Mein lieber Ernst! Konstanz, 16.5.41
Heute bin ich dafür entschädigt worden,
daß ich gestern keinen Brief erhielt. Gleich
2 habe ich bekommen, vom 10. und 12.5. und so lang sind sie, daß es
direkt eine Freude ist, sie nur anzusehen. Jetzt will ich sie erst einmal der
Reihe nach beantworten.
Für Deine Schilderung von den Leuten dort
danke ich Dir sehr. Das interessiert mich immer. Daran, daß sich jetzt mehr
melden, um bei uns zu arbeiten, sieht man schon, wie gut sie es hier haben. Ich
glaube auch nicht, daß jemand klagen kann bei uns. Bei uns haben es ja sogar
die Gefangene gut. Wenn man sie sieht, dann sind sie froh. Jetzt haben sie
einmal beim Schauinsland Kohlen ausgeladen. Als wir vorbeikamen, waren sie gerade
fertig. Da fuhr der eine noch auf dem kleinen Kinderkarussell im Hof und die
anderen standen friedlich mit der Wachmannschaft vor dem Tor und haben
gewartet, bis er kam. Dabei war ein Lachen und Geschnattere. Hinterher sind sie
dann einträchtig in ihre Unterkunft gepilgert.
Dieses Mal ist also das Päckchen eher
angekommen wie der Brief, wie ich Dir schon schrieb. Es ist doch das Päckchen
Nr. 1. Angekommen ist es gut, nur auf der einen Seite war das Papier
aufgerissen.
Mit der Schokolade hast Du wirklich einen
großen Einkauf getätigt. Ich danke Dir recht sehr dafür. Du kannst versichert
sein, daß auch die Kinder Schokolade mit Verstand esse. Ich werde sie auch
entsprechend einteilen.
Am Garten habe ich wirklich meine Freude.
Es macht einfach Spaß, wenn man seine Mühe belohnt sieht, wenn alles so gut
wächst. Ich werde mir auch wirklich Mühe geben, daß ich alles in Ordnung halte.
Heute Nacht hat es geregnet. Aber jetzt heitert es sich schon wieder ein wenig
auf. So ist es ja recht. Auf dem Markt werden schon Tomatenpflanzen angeboten.
Ich werde wahrscheinlich bald welche kaufen.
Bei uns war das Wetter auch schön die
letzte Zeit. Aber nachts ist es auch immer kalt gewesen. Früh kann man immer
noch den Mantel vertragen. Aber das wird sich ja sicher bald ändern.
Es ist schade, daß Euer Kriegsverwaltungsrat
von dort fortkommt. Es hätte nichts geschadet, wenn er noch nach Konstanz hätte
schreiben können, damit sie auch hier sehen, daß auch andere mit Deiner Arbeit
zufrieden sind. Die Antwort der Stadt habe ich Dir ja zugeschickt. Ich weiß ja nicht,
ob Du damit zufrieden bist. Wegen der Gehaltserhöhung vertrösten sie Dich bis
nach dem Kriege. Es ist ja aber nicht nur wegen dem Geld allein, es ist auch
wegen einer Anerkennung, die durch eine Beförderung zum Ausdruck gekommen wäre.
Aber die ändern die Konstanzer nicht.
Du mußt dort erst in den Stadtgarten
gehen, wenn Du die Vögel singen hören willst. Wir haben es ja da noch viel
schöner. Uns sitzen die Vögel vor dem Fenster. An unserem Star habe ich immer
wieder meine Freude, wenn er aus voller Kehle singt und dabei mit den Flügeln
schlägt. Ich sehe es doch oft, aber immer wieder muß ich lachen, wie er sich
anstrengt. Es ist ein friedliches Bild, wenn der Star in dem blühenden Baum
sitzt. Ich glaube, daß sie wieder Junge haben, denn sie fliegen ein und aus.
Ich freue mich, daß es mit Deinen Wirtsleuten
doch nicht so schlimm ist, wie es erst ausgesehen hat. Das ist ja auch kein
gutes Wohnen gewesen, wenn man sich dauernd ärgern muß. Die Leute werden
wahrscheinlich auch merken, daß Du immer anständig auftrittst und keine
unberechtigten Forderungen stellst. Vielleicht macht es auch etwas aus, daß die
Kinder Dich gern mögen. Kinder merken eben doch auch, wer es gut mit ihnen
meint. Noch schöner wäre es natürlich, wenn ich Dich bei unseren Kindern haben
könnte, aber es geht jetzt eben nicht zu ändern. Das ist der Krieg. Es ist ja
ganz anständig, wenn sie Dir so ohne weiteres den Schlafanzug waschen. So hast
du jetzt doch wenigstens in dieser Beziehung keinen Ärger. Es ist auch schön,
daß die Kameraden versuchen, Dich in ihren Kreis zu ziehen. Kameradschaft ist
in einem fremden Land doch notwendig, damit man sich nicht so einsam vorkommt.
Bis jetzt brauchst Du also die Post
nicht schreiben. Das freut mich, daß ihr das durchsetzen konntet. Was sind das
dort eigentlich für Fräuleins? Elsässer wie in Deinem früheren Ort oder
Deutsche?
Heute morgen war ich in der Stadt wegen
Vaters Garten. Es ist mir gesagt
worden, daß sich viele um den Garten bewerben, vor allen Dingen Leute mit
Kindern, die sich darüber beschwert haben, daß ein einzelner Mann einen Garten
hat und sie keinen bekommen. Und daß Dein Vater den Garten gar nicht ausnutzt,
wenn er ihn bis zum Mai hinein brachliegen läßt. Ich soll doch Deinem
Vater bestellen, daß es ihnen sehr
lieb wäre, wenn er ihnen den Garten im
Herbst überläßt. Ich habe ihnen natürlich erklärt, daß er nicht immer Zeit hat.
Außerdem würde er im Herbst 65 Jahre und es wäre doch gut, wenn er dann, wenn
er vielleicht nicht mehr schafft, so eine Nebenbeschäftigung hat. In dieser Beziehung
hat sie mir wieder recht gegeben. Ich werde jetzt mit Vater sprechen. Ich finde
ja, daß es vielleicht besser wäre, er gäbe ihn auf. Denn die richtige Lust hat
er doch nicht und bis er ihn immer bepflanzt
ist schon der halbe Sommer vorbei. Das weißt Du ja selbst.
Heute Nachmittag gehen wir nun Jörg zur
Schule anmelden. Das ist ein wichtiger Schritt. Hoffentlich lernt er später
auch so gut wie Helga. Da könnten wir ja zufrieden sein.
Du wirst Dich vielleicht in den letzten
Tagen gewundert haben, daß meine Briefe ziemlich kurz waren. Das darfst Du mir
nicht übelnehmen. Weißt Du, ich habe mich in den letzten Tagen wieder ziemlich
ärgern müssen mit den Kindern aus der Nachbarschaft und auch Frau Bautz ist mir
so dumm gekommen. Du weißt ja, wie ich mich da immer aufrege, wenn ich auch
nicht viel sage, aber innerlich rege ich mich schrecklich auf. Mein Kopf war
ganz dumm. Ich konnte gar nicht richtig denken. Jetzt ist alles wieder recht
und der Ärger ist auch vorbei. Es kann eben nicht immer eitel Sonnenschein
sein.
Mein lieber Ernst! Immer wenn ich Deine
lieben Briefe lese, ist es mir, als ob Du gerade mit mir redest und da habe ich
immer große Sehnsucht nach Dir. Es war doch schön, als Du noch bei uns warst.
Du weißt es ja dort auch, wie es ist, wenn man sich mit Niemandem aussprechen
kann. Und nicht nur das Aussprechen ist es, was einem so fehlt, sondern auch
das miteinander Schaffen und Leben und Sehen. Es war immer schon so schön, wenn
ich gewußt habe, jetzt kommst Du bald aus dem Geschäft oder wenn ich mich
darauf freuen konnte, daß wir sonntags zusammen mit dem Rad fortfahren wollten.
Hoffentlich wird später alles wieder so schön. Wir wollen es fest hoffen. Schön
ist es ja jetzt schon, daß ich so einen lieben Mann habe, der so liebe Briefe
schreibt, nicht wahr, mein lieber Kerl? Mußt mich aber nicht auslachen, wenn
ich Dir so alles schreibe.
Nun will ich schließen. Ich muß noch das
Essen fertig machen, damit wir später fortgehen können. Sei Du, mein lieber
Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden
Annie.
Mein lieber Ernst!
Konstanz 16.5.41 abends
Heute schreibe ich Dir am Abend noch, denn ich möchte den Brief
morgen Vormittag gleich mit in die Stadt nehmen. Da brauche ich nachmittags
nicht noch einmal fahren.
Wie ich Dir schon schrieb, haben wir heute
Nachmittag Jörg zur Schule angemeldet. Zu Mittag kam Helga und sagte mir, Frau
Bolz hätte gefragt, ob ich ihr nicht klingeln wollte, wenn ich fortgehe. Sie
muß den Hermann anmelden. Das habe ich dann auch getan und wir sind zusammen
gegangen.
Jörg spielt jetzt immer mit dem Buben und
Helga paßt öfter auf die zwei Mädels auf. Ich habe mich direkt gewundert, wie
gut Helga mit so kleinen Kindern umgehen kann.
Nach dem Anmelden mußte ich noch in die Stadt, Helga und Jörg hätten aber
gern mit den Kindern gespielt und so sind sie mit heimgegangen, nachdem sich
Helga hundertmal versichert hatte, daß ich es bestimmt nicht übel nehme. Ich
bin dann allein in die Stadt gegangen. Ich muß schon sagen, daß es mir ganz eigenartig
vorgekommen ist. Fahren tue ich ja öfter in die Stadt, aber daß ich allein
laufe, kommt doch fast gar nicht vor. Lustig war es heute anzusehen, wie an
vielen Schaufenstern Kinder standen und nachsahen, ob ihr Geldbeutel für dies
oder jenes Geschenk ausreicht. Überall hat man sie auch mit kleinen Päckchen
gesehen. Unsere Kinder sind wegen dem Muttertag ja auch schon ganz aufgeregt.
Jörg sagte heute schon wir sollten ihn am liebsten schon morgen feiern. Immer
wird mir auch versichert, daß ich mich ganz bestimmt fest freuen werde, denn es
sei so etwas Schönes, was sie gekauft hätten. Mir macht schon ihre Freude
selbst Freude. Ich habe mir heute die Kennkarten-Bilder geholt. Die Aufnahme
ist gar nicht so schlecht. Sollte ich für die Karte nur 3 Bilder brauche,
schicke ich Dir eine mit. Ich wollte heute gleich die Karte beantragen, aber
das Büro war schon zu. Ich gehe morgen gleich noch Mal mit vorbei, damit ich
das hinter mir habe.
Als ich heimkam, habe ich gleich noch
Bohnen rein getan, das heißt, ich habe die Löcher gemacht und Helga hat die
Bohnen gelegt. Sie hat sich ganz gut dabei angestellt. Eigentlich müssen die
Bohnen jetzt, nachdem sich unser kleiner Kerl so dabei angestrengt hat, noch einmal
so gut wachsen. Das hoffe ich denn auch. Das waren heute die Stangenbohnen,
morgen kommen die halbhohen dran. Die Buschbohnen sind, nach unserem Buche
jedenfalls, noch nicht so eilig. Oder soll ich sie auch reinmachen? Auch die
Gurken will ich bald fertig machen Muß ich die abends immer noch zudecken,
solange es kühl ist, oder sind sie nicht so empfindlich? Nachdem wir Abendbrot
gegessen hatten, habe ich mich noch an verschiedene Schuhe gemacht. Sie hatten
alle kleine Defekte. Nachdem es jetzt
so lange hell ist, lasse ich die Kinder immer bis 3/4 8 rausgehen. Bis sie sich
ausgezogen haben, ist es immer so 1/2 - 3/4 9 Uhr. Ist das zu spät oder macht
es nichts? So ganz klein sind sie ja nicht mehr.
Es wurde wieder einmal Zeit, daß bei Jörg
die Haare geschnitten werden. Er hat es immer wieder hinausgezögert, bis ich
ihm heute sagte, mit so wilden Haaren darfst Du nicht in die Schule zur
Anmeldung kommen. Das hat er eingesehen und so habe ich ihn wieder fein
gemacht. Jetzt fühlt er sich viel wohler, wie jedes Mal nach dem
Haareschneiden, aber bis zum nächsten Mal hat er`s vergessen und dann geht das
Theater von neuem los. Das ist doch ein kleiner dummer Kerl.
Heute beim anmelden mußten wir in das
Klassenzimmer von Helga. Da hättest du sie sehen sollen, wie stolz sie war.
Alles hat sie Jörg gezeigt, wo sie sitzt, wo der „Fundplatz“ ist usw. Auf den
Fundplatz kommen alle Sachen, die von
Kindern vergessen wurden. Diesen Platz hat sie bereichert, indem sie
alle Bänke nachgesehen hat nach vergessenen Sachen. Sie hat tatsächlich
verschiedenes entdeckt. Sogar Tafeln. Richtig stolz war Helga auf ihr
Klassenzimmer, immer hat sie wieder gesagt: „Gell, ich weiß, wo alles ist.“
Richtig ein bißchen lausbubenhaft ist sie geworden. Du weißt ja, wie sie da
sind. Sie ist auf ihren Platz gegangen, hat sich hingeflegelt und hat dann allen
so zu verstehen gegeben, daß das ihr Zimmer ist. Also weißt Du, frech war sie
nicht, nur richtig übermütig und ich muß sagen, ich habe meine Freude an ihr
gehabt. Das hat mich auch so an die eigene Schulzeit erinnert. Ich habe richtig
über sie lachen müssen, ich glaube, wir waren sicher auch einmal so.
Es ist nun inzwischen spät geworden, 1/4
12 Uhr, und ich will schlafen gehen. Schlaf auch Du gut, mein liebster Mann, und wach ganz gesund wieder auf.
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