Dienstag, 24. Mai 2016

Brief 162 vom 23./24.5.1941


Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 23.5.41                                                                                 

Einen Brief habe ich auch heute nicht von Dir bekommen. So will ich Dir von unserem Tagewerk berichten.
Gestern hat mir Helga fleißig geholfen, überall Unkraut zu entfernen. Da wir gleich zu zweien geschafft haben, sind wir auch gestern noch fertig geworden. Dann habe ich mich an die Schwarzwurzeln gemacht. Die fingen an zu blühen. Ich habe sie jetzt alle raus gemacht. Einen Teil kann ich verbrauchen, aber das meiste sind ganz dünne Stengel. Ich habe das Stück noch umgegraben. Da setze ich später Kraut hin. Gegen Abend habe ich das größere Stachelbeerbäumchen gestützt. Das war schon wieder nötig. Die Beeren haben jetzt die Hälfte ihrer Größe erreicht und haben schon ein ziemliches Gewicht. Heute Nachmittag werde ich wahrscheinlich die Salatsetzlinge setzen. Jetzt möchte ich Dir noch etwas von Helga erzählen. Da ich beim Stricken bin, habe  ich mir das Strickheft, nach dem ich die Jacke mache, angesehen. Helga auch. Da sind mehrere Damen abgebildet. Helga sagt: „Die sind aber geschminkt, das gefällt mir nicht. Bloß gut, daß Du Dich nicht schminkst.“ Ich sage darauf: „Wenn es nun aber Vaterle gern wollte?“ „Dann müßtest Du es auch machen“ sagt sie „aber Mutterle, dann bloß kußecht.“ Was sagst Du zu so einem Lauser?
Daß ich es nicht vergesse. Herr Kuster fragte mich, ob du dort nicht die neuen Marken von Petain besorgen könntest. Hier bekäme man sie sehr schwer und nur mit bedeutenden Zuschlägen. Er hätte dafür Interesse.
Heute ist es zum ersten Mal wieder schön. Wenn auch nicht immer die Sonne scheint, aber es ist ziemlich warm, d.h. gestern Nachmittag war es auch schon ganz schön, bis gestern Abend. Da mußte es natürlich wieder regnen.
Beim schaffen hatte ich mir gestern die Strümpfe ausgezogen. Da hat mich doch irgend so ein Viech so gestochen, daß ich heute ein ganz geschwollenes Bein habe. Das tut ziemlich weh. Vor allem beim laufen.
Es ist nun inzwischen Nachmittag geworden. Ich wollte warten, ob vielleicht noch ein Brief von Dir kommt. Ich bin einstweilen in den Garten gegangen und habe den Salat gesetzt, so ca. 50 Stück. Das reicht sicher für uns. Evtl. kann ich noch welche nachsetzen, denn Setzlinge sind noch genug da. - Ich weiß nun nicht, ob der Briefträger schon vorbei ist. Auf jeden Fall schreibe ich jetzt fertig. Es will nämlich doch schon wieder mit regnen anfangen. Vielleicht komme ich noch trocken heim.
Beim Baum fangen die Blüten an abzufallen. Der Garten sieht schon wie beschneit aus. Ich bin ja gespannt, ob wir dieses Jahr Äpfel bekommen. Wenn es auch nicht so viel wären wie voriges Jahr.
Beim Schlangenkaktus will die Blüte jetzt aufgehen. Die Außenblätter lösen sich schon.
Jetzt habe ich den Briefträger gesehen. Für mich hatte er aber leider nichts. Ich will nun ganz fest hoffen, daß ich morgen wieder einen Brief von Dir bekomme.
Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 24.5.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom Montag. Ich danke Dir sehr. Den Sonntag hast Du also gut verbracht. Das freut mich. Das ist Dir ja das liebste, wenn Du Dir viel ansehen kannst. Wahrscheinlich wirst Du nach dem Krieg ja auch nicht gleich wieder dorthin kommen.
Ich bin gespannt, was Du bei der Stadtverwaltung erreichst. Es ist ja recht, wenn von dort etwas dazugeschrieben wird. Die sind in dieser Beziehung hartnäckig, die Konstanzer, sobald sie etwas zahlen sollen. Es wird am meisten Bosheit von Lang sein.
Der Salat, den ich gestern gesetzt habe, hat sich schön aufgerichtet, nachdem es die ganze Nacht geregnet hat. Auch heute regnet es noch. In der Zeitung stehen heute lauter Sprüche, in denen allen der Mairegen gelobt wird. Damit wollen wir uns mal trösten, wenn uns der Regen zu lange dauert.
Ich gehe jetzt meist zeitig schlafen. Ich habe wieder oft Schmerzen am Brustbein und da ist es mir das liebste, wenn ich bald im Bett bin. Sobald ich etwas viel schaffe, fängt es an. Ich habe mich schon richtig daran gewöhnt. Aber warum soll ich mich da abends noch lange hinsetzen. Da schlafe ich doch lieber. Gestern Abend wollte ich um 9 auch ins Bett. Ich hatte schon zugeschlossen. Auf einmal kam Vater noch. Ich soll ihm ein Brot und Stumpen besorgen, da er heute auch bis 1/2 7 arbeitet. Er wollte zwar gleich wieder gehen, aber es ist dann doch 10 Uhr geworden. Ich habe dafür heute Morgen etwas länger geschlafen, da Helga keine Schule hat. Heute ist doch Jugendsporttag. Wo sie zwar bei diesem Regen Sport treiben wollen, weiß ich nicht.
Mit meinem Bein kann ich heute noch sehr schlecht gehen. Es ist immer noch angeschwollen. Das muß ein ziemlich giftiges Ding gewesen sein, das mich gestochen hat.
Die neue kleine Amarylliszwiebel macht mir Freude. Das kleine, erste Blatt ist schon 1 1/2 cm hoch. Man sieht es direkt wachsen.
Vorm Haus kommt jetzt die Kapuzinerkresse heraus. Ich denke, es wird ganz schön aussehen, wenn sie sich am Zaun hochrankt. Bei den Dahlien rührt sich noch nichts, aber ich glaube, die brauchen eine Weile, bis sie ausschlagen.
Da Vater nicht weiß, ob er seinen Garten behält (scheinbar hat er selber nicht mehr die richtige Lust) soll ich den Mist von ihm mit verbrauchen. Ich will ihm natürlich das Geld dafür geben. Ich brauche ja jetzt keinen mehr. Macht es etwas, wenn ich ihn bis zum Herbst liegen lasse?
Heute Nacht habe ich wieder von Dir geträumt. Das freut mich immer am meisten. Da sehe ich Dich doch wenigstens richtig vor mir und es ist, wenn auch nur für kurze Zeit, als wenn Du noch bei uns wärst.
Wenn nur bald mal längere Zeit gutes Wetter wär, damit wir in den Wald gehen und Erbsenreisig holen könnten. Auch sollten wir Sand haben, aber nasser Sand ist doppelt schwer. Extra abplagen mag ich mich auch nicht.
Verlebe nun den Sonntag recht gesund. Ich sende Dir viele Grüße und Küsse Deine Annie.
Ich schicke Dir noch eine Todesanzeige mit. Hast Du den Mann gekannt? In der Zeitung steht auch die Anzeige von einem Reichsbahnoberinspektor i.R., Otto Knorre, der gestorben ist. Ist das der Vater von dem Knorre, den Du kennst? Der Günther Prien ist ja nun auch nicht zurückgekommen. Es ist doch schade um den Mann. Es tut allen sehr leid.

Lieber Ernst!                                                       Konstanz, 24.5.41

Nun kommt wieder ein kleines Päckchen ohne Voranmeldung. Was wirst Du dazu sagen? Nur nicht schimpfen. Das verlohnt sich wegen so einem kleinen Päckchen auch gar nicht. Im übrigen hast Du ja selbst gesagt, daß man beim lesen ganz gut ab und zu etwas knabbern kann.
Laß Dir`s gut schmecken und sei ganz fest gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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