Donnerstag, 19. Mai 2016

Brief 159 vom 17./18.5.1941


Guten Morgen!                                                                                        17.5.41                                          

Hast du auch gut geschlafen? Von mir kann ich es behaupten. Ich bin schon wieder zum fortfahren gerüstet, nachdem ich die Wohnung in Ordnung gebracht habe. Ich besorge alle Sachen gleich heute Vormittag, da habe ich am Nachmittag zum backen und evtl. noch für den Garten Zeit. Bis jetzt ist ganz schönes Wetter. Jörg ist schon wieder beim spielen. Er sagte heute Morgen, „wenn nur jeden Tag Schulanmeldung wär, so gut hat es mir in der Schule gefallen.“ Meinst du, das sagt er nach einem Jahr auch noch? Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Heute Abend fange ich gleich einen neuen Brief für Dich an, ich mache jetzt nur so schnell Schluß, weil es sonst zu spät wird.
Ich gebe Dir im Geist nochmals viele, viele Küsse, Deine Annie.


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 17.5.41

Wie ich es Dir versprochen habe, fange ich heute Abend wieder mit einem Brief für Dich an.
Vor allen Dingen brauche ich Deinen guten Rat. Ich schrieb Dir doch gestern, daß mich Frau Bolz gebeten hat, ihr zu klingeln, wenn ich zum anmelden gehe. Ich weiß nicht, was sie an mir findet, heute bat sie mich, ob ich nicht heute Abend ein bißchen zu ihr rüber kommen wollte. Samstag  sei der einzige Tag,, wo ihr Mann nicht da sei, da sei es sehr schön, wenn ich rüber kommen könnte. Ich muß sagen, ich war ganz überrascht. Ich kann die Frau sonst gut leiden, sie ist ganz nett und ich muß anerkennen, was sie sich für Mühe mit den Kindern gibt. Aber es ist mir so etwas ungewohntes, zu jemand zu gehen. Es kann sein, daß sich die Frau mit den Leuten hier nicht so anfreunden kann, da sie auch von Norddeutschland ist, von Hamburg. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich machen soll. Vor allen Dingen ist mir wichtig, was Du zu der Sache meinst. Gib mir also Deinen guten Rat, mein lieber Mann.
Für die Kennkarte habe ich mir heute einen neuen Zettel zum Ausfüllen geholt. Der Beamte sagte mir, ich sollte das Formular auch ausgefüllt zurückbringen. Sie hätten 5000 Stück, die abgeholt worden sind, nicht zurückbekommen. Da habe ich mir heimlich gedacht, da war ich auch mit dabei.
Am Nachmittag habe ich mit Helga noch die halbhohen und die Buschbohnen rein getan, nachdem ich gehört und gesehen habe, daß sie die anderen Leute auch schon drin haben. Nun kommen noch die Gurken dran.
Bevor die Kinder vorhin ins Bett gingen, war ganz großer Betrieb bei uns. Da wurde die Stube abgesperrt und drüben wurde aufgebaut. Ich darf natürlich ja nicht rüber. Beinahe auseinandergerissen haben sie mich vorhin unter dem Ruf „Du wirst Dich freuen, Du wirst Dich bestimmt freuen!“ Soeben haben sie mir gesagt, daß sie vor lauter Freude nicht einschlafen können. Einen mächtigen Stolz haben sie, daß sie von ihrem Geld etwas kaufen konnten, was ich noch gar nicht weiß. Du solltest nur sehen, wie vor Freude die Augen glänzen. Es sind doch zwei liebe kleine Lauser.
Du kennst doch auch den Kaiser, der die Sägemaschine hat. Wir haben unser Holz auch bei ihm schneiden lassen. Der hat sich an seiner Maschine am Donnerstagabend die ganze rechte Hand abgesägt. Er ist natürlich gleich ins Krankenhaus gekommen.
Heute habe ich von den Eltern eine kurze Karte erhalten. Sie wollen in den nächsten Tagen einen Brief schreiben. Sie werden sicher noch den Muttertag abwarten. Deinen Brief haben sie auch erhalten und wollen Dir in den nächsten Tagen schreiben.
 
 Mein lieber Ernst!                                                                                             18.5.

 Ich wollte gestern Abend noch weiter schreiben, aber ich bin direkt dabei eingeschlafen, so müde war ich. Dafür schreibe ich nun jetzt weiter.
Heute ist nun der große Tag. Am Morgen, nachdem wir uns angezogen hatten, haben mir die Kinder beschert. Erst haben sie mir natürlich gratuliert und hinterher haben sie mich in die Stube geführt. Da hatten sie ihre Geschenke schön aufgebaut. Den Briefhalter, 1/2 Pfund Pralinen, Apfelsinen und die große Überraschung, 1/4 Pfund Gebäck, das sie ohne Marken bekommen haben. So mußten sie gar nicht um Marken bei mir fragen und konnten mich überraschen. Dazu hatten Helga und Jörg etwas gemalt und Helga zwei schöne Verse mit bunten Stiften geschrieben. Ich habe mich wirklich gefreut. Dann wurde Dein liebes Päckchen aufgemacht. Das war wirklich eine große Freude. Du bist doch ein lieber Kerl. Ich danke Dir für die schönen Taschentücher und die Schokolade recht sehr. Von der Schokolade habe ich schon ein kleines Stück probiert. Sie schmeckt gut.
Vorhin erhielt ich noch einen Brief von Dir. Vom 14.5. Ich danke Dir dafür. Wie ich aus Deinen Briefen ersehe, verstehst Du Dich mit Dr. Thomas doch noch besser als mit Herrn Graser. Woher kommt das. Kannst Du Dich besser mit ihm unterhalten, oder habt Ihr mehr gemeinsame Interessen?
Meine Näherei ist in der letzten Woche wieder etwas liegen geblieben, da ich im Garten mehr zu tun hatte. Ich nähe aber immer zwischendurch eine Kleinigkeit. Für mich werde ich dieses Jahr sicher nicht viel nähen, denn ich habe noch genug Kleider zum anziehen. Ich will das erst einmal abtragen und nähe mir lieber nächstes Jahr etwas Schönes.
Wegen Vaters Kopf habe ich Dir ja schon geschrieben. Ich werde es ihm sagen, was Du geschrieben hast, wenn es noch einmal schlimmer werden sollte.
Bei unserem Baum sind jetzt fast alle Blüten auf. Es ist ein herrliches Bild. Am liebsten möchte man, daß es immer so bliebe.
Wenn es wegen Schuhen nicht geht, ist es auch nicht so schlimm. Ich werde sehen, daß ich für die Kinder noch ein Paar Holzschuhe bekomme. Dann reicht es ihnen schon. Du mußt Dich also nicht besonders bemühen.
Für das Päckchen danke ich Dir, das ist wirklich interessant. Wirklich ein großartiger englischer Sieg. Man kann es eigentlich gar nicht begreifen, daß es noch immer Leute in Frankreich gibt, die auf einen englischen Sieg hoffen, nachdem sie doch so schmählich in Stich gelassen wurden. Ich freue mich, daß Ihr dort ausreichend versorgt werdet und daß Ihr Euch immer noch etwas kaufen könnt. Im anderen Fall hätte ich Dir ja gern ab und zu etwas geschickt, denn so knapp sind wir ja nicht.
Ab nächsten Monat bekommen wir wöchentlich 100g Fleisch weniger. Das macht mir ja nichts aus, denn in den Sommermonaten ist mir Obst oder saure Milch oder so etwas, lieber als Fleisch. Ich habe ja jetzt schon immer Fleischmarken übrig gehabt. Wir bekommen auch ein bißchen Margarine weniger und dafür mehr Butter. Da ist ja Vater wieder sehr zufrieden. Wenn man Brotmarken übrig hat, bekommt man dafür Zucker. Das wird mir ja nicht viel nützen, denn meine Brotmarken brauche ich alle.
Von Kurt kam heute auch ein Brief. Sie sind jetzt an keinem festen Ort, sondern kommen viel herum. Er bittet mich um Bilder von uns allen, da er kein einziges bei sich habe. Es könnte noch lange dauern, bis er uns wieder sieht, denn es sei Urlaubssperre. In nächster Zeit schickt er auch einige Filme her, die ich ihm entwickeln lassen soll. Er hat dort keine Gelegenheit dazu. Er hat sich auch vorgenommen, in nächster Zeit an meine Eltern zu schreiben.
Ich lasse nun noch ein paar Bilder für Kurt und Nanni machen. Die für Nanni schicke ich an Dich, Du kannst sie dann weiterleiten. Für Photos habe ich diesen Monat schon ziemlich Geld ausgegeben. Es muß aber auch einmal sein.
Nun will ich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Ich danke Dir noch vielmals für Dein liebes Päckchen.

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