Dienstag, 20. Dezember 2016

Brief 263 vom 28./29.12.1941


Mein liebster Ernst!                                                                    Konstanz, 28.12.41                          

Heute erhielt ich Dein liebes Paket Nr. 43. Nun habe ich bis 45 alle bekommen. Ich war sehr erstaunt, daß sogar richtige Schokolade drin war. Du hattest wohl von Süßigkeiten gesprochen, aber daß es sogar Schokolade war, habe ich doch nicht gedacht. Ich danke Dir sehr dafür und werde sie mir gut einteilen. Von den kleinen Tafeln, die Du mir schon früher geschenkt hast, habe ich auch noch ein paar.
Du hast mir wieder eine große Freude gemacht. Die Bonbons habe ich den Kindern gegeben, weil sie die so gern essen.
Gestern Abend kam Vater herauf. Ich habe mich nach langer Zeit wieder einmal ein bißchen mit ihm gestrubbelt. Er wollte mich, allerdings erfolglos, davon überzeugen, daß wir uns doch nicht jeden Tag schreiben sollen. „Ihr belastet die Post zu sehr, ihr nehmt sie zu viel in Anspruch.“ Ich: „Wir nehmen sonst nichts in Anspruch, die Freude lasse ich mir nicht gleich nehmen.“ Vater: „Ich war ja schließlich auch fort, aber ich hätte nicht so viel Stoff gehabt, um jeden Tag  zu schreiben.“ Er führte dann noch einen Fall an, wo eine Frau auch jeden Tag geschrieben hat, wenn sie auch nicht wußte, was sie schreiben soll, nur damit geschrieben sei. Ich sagte darauf, daß wir ja wüßten, was wir uns schreiben sollen und daß wir uns so lange es geht schreiben. Das ging noch eine Weile hin und her und dann war er etwas ärgerlich geworden.
Du weißt doch sicher noch, daß sich Jörg früh immer langsam an und abends langsam auszieht. Du weißt doch sicher auch noch, daß wir manchmal geschimpft haben deshalb. Aber alles nützte nichts. Er kam immer wieder ins träumen und spielen. Damit ich nun nicht immer schimpfen muß, habe ich die Kinder abends immer ein bißchen zeitige ausziehen lassen. Jetzt in den Ferien bin ich darin ja nicht so streng, denn sie können früh ja ausschlafen. Wenn nun Vater in letzter Zeit rauf kam, sagte er immer: „Jetzt bummelt nicht so rum, macht Euch fertig, daß ich in die Falle kommt, ihr erkältet Euch bloß“ usw. Gestern sagte er nun: „Das  hätte es bei Ernst seiner Mutter  nicht gegeben, wenn sie gesagt hat „ausziehen“, da waren die Kinder in 5 Minuten fertig, sonst hätten sie ein paar hinter die Ohren gekriegt.“ Jetzt möchte ich Dich fragen, bin ich wirklich so dumm und kann die Kinder nicht erziehen? Muß ich doch lieber abends schimpfen oder soll ich sie lieber etwas zeitiger ausziehen lassen? Ich möchte es doch richtig machen. Drum möchte ich gern Deine Meinung wissen.
Heute, als der Blockwart die Spende für die Soldaten aufschrieb, brachte er für jeden, der Radio hat, eine Papptafel mit, die an einem Knopf vom Apparat befestigt werden muß. Darauf steht:  
- Denke daran, das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. -    
Der Blockleiter muß sich davon überzeugen, daß diese Tafel tatsächlich am Radio befestigt wird. Da hat man also diese Warnung gleich vor Augen, die ja bei mir überflüssig ist, denn ich denke gar nicht daran, diese Sender zu hören.
Ich will nachher noch ein weiteres Paar Pulswärmer fertig machen, so daß ich also 3 Schals und 3 Paar Pulswärmer abliefere. Evtl. fertige ich aus dem alten Filzhut, den ich mit aus Leipzig gebracht hatte, ein Paar Filzsohlen an.
Wir hatten heute ziemliche Kälte: 10 Grad. Die Kinder waren am Vormittag draußen zum schusseln. Jetzt sitzen sie an ihrem Tischchen und spielen Domino und das neue Rennspiel.
Heute Mittag haben wir einmal den Pudding von Dir probiert. Er schmeckt prima,. Man merkt keinen Unterschied zwischen unserem und französischem.
Vater sagte mir gestern, daß er wahrscheinlich am Sylvester heraufkommen wird. Ihr werdet wohl dort im Kreise der Kameraden feiern, oder bist Du evtl. wieder in Lille?
Nun laß mich wieder schließen. Von Jörg hast Du ja auch noch einen Brief zu lesen.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 29.12.41

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 23./24.12.
Am Geburtstag von Deiner Mutter haben wir auch an sie gedacht und Du hast recht, wenn Du schreibst, daß ich vielleicht erst jetzt richtig ermessen kann, was Ihr durch den frühen Tod Eurer Mutter verloren habt. Ich habe in letzter Zeit oft daran gedacht. Als Vater bei uns war, hat er auch von Deiner Mutter erzählt.
Vor den Feiertagen war ich ziemlich hin, aber da ich einen Ruhetag eingeschoben hatte, war ich dann wieder etwas ausgeruht. Es ist immer wieder so, daß ich meine Kräfte überschätze.
Die Kinder haben sich ihre Freude nicht trüben lassen und ich habe mir auch in keiner Weise anmerken lassen, wie traurig mir zu Mute war. Ich habe Dir ja schon geschrieben, daß sie sich über den Baum und die Geschenke, überhaupt über Weihnachten sehr gefreut haben. Ich hatte leider die ganzen Tage fest Herzschmerzen, so daß ich am 2. Feiertag doch zu den Herztropfen gegriffen habe. Daraufhin ließ es etwas nach und seit gestern spüre ich nichts mehr.
Du Ernst, ich habe die Absicht, bei der Wintersachen-Sammlung auch meinen Trainingsanzug mit abzugeben. Es soll ja ein Opfer sein, nicht nur, daß man ganz überflüssige Sachen. schenkt. Ich ziehe ihn jetzt ja doch nicht oft an und zum Zelten kommen wir jetzt auch nicht. Bis dahin kommt wieder Rat. Viele Soldaten haben ja schon ihr Leben und ihre Glieder geopfert. Da wollen wir doch nicht so kleinlich sein. Wir leben hier ja fast noch wie im Frieden. Ich hoffe, daß Du damit einverstanden bist.
Heute bekam ich Dein Päckchen 36 mit den 2 Büchern. Das eine hatten wir ja schon, aber nicht in so schöner Ausführung mit Bildern. Sicher sind beide Bücher schön. Hast Du sie schon gelesen?
Wir haben auch heute wieder kaltes Wetter, wieder 10 Grad Kälte. Die Kinder sind wieder beim Schusseln. Jörg ist zwar ein bißchen erkältet, er ist etwas heißer, aber ich denke, die kalte, trockene Luft wird ihm nichts schaden. Sonst ist es ihm ja wohl.
Ob es wohl wahr wird, daß Du Mitte Januar auf Urlaub kommst? Das wären ja nur noch ca. 3 Wochen. Ich meine manchmal, ich kann es gar nicht erwarten, bis du wirklich hier bist. Aber dann muß ich mich immer zur Ordnung rufen, damit ich mich vorher nicht zu sehr freue. Ach, wie froh wäre ich, wenn Du wirklich bald auf Urlaub kämst. Diesmal kommt es mir vor, als wärst Du furchtbar lang nicht mehr zuhause gewesen.
So, jetzt will ich nun weiter schaffen. Ich habe heute noch viel zu tun, denn den ganzen Vormittag habe ich an den Pulswärmern usw. gesessen, damit ich alles sauber und ordentlich abliefern kann. Damit bin ich jetzt ganz fertig.
Heute erhielt ich den Gehaltszettel, auf dem steht, daß das Geld am 30.12. verfügbar ist. Da werde ich es morgen, wenn ich einkaufen gehe, mit holen und Dir gleich 66,- zuschicken. Ich hätte das Geld evtl. etwas später geholt, aber am 2. kann ich nicht wegen großer Wäsche und noch später kann ich Dir vielleicht vorm Urlaub nicht mehr rechtzeitig schicken.
Nun laß mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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