Mein liebster Ernst! Konstanz, 23.5.41
Einen Brief habe ich auch heute nicht von
Dir bekommen. So will ich Dir von unserem Tagewerk berichten.
Gestern hat mir Helga fleißig geholfen,
überall Unkraut zu entfernen. Da wir gleich zu zweien geschafft haben, sind wir
auch gestern noch fertig geworden. Dann habe ich mich an die Schwarzwurzeln
gemacht. Die fingen an zu blühen. Ich habe sie jetzt alle raus gemacht. Einen
Teil kann ich verbrauchen, aber das meiste sind ganz dünne Stengel. Ich habe
das Stück noch umgegraben. Da setze ich später Kraut hin. Gegen Abend habe ich
das größere Stachelbeerbäumchen gestützt. Das war schon wieder nötig. Die
Beeren haben jetzt die Hälfte ihrer Größe erreicht und haben schon ein ziemliches
Gewicht. Heute Nachmittag werde ich wahrscheinlich die Salatsetzlinge setzen. Jetzt
möchte ich Dir noch etwas von Helga erzählen. Da ich beim Stricken bin,
habe ich mir das Strickheft, nach dem
ich die Jacke mache, angesehen. Helga auch. Da sind mehrere Damen abgebildet.
Helga sagt: „Die sind aber geschminkt, das gefällt mir nicht. Bloß gut, daß Du
Dich nicht schminkst.“ Ich sage darauf: „Wenn es nun aber Vaterle gern wollte?“
„Dann müßtest Du es auch machen“ sagt sie „aber Mutterle, dann bloß kußecht.“
Was sagst Du zu so einem Lauser?
Daß ich es nicht vergesse. Herr Kuster
fragte mich, ob du dort nicht die neuen Marken von Petain besorgen könntest.
Hier bekäme man sie sehr schwer und nur mit bedeutenden Zuschlägen. Er hätte
dafür Interesse.
Heute ist es zum ersten Mal wieder schön.
Wenn auch nicht immer die Sonne scheint, aber es ist ziemlich warm, d.h.
gestern Nachmittag war es auch schon ganz schön, bis gestern Abend. Da mußte es
natürlich wieder regnen.
Beim schaffen hatte ich mir gestern die
Strümpfe ausgezogen. Da hat mich doch irgend so ein Viech so gestochen, daß ich
heute ein ganz geschwollenes Bein habe. Das tut ziemlich weh. Vor allem beim
laufen.
Es ist nun inzwischen Nachmittag geworden.
Ich wollte warten, ob vielleicht noch ein Brief von Dir kommt. Ich bin einstweilen
in den Garten gegangen und habe den Salat gesetzt, so ca. 50 Stück. Das reicht
sicher für uns. Evtl. kann ich noch welche nachsetzen, denn Setzlinge sind noch
genug da. - Ich weiß nun nicht, ob der Briefträger schon vorbei ist. Auf jeden
Fall schreibe ich jetzt fertig. Es will nämlich doch schon wieder mit regnen
anfangen. Vielleicht komme ich noch trocken heim.
Beim Baum fangen die Blüten an abzufallen.
Der Garten sieht schon wie beschneit aus. Ich bin ja gespannt, ob wir dieses
Jahr Äpfel bekommen. Wenn es auch nicht so viel wären wie voriges Jahr.
Beim Schlangenkaktus will die Blüte jetzt
aufgehen. Die Außenblätter lösen sich schon.
Jetzt habe ich den Briefträger gesehen.
Für mich hatte er aber leider nichts. Ich will nun ganz fest hoffen, daß ich
morgen wieder einen Brief von Dir bekomme.
Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 24.5.41
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom
Montag. Ich danke Dir sehr. Den Sonntag hast Du also gut verbracht. Das freut
mich. Das ist Dir ja das liebste, wenn Du Dir viel ansehen kannst.
Wahrscheinlich wirst Du nach dem Krieg ja auch nicht gleich wieder dorthin
kommen.
Ich bin gespannt, was Du bei der
Stadtverwaltung erreichst. Es ist ja recht, wenn von dort etwas dazugeschrieben
wird. Die sind in dieser Beziehung hartnäckig, die Konstanzer, sobald sie etwas
zahlen sollen. Es wird am meisten Bosheit von Lang sein.
Der Salat, den ich gestern gesetzt habe,
hat sich schön aufgerichtet, nachdem es die ganze Nacht geregnet hat. Auch
heute regnet es noch. In der Zeitung stehen heute lauter Sprüche, in denen
allen der Mairegen gelobt wird. Damit wollen wir uns mal trösten, wenn uns der
Regen zu lange dauert.
Ich gehe jetzt meist zeitig schlafen. Ich
habe wieder oft Schmerzen am Brustbein und da ist es mir das liebste, wenn ich
bald im Bett bin. Sobald ich etwas viel schaffe, fängt es an. Ich habe mich
schon richtig daran gewöhnt. Aber warum soll ich mich da abends noch lange hinsetzen.
Da schlafe ich doch lieber. Gestern Abend wollte ich um 9 auch ins Bett. Ich
hatte schon zugeschlossen. Auf einmal kam Vater noch. Ich soll ihm ein Brot und
Stumpen besorgen, da er heute auch bis 1/2 7 arbeitet. Er wollte zwar gleich
wieder gehen, aber es ist dann doch 10 Uhr geworden. Ich habe dafür heute Morgen
etwas länger geschlafen, da Helga keine Schule hat. Heute ist doch Jugendsporttag.
Wo sie zwar bei diesem Regen Sport treiben wollen, weiß ich nicht.
Mit meinem Bein kann ich heute noch sehr
schlecht gehen. Es ist immer noch angeschwollen. Das muß ein ziemlich giftiges
Ding gewesen sein, das mich gestochen hat.
Die neue kleine Amarylliszwiebel macht mir
Freude. Das kleine, erste Blatt ist schon 1 1/2 cm hoch. Man sieht es direkt
wachsen.
Vorm Haus kommt jetzt die Kapuzinerkresse
heraus. Ich denke, es wird ganz schön aussehen, wenn sie sich am Zaun
hochrankt. Bei den Dahlien rührt sich noch nichts, aber ich glaube, die brauchen
eine Weile, bis sie ausschlagen.
Da Vater nicht weiß, ob er seinen Garten
behält (scheinbar hat er selber nicht mehr die richtige Lust) soll ich den Mist
von ihm mit verbrauchen. Ich will ihm natürlich das Geld dafür geben. Ich
brauche ja jetzt keinen mehr. Macht es etwas, wenn ich ihn bis zum Herbst
liegen lasse?
Heute Nacht habe ich wieder von Dir
geträumt. Das freut mich immer am meisten. Da sehe ich Dich doch wenigstens
richtig vor mir und es ist, wenn auch nur für kurze Zeit, als wenn Du noch bei
uns wärst.
Wenn nur bald mal längere Zeit gutes
Wetter wär, damit wir in den Wald gehen und Erbsenreisig holen könnten. Auch
sollten wir Sand haben, aber nasser Sand ist doppelt schwer. Extra abplagen mag
ich mich auch nicht.
Verlebe nun den Sonntag recht gesund. Ich
sende Dir viele Grüße und Küsse Deine Annie.
Ich schicke Dir noch eine Todesanzeige
mit. Hast Du den Mann gekannt? In der Zeitung steht auch die Anzeige von einem
Reichsbahnoberinspektor i.R., Otto Knorre, der gestorben ist. Ist das der Vater
von dem Knorre, den Du kennst? Der Günther Prien ist ja nun auch nicht zurückgekommen.
Es ist doch schade um den Mann. Es tut allen sehr leid.
Lieber Ernst! Konstanz, 24.5.41
Nun kommt wieder ein kleines Päckchen ohne
Voranmeldung. Was wirst Du dazu sagen? Nur nicht schimpfen. Das verlohnt sich
wegen so einem kleinen Päckchen auch gar nicht. Im übrigen hast Du ja selbst
gesagt, daß man beim lesen ganz gut ab und zu etwas knabbern kann.
Laß Dir`s gut schmecken und sei ganz fest
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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