Mein lieber Ernst! Konstanz, 22.5.41
Als ich gestern vom Brieffortschaffen
heimkam, sagten mir die Kinder, heute hat der
Briefträger nur eine Zeitung für uns gehab. Dabei machten sie aber so
ein komisches Gesicht, daß es mir gleich nicht ganz geheuer vorkam und tatsächlich,
unter meiner Strickarbeit hatten sie Deinen Brief vom 17.5. versteckt. Da habe
ich mich sehr gefreut. Ich danke Dir sehr dafür.
Ich freue mich, daß Du nun einen festen
Arbeitsplatz hast. Dir wird es sicher auch recht sein.
Nun ist der Muttertag schon wieder vorbei.
Wir hatten uns an diesem Tag auch davon unterhalten, wie Ihr mich in den
vergangenen Jahren immer beschenkt habt. Über die Vasen freue ich mich jetzt
immer noch. Sie sehen auch so gut aus. Die große Vase ist eine richtige Zierde.
Es ist dieses Jahr der zweite Muttertag gewesen, den Du nicht bei uns verbracht
hast. Im vergangenen Jahr warst Du eben fortgefahren. Da war ich das Alleinsein
noch weniger gewöhnt als jetzt. Ob Du nächstes Jahr wohl schon wieder bei uns
bist? Aber Du hast recht, wir werden warten und schaffen inzwischen, wie es
nötig ist.
Ich kann mir denken, daß Du über den
Inhalt der Briefe von der Stadt nicht befriedigt bist. Aber augenblicklich wird
sich wohl nichts machen lassen. Mit dem Zeugnis glaube ich, daß Du zufrieden
sein kannst. Das „vollkommen befriedigend“ entspricht der Note 3 (vollwertige
Leistung ohne Einschränkung). Du weißt ja, daß Fritz Bautz (den Du ja nicht für
dumm ansiehst) sich damals auch geärgert hatte, weil er „befriedigend“ bekommen
hatte, wo er sicher mit „gut“ gerechnet hatte. Hast Du schon mit Euerm
Abteilungsleiter gesprochen?
Du wirst es mir bitte nicht übel nehmen,
wenn ich wegen dem Gehaltszettel noch nicht zur Stadt gehe. Von nächstem Monat
an bekomme ich ja wieder regelmäßig den mir zustehenden Betrag. Da kann ich mir
dann ausrechnen, was sie diesmal abgezogen haben. Richtig wäre es natürlich,
wenn sie die abgezogenen Beträge einzeln aufführen aber ich mag deshalb nicht
extra reklamieren. Man macht sich da so verhaßt.
Im Herbst mache ich die alten Erdbeeren
drüben raus und werde an dem schrägen Stück eine neue Sorte anpflanzen. Kauft
man die beim Gärtner? Nachdem ich gestern von Dir Bescheid bekommen habe, bin
ich gestern noch gegangen und habe Tomatensetzlinge gekauft, 12 Stück. 9 stehen
hinterm Haus und 3 im großen Garten. Sonst hätten sie zu wenig Sonne bekommen.
Auch die Gurken habe ich noch gelegt. Es hatte sich gestern gegen Abend etwas
aufgehellt, so daß ich noch ein Weilchen im Garten schaffen konnte. Heute Nacht
hat es wieder geregnet, so daß also die Setzlinge genug angegossen worden sind.
Heute kann sich das Wetter noch nicht entscheiden, ob es schön werden will.
Jörg spielt oben Motorrad mit Anhänger. Er
hat die lange Trainingshose an. Auf dem Rücken hat er die zusammengelegte rote
Decke als Affen, in der Hand sein Gewehr. Manchmal fährt er plötzlich während
der Fahrt heraus, läuft vor, schmeißt sich hin und schießt. Dann läuft er
wieder zurück und weiter geht die Fahrt.
Ich habe die begründende Befürchtung, daß
bei dieser Behandlung die Hose bald futsch sein wird. Aber sage selbst, kann
man einem Soldaten verbieten, sich hinzuwerfen, wenn er schießen muß?
Vorhin erhielt ich Deine Päckchen 5 und 6.
Recht vielen Dank. Nun muß ich Dich
noch etwas fragen. Du darfst es mir aber nicht übel nehmen. Du schriebst einmal,
daß Du in der Hauptsache Milchschokolade gekauft hast. Außer den zwei
Milch-Nußschokoladen war aber keine Milchschokolade dabei. Habe ich das in
Deinem Brief vielleicht falsch verstanden? Mir schmeckt die andere Schokolade,
also die bittere, ja fein. Nur die Kinder sind nicht erbaut.
Vorhin erhielt ich einen Brief von
Siegfried mit einem Bild. Ich schicke Dir beides einmal mit. Mit Erna ist also
alles wieder in Ordnung. Das neue Bild gefällt mir besser als das andere, das
wir haben. Ich werde also später das neue Bild in den Rahmen tun.
In Deinem heutigen Päckchen war Nestle
Schokolade in weißem Papier. Soll das vielleicht die
Gesundheitsschokolade sein? Bei Gelegenheit werde ich auch davon einmal etwas
probieren. Einstweilen habe ich sie noch mit weggetan.
Gestern
Abend war Vater oben. Er erzählte mir, daß er am Sonntag von morgens bis
abends 6 Uhr im Garten geschafft hat. Am Montagabend hat er weiter gemacht. Er
will sehen, daß er heute noch säen kann. Im Geschäft bei ihm schaffen sie jetzt
zwei Wochen 10 1/2 Stunde täglich. Da kommt er erst 1/2 7 aus dem Geschäft. Da kannst Du Dir denken,
daß er da natürlich nicht mehr viel zur Gartenarbeit kommt. Aber er hätte auch
hören und sich Urlaub nehmen können, wie Du gesagt hast. Du weißt ja, wie es
ist, er nimmt sich`s vor und dann macht er`s doch nicht. Aber er ist ja schon
ein älterer Mann und ändert sich nicht mehr. Man muß ihn eben so nehmen wie er ist.
Ich will gleich noch an Siegfried schreiben,
damit das auch erledigt ist. Sei Du, mein lieber Ernst, für heute wieder recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Nun habe ich doch noch etwas zu schreiben.
Ich war vorhin im Garten und habe wieder 16 Pfund Rhabarber geerntet. Dabei habe
ich nur das geholt, was den anderen Stangen im Weg war. Es sind noch so viele
da. Alle Stöcke sind gleich ertragreich, auch der Erdbeerrhabarber. Der hat
dieses Jahr auch ganz dicke Stangen. Es ist nur schade, daß ich den Rhabarber
so schlecht verwenden kann. Die Kinder essen fast gar keinen. Da muß ich mich
jedes Mal ärgern. Auch Rhabarber-Kuchen essen sie nicht so gern. Es hat da fast
gar keinen Zweck, wenn ich welchen einmache. Marmelade könnte ich evtl. kochen,
aber ich möchte den Zucker lieber für Stachel- und Johannisbeeren aufsparen.
Ich mache jetzt eigentlich nur Kompott für mich. Ich esse es gern. Wenn es noch
Rhabarber gibt, wenn die Erdbeeren reif sind, könnte ich , soweit ich ihn dazu
nicht selbst brauche, welchen an Frau Leimenstoll verkaufen. Sie mischt ihn mit
Erdbeeren für Marmelade. Das mache ich natürlich auch, aber wir werden dieses
Jahr nicht sehr viel haben. Abgesehen davon, freue ich mich doch, wenn sich die
Stöcke so gut entwickeln, denn wenn wieder Friede ist, habe ich sicher wieder
genug Zucker, um alles verbrauchen zu können.
Spinat habe ich auch wieder holen können.
Von den Kartoffeln, die Du noch mit gelegt
hast, kommen jetzt schon welche raus. Auch die zweiten Möhren wachsen gut. Die
Salatsetzlinge sind jetzt so groß, daß ich sie bald versetzen muß. Die
Salatsetzlinge zwischen den Erdbeeren haben sich auch schön raus gemacht. Es
wird nicht mehr solange dauern, bis ich sie verwenden kann. Ich will nun den
Brief gleich fortbringen, denn es hat sich etwas aufgeheitert und ich denke,
daß ich noch ein bißchen im Garten schaffen kann.
Nochmals viele Küsse von Deiner Annie.
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