Montag, 27. November 2017

Brief 453 vom 27./28.11.1942


Mein lieber, guterErnst!                                           Konstanz, 27.11.42

Wie ich Dir im vorhergehenden Brief schrieb, bin ich heute Nachmittag schnell noch in die Stadt gefahren, damit Jörg seine Eintrittskarte für den 6.12. bezahlen kann. Als ich hinkam, war Helga nur noch beim Üben. Jörg war schon fort. Also habe ich die Karte geholt und bin dann zum Stadler gefahren, weil ich sehen wollte, ob Jörg noch dort war, denn er sollte 2 Kartons besorgen. Er war nicht mehr da, aber dafür sah ich, dass es Kerzen gab auf Haushalts- und Seifenkarte der Kinder. Familien ohne Kinder bekommen nach dem 30.11. nur welche, soweit noch vorhanden. Ich erhielt 12 Stück. Das ist mehr, als im vergangenen Jahr, wo es nur 5 Stück gab. Ich habe dann noch meine Karte bei KdF geholt. Es war gut, dass die Karte schon bestellt war, sonst hätte ich keine mehr bekommen. Nachdem ich noch den Brief an Dich weggeschafft hatte, fuhr ich heim und traf auf der Rheinbrücke Jörg. Der war froh, als er gleich aufsitzen konnte. Wir sind dann heimgefahren und haben das Abendbrot gerichtet. Nach 6 Uhr kam dann Helga und wir haben gegessen. Nachher habe ich noch 2 Päckchen für Dich gepackt, die ich morgen früh zur Post bringe. Bei Päckchen 7 steht die Nummer an der Seite, bei Nr.8 habe ich die Nummer zu schreiben vergessen. Nun habe ich keine Zulassungsmarke mehr und kann also nichts mehr schicken. Hoffentlich hast Du ein wenig Freude an den Sachen zu Weihnachten.
In der vergangenen Nacht habe ich wieder von Dir geträumt. Das hat mich so gefreut. Dein Schlafanzug, den Du zuletzt hier angehabt hast, ist ja immer noch mein Schlafgesell. Er liegt neben meinem Kopf. So habe ich immer noch etwas von Dir hier.
Als ich heute Nachmittag so schnell den Brief beendete, habe ich ganz vergessen, Dir die Bilder von Jörg mitzuschicken. Diesmal lege ich sie aber bei.
Heute kam Jörg erst spät von der Schule heim. Er war noch mit bei den Sechstklässlern. Als er heimkam, erzählte er: „Weißt Du eigentlich was von den Widnkind und von den Externsteinen? Bei den Externsteinen sind doch lauter Steinlöcher und Kammern. Da ist auch ein Steinloch, das hat man jetzt herausbekommen, dass dort bei der Sonnenwende im Juli der erst Sonnenstrahl durchfällt. Weißt Du das?“ Ich wusste es und ich wusste auch was von Widnkind. Das musste ich ihm alles erzählen und es hat ihn sehr interessiert. Wie aber doch der kleine Kerl aufgepasst hat. Er und noch einige waren eigentlich nur in die 6.Klase mit hingegangen, weil sie sich noch Zettel für ein neues Heft schreiben mussten, den die Lehrerin unterschreiben musste.
Es ist nun wieder ½ 11 Uhr geworden und ich bin sehr müd. Lass mich deshalb für heute schließen.

                                                                                                            28.11.
Guten Morgen lieber Ernst! Ehe ich in die Stadt fahre, will ich noch den Brief beschließen. Helga ist schon in der Schule, Jörg ist gerade aufgestanden und zieht sich an. Er muss ja erst ¾ 10 Uhr in der Schule sein und ist deshalb länger im Bett geblieben. Da ist es doch so mollig warm drin. Jetzt rechnet er schon fest damit, dass ich ihn gleich auf dem Rad mit zur Schule nehme. Ich werde ihn auch nicht enttäuschen, denn es ist ja ein Weg.
Morgen beginnt die Messe. Du kannst Dir denken, dass sich die Kinder schon darauf freuen. Vielleicht gehen wir morgen gleich mal hin. Es kommt auf´s Wetter an. Wenn es zu kalt ist, hat es keinen Zweck. Sonst erkälten sie sich nur, denn sie wollen doch bestimmt Karussell fahren.
Ich packe auch bald die Päckchen für Erna und Siegfried und Papa und seine Frau. Viel wird es ja nicht, aber es ist schließlich auch Krieg.
Was agst Du eigentlich zu den Franzosen? Ist es nicht eine Gemeinheit, dass man sich nicht einmal auf ein Ehrenwort von ihnen verlassen kann? Es war doch bestimmt ein Entgegenkommen, dass sie Toulon selber verteidigen durften, und wie wäre es uns bald belohnt worden? Man darf niemand trauen, und Großmut ist immer von Übel. Ich habe eine elende Wut auf die Franzosen. Hätten wir dem General Giraud in seiner Gefangenschaft nicht so viel Freiheit gelassen, könnte er jetzt nicht in Afrika sein. Aber so hat man auf seine Gesundheit Rücksichten genommen. Die Kerle sind es gar nicht wert. Die Deutschen sind immer zu anständig. Wir sollten mehr hassen können.
Nun lass mich schließen. Es ist jetzt Zeit zum Fortfahren. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 452 vom 26./27.11.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 26.11.42

Ich hatte Dir ja versprochen, gestern Abend noch zu schreiben, aber es ging nicht. Doch ich will der Reihe nach erzählen. Gestern Mittag sind wir also ins Kino gegangen. Es hat uns sehr gut gefallen. Man hat so gesehen, wie sie im Land herumfahren, wie die einzelnen Theateraufführungen stattfinden, und unter welch primitiven Umständen manchmal. Wie es aber doch den Schauspielern und den Soldaten Freude macht.
Nach dem Kino sind wir zum Doktor gegangen, d.h. vorher haben wir noch eingekauft. Wir kamen ¾ 6 Uhr hin und kamen gleich dran. In letzter Zeit war die Geschwulst etwas weicher geworden, aber die andere Brust wurde auch etwas fest. Der Arzt sagte nun, dass wir gar nichts mehr machen brauchen, denn die natürliche beidseitige Entwicklung habe eingesetzt, und wegen dieser Sache ist die Behandlung abgeschlossen. Ich will mich nicht zu früh freuen, aber schön wär´s doch, wenn nun alles gut wär, nicht wahr?
Nachdem wir beim Arzt waren, sind wir mit dem Omnibus heimgefahren. Zuhause bekam ich plötzlich ein wahnsinniges Kopfweh und es wurde mir ganz schlecht. Ich konnte den Kopf überhaupt nicht mehr bewegen. Ich habe dann einmal „gekümmelt“, weil das doch voriges Mal, als Du hier warst, auch geholfen hat. Aber nichts war´s. Ich wollte gleich ins Bett gehen, aber nichts war´s, denn gerade gestern kam Vater. Gleich fortschicken konnte ich ihn auch nicht, denn er fror sehr und bei ihm ist es ja kalt. Also hat er Zeitung gelesen und ich habe inzwischen mit dem Kopf auf den Armen auf dem Tisch gelegen. ½ 10 Uhr ist Vater dann gegangen und ich bin gleich ins Bett. Längere Zeit konnte ich erst nicht einschlafen, weil mir sogar auf dem weichen Kissen der Kopf so wehtat. Siehst Du, deshalb konnte ich Dir nicht schreiben.
Heute Morgen ist das Kopfweh ziemlich besser, aber ich kann leider nicht mit baden gehen. Wir bleiben dann sicher alle daheim.
Heute Morgen habe ich mich nun gleich ans Schreiben gesetzt. Nachher will ich noch die Zeitungen für Dich holen und für Vater die Gasrechnung bezahlen.
2 Päckchen für Dich nehme ich auch noch mit.
Jörg geht jetzt gerade in die Schule, nachdem er vorhin noch Schulaufgaben gemacht hat, die er ja gestern nicht machen konnte.
Bei uns ist es jetzt auch kalt geworden. Gestern hatten wir 6 Grad Kälte. Heute habe ich noch nicht gemessen. Aber die Fenster sind gefroren. Warm ist es also sicher nicht. Fein ist es da, wenn man eine warme Stube hat, wo man sich fein aufwärmen kann, wenn man heim kommt.
Hoffentlich habt ihr es jetzt auch so gut und müsst nicht frieren.
In den nächsten Tagen werde ich sicher für die Kinder noch ein paar Handschuhe stricken. Das gibt dann auch noch ein Weihnachtsgeschenk. Für die Sonderzuteilung an Zuckerwaren habe ich mich schon eintragen lassen. Da weiß man doch wenigstens, dass man den Kindern auch davon was unter den Weihnachtsbaum legen kann. Das ist doch für sie auch eine Hauptsache, etwas zum Naschen. Backen tue ich ja auch noch. Ende dieser Woche werde ich sicher ein Backpulver bekommen. Das reicht dann für mehrere Sorten Kleingebäck.
Nun lass mich schließen. Für heute grüße und küsse ich Dich ganz fest und herzlich, Deine Annie.

Mein lieber, guter Ernst!                                                                  Konstanz, 26.11.42

Am Morgen habe ich ja einen Brief an Dich geschrieben, aber jetzt, ehe ich schlafen gehe, will ich doch noch ein wenig an Dich schreiben. Es fehlt mir einfach, wenn ich nicht mit Dir gesprochen habe, wenn es auch nur im Brief ist.
Viel war ja heute nicht los. Am Morgen war ich in der Stadt, Zeitungen holen, konnte aber einstweilen nur die „Grüne Post“ bekommen. Die anderen erhalte ich am Samstag. Ich habe dann gleich einmal wegen Rasierklingen geschaut und konnte auch drei Stück erhalten. Nach einem Rasierpinsel habe ich auch wieder überall gefragt. Damit ist aber nichts zu machen. Am Nachmittag habe ich verschiedenes aufgeschafft, was in den letzten Tagen liegen geblieben war. Leider hatte, und habe ich noch, den ganzen Tag Kopfweh. Nicht so schlimm, wie gestern. Aber ein bisschen hindert es doch beim Schaffen.
Jörg hat heute einige Bilder gemalt, die ich Dir mitschicke. Er hat sich große Mühe gegeben. Heute Abend hättest Du hier sein müssen. Den ganzen Abend haben die Kinder gelacht und zuletzt habe ich auch noch mitlachen müssen. Wir haben gar nicht mehr aufhören können, sogar beim Beten nicht. Da habe ich den Kindern gesagt, sie sollten woanders hingehen, nicht zu mir, damit wir nicht lachen müssen. Da ist Helga unter die Bettdecke geschlüpft. Da hat man dann immer so murmeln hören, und als Jörg noch fragte: „Hörst Du sie?“, da ging das Lachen wieder los. Uns hat dann alles wehgetan. Aber fröhlich sind die Kinder doch eingeschlafen.
Ich habe vorhin noch gestopft und nun gehe ich schlafen, denn ich bin sehr müd und auch das Kopfweh wird wieder schlimmer. Gute Nacht lieber Ernst, wach gesund wieder auf.

                                                                                                                        27.11.
Ich habe eine große Freude gehabt, Dein lieber Brief 14.11.ist angekommen, dazu die Bilder und die Briefmarken, die ich aufheben werde. Was ist das für ein großes, zusammengeschachteltes Gebäude,, vor dem Ihr photographiert habt?
Das dachtest Du ja auch nicht, als Du hier weg fuhrst, dass Du dort wegen dem Schlafen so herumziehen müsstest. Wenn Du es aber nur in deiner behelfsmäßigen Unterkunft einstweilen aushalten kannst. Wohnst Du noch mit jemand zusammen oder wo sind die anderen Kameraden untergekommen? Du weißt ja, böse bin ich dir nicht, wenn Du mir Butter schicken könntest. Man kann sie ausgelassen ja gut aufheben.
Dass Dir die Bilder gefallen haben freut mich. Schade ist es, dass die Granatsplitter schon so trocken waren und auch noch den Geschmack von der Holzwolle angenommen haben. Vielleicht kann ich Dir bei Gelegenheit mal wieder welche schicken, die dann besser schmecken.
Von Siegfried erhielt ich einen längeren Brief, in dem er von seiner jetzigen Tätigkeit erzählt. Ich schicke ihn mit, wenn ich ihn beantwortet habe. Er hat ziemlich zu tun und zu beaufsichtigen. Am Tag, ehe er geschrieben hat, musste er 600 Soldaten impfen. Er ist, wie er schreibt, dabei schön ins Schwitzen gekommen.
Auf das Kind freut er sich schon sehr, und es ist ihm gleich, ob es ein Bub oder Mädel ist. Wenn nur Mutter und Kind gesund bleiben.
Siegfried schreibt noch, zur Hochzeit habe ihm Papa voll Stolz und Freude den Strauß und die Karte von uns gezeigt.
Jetzt fällt mir gerade ein, dass Jörg heute die 30 Pfg. für seine Karte fürs Theater vergessen hat. Ich werde mich gleich mal fertig machen und rein fahren, denn er würde sehr traurig sein, wenn er nicht bei der Bühne sitzen dürfte.
Ich höre deshalb jetzt mit schreiben auf. Sicher fange ich den nächsten Brief heute Abend noch an.
Viele, viele lieb Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Brief 451 vom 24./25.11.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 24.11.42

Ich bin schon darauf gefasst, dass in nächster Zeit eine Reklamation von Dir kommt: „Schreib mehr, und nicht so fades Zeug.“ Ich sehe ein, dass Du Recht haben würdest und doch kann ich es nicht so einfach ändern. Siehst Du, ich sitze hier daheim und erlebe eigentlich nicht viel, und ich meine immer, es wird für Dich wenig von Interesse sein, ob ich gestopft oder geputzt habe. Das sind eigentlich belanglose Sachen. Und auch von dem, was ich am Tag getan habe, kann ich nicht alles schreiben, denn ein kleines Weihnachtsgeheimnis habe ich ja auch. Heute kann ich Dir zwar sagen, dass ich heute meist gestrickt habe und nun auch der Kopfschützer fertig ist. Du wirst ihn also so schnell, als möglich, haben. Hoffentlich gefällt er Dir. Das würde mich sehr freuen. Ich habe ihn nach einer Vorlage von Sachen für Soldaten gestrickt.
In der vergangenen Nacht hat es zum ersten Mal etwas Schnee gegeben, der liegen geblieben ist. Viel war es ja nicht, aber Jörg ist gleich mit dem Schlitten raus. Helga ist auf dem Weg fest geschusselt und kam dafür mit einem Loch in der Schuhsohle wieder. Da muss ich morgen einen Fleck drauf setzen. Es sind ihre hohen Schuhe. Am Nachmittag hatte Helga wieder Probe von KdF. Sie muss jetzt noch was lernen. Da ist sie sehr stolz. Jörg war den ganzen Nachmittag mit dem Schlitten draußen.
Wir haben uns vorgenommen, morgen in den Film „Fronttheater“ zu gehen. Wenn es die Zeit erlaubt, gehen wir hinterher nochmals mit beim Doktor vorbei.
Den Brief schaffe ich heute nicht mehr fort. Es ist schon spät, und augenblicklich wird im Bodenseegebiet ein ausgerissener Schwerverbrecher gesucht, es stand in der Zeitung. Da habe ich ein bisschen Angst, so allein noch fort zu gehen.

                                                                                                                        25.11.1942
Es ist schon wieder Vormittag. Wir nehmen den Brief am Mittag mit. Ich habe heute 4 Päckchen für Dich fertig gemacht und schicke sie heute fort. In dem Päckchen mit dem gelben Papier, an dem an den Seiten noch ein „K“ steht, ist der Kopfschützer drin. 2 weitere Päckchen bringe ich morgen fort. Ich bin mit dem Verpacken noch nicht ganz fertig geworden, und jetzt ist es bald Zeit, dass ich mich zum Fortgehen anziehe. Wir wollen nachher noch schnell essen, dann gehen wir. Erst auf die Post, dann ins Kino.
Wir hatten heute früh 6 Grad Kälte mit einem kalten Ostwind. Jetzt scheint die Sonne, da ist es schon ein bisschen wärmer geworden. Es ist aber ein richtiger Wintertag, denn auf den Dächern liegt überall noch ein bisschen Schnee. Für Jörg ist zwar der Schnee zu wenig, denn er braucht ihn doch zum Schlittenfahren. Damit ist es ja nichts mehr, denn der Wind hat fats alles weggeleckt.
Nun lass mich schließen. Heute Abend schreibe ich weiter. Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir Deine Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                       25.11.42

Das ist nun der Kopfschützer. Für starke Kälte ist noch ein Stirnschutz und ein Nasenschutz dabei. Ich habe sie zum anknöpfen gearbeitet, denn immer wirst Du sie nicht brauchen. Mit dem Einknöpfen wirst Du schon zurechtkommen. Ich hoffe, dass Dir alles gefällt. Viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Brief 450 vom 23.11.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 23.11.42

Ich bekam Deinen lieben Brief vom 13.11. Du glaubst gar nicht, wie es mich freut, wenn du mir so von der Fahrt erzählst. Ich erlebe da alles ein wenig mit.
Ich glaube Dir gern, dass es eine ziemliche Überraschung war, als Du unterwegs den einen Kameraden getroffen hast. So hast Du wenigstens ein Stück eine kurzweilige Fahrt gehabt. Das freut mich für Dich.
Deinen Löffel und die Bürste habe ich Dir nun inzwischen doch zugeschickt. Ich dachte, Du würdest die Sachen brauchen.
Gefreut hat es mich, dass Du einen Wunsch geäußert hast. Den Kopfschützer werde ich Dir machen. Ich denke, dass ich ihn bis Samstag fertig habe, damit er noch vor der Päckchensperre ab 30.11. mit fortkommt. So erhältst Du ihn wenigstens bis Weihnachten. Ich werde auf den Karton „Kopfschützer“ schreiben, damit Du dieses Päckchen evtl. schon vorher aufmachen kannst, wenn es kalt ist. Es hat ja dann keinen Wert, erst bis Weihnachten zu warten. Graue Wolle habe ich ja nicht, sondern ein mattes Blau. Aber das wird wohl nichts machen. Erstens bekomme ich jetzt keine Wolle, und zweitens ist die jetzige Wolle etwas kratzig, wie ich an der braunen Wolle, die ich vor einiger Zeit bekam, merke. Und das Kratzen kannst Du doch nicht so gut vertragen.
Das ist fein, dass die Kameraden so gut für Dich gesorgt haben, als Du hier warst. Das wird Dich auch gefreut haben. Du hast doch daran gemerkt, dass Du nicht ganz allein dastehst, sondern dass Deine Kameraden auch etwas Interesse für Dich haben.
Die Marken hast Du also tatsächlich wieder zurück geschickt. Wenn du sie nicht gebraucht hast, ist es auch nicht schlimm. Aber zur Vorsicht hast Du sie wenigstens dabei gehabt. Es ist ja gut, wenn die Verpflegung jetzt noch besser ist, als vorher. Da habt Ihr wenigstens etwas, über das Ihr Euch freuen könnt.
Über das mitgesandte Bild habe ich mich auch sehr gefreut, und mit mir die Kinder. Es steht jetzt auf dem Radio, damit wir es stets sehen. Ich danke Dir dafür.
Gestern Abend hatten wir wieder mal Alarm. Erst wollten wir oben bleiben, als aber die Flieger kamen, sind wir doch alle runter. Von 9 – ½ 11 waren wir unten. Einige Leuchtbomben haben sie geworfen, sonst sind wir verschont geblieben. Heute Morgen war wieder das Rätselraten um den Schulanfang. Schließlich sind doch beide so um 8 Uhr gegangen. Helga hat dann ab 9 Uhr, Jörg ab ¾ 10 Uhr Schule gehabt.
Jörg malt jetzt immer kleine Bilder für sich. Einen „Sonnenuntergang“, einen „Wald“, einen „Wasserfall“ und noch eins ohne Namen hat er bis jetzt fertig. Davon hat er bisher an Kinder 2 Stück verkauft. Eins für 10 Pfg., eins für 5 Pfg. Jörg sagte zu mir: „Siehst Du, so kommt man zu Geld.“ Er ist doch geschäftstüchtig, nicht wahr?
Ein Fräulein, von Fräulein Weber vom Geschäft geschickt, fragte nach Deiner Adresse. Vielleicht bekommst Du wieder eine Kleinigkeit zu Weihnachten.
Der Ottmar von Webers, der nach Russland gekommen ist, hat die Ruhr bekommen, wie Frau Weber sagte. Es ist doch so, wie Du mal schriebst, viele bekommen die ukrainische Krankheit oder sowas. Russland ist eben ein scheußliches Land.
Papa schrieb heute eine Karte, dass sie am Totensonntag nach dem Friedhof gehen würden. Auf Mamas Grab würden sie einen Kranz tun und auf die Gräber von Deiner Mutter und Deinem Bruder je einen Tannenstrauß mit Blumen.
Er schreibt mir das, damit wir sehen, dass unsere Toten auch nicht bergessen werden. Oh, ich vergesse sie auch nicht. Oft muss ich jetzt daran denken, wie wir im vergangenen Jahr noch in Leipzig waren. Die schönen Tage, dann der Abschied auf dem Bahnhof. Ich bin ein paar Mal aus dem Zug gestiegen und habe Mama wieder einen Kuss gegeben und ihr gesagt: „Wir kommen nächstes Jahr wieder.“ Schon eher war ich wieder dort. Und dieses Jahr hat schon eine andere Frau Mamas Platz eingenommen. Aber bei mir nicht, nein!
Du hattest doch geschrieben, was in Berlin auf dem Bahnhof für ein Gedränge war, und auch im Zug. Da habe ich Dir was ausgeschnitten aus dem „Schwarzen Korps“. Das dürfte doch bald stimmen, wie es da gemalt ist. Ein Vergnügen ist so eine Fahrt ja bestimmt nicht, und ich glaube Dir gern, dass Du froh bist, wieder dort zu sein. Da hast Du doch wenigstens festen Boden unter den Füssen und nicht dauernd das Geratter. Was machen eigentlich die Männer, die früher gesagt haben, sie könnten die Bahnfahrt nicht vertragen?
Doch nun Schluss für heute. Ich will nachher gleich noch ein bisschen stricken. Erfriere Dir inzwischen, bis Dich das Päckchen mit den Schützern erreicht, nicht die Ohren und bleib auch sonst ganz gesund, Du mein liebster, bester Ernst. Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine Annie.
Ich schicke Dir noch einen älteren Zeitungsausschnitt mit, der mir immer wieder gefällt. Vielleicht geht Dir´s genauso.

Dienstag, 21. November 2017

Brief 449 vom 21.11.1942


Mein liebster, besterErnst!                                         Konstanz, 21.11.42

Heute sind es gerade zwei Wochen, seit Du von uns fortgefahren bist. Inzwischen habe ich auch den Brief erhalten, dass Du dort gut angekommen bist. Darüber habe ich mich so gefreut.
Von heute will ich Dir noch berichten. Am Morgen habe ich erst mal den Luftpostbrief an Dich fortgebracht.Damit er evtl. noch mit dem Zug 8:40 Uhr fortkäme, bis ich schon ½ 8 fortgefahren und habe Helga gleich mit in die Schule genommen. Ich habe dann gleich noch eingekauft und den Schuhbezugschein geholt. Hinterher bin ich gleich heimgefahren, habe noch die restlichen Schulaufgaben von Jörg nachgesehen, die er gestern nicht mehr machen konnte, weil er im Turnen war. Dann ging Jörg zur Schule und ich habe meine Hausarbeiten gemacht. Am Nachmittag sind wir zusammen in die Stadt gegangen. Wir sind erst beim Steurer vorbei gegangen. Ich hatte mir ein Kästchen gewünscht, in dem man beim Stricken die Wolle hat und nur der Faden durch ein Loch heraus läuft. Leider gab es das nicht mehr. Wir sind dann wegen Schuhen zum Haug gegangen. Der hatte aber keine Auswahl und so sind wir zum Küll gegangen. Da haben wir paar schöne feste Halbschuhe bekommen. Sie kosten 11,80 Mk. Nach dem Schuhkauf sind wir noch durch die Stadt gegangen und haben Verschiedenes angesehen, was mir gefiel. Aber zu kaufen war es leider nicht mehr. Dann gingen wir zu dem Geschäft neben dem Steurer und die Kinder haben mir dort die Tortenschaufel gekauft, die ich Dir mal gezeigt hatte. Sie heben sie nun bis Weihnachten auf und ich freue mich wirklich. ¼ Pfd. Keks haben wir uns auch noch gekauft und sind dann langsam Heim gelaufen. Es war ein ganz schöner Nachmittag.
Von Papa erhielt ich einen Brief. Er hat sich sehr über den Blumengruß zur Hochzeit gefreut. Sie haben sich doch kirchlich trauen lassen in der Lucaskirche. Siegfried ist gegen Abend auch noch zur Feier gekommen.
Die Frau von Papa hat auch unter den Brief geschrieben. Sie schreibt:
„Liebe Frau Marianne!
Ich habe mich sher darüber gefreut, dass Sie an unserem Hochzeitstag unserer gedacht haben und danke Ihnen ebenfalls herzlich. So wollen wir nun hoffen,  dass uns die Zukunft enger zusammen fügt und damit eine treue Freundschaft entsteht. An Achtung und Liebe meinerseits soll es nicht fehlen so wollen wir hoffen, dass wir uns gut verstehen lernen. Auch wünsche ich Ihrem Gatten alles Gute und hoffe, dass er gesund wieder kommt. Ich bitte, auch von mir ihm herzliche Grüße zu bestellen.. Also nochmals herzlichen Dank und seien Sie sowie Ihre beiden Kinder herzlich gegrüßt von Ihrer Lotti.“
VomGeß erhielt ich die Mitteilung, dass das von Dir bestellte Buch erst in einigen Monaten lieferbar sei, da es neu aufgelegt würde. Ob wir noch Wert auf die Lieferung legten. Ich habe ja gesagt, denn vielleicht kannst Du es dann auch noch brauchen.
Helga ist ganz glücklich mit den neuen Schuhen. Sie hat sie gleich heute Abend angezogen und gerade hat sie gesagt, ob sie sie auch anbehalten kann, wenn wir den Brief noch fortbringen. Gerade haben wir Helga noch einen Zahn rausgerissen, der sie schon lange gequält hat. Jetzt atmet sie richtig auf. Sie sitzt jetzt neben mir und lernt fürs Turnen. Die Lieder und die Worte, die sie sagen muss: „So seid von Herzen uns willkommen.“ Also schon eine große Rolle.
Ich will jetzt noch die Steuerkarte für Kurt einpacken und wegschicken. Ich schreibe erst nur mal ein paar Worte dazu, denn zu einem Brief habe ich jetzt nicht gerade die Zeit.
Nun mein lieber Ernst, bleib gesund und sei herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Liebes Vaterle! Ich freue mich, dass Du gesund hingekommen bist. Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Auch von mir viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.

Brief 448 vom 20.11.1942


Mein liebster, besterErnst!                                         Konstanz, 20.11.42

Eine ganz große Freude habe ich heute gehabt. Als ich mit den Kindern gegen Abend heim kam, war ein Brief von Dir da. Ich bin ja so froh. Jetzt weiß ich wenigstens, dass Du gesund hingekommen bist. Und so lieb warst Du, dass Du gleich einen Luftpostbrief geschrieben hast. So habe ich Doch nicht so lange warten müssen. Ich danke Dir sehr dafür.
Es ist ja nicht gerade ein schöner Empfang, wenn man sein Zimmer ausgebrannt vorfindet. Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie Dir zumute war. Es ist gut, dass wenigstens Deine Sachen gerettet sind. Wie ist eigentlich das Feuer entstanden? Gefreut hat es mich, dass die Kameraden wieder nett zu Dir waren. Dadurch wird Dir doch das Eingewöhnen etwas erleichtert.
Mit Freude habe ich gelesen, dass Dir der Urlaub gefallen hat und dass Du gern bei uns warst. Mir hat es auch so gefallen, nur hatte ich manchmal die Befürchtung, es könnte Dir langweilig gewesen sein, wenn wir am Abend so ruhig zusammengesessen sind. Ich habe mich über mich selbst geärgert, dass ich so gar nichts erzählen konnte, aber siehst Du, ich sitze so Abend für Abend allein hier. Da verlernt man das Unterhalten direkt. Wirklich, mir ist direkt ein Stein vom Herzen gefallen, als ich nun las, dass es Dir hier gefallen hat. Ich habe mir ja Mühe gegeben, Dir alles recht zu machen, damit Du Dich wohl fühlst. Wenn es mir soweit gelungen ist, freue ich mich sehr.
Dass wir noch am letzten Abend Ärger mit Jörg hatten, war ja nicht gerade schön, aber daran wollen wir nicht mehr denken. Er ist eben noch ein Kind, und die sind eben nicht immer brav. Er hat ja seine Strafe bekommen. Er hat auch eingesehen, dass er sie verdient hatte, und nachtragen tut er es bestimmt nicht.
Gern habe ich gelesen, dass Du fühlst, dass Du Dich hier erholt hast. Das ist ja die Hauptsache, dass Du nun Kräfte gesammelt hast, um über den Winter hinweg zu kommen.
Bei Euch ist es also schon ziemlich kalt, ganz so schlimm war es hier noch nicht, und augenblicklich hat die Kälte auch wieder nachgelassen.
Uns geht es genauso, wie Dir. Wir denken oft an den Urlaub zurück. Wie schön war doch auch wieder die Fahrt nach dem Haldenhof. Das war auch ein besonders schöner Tag. Ich möchte Dir für die schönen Tage nochmals ganz fest danken.
Nun will ich Dir vom heutigen Tag erzählen. Am Vormittag habe ich gründlich geputzt und die Fußböden neu gefärbt. Am Nachmittag gingen die Kinder ins Turnen. Ich bin dann später in die Stadt gefahren und habe mich nach Weihnachtsgeschenken umgesehen. Ein Vierecktuch habe ich noch für Helga und für Erna gekauft, dazu noch ein kleines Kästchen für Helga, wo sie ihren Schmuck rein tun soll. Das größere, wo sie ihn bisher drin hatte, soll sie für Taschentücher nehmen, denn die liegen so rum. Es ist ein ganz reizendes Kästchen, rot und blau gekästelt, mit einem Herzchen dran. Ich glaube bestimmt, dass sie sich freut. Spielzeug hat sie ja, und es gibt auch keins zu kaufen. Für Erna habe ich noch einen Glasuntersetzer und ein Holzbrettchen gekauft. Für die Frau von Papa habe ich zwei zarte, bunte Taschentücher gekauft. Eigentlich wollte ich drei Stück haben, aber die bekam ich nicht, und in den anderen Geschäften gab es überhaupt keine. Eigentlich wollte ich für die Frau gar nichts kaufen. Aber das geht doch wohl nicht so gut.
An Erna werde ich morgen ein Päckchen mit Zigaretten schicken. Die soll sie Siegfried zu Weihnachten mit geben, denn ich habe ja keine Zulassungsmarken von ihm.
Übrigens habe ich heute beim Ackermann auch das Buch für Helga bekommen, das ich bestellt habe. Raussuchen kann man sich ja nicht, was man will, sondern man bestellt ein Buch für das entsprechende Alter und bekommt einfach eins. Das Buch für Helga heißt: „Pucki, unser Mütterchen“. Ich lese es in den nächsten Tagen durch.
Nun hätte ich alles soweit da. Ich brauche nun nicht mehr rumzulaufen. Da bin ich sehr froh, denn man findet jetzt so schwer was.
Beim Turnen kann Jörg, wie viele andere, nun doch nicht mit Theater spielen. Es kränkt ihn aber nicht sehr. Die Kinder, die nicht mitspielen, erhalten auf den ersten Reihen Plätze und müssen manche Lieder mitsingen. Ich muss mir, wie Helga und Jörg mir eingeprägt haben, gleich am Montag eine Karte holen, denn am 6.12. spielen sie schon. Denke da an uns. Ich denke, dass Du bis dahin den Brief erhalten hast.
Gleichzeitig mit Deinem Brief erhielt ich heute eine Karte, dass die Schuhe für Helga bewilligt worden sind und dass ich den Bezugsschein abholen soll. Das tue ich gleich morgen.
Lieber Ernst, ich danke Dir nochmals für Deinen lieben Brief, über den ich mich so sehr gefreut habe. Ich grüße und küsse Dich fest und herzlich, Deine Annie.

Brief 447 vom 19.11.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 19.11.42

Jetzt warte ich schon sehr auf eine Nachricht von Dir. Ich dachte erst, Du hättest vielleicht nochmals von unterwegs geschrieben, aber scheinbar war es doch nicht möglich, denn sonst müsste doch sicher der Brief schon hier sein.
Ich bin nicht ungeduldig, denn Du hast ja schon viel länger warten müssen, aber Sorge mache ich mir, ob Du auch gut dort angekommen bist. Ich werde sehr froh sein, wenn ich darüber durch einen Brief von Dir höre. Wenn mal eine Weile kein Brief kommt, merkt man erst, wie unentbehrlich sie einem geworden sind und wie sie beruhigen. Ich hoffe, dass ich jetzt doch nicht mehr so lange warten muss.
Heute Morgen war ich in der Stadt und habe die Zeitungen für Dich gekauft. Dann habe ich eine Geburtstagskarte an Alice und eine einfach Karte an Papa abgeschickt, damit er sieht, dass sein Paket angekommen ist. Hinterher habe ich für Helga noch eine Regenkappe gekauft, die sie auch beim Baden anziehen kann. Für mich habe ich ein einfaches Tuch gekauft, das ich immer auf dem Kopf tragen kann. Die guten Tücher von Dir sind mir zu schade dafür, denn durch das Knoten leiden sie sehr.
Am Nachmittag waren wir baden. Es war wieder sehr erfrischend. Gegen 4 Uhr waren wir dort. Jörg sagte, ehe er zum Ausziehen ging, es gefiele ihm gar nicht mehr so, seit Du nicht mehr mitgingst. Er wäre so allein. Wir haben uns dann fest gewaschen, und dann ging es ans Schwimmen. Das war wieder schön. Nur Jörg macht keine Fortschritte. Er hat eben nicht die richtige Freude und den Ehrgeiz dazu. Vielleicht kommt das später. Die Haare haben wir uns kurz vor dem Heimgehen auch noch gewaschen. Wir wären noch etwas länger geblieben, aber Jörg fror zu sehr. Da haben wir uns eben fertig gemacht. Um 6 Uhr waren wir daheim. Vorhin haben wir Abendbrot gegessen und nun gehen die Kinder ins Bett. Ich schaffe nachher noch den Brief fort und hinterher will ich noch ein bisschen arbeiten.
Ehe wir zum Baden gingen, trafen wir Frau Nußbaumer. Sie kam gerade vom Begräbnis von dem 18jährigen Sohn der Frau Waldmann. Sie sagte, der Sohn hätte Eiter im Kopf gehabt, daran ist er gestorben. Was es doch für Sachen gibt?
Gestern Abend war Vater da. Er hat angefangen, die Tür zu dem Schränkchen fertig zu machen. Ganz ist es ja noch nicht gelungen, denn das Eisen, mit dem er von dem Holz was abschlagen will, damit er die Eisenbänder einfügt, war ihm nicht scharf genug. Er hat es erst noch zum Schärfen mitgenommen. Aber Aussicht besteht doch, dass die Tür bald fertig wird.
Ich sitze wieder hier in der mollig warmen Küche. Ich denke immer daran, ob bei Euch dort auch richtig geheizt ist, oder ob Du frieren musst. Denn mit der Heizung hatte es bisher doch nicht so geklappt. Hoffentlich hat sich das jetzt gebessert.
Nun will ich wieder schließen. Bleib gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 446 vom 18.11.1942


Mein liebster Mann!                                      Konstanz, 18.11.42

Heute habe ich tatsächlich fast nichts zu schreiben. Ich bin den ganzen Tag zuhause und mache Weihnachtsmann. Was, kann ich Dir jetzt noch nicht schreiben. Das wirst Du später sehen.
Es schneit heute wieder den ganzen Tag. Liegen bleibt der Schnee noch nicht. Aber die Kinder sind doch draußen, um sich wenigstens anschneien zu lassen. Sie hoffen ja, dass sie bald mal Schlitten fahren können. Helga meinte schon, am liebsten wohnte sie im Schwarzwald, wo es mehr Schnee hat.
Man merkt ja doch, dass Winter ist, dadurch, dass der Himmel so bedeckt ist, wird es jetzt, ¼ 5 Uhr, schon dämmrig.
Von der Frau Waldmann im Gutshof war doch im August der Sohn gefallen, der früher immer Milch ausgegeben hat. Heute steht nun in der Zeitung, dass der andere Sohn nach kurzer Krankheit in der Klinik in Freiburg gestorben ist. Sowas ist doch sehr hart, nicht wahr?
Ich habe Vorgestern Alice ihren Geburtstag vergessen. Wahrscheinlich werde ich morgen nachträglich noch eine Karte schreiben. Du meintest ja, wir wollten uns in den Streit nicht einmischen.
Den Bezugschein für Helgas Schuhe habe ich immer noch nicht bekommen. Resi, die ich vor kurzem traf, sagte mir, dass sie vor zwei Monaten auch einen Antrag eingereicht hat  und noch keine Antwort hat. Da werden wir wohl noch warten müssen. Jetzt könnte man die Schuhe aber bald brauchen.
Nun, lieber Ernst, sei bitte heute mit diesem kurzen Brief zufrieden. Ich weiß nichts mehr zu schreiben. Aber grüßen und küssen tue ich Dich ganz fest und herzlich und denke auch immer an Dich, Deine Annie.

Brief 445 vom 17.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 17.11.42

Wie ja auch nicht anders möglich, habe ich heute noch keinen Brief von Dir bekommen. Man weiß, dass die Frist noch zu kurz ist und wartet doch. So muss ich Dir also vom heutigen Tag erzählen. Viel war ja nicht los. Am Vormittag habe ich erst in der Wohnung geschafft, dann bin ich in die Stadt gefahren, um die Steuerkarte für Kurt zu besorgen. Als ich in der Kartenstelle stand, fiel mir absolut der Geburtstag von Kurt nicht ein. Als ich wieder draußen, und ein kleines Stück gefahren war, dachte ich daran, dass ich es doch im Kalender notiert hatte. Also umgekehrt und wieder hin. In 5 Minuten konnte ich die Karte in Empfang nehmen.
Beim Nähen war ich heute noch nicht. Die sollen nicht denken, sie brauchen nur schreiben, da springe ich schon. Vielleicht gehe ich am Donnerstag oder Freitag mal hin.
Am Nachmittag habe ich wieder im Haus geschafft. Die Kinder sind auch die meiste Zeit drin geblieben, denn es war so richtiges Matschwetter. Weißt Du, es hat geschneit, aber nichts ist liegen geblieben. Beim Fahren war es auch scheußlich, wenn einem das nasse Zeug so ins Gesicht flog. Und kalt wurde es einem gleich. Da ist eine schön warme Küche doch vorzuziehen.
Jörg brachte mir heute auch 15g Margarinemarken für die gesammelten Bucheckern. Er war natürlich froh, dass er auch was bringen konnte und nicht nur Helga. Das Geld bekommen sie morgen noch.
Das wär eigentlich schon alles, was von heute zu berichten wäre. Nein, halt, Granatsplitter haben wir noch gebacken. Wie haben Dir die eigentlich geschmeckt, die wir mitgeschickt hatten? Vielleicht bist Du nicht für sowas?
Ich habe mir schon überlegt, was ich für Leipzig zu Weihnachten kaufen soll. An Siegfried schicke ich Zigaretten, an Papa sicher auch. Nun kommt noch Erna. Und Papas Frau? In nächster Zeit gehe ich mal mit den Kindern in die Stadt und sehe zu, ob ich irgendetwas auftreiben kann. Für die Kinder habe ich ja soweit alles beisammen und für Dich habe ich erst nur eine Kleinigkeit. Es ist schwer, wenn du keinen Wunsch hast. Aber vielleicht freust Du Dich auch über eine kleine Sache.
Ich habe einen Wunsch an Dich. Zeichne mir doch bitte mal das Zimmer auf, in dem Du wohnst. Ich wüsste so gern, wo Du schläfst.
Um ½ 5 sind die Kinder doch noch eine Weile raus gegangen. Aber jetzt, ½ 6 Uhr, kommen sie patschnass und frierend heim. Es hatte wieder fest geschneit. Da mussten sie doch noch draußen bleiben. Aber jetzt fühlen sie sich hier wieder wohler. Nur hängt alles voller nasser Sachen. Mit Hunger sind die Kinder auch heim gekommen und ich werde jetzt gleich Abendbrot machen.
Dich, mein liebster Ernst, grüße und küsse ich wieder recht herzlich, Deine Annie.

Brief 444 vom 16.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 16.11.42

Wieder hat eine Woche begonnen. Trotzdem es kaum möglich ist, dass schon ein Brief von Dir kommen kann, warte ich doch immer darauf. Ich weiß ja nur, dass Du in Berlin gut angekommen warst. Das Weitere sollen mir ja Deine Briefe berichten. Ich denke immer an Dich, den ganze Tag. Ob Du Dich dort wohl wieder eingewöhnt hast?
Gestern Abend war Vater hier. Er brachte den Brief von Kurt mit. Der schreibt, dass er zum Obergefreiten befördert worden sei. Dadurch bekäme er jetzt Kriegsbesoldung und wir müssten ihm eine Steuerkarte schicken. Es machte im Monat 75.-Mk. aus. Als seine Heimatadresse habe er unsere angegeben und wegen evtl. Auskunft über ihn, hat er mich genannt. Ich war nun heute wegen der Steuerkarte in dem Standort. Die haben sie aber nicht da und ich muss in den Badischen Hof gehen. Es ist aber nur vormittags auf, sodass ich morgen nochmal hin fahren werde.
Von Papa kam heute das Zeitungspaket an. Es lagen 6 neue Kaffeelöffel von Mama bei. Ich habe mich wirklich gefreut. Erwähnen soll ich ja nichts davon in meinem Brief. Die Frau soll nichts davon wissen. Unsere Kinder sitzen heute in jeder freien Minute bei den Zeitungen und sehen sie an. Es sind wieder einige „Koralle“ und „IZ“ dabei, die schicke ich Dir, sobald wir sie ausgelesen haben.
Ich habe heute die Möhren und Roten Rüben in eine Kiste mit Erde eingewintert. Da halten sie sich immer ganz gut. Im Übrigen habe ich heute verschiedene Sachen ausgebessert und gestopft und am Nachmittag war ich in der Stadt einkaufen. Außerdem habe ich noch bunte Wäsche gewaschen. So ist der Tag herum gegangen. Heute Abend haben wir uns Bratäpfel gemacht. Die magst Du doch sicher auch, nicht wahr? Schade, dass ich Dir keine hinschicken kann.
Den Einschreibebrief an Frau Diez und den Brief an Siegfried habe ich heute abgeschickt. Den Durchschlag schicke ich Dir mit.
Vater hat für Dich auf seine Karte 2 Rasierklingen besorgt. Er hat sie sich natürlich nicht bezahlen lassen. Im Ganzen habe ich nun 5 Stück da. Ich schicke sie Dir nicht gleich zusammen. Sie könnten weg kommen. Es wird ja immer wieder mal was gestohlen, trotzdem es doch so harte Strafen gibt. Der Mann, der ja wahrscheinlich unser Päckchen auch gestohlen hat, ist jetzt auch zum Tode verurteilt worden. Es stand in der Samstagszeitung, die ich Dir geschickt habe. Du siehst also, ich schicke Dir jetzt die Zeitung regelmäßig und will es auch gewiss nicht mehr vergessen. Du sollst Dich doch nicht über mich ärgern müssen, Du, mein liebster Schatz. Ich freue mich doch auch, wenn ich Dir einen Wunsch erfüllen kann, und es sind ja nur ganz kleine Wünsche, die ich wirklich erfüllen kann jetzt, wo Du fort bist. Aber sehr lieb behalten kann ich Dich, sehr lieb. Du bist doch mein liebster, bester Mann.
Ich grüße und küsse Dich wieder recht herzlich Deine Annie.

Liebes Vaterle, ich sende dir recht viele Grüße und 1000000000 Küsse von Deinem Jörg.

Liebes Vaterle! Ich habe den Jörg mal zuerst schreiben lassen, weil er so gern mal zuerst schreiben wollte. Liebes Vaterle, bleib ganz gesund. Viele Grüße und 100000000000000 Küsse von Deiner Helga.

Mittwoch, 15. November 2017

Brief 443 vom 15.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 15.11.42

Ehe ich noch an Siegfried schreibe, will ich erst an Dich schreiben, damit der Brief noch ½ 5 mit weg kommt. Ich sitze heute schon den ganzen Nachmittag an der Schreibmaschine und habe bis jetzt die Briefe an Papa, Erna und Frau Diez fertig gemacht. Die Kleiderkarte schicke ich per Einschreiben an Frau Diez, denn sie ist immerhin sehr wichtig und nicht zu ersetzen, wenn sie weg käme.
Den Brief von Papa, den ich heute erhielt, sende ich Dir mit. Ich weiß nicht, ob er Dir auch einen Durchschlag geschickt hat. Vor seiner Verheiratung hat er doch noch mal an uns gedacht. Dass die Ehe nicht mehr so wird, wie die mit Mama, hat er scheinbar schon gemerkt. Aber das glaube ich auch gern. Denn eine Mama findet er auch nicht wieder. Hoffen wir, dass es ihm soweit gut geht. Ich wünsche ihm bestimmt nichts Böses.
Gestern Abend ist Vater nicht rauf gekommen. Ich habe deshalb Jörg heute früh zu ihm runter geschickt mit 2 Hemden, 1 Wirsing und Rotkraut und dem Brief von Kurt. Als er wieder kam, sagte er, Kurt habe an Deinen Vater geschrieben, dass er zum Obergefreiten befördert worden sei. Rauf gekommen sei Vater nicht, weil er so sehr an Händen und Füssen gefroren habe. Er kommt aber heute Abend. Er hat Jörg auch gesagt, dass er Scharniere für die Tür des kleinen Schränkchens habe, aus eigenem Vorrat. Er habe in der Stadt nachgesehen. Aber da habe es nur welche aus Holz für 90 Pfg. gegeben. Das sei viel zu teuer. Er selber habe nun welche aus Eisen bei sich gefunden und die hätten früher nur 20 Pfg. gekostet. Das macht ihm nun wieder Freude, dass er die teuren nicht kaufen braucht.
Unseren Sohn habe ich heute Mittag erst wieder richtig versohlt. Er wollte wieder seinen Dickkopf durchsetzen und als es nicht ging, meinte er, er würde auch nicht wieder zum Großvater runter gehen. Da hatte es aber geschnappt. Heute Nachmittag ist er nun wieder der beste Kerl und folgt prima. Da es ziemlich kalt draußen ist, sind Helga und Jörg heute auch drin geblieben und spielen. Helga mit ihren Puppen. Dazu haben wir das Kindertischchen aus dem Kinderzimmer geholt. Da sitzen nun alle Puppen und trinken Kaffee. Jörg hat die Zinkwaschwanne oben und lässt seine Schiffle fahren. Er war ganz glücklich, als ich es ihm erlaubte. So ist es ihnen wenigstens nicht langweilig.
Wir haben jetzt immer so dunstiges Wetter. Es klärt sich gar nicht mehr auf. Immer ist der Himmel bedeckt. Nur nachts kommen manchmal die Sterne durch. Und kalt ist es auch. Wenn auch nicht übermäßig, so friert man doch an Händen und Füssen. Es ist ja auch Mitte November und gar nicht anders zu erwarten. Bei Euch wird es wahrscheinlich noch kälter sein. Viel Licht braucht man jetzt wieder, denn gegen 5 Uhr ist es schon dunkel im Zimmer.
Wenn ich nachher noch an Siegfried geschrieben habe, so werde ich noch stopfen und Radio hören. So geht der Sonntag auch vorbei. Es ist nun schon der zweite, an dem Du nicht mehr bei uns bist. Wenn ich nur erst die Nachricht von Dir habe, das Du gut angekommen bist.
Vielleicht hast Du mir auch einen Luftpostbrief geschrieben. Da würde ich ja bald Nachricht bekommen. Gell, ich bin schon wieder ungeduldig, und Du bist schon manchmal mehrere Wochen ohne Nachricht geblieben.
Nun will ich wieder schließen. Bleib gesund, Du mein liebster, bester Ernst und sei recht fest gegrüßt und geküsst von deiner Annie.

Brief 442 vom 14.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 14.11.42

Eine Woche ist es her, seit Du von uns fortgefahren bist. Wir haben heute viel davon gesprochen, schon gleich, als wir aufstanden. Wie schwer ist es doch, wenn wir Dich wieder fort lassen müssen. Es ist jedes Mal so schön, wenn du hier bist. An allem hat man mehr Freude.
Heute ist der Tag ziemlich eintönig vorbei gegangen. Die meiste Zeit habe ich die Wäsche, die ich am vergangenen Sonntag gewaschen habe, gebügelt. Heute, am Vormittag, war ich mal kurz in der Stadt und habe zwei Zeitungspäckchen und ein Päckchen mit Deinem Löffel und Deiner Bürste weggeschickt. Sicher wirst Du sie brauchen können. Ein Paar warme Strümpfe habe ich mir heute noch gekauft und für uns einen kleinen Wandkalender.
Helga und Jörg haben mir einen Adventskalender gemalt. Den soll ich aber auch ganz bestimmt im Advent nehmen. Helga brachte mir aus der Schule 25g Margarinemarken und 10 Pfg. mit, die hat sie für die Bucheckern bekommen, die sie gesammelt hat. Sie kam ganz stolz heim.
An Vater kam ein Luftpostbrief von Kurt. Wahrscheinlich kommt Vater heute Abend rauf. Da kann ich ihm den Brief geben. Der freut sich ja auch immer, wenn er was von Kurt bekommt.
Ich bekam heute eine Drucksache, dass ich doch wieder zum Nähen kommen sollte. Dieser Aufforderung hätte es ja nicht bedurft, ich wäre jetzt sowieso wieder gegangen, denn mit der Gartenarbeit bin ich ja nun fertig.
Die Primeln, die Du mir geschenkt hast, blühen ganz herrlich. Fast alle Knospen sind schon aufgegangen. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich die Blumen sehe. Sind sie doch von Dir.
In Leipzig war nun heute Hochzeit. Hoffentlich sind die Blumen von uns richtig abgegeben worden. Mit den Blumen hattest Du auch eine gute Idee. Da habe ich nicht viel dazu schreiben müssen. Ich hätte auch wirklich nicht gewusst, was ich hätte schreiben sollen. Einen Gruß an die Frau werde ich in meinen Briefen wohl beifügen müssen, sonst ist Papa beleidigt.
Nun warten schon die Kinder, dass sie den Brief noch mit fortbringen dürfen, das ist doch immer was Besonderes, so im Dunkeln zu laufen. Hinterher müssen sie gleich ins Bett. Eigentlich wär´s jetzt schon Zeit, aber sie meinten, morgen könnten sie ja so lange ausschlafen, es wäre doch Sonntag. Na, was will man da machen.
Dich mein lieber, guter Mann, grüße und küsse ich wieder ganz herzlich. Bleib ganz gesund und denke an uns, wie wir auch immer mit viel Liebe an Dich denken, Deine Annie, Deine Helga und Dein Jörg.
Liebes Vaterle, ich schreibe Dir bald. Viele 1 000 000 Küsse Von Deiner Helga.

Brief 441 vom 13.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 13.11.42

Heute vor einer Woche war Dein letzter Urlaubstag. Ich habe schon den ganzen Tag daran gedacht. Am Nachmittag hatten wir noch gepackt und am Abend waren wir in der Stadt und haben die Koffer fort gebracht. Am Abend ist es mir nachher noch passiert, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich möchte Dich deswegen heut nochmals um Entschuldigung bitten. Als Du einmal aus der Stube gingst, wollte ich nur schnell mal die Augen schließen, da ich sie fast nicht mehr offen halten konnte. Dabei bin ich dann doch gleich eingeschlafen und Du musstest Dich noch am letzten Abend ärgern. Das tut mir auch heute noch leid. Sei mir nicht mehr böse über meine Rücksichtslosigkeit.
Ich will Dir noch vom heutigen Tag erzählen. Heute Morgen habe ich die Lebensmittelkarten geholt. Jörg war inzwischen daheim, denn er hatte keine Schule. Eigentlich hätte er von 8 – 9 Uhr Unterricht gehabt, aber seine Lehrerin hatte Nachtwache bis zum Morgen. Da konnte sie nicht gleich wieder Unterricht halten. Als ich heim kam, habe ich gleich etwas gebügelt, denn Vater sagte mir gestern Abend, er brauche bis morgen ein Hemd. Am Mittag gab es bei uns Möhren. Die hast Du doch das letzte Mal auch gern gegessen. Am Nachmittag bin ich in die Stadt gefahren bzw. ich bin mit den Kindern, die ins Turnen gingen, bis zur Rheinbrücke gelaufen, dann bin ich in die Stadt gefahren. Da traf ich zuerst Resi. Sie lässt Dir einen Gruß ausrichten. Fritz hat geschrieben, sie kämen nach dem Osten. Man weiß ja nicht, ob es sich durch die letzten Ereignisse geändert hat. Ich bin dann zum Kartenanmelden gefahren und habe hinterher die Zeitungen für Dich geholt. Ich hatte gestern immer nur an Dich gedacht und die Zeitungen ganz vergessen. Die Frau schaute mich ganz fremd an und sagte, sie habe keine Zeitungen zurückgelegt, denn ich habe sie ja abbestellt. Ich sagte, dass das wohl ein Irrtum sei. „Nein, der Herr, der sie das letzte Mal geholt hat, hat ausdrücklich betont, es sei das letzte Mal.“ Ich sagte ihr, dass es sich da doch nur um „Das Reich“ handle. Aber sie war ganz verbiestert. Dann habe ich doch noch „Die Post“ und den „Illustrierten Beobachter“ bekommen. Die grüne Post habe ich am Bahnhof geholt. So habe ich doch alle drei zusammen. Ich bin dann noch zum Metzger gefahren. Die haben jetzt auch die Nachricht erhalten, dass ihr Sohn gefallen ist, in Afrika. Nachdem ich beim Ellegast noch „Lohfix“ zum Anzünden geholt hatte, bin ich nochmals zur Luisenschule gefahren und habe die Kinder abgeholt. Ich hatte gar keine Lust, alleine heimzugehen und die Kinder haben sich sehr gefreut. Sie haben mich förmlich mit der Nachricht überfallen, dass sie jetzt doch zu Weihnachten mit auf der Bühne spielen können. Helga singt mit 8 Kindern zusammen. Sie sagte: „Beim Turnen, beim letzten Mal, da hat mich niemand weiter beachtet, weil es so viele waren. Aber diesmal bin ich dann ein „Sonderling“ und man sieht mich. Das habe ich schon lange gerne wollen. Wir müssen jetzt jeden Freitag um 3 schon kommen und nach 5 müssen wir noch dableiben, weil wir üben.“ Jörg freut sich auch schon sehr, dass er mit auf die Bühne darf.
Von Papa bekam ich heute eine Karte. Ich sollte ihm doch die Zeitungen aufschreiben, die ich immer selber kaufe. Die würde er dann Siegfried schicken. Der hätte jetzt schwere Langeweile. Die anderen Zeitungen würde er mir weiterhin schicken. Ein Paket habe er wieder auf den Weg gebracht. Eine Kleinigkeit, ein Andenken an Mama, läge noch bei. Davon sollte ich nichts erwähnen. Am Sonntag werde ich mal wieder meine sämtlichen Briefschulden erledigen. Es hat sich allerhand angesammelt.
In der vergangenen Nacht habe ich von Dir geträumt. Da warst Du wieder hier. Wenn doch nicht gleich das Erwachen hinterher käme und das Wissen, dass es mit dem Kommen wieder gute Weile hat. Aber wir wollen nicht undankbar sein. Wie vile würden uns um den Urlaub beneidet haben.
Für heute grüße und küsse ich Dich wieder recht sehr, mein liebster Mann, Deine Annie.

Sonntag, 12. November 2017

Brief 440 vom 12.11.1942


Mein liebster Ernst!                           Konstanz, 12.11.42

Heute war nun der Tag, an dem du, wenn alles richtig gegangen ist, in C. angekommen bist. Von der langen Fahrt wirst Du sicher sehr ermüdet gewesen sein. Lass Dir das Eingewöhnen dort nicht gar so schwer werden.
Wir waren am Nachmittag wieder baden. Da haben wir immer an Dich gedacht und von Dir gesprochen. Wie Du die vergangenen Male mit uns dort warst, wie Du ins Wasser gesprungen und auf dem Rücken gleich weitergeschwommen bist, wie Du Dir die Haare aus der Stirn gestrichen hast, wie Du uns zugelacht hast, wie Du Helga zum Springen ins Tiefe angeregt hast usw. An alles haben wir uns wieder erinnert. Es waren doch so schöne Tage, als Du hier warst. Wir werden immer daran denken. Helga ist wieder fest mit mir geschwommen, nur Jörg macht noch keine Fortschritte. Er hat einfach nicht die richtige Lust. Helga versucht sich schon im Unterwasserschwimmen. Bis Du wieder auf Urlaub kommst, will sie es ganz richtig können, damit Du Dich freuen kannst.
Ich bin auch ziemlich viel geschwommen. Zuletzt ist es mir aber ziemlich kalt geworden. Wir sind zum Schluss nochmal richtig unter die heiße Brause gegangen, ehe wir uns angezogen haben. Es war wieder dunkel, ehe wir heim kamen. Da habe ich auch an das letzte Mal denken müssen, wie Du mit Jörg schon daheim warst, als ich noch vom Einkaufen kam. Diesmal waren wir allein.
Am Vormittag habe ich heute mal wieder im Haus geschafft. Vor allem habe ich Jörg eine neue Badehose genäht, an der er seine Freude hat. Sie ist aus schwarzem Tricot. Seine Filzschuhe habe ich auch wieder in Ordnung gebracht. Sie sahen ja lieblich aus.
Das Päckchen mit Rauchwaren für Vater von Kurt kam heute an. Da hat er wieder einen schönen Vorrat. Vater ist heute gerade rauf gekommen, da kann er´s gleich mitnehmen.
Von Frau Dietz bekam ich heute eine Karte. Sie möchte für Jörg Nachthosenstoff für Weihnachten kaufen, braucht aber dazu seine Kleiderkarte. Ich möchte sie ihr schicken.
Heute ist in der Zeitung die Sonderzuteilung zu Weihnachten bekannt gegeben worden. Es ist wirklich ganz schön, was man da bekommt. Gestern standen auch Erklärungen für die 4.Kleiderkarte drin. Danach gibt es für Kinder jährlich 2 Paar Lederschuhe und ein Paar leichte Schuhe. Ein weiteres Paar leichte Schuhe gibt es ab Januar 44. Das geht nun auf Kleiderkarte, weil Kinder laufend Schuhwerk benötigen und es da mit Bezugsscheinen so umständlich ist. Wenn ich jetzt noch für Helga den Bezugsschein bewilligt bekomme, wird der erste Bezugsabschnitt auf der Kleiderkarte abgeschnitten. Bis jetzt habe ich ja noch keinen Bescheid erhalten.
Weißt Du, was Du hier auch noch vergessen hast? Deinen Löffel. Hast Du ihn unterwegs nicht schon vermisst? Ich muss mal sehen, ob man jetzt Päckchen schicken darf? Da schick ich ihn Dir bald, zusammen mit der Bürste zu.
Mit Deiner Gemüsekarte war ich am Samstag nochmals bei dem Lorenzi und habe noch 2 Rasierklingen geholt. Mit meiner Haushaltskarte habe ich auch noch drei Stück bekommen. Ich schicke sie Dir in Briefen mit zu.
Es ist jetzt nach 9 Uhr. Da wirst Du wohl auch bald schlafen gehen, nachdem Du die letzten Tage doch keine richtige Ruhe gehabt hast. Sicher denkst Du vor dem Einschlafen auch an uns, wie auch wir immer an Dich denken. Du bist doch mein liebster, bester Mann.
Für heute grüße und küsse ich Dich recht herzlich und wünsche Dir einen gesunden Schlaf und Morgen ein frohes Aufstehen. Deine immer an Dich denkende Annie.

Samstag, 11. November 2017

Brief 439 vom 11.11.1942


Mein liebster, bester Ernst!                            Konstanz, 11.11.42

Nun hast du das Meiste der Fahrt hinter Dir, und wenn alles nach dem Fahrplan gegangen ist, so triffst Du morgen an Deinem Bestimmungsort ein. Hoffentlich war die Fahrt nicht gar so beschwerlich und Du hast zeitweilig Gelegenheit zum Schlafen gehabt. Du wirst mir ja in Deinen Briefen davon berichten. Auf diese freue ich mich schon, denn sie sind ja ein Stück von Dir und es ist, als ob Du selber mit mir reden würdest. Es scheint mir dann, als ob Du doch nicht ganz so weit von uns fort wärst. Erst durch Deine lange Fahrt zu uns nun wieder fort, ist mir die große Entfernung, die zwischen uns liegt, richtig klar geworden. Aber die Gedanken überbrücken auch diese Weite und meine Gedanken sind ja immer bei Dir.
Ich habe heute wieder im Garten geschafft. Der große Garten war ja fertig. Also kam der hinterm Haus dran. Zuerst habe ich die Dahlienstöcke ausgegraben. Dann habe ich im Kreis einen kleinen Graben um den Baum ausgehoben und mit Gülle gefüllt. Hinterher habe ich den ganzen Garten umgegraben. Später habe ich an die Sträucher, die Brombeeren und Erdbeeren Mist getan. Vorm Haus habe ich am Zaun das Beet umgegraben und das Strauchwerk von den blauen Blumen abgeschnitten. Die kleinen Beete am Haus habe ich auch hergerichtet. Nun ist alles fertig bis auf das Spritzen bzw. Stäuben der Sträucher mit Kalk. Das mache ich mal bei Gelegenheit. Den Leimring habe ich auch an den Baum gemacht.
Bei uns ist es jetzt richtig kalt geworden. Gestern Morgen hatte es Reif, aber am Tag war es noch ganz nett warm. Heute hatte es noch mehr Reif und den ganzen Tag über war es kühl. Beim Schaffen habe ich aber nicht viel davon gespürt.
Von Kurt kam heute ein Brief. Er schreibt, dass sie jetzt immer noch viel zu arbeiten haben. An Dich habe er auch einen Brief geschrieben. Vielleicht findest Du ihn schon vor, wenn Du dort ankommst. Das Bild, welches ich ihm geschickt hatte, wo Vater auch mit drauf ist, hat ihm gefallen.  Er meint, Helga sei ja schon wieder ein Stück gewachsen. Ihm selber gehe es gut, nur sei er von der Arbeit und von der Wache etwas müd. Sie würden eben auch 5 – 7 Stunden pro Nacht Wache stehen. Wie es mit Urlaub würde, wüsste er noch nicht, doch würde er wahrscheinlich noch in diesem Jahr dazu kommen. An Vater hat er ein Päckchen mit Rauchwaren geschickt.
Während ich hier schreibe, hat mir Helga schon Arbeit abgenommen, indem sie abgewaschen und abgetrocknet hat. Dafür dürfen jetzt auch alle zwei den Brief mit fortschaffen. Das mögen sie gern, und außerdem können sie ja da die Leuchtplaketten anstecken.
Jörg brachte mir heute die erste Eisplatte. Er hatte sie aus einem Wasserkessel beim Gärtner Leirer geholt und musste sie mir natürlich gleich zeigen. Du siehst also, dass es schon ziemlich kalt ist.
Heute sind ja nun unsere Soldaten durch das unbesetzte Frankreich marschiert. Die Leute werden geschaut haben, denn bisher haben sie doch vom Krieg noch nicht viel gemerkt. Ich muss nachher nochmals richtig den Aufruf des Führers hören. Morgen wird er ja sicher in der Zeitung stehen.
Nun mein liebster Ernst, lass mich schließen. Bleib mir recht gesund und behalte uns lieb. Ich grüße und küsse Dich recht, recht herzlich Deine Annie.

Brief 438 vom 10.11.1942


Mein liebster, liebster Ernst!                           Konstanz, 10.11.42

Heute habe ich Deinen lieben Brief aus Berlin bekommen. Ich habe mich so sehr gefreut und gleichzeitig war ich doch traurig, denn es war mir, als würdest Du selber zu mir reden und doch bist Du so weit fort. Du hast Recht, wenn Du schreibst, wie schnell doch die schönen Urlaubstage vergangen sind. Ich kann es manchmal gar nicht glauben, dass es fast 3 Wochen gewesen sind. Dass Dir der Abschied diesmal schwer gefallen ist, das habe ich gemerkt. Wenn Du früher nach Frankreich gefahren bist, war doch die Entfernung nicht so groß und auch die Verhältnisse waren besser. Beim vorigen Urlaub wusstest Du ja schon, dass Du nach Russland kämst, aber eine richtige Vorstellung hattest Du doch noch nicht davon. Uns ist der Abschied auch sehr schwer gefallen. Die Kinder sind soweit wieder drüber weg, denn sie sind ja viel mit anderen Kindern zusammen und vergessen auch schneller. Mir ist das Herz noch sehr schwer, und ich schaffe und schaffe, damit ich nicht so allein dasitzen muss. Denken tue ich dabei aber immer an Dich und mein Herz ist bei Dir. Wir reden auch viel von Dir und rufen uns alles ins Gedächtnis zurück, wie schön es war, als Du hier warst. Helga denkt immer daran, wie Du ihr manchmal leicht auf die Backen geschlagen hast, bzw. sie gestreichelt hast, als wolltest Du damit sagen, wie lieb Du sie hast. (So hat sie es mir gesagt.) Jörg denkt daran, wie Du manchmal mit ihm gespielt hast, mit den Panzern. Und wieviele schöne Erinnerungen habe ich. Die kann man gar nicht alleaufzählen. Vor allem haben wir alle wieder erlebt,wie schön es ist, wenn Du hier bist. Wieviel besser und fröhlicher alles ist. Dafür möchte ich Dir auch noch recht sehr danken.
Ich habe heute im Garten geschafft, im großen Garten. Zuerst habe ich das Rot- und Weißkraut raus gemacht, dann die Möhren und habe die Stücke umgegraben. Das Kraut habe ich eingegraben. Nun habe ich die Roten Rüben raus gemacht und die Längsseite bei den Sträuchern umgegraben. An die Sträucher, die oberen Erdbeeren und den Rhabarber habe ich noch Mist getan. Am Nachmittag habe ich die unteren Erdbeeren ausgeputzt und noch umgegraben, sowie Mist dran getan. Den Rest des Haufens, der nicht verbrannt war, haben die Kinder hinter zum Friedhof geschafft. Der große Garten ist nun soweit fertig, nur die Sträucher habe ich noch nicht mit Kalk gespritzt. Die abgeschnittenen Triebe habe ich auch in die Erde gesetzt.
Im kleinen Garten habe ich die Dahlien abgeschnitten. Es hatte in der Nacht starken Frost, da hingen sie alle welk da. Dann habe ich die Möhren raus getan, das Stück umgegraben und das Brombeergerank verbrannt. Nun kann ich in den nächsten Tagen weiter umgraben.
Bis ich mit meiner Arbeit für heute fertig war, wurde es dunkel. Da habe ich eben aufgehört. Ich bin eigentlich nicht mal müde. Nur meine Hände sind wie ein Reibeisen, ganz rau. Dazu brennen noch die Ratzer von gestern von den Brombeeren ein Bisschen. Das ist alles.
Helga sagte gerade vorhin,  ehe sie ins Bett ging „ ach, wenn doch Vaterle da wäre, das wäre so schön“. Du siehst, auch die Kinder denken immer an Dich.
Ich habe mir heute gedacht, ob Du wohl heute schon bis Kiew gekommen bist. Nach der Zeit gerechnet, müsstest Du ziemlich dort sein. Wenn Du nur erst die Fahrt hinter Dir hast.
Weißt Du, was Du hier vergessen hast? Deine Handbürste. Ich schicke sie Dir bei Gelegenheit mit zu. Die Kölnisch-Wasser-Flasche hast Du wohl absichtlich hier gelassen?
Nun grüße und küsse ich Dich wieder ganz herzlich, mein liebster Mann, und denke immer an Dich,  Deine Annie.

Brief 437 vom 9.11.1942


Mein liebsterErnst!                                                    Konstanz, 9.11.42

Ob Du wohl heute, wie es in Deinem Fahrplan stand, den ganzen Tag in Kowel warst? Ich weiß es ja nicht, aber gedacht habe ich immer an Dich und auf der Karte habe ich mir Kowel öfter angesehen und geschaut, wie du ungefähr weiter fährst.
Deinen Fahrplan habe ich immer auf dem Tisch  neben mir liegen. Wie ich mir aufgeschrieben habe, fährst Du ja nun bis Mittwochabend ununterbrochen. Und dann nochmals bis Donnerstag. Wie froh wirst Du sein, wenn Du endlich an Deinem Bestimmungsort bist. Von uns bist Du nun schon wieder so weit fort und fehlst uns doch so sehr. Ich muss es mir immer wieder sagen, dass du wirklich fort bist. Immer meine ich, Du müsstest bald wieder hier sein.
Ich habe ja gestern gewaschen und konnte heute früh gleich aufhängen. Das Wetter war ganz günstig, sodass ich das Meiste ganz trocken bekommen habe. Das andere ist nur teilweise noch etwas feucht und ich trockne es am Ofen fertig, denn ich habe die Schlüssel für Waschhaus und Speicher gleich heute Morgen wieder abgegeben. Ich möchte die Freundlichkeit von Frau Nußbaumer nicht mehr als nötig in Anspruch nehmen.
Die Brombeeren habe ich heute angebunden. Das ist nun auch erledigt. Verkratzt habe ich mich nur ein Bisschen. Schwer war die Arbeit nicht. Gegen Abend kam Herr Zahn und wollte die Gartenpacht. Er hat das jetzt von Herrn Steimmel übernommen, der doch jetzt im Elsaß ist. Ich habe Herrn Steimmel nicht in die Wohnung gelassen, was ihm ja nicht ganz recht war. Ich habe es gemerkt. Aber er ist sonst auch nicht immer so freundlich zu uns.
Heute ist schon wieder eine Sondermeldung gekommen, dass U-Boote 16 Schiffe versenkt haben. Das geht jetzt aber rasch hintereinander. Was im vergangenen Monat anfangs weniger versenkt wurde, ist sicher schon aufgeholt.
Nun möchte ich Dir heute nochmals sehr danken für den schönen Blumenstock, den Du mir noch geschenkt hast. Ich freue mich jedes Mal darüber, wenn ich ihn ansehe. So habe ich auch damit noch eine schöne Erinnerung an diesen Urlaub.
Heute versuchte Jörg einige Male ein Bisschen bös zu werden. Ich habe gar nicht viel gesagt, sondern ihm einige drauf gewichst. Ich kann Dir sagen, da war er aber erstaunt. Geholfen hat es jedoch gut. Der Lauser, heute wär er mit seinem Holländer bald unter ein Motorrad gekommen. Ich habe es selber nicht gesehen, aber der Mann soll schwer geschimpft haben, was ja nur richtig ist und Jörg ziemlich beeindruckt hat. Ich habe ihm das Fahren auf dem Fahrweg nun verboten. Er ist da doch noch zu unvorsichtig.
Nun laß mich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich. Wie hab ich Dich doch lieb, mein lieber, liebster Ernst. Denke immer an Deine Annie.

Mittwoch, 8. November 2017

Brief 436 vom 8.11.1942


Mein lieber, lieberErnst!                                          Konstanz, 8.11.42
                                                                                                                        morgens ½ 9 Uhr
Wenn Du bis Berlin gefahren bist, fährst Du nun in einigen Minuten weiter. Da wirst Du schon im Zug sitzen, und vielleicht wirst auch Du an unseren Abschied gestern denken, denn in der Zeit sind ja nur 5 Minuten Unterschied. Um 8:35 Uhr hattest Du Dir gerade Deinen Platz gesucht. So schnell kam ja der Abschied heran. Aber wir haben wenigstens noch den Weg von daheim bis zum Bahnhof mit Dir gehen können. Das war noch schöner, als ein längeres Stehen am Zug. Aber doch kommt der Abschied dann zu schnell. Man meint, man müsste Dich noch halten können. Und doch fragt niemand danach. Es ist so herb.
Sonntag soll heute dem Namen nach sein. Es ist keiner, nein, es ist keiner. Einen richtigen Sonntag gibt es ohne Dich ja sowieso nicht. Ich habe nie die Ruhe dazu. Aber heute ist es ein ganz besonders einsamer Tag. Heute Nacht war ich um 0:44 Uhr, um 3:05 Uhr und um 3:27 Uhr munter, weil ich ja nicht weiß, ob Du über Güsten oder Berlin gefahren bist. Auch sonst war ich öfter munter und habe immer an Dich gedacht. Ich habe mir Deine Decken genommen, unter denen Du geschlafen hast. Ich habe mir Deinen Schlafanzug unter den Kopf gelegt, als wäre es Deine Schulter, an der ich öfter gelegen bin. Und doch glaubte ich nicht, dass Du fort bist.
Heute Morgen habe ich Deinen Namen gerufen, als ich aufwachte. Vielleicht war es doch nur ein schlimmer Traum, dass Du fort bist. Aber nein, es war Wirklichkeit. Du antwortetest mir nicht. Alles war still. Du bist fort, wirklich fort. Mir ist es schwer, und auch Dir wird es schwer sein. Alles hast Du hinter Dir lassen müssen, und nun musst Du wieder so lange auf der Bahn sein. Ich habe Dich noch vor mir, wie Du gestern noch einmal durch die Stuben gingst, dann Deine Sachen nahmst und sagtest: „ Es hat ja alles keinen Zweck, wir wollen es uns nicht noch schwerer machen.“ Siehst Du, jetzt sitzen wir wieder hier am Tisch. Wie schön wäre es, wenn Du, wie in den letzten Wochen, aus dem Schlafzimmer heraus kommen würdest. Was für eine Freude wäre das. Aber bis dahin wird wohl noch eine Weile wieder vergehen. Die Hoffnung wollen wir nicht aufgeben, dass es doch nicht gar zu lange dauern möge. Bleibe nur gesund, bleibe gesund, mein lieber, lieber Ernst, das wir noch lange Jahre zusammen sein können. Ich habe sonst keine Wünsche, nur Dich, nur Dich und auch die Kinder möchte ich behalten. Alles andere ist nicht so wichtig. Das werden wir schon miteinander durchstehen. Komm mir wieder, ernst, komm wieder.
Es ist jetzt ¼ 10 Uhr geworden und Du fährst nun wieder. Ich esse nur schnell was und gehe dann ins Waschhaus. Ich halte es hier in der Wohnung nicht aus.

                                                                                                ¼ 8 Uhr abends

Mein lieber Ernst!

Um 5 Uhr war ich mit der Wäsche fertig. Die Kinder wollten heute in den Film „Schneewittchen“ gehen. Gegen ½ 4 Uhr kamen sie wieder und sagten, dass so ein Gedränge gewesen und dass zuletzt die Vorstellung ausverkauft gewesen sei. ¾ 4 sollte noch eine Aufführung sein, aber so lange hätten sie nicht gewartet, sondern seien dafür in die Ausstellung „Kunst der Front“ gegangen. Jörg hat sich eine Karte „Stukas“ gekauft und Helga ein Heft, in dem alle ausgestellten Bilder verzeichnet sind. Es hat ihnen gut gefallen. Als sie heim kamen, haben sie sich noch zu mir in die Waschküche gesetzt, bis wir um 5 Uhr herauf gehen konnten. Da habe ich dann in der Küche Feuer gemacht, damit wir nicht frieren mussten.Helga hat sich ihre Briefmarken geholt und verschiedene eingeklebt. Ich musste ein Bisschen mithelfen. Wir haben sie sortiert und schauen nun im Michel-Katalog nach, in welcher Reihenfolge sie eingeklebt werden müssen. Jörg hat seine Marken auch geholt, aber ich kann erst nur mal einem helfen. Er hat das auch eingesehen. Jetzt, während ich schreibe, schauen beide im Katalog nach. Inzwischen haben wir auch Abendbrot gegessen und die Kinder gehen bald ins Bett. Sie wollen nur noch den Brief mit wegschaffen. Vorhin hat Helga wieder Geschirr abgetrocknet und sie sagt immer wieder, dass sie sich freut, dass sie es Dir versprochen hat, mir mitzuhelfen. Sie möchte Dir doch so gern eine Freude machen.
Nun muss ich dir auch noch mitteilen, dass ich gestern einen Brief von Erna erhielt. Sie schreibt, dass sie sich in ihrer Wohnung schon etwas eingewöhnt hat. Raum hätten sie ja genug, und mit der Frau Ludwig käme sie schon aus. Dann schreibt sie, ich solle kein erstauntes Gesicht machen, ich würde nun auch Tante. Ende Mai käme bei ihnen ein kleines Schwälbchen an. Eilenburg hätte ihnen nun Glück gebracht und sie freuten sich beide sehr. Sie fühle sich soweit wohl, aber einen Marsch von der Reichenau bis nach Konstanz könnte sie nicht mehr mitmachen. Wenn sie daran denkt, müsste sie noch darüber lachen. Das nächste Jahr müssten wir nach Leipzig kommen. – Damit hat es ja noch gute Weile. – Erna sei einmal kurz in der Mockauer Straße gewesen, aber Papa war nicht da, und sonst mute sie alles so fremd an, sodass sie sich gar nicht lange aufgehalten habe. Zur Hochzeit würde sie hingehen, u des Friedens willen, wenn es ihr auch schwer werde. Die Wohnung ist in Leipzig C1, Nordstr.44 Hof II.
Gerade ist Vater gekommen. Er will sein Brot abholen und liest jetzt erst mal die Zeitung. Wahrscheinlich wird er sich noch die Führerrede anhören, die nachher wiederholt wird.
Mein liebster Ernst! Den ganzen Tag habe ich an Dich gedacht mit großer Sehnsucht. Immer waren meine Gedanken bei Dir. Es ist ja so einsam ohne Dich. Immer habe ich mir überlegt, wo du wohl sein magst? Morgen früh ½ 6 Uhr und ½ 7 Uhr werde ich daran denken, dass Du nun in Kowel bist. Wenn du nur eine gute Fahrt hast. Du musst ja so lange unterwegs sein.
Vielleicht hast du Gelegenheit, öfter einmal zu schlafen.
Nun, mein lieber, lieber Mann, grüße und küsse ich Dich oft und herzlich und bin immer Deine Annie.

Brief 435 vom 7.11.1942


Mein liebster, besterErnst!                                         Konstanz, 7.11.42

Nun sitze ich wieder beim Brief schreiben, denn Du sollst, wenn Du dort ankommst, recht bald einen Gruß von uns erhalten. Jetzt, während ich schriebe, bist Du ja noch innerhalb Deutschlands, und doch wie unerreichbar für mich. Ich kann es ja noch gar nicht fassen, dass Du wieder von uns fort bist. Ich meine immer, es müsste klingeln und Du kämst heim. Der Tag heute war sehr hart. Es hat uns den ganzen Tag umhergetrieben. Von der Bahn aus sind wir zum Beck gegangen und haben die Rechnung bezahlt, dann sind wir zum Tengelmann gegangen und haben den Wein abgeholt. Ich bekam für mich und für Vater je 2 Flaschen Weißwein. Der Wermut, den Du bekommen hast, war eine besondere Gefälligkeit. Da wir an den Flaschen schwer zu tragen hatten, mussten wir heim. Aber wir haben es daheim nicht ausgehalten. Ich habe nur Wäsche eingeweicht, dann haben wir ein Stück Brot gegessen und sind gleich wieder fort gegangen. Für warmes Essen hatten wir hatten wir alle kein Interesse. Um ½ 1 waren wir schon wieder unterwegs. Wir sind dann noch in der Stadt umhergelaufen, haben noch die Blumen für Leipzig bestellt, und sind dann ins Kino gegangen. Das hat uns für einen Augenblick aufgeheitert, aber es hielt nicht lange an. Wieder wollte niemand heim. So sind wir nochmals in der Stadt herumgelaufen, bis wir dann ¼ 7 Uhr mit dem Omnibus nach Hause gefahren sind.
Den großen – gerade musste ich die Kinder aus dem Bett holen, Fliegeralarm, jetzt schon um 9 Uhr. Scheinwerfer suchen den Himmel ab. Zu hören ist bis jetzt nichts. Von Leimenstolls ist jemand draußen und sagt, wenn wir in den Keller müssen. Einstweilen bleiben wir in der warmen Küche. Also, den großen Wunsch der Kinder habe ich heute noch erfüllt und habe ihnen je eine Leuchtplakette in Form einer Blume gekauft. Sie haben sich wohl gefreut, aber als wir heim kamen, und alles so einsam war, waren auch sie wieder traurig. Nun musste ich sie aus dem ersten Schlaf wieder heraus reißen. Für mich ist es so traurig, wenn ich ins Schlafzimmer komme. Da sah ich Dich gestern Abend und auch noch heute Morgen im Bett liegen und nun ist alles so leer und einsam. Nur ein Duft von Deinen Sachen liegt noch in der Luft, darum öffne ich heute auch nicht das Fenster.
Wie schnell doch diese Wochen vergangen sind. Welch große Freude war es, als ich das Telegramm, dass Du kommst. Man meint, solch Urlaub könnte nicht zu Ende gehen. Wir haben ja auch schöne Tage miteinander verlebt, und wir haben die Zeit auch ausgenützt. Wie schön war doch die Fahrt nach dem Haldenhof. Das wird auch eine bleibende Erinnerung für uns sein. Und die schwersten Arbeiten hast Du mir auch abgenommen, das Brombeerenverschneiden, das Umgraben im großen Garten, das Sträucher verschneiden. Dafür möchte ich Dir auch noch sehr danken, ebenso dafür, dass Du mir den Kopf etwas zurecht gerückt hast. Es war notwendig. Ich musste das selber einsehen. Und es ist so lieb von Dir, dass Du es vergessen willst, wenn ich Dich geärgert habe.
10 Minuten nach ½ 10 ist nun der Alarm vorbei. Die Kinder liegen wieder im Bett und schlafen auch schon wieder fest.
Als wir heute im Kino waren, dachte ich daran, wie du vor einigen Tagen noch mit mir den Film angesehen hast. Hinterher waren wir noch in der „Post“ und beim „Adler“. Du hast mich auch darin wieder verwöhnt. Und wir freue ich mich über die Primeln, die Du mir noch geschenkt hast. Sie werden mich immer an diesen schönen Urlaub erinnern, der so unverhofft kam. Wir wollen immer dankbar dafür sein, dass wir wieder einmal zusammen sein durften. Auch über die Bücher freue ich mich sehr. Ich werde öfter Deine liebe Widmung lesen.
Während ich nun hier schreibe, sitzt Du auf der Bahn. Hoffentlich hast Du einen Platz bekommen, wo Du auch etwas schlafen kannst. Du hast es ja noch schwerer, wie wir, denn Du bist ganz allein. Ich habe gestern und heute früh gemerkt, dass es dir auch schwer fällt, wieder fort zu fahren. Ich hab daraus auch gesehen, dass du uns lieb hast und gern bei uns warst. Ich will Dir diese Liebe, die mich so glücklich macht, auch immer mit viel Liebe vergelten.
Ich wollte ja munter bleiben, bis Du in Güsten oder Berlin bist. Aber ich kann es nicht. Es ist so einsam hier. Ich will lieber schlafen gehen und stelle mir den Wecker. Es ist hier so traurig ohne Dich.
Ich bringe jetzt noch den Brief fort, damit Du ihn bald erhältst und nicht so lange warten musst. Du mein lieber, lieber, guter Ernst, ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine traurige Annie.