Auch die Augen waren starr. Aber hören konnte es noch alles. Das Kind muß schwer gelitten haben. Durch einen Gehirnschlag ist alles  gelähmt worden.
Gestern machte Herr Zahn bei sich die Bohnenstangen rein. Ich fragte ihn, ob ich seine Eisenstange einmal bekommen könnte. Da sagte er: „Die Bohnenstangen mache ich ihnen rein, das macht mir keine Mühe.“ Ich habe erst versucht, ihn davon abzubringen, aber es war umsonst. Heute Nachmittag hat er die Arbeit nun gemacht. Vorläufig habe ich nur noch die Dahlien zu setzen und noch verschiedenes zu säen. Vorläufig wär die Hauptarbeit vorbei. Vielleicht komme ich jetzt noch ein bißchen zum nähen.
Wenn morgen schönes Wetter ist, wollen wir nochmals nach Hegne. Vielleicht gibt es noch Tee.
Nun will ich schlafen gehen. Heute ist Vater einmal nicht da, da kann ich schon etwas zeitiger zu Bett gehen. Ich denke immer, wo Du wohl jetzt sein wirst. Ich wäre so froh, wenn die Wartezeit auf einen Brief von Dir schon vorbei wär, Du mein lieber, lieber Ernst. Schlaf nun heute wieder gut und wach gesund wieder auf.

Mein lieber Ernst!                                                                                          30.4.

Heute hatte ich eine große Freude. Dein erster Brief ist angekommen. Das war eine herrliche Überraschung. Gerade, als wir zur Bahn gehen wollten, kam noch der Briefträger. Ich habe den Brief mitgenommen und im Zug gelesen. Das ist ja fein, daß Du die Bahnfahrt um fast 5 Stunden abkürzen konntest. Du bist ja auch so noch lange genug unterwegs gewesen. Eigentlich bin ich da in der ersten Nacht umsonst bis 1/4 2 Uhr munter geblieben, da Du ja schon 1/2 12 Uhr weiterfahren konntest. Aber das reut mich kein bißchen, konnte ich so doch noch länger mit meinen Gedanken bei Dir sein.
Ich habe den Abschied eigentlich immer noch nicht überwunden. Ich kann es immer noch nicht begreifen, daß ich Dich jetzt solange nicht sehen soll. Heute bin ich eigentlich zum ersten Male wieder fröhlich gewesen, nachdem ich Deinen Brief bekommen habe. Hoffentlich gehen die Wochen schnell vorbei, damit wir uns bald wiedersehen.
Wir sind heute Vormittag nach Hegne gefahren. Wir haben dann unsere Wiesen aufgesucht und auch viel Schlüsselblumen gefunden. Es hätte noch mehr gehabt, aber wir haben nicht mehr suchen können, so kaputt waren wir. Erst haben die Kinder nicht mehr können und ich habe allein weiter gesucht. Aber dann war auch meine Kraft zu Ende. Wir haben dann im Wald an einer sonnigen Stelle auf einem Baumstamm gegessen. Ich konnte aber auch hinterher nicht mehr weiter. Da mehrere Stämme zusammen lagen, habe ich Jacken untergelegt und habe mich zwischen 2 Stämme, in die Kuhle, gelegt und ausgeruht. Die Kinder waren schon wieder munter und haben gespielt.  Nachdem ich mich ca. 3/4 Stunden ausgeruht hatte, ging´s weiter. Wir sind dann heim gelaufen. 1/4 4 Uhr waren wir wieder da. Heute Nachmittag fing es dann auch an zu regnen. Da war ich froh, daß wir heute gegangen sind.
Morgen ruhe ich mich einmal aus, d.h. ich stopfe und bügle noch etwas. Das strengt aber nicht so an. Übermorgen habe ich Wäsche, da will ich wieder bei Kräften sein.
Vorhin 1/4 10 Uhr, ist Vater noch gekommen. Ich habe mich erst geärgert, daß er noch so spät kommt. Lange mache ich heute aber  nicht, denn ich bin müd.
1/2 11 Uhr ist es noch geworden, ehe er gegangen ist. Er konnte sich von der Zeitung nicht rennen. Er hat mich damit getröstet, daß er sagte, morgen brauche ich ja nicht so zeitig aufstehen, da Helga nicht zur Schule muß.
Nun gehe ich aber schlafen. Ich freue mich schon darauf. Schlaf auch Du gut, mein lieber, lieber Schatz. Wo wirst du jetzt Deine Unterkunft haben?


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