Mein lieber Ernst! 5. Mai
Trotzdem es schon sehr spät ist, 11 Uhr,
will ich Dir doch noch schreiben, denn sonst ist für mich der Tag gar nicht
vollständig, ich will doch wenigstens
im Brief mit Dir reden.
Nachdem in der vergangenen Nacht die
Nierenschmerzen vergangen sind (ich hatte mich richtig warm verpackt) war heute
die beste Gelegenheit, wieder mal richtig zu schaffen. Das habe ich denn auch
getan. Das Wetter hat auch dazu verleitet, denn es war sonnig und warm. Am
Morgen bin ich in den Garten gegangen.
Ich habe Rotkraut, Weißkraut usw. nochmals nachgesät , da die Erdflöhe alles
abgefressen hatten. Diesmal habe ich aber gleich Asche gestreut. Dann habe ich
Spinat, Möhren, Kohlrabi gehackt, Erbsen gehäufelt und Reisig gesteckt. Für die
nächsten Erbsen und halbhohen Bohnen müssen wir noch Reisig holen. Hinterher
habe ich noch mal Erbsen gesät und drüben im Garten habe ich die Dahlien rein
getan. Vorläufig wäre alles soweit gemacht, nur Möhren will ich auch noch
einmal säen. Rote Rüben habe ich übrigens auch gesät, wie Du gesagt hattest,
hinter den Kartoffeln. Am Nachmittag habe ich mich ans Nähen gemacht. Ein Kleid
von Helga ist verlängert, bei anderen die Ärmel abgeändert worden, da sie kaputt
waren. Zum Schluß hat sie aus einem alten Kleid von mir ein Trägerkleidchen
bekommen. Damit bin ich vorhin gerade fertig geworden. Dieser Tag hat mich
befriedigt, da ist wenigstens etwas fertig geworden. Nun will ich aber schlafen
gehen. Vielleicht bekommen wir bald einen Brief mit Deiner neuen Anschrift von
Dir, damit ich Dir auch schreiben kann.
Mein
lieber Ernst! 6.5.
Soeben habe ich Deinen lieben Brief vom 30.4./2.5. erhalten und
weiß nun Deine neue Feldpostnummer. Ich will nachher gleich meinen Brief noch
wegschaffen, denn, nachdem es dort so trostlos ist, wirst Du sicher auch auf
Post warten. Es tut mir sehr leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. Laß es
Dir nicht gar so schwer fallen.
Es war ja gut, daß Dich Dr. Thomas gleich
am ersten Tag abgeholt hat, da hast Du wenigstens noch ein bißchen Abwechslung
gehabt. Gibt es dort auch kein Soldatenkino oder Theater? Das wirst Du ja
sicher sehr vermissen.
Bist du nun in den Ort gekommen, von dem
Du geschrieben hast? Unseren Kindern werde ich nachher, wenn sie wieder da
sind, Deinen Kuß übermitteln. Augenblicklich ist Helga bis 6 Uhr in der Schule
und Jörg spielt unten. Ich habe heute den ganzen Tag gebügelt und will nachher
in die Stadt fahren.
Morgen wollen wir noch einmal auf die
Messe gehen. Helga und Jörg haben von Vater je 50 Pfennig bekommen. Sie sollen
sich dafür etwas kaufen. Nun haben sie mir keine Ruhe gelassen, bis ich ihnen
versprochen habe, morgen mit ihnen auf die Messe zu gehen. Ich habe ihnen jetzt
einmal von der Messe in Leipzig erzählt. Da waren sie begeistert. Helga hat
sich vorgenommen, gleich nach dem Krieg nach Leipzig zu fahren. Von den
verschiedenen Karussells konnten beide gar nicht genug hören. Vater, der gerade
da war, hat natürlich abraten wollen. Das kostet so viel Geld, da könnte man
was ganz anderes dafür kaufen. Aber die Kinder haben sich ihre Freude nicht
nehmen lassen. Das macht doch auch nichts, wenn sie Luftschlösser bauen. Zur
gegebenen Zeit werden wir schon sehen, was wird.
Als Du fortgefahren bist, wolltest Du
Deine Sporthose mitnehmen. Du hast sie aber vergessen. Soll ich sie Dir
schicken, oder kannst Du sie jetzt dort nicht brauchen.
Nun will ich schließen. Du hast ja dieses
Mal viel zu lesen gehabt.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von
Deiner Annie.
Bei Jörg seiner Sohle sehen die Schuhe
fast so groß aus wie bei Helga, weil seine Schuhe einen breiten Rand haben.
Mein lieber Ernst! 6.5. abends
Heute Nachmittag habe ich den ersten Brief
an Dich fortgebracht. Dein Brief vom 2. ist diesmal nicht so sehr lange unterwegs
gewesen. Vielleicht dauert es auch bei Dir nicht so lange, bis Du Post
erhältst.
Als ich heute fort fahren wollte, mußte
ich feststellen, daß in mein Vorderrad hineingestochen worden ist. Es muß aus
dem Haus jemand gewesen sein, denn die Stichstellen waren da, wo man überhaupt
nicht fährt, ganz an der Seite. Außerdem hat es ganz gezischt, als ich das Rad
aufpumpen wollte, das hätte ich doch
gestern gemerkt. Sie müssen doch immer wieder sehen, wie sie einem etwas
auswischen können. Glücklicherweise kann ich ja selber reparieren und so war
der Schaden bald behoben. Heute habe ich noch Möhrensamen für späte Möhren
gekauft. Kapuzinerkresse habe ich auch mitgebracht. Außerdem konnte ich
Zwiebelsamen für gelbe Zwiebeln bekommen. Die säe ich nun noch, es ist schon
noch Zeit dazu. Der Rhabarber ist bei uns diesmal schon so hoch und dicht, daß
ich bald welchen holen muß. Ich mache ja wieder welchen ein, evtl. koche ich
auch etwas Marmelade davon. Das macht Freude, wenn man schon etwas ernten kann.
7.5. Ehe wir auf die Messe gehen, will ich diesen Brief fertig
schreiben. Wir haben heute wieder sonniges Wetter. Am Morgen habe ich die
Samen, die ich gestern gekauft habe, gesät. Hinterher habe ich noch genäht.
Heute Nachmittag faulenze ich nun und gehe spazieren. Die Kinder freuen sich
selbstverständlich schon sehr. Im Garten blühen die Stachelbeeren und
Johannisbeeren immer noch sehr. Die Johannisbeeren haben sich noch schön
herausgemacht und hängen über und über voll Blüten. Die Hauptsache ist nun, daß
sie nicht noch erfrieren. Wann soll ich Bohnen und Gurken säen? Wahrscheinlich
so um den 20. rum, nicht wahr? Herr Steinmehl hat es gestern schon getan, aber
ich finde, das ist etwas zeitig. Unser Baum hat auch schon kleine Blätter, der
ganze Baum sieht hellgrün aus. Es ist eben doch Frühling, wenn es auch manchmal
noch ziemlich kalt ist.
Nun will ich schließen. Die Kinder sind
schon ungeduldig und können es gar nicht mehr erwarten. Sei wieder recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Viele
Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg!
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