Donnerstag, 5. Mai 2016

Brief 150 vom 5./6./7.5.1941


 Mein lieber Ernst!                                                                                5. Mai                                          

Trotzdem es schon sehr spät ist, 11 Uhr, will ich Dir doch noch schreiben, denn sonst ist für mich der Tag gar nicht vollständig, ich will doch  wenigstens im Brief mit Dir reden.
Nachdem in der vergangenen Nacht die Nierenschmerzen vergangen sind (ich hatte mich richtig warm verpackt) war heute die beste Gelegenheit, wieder mal richtig zu schaffen. Das habe ich denn auch getan. Das Wetter hat auch dazu verleitet, denn es war sonnig und warm. Am Morgen bin ich  in den Garten gegangen. Ich habe Rotkraut, Weißkraut usw. nochmals nachgesät , da die Erdflöhe alles abgefressen hatten. Diesmal habe ich aber gleich Asche gestreut. Dann habe ich Spinat, Möhren, Kohlrabi gehackt, Erbsen gehäufelt und Reisig gesteckt. Für die nächsten Erbsen und halbhohen Bohnen müssen wir noch Reisig holen. Hinterher habe ich noch mal Erbsen gesät und drüben im Garten habe ich die Dahlien rein getan. Vorläufig wäre alles soweit gemacht, nur Möhren will ich auch noch einmal säen. Rote Rüben habe ich übrigens auch gesät, wie Du gesagt hattest, hinter den Kartoffeln. Am Nachmittag habe ich mich ans Nähen gemacht. Ein Kleid von Helga ist verlängert, bei anderen die Ärmel abgeändert worden, da sie kaputt waren. Zum Schluß hat sie aus einem alten Kleid von mir ein Trägerkleidchen bekommen. Damit bin ich vorhin gerade fertig geworden. Dieser Tag hat mich befriedigt, da ist wenigstens etwas fertig geworden. Nun will ich aber schlafen gehen. Vielleicht bekommen wir bald einen Brief mit Deiner neuen Anschrift von Dir, damit ich Dir auch schreiben kann.


 Mein lieber Ernst!                                                                               6.5. 

 Soeben habe ich Deinen lieben Brief vom 30.4./2.5. erhalten und weiß nun Deine neue Feldpostnummer. Ich will nachher gleich meinen Brief noch wegschaffen, denn, nachdem es dort so trostlos ist, wirst Du sicher auch auf Post warten. Es tut mir sehr leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. Laß es Dir nicht gar so schwer fallen.
Es war ja gut, daß Dich Dr. Thomas gleich am ersten Tag abgeholt hat, da hast Du wenigstens noch ein bißchen Abwechslung gehabt. Gibt es dort auch kein Soldatenkino oder Theater? Das wirst Du ja sicher sehr vermissen.
Bist du nun in den Ort gekommen, von dem Du geschrieben hast? Unseren Kindern werde ich nachher, wenn sie wieder da sind, Deinen Kuß übermitteln. Augenblicklich ist Helga bis 6 Uhr in der Schule und Jörg spielt unten. Ich habe heute den ganzen Tag gebügelt und will nachher in die Stadt fahren.
Morgen wollen wir noch einmal auf die Messe gehen. Helga und Jörg haben von Vater je 50 Pfennig bekommen. Sie sollen sich dafür etwas kaufen. Nun haben sie mir keine Ruhe gelassen, bis ich ihnen versprochen habe, morgen mit ihnen auf die Messe zu gehen. Ich habe ihnen jetzt einmal von der Messe in Leipzig erzählt. Da waren sie begeistert. Helga hat sich vorgenommen, gleich nach dem Krieg nach Leipzig zu fahren. Von den verschiedenen Karussells konnten beide gar nicht genug hören. Vater, der gerade da war, hat natürlich abraten wollen. Das kostet so viel Geld, da könnte man was ganz anderes dafür kaufen. Aber die Kinder haben sich ihre Freude nicht nehmen lassen. Das macht doch auch nichts, wenn sie Luftschlösser bauen. Zur gegebenen Zeit werden wir schon sehen, was wird.
Als Du fortgefahren bist, wolltest Du Deine Sporthose mitnehmen. Du hast sie aber vergessen. Soll ich sie Dir schicken, oder kannst Du sie jetzt dort nicht brauchen.
Nun will ich schließen. Du hast ja dieses Mal viel zu lesen gehabt.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Bei Jörg seiner Sohle sehen die Schuhe fast so groß aus wie bei Helga, weil seine Schuhe einen breiten Rand haben.

Mein lieber Ernst!                                                                        6.5. abends

Heute Nachmittag habe ich den ersten Brief an Dich fortgebracht. Dein Brief vom 2. ist diesmal nicht so sehr lange unterwegs gewesen. Vielleicht dauert es auch bei Dir nicht so lange, bis Du Post erhältst.
Als ich heute fort fahren wollte, mußte ich feststellen, daß in mein Vorderrad hineingestochen worden ist. Es muß aus dem Haus jemand gewesen sein, denn die Stichstellen waren da, wo man überhaupt nicht fährt, ganz an der Seite. Außerdem hat es ganz gezischt, als ich das Rad aufpumpen wollte, das  hätte ich doch gestern gemerkt. Sie müssen doch immer wieder sehen, wie sie einem etwas auswischen können. Glücklicherweise kann ich ja selber reparieren und so war der Schaden bald behoben. Heute habe ich noch Möhrensamen für späte Möhren gekauft. Kapuzinerkresse habe ich auch mitgebracht. Außerdem konnte ich Zwiebelsamen für gelbe Zwiebeln bekommen. Die säe ich nun noch, es ist schon noch Zeit dazu. Der Rhabarber ist bei uns diesmal schon so hoch und dicht, daß ich bald welchen holen muß. Ich mache ja wieder welchen ein, evtl. koche ich auch etwas Marmelade davon. Das macht Freude, wenn man schon etwas ernten kann.

 7.5. Ehe wir auf die Messe gehen, will ich diesen Brief fertig schreiben. Wir haben heute wieder sonniges Wetter. Am Morgen habe ich die Samen, die ich gestern gekauft habe, gesät. Hinterher habe ich noch genäht. Heute Nachmittag faulenze ich nun und gehe spazieren. Die Kinder freuen sich selbstverständlich schon sehr. Im Garten blühen die Stachelbeeren und Johannisbeeren immer noch sehr. Die Johannisbeeren haben sich noch schön herausgemacht und hängen über und über voll Blüten. Die Hauptsache ist nun, daß sie nicht noch erfrieren. Wann soll ich Bohnen und Gurken säen? Wahrscheinlich so um den 20. rum, nicht wahr? Herr Steinmehl hat es gestern schon getan, aber ich finde, das ist etwas zeitig. Unser Baum hat auch schon kleine Blätter, der ganze Baum sieht hellgrün aus. Es ist eben doch Frühling, wenn es auch manchmal noch ziemlich kalt ist.
Nun will ich schließen. Die Kinder sind schon ungeduldig und können es gar nicht mehr erwarten. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg!

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