Dienstag, 20. Dezember 2016

Brief 261 vom 26./27.12.1941


Lieber Ernst!                                                                       Konstanz, den 26.12.41                       

Nun ist auch bald der zweite Feiertag vorbei. Wir sind gerade heimgekommen. Wir sind ein bißchen in der Sonne spazieren gegangen. Wir haben uns die sonnigen Wegen im Wals rausgesucht. 2 Rehe sind uns über den Weg gelaufen. Die weißen Blumen haben weithin geleuchtet.
Gestern Nachmittag habe ich mich, wie ich Dir schon schrieb, ausgeruht. Gegen Abend habe ich noch aus 3 starken Strumpflängen Müffchen für die Soldaten fertig gemacht. Morgen fängt ja die Sammlung an. Die Kinder haben den ganzen Nachmittag über gespielt und gemalt. Gegen 1/2 9 sind sie dann ins Bett. Ich habe gestern auch nicht mehr so lange gemacht, da Vater ja nicht da war. Ich denke, daß er heute Abend wieder herauf kommt. Heute Morgen haben wir bis gegen 9 Uhr geschlafen. Schlafen tut mir immer gut. Dann haben wir Frühstück gegessen, dann habe ich aufgeräumt und Essen gekocht. Ich habe auch 1 Glas des von Dir eingekochten Apfelmuses heraufgeholt. Das hat gut geschmeckt. Nach dem Essen haben wir einmal mit dem neuen Spiel von Jörg gespielt und sind dann in den Wald gegangen. Es war ganz schön draußen. Wo die Sonne nicht hin schien, ist es ja ziemlich kalt, aber in der Sonne kann man es aushalten.
Heute Morgen haben mich die Kinder gebeten, daß sie etwas von den neuen Sachen anziehen dürfen. Jörg seine grauen Hosen und den Pullover, Helga ihr blaues Strickkleid. Sie haben sich in den Sachen genau so stolz gefühlt, wie wir als Kinder. Am liebsten hätten sie gar keinen Mantel angezogen, damit man die neuen Sachen auch sieht. Ich dachte, Jörg wären die neuen Hosen etwas zu groß. Das ist aber gar nicht der Fall. Sie passen gerade richtig.
Es ist jetzt 5 Uhr vorbei. Ich will nachher auch gleich noch an Papa schreiben. Ich will ihm noch für die Bücher danken und auch noch das Häkchen in der oberen Ecke nicht vergessen, damit er weiß, daß die Handtücher usw. angekommen sind.
Heute wurde ja keine Post ausgetragen, so daß ich auch keinen Brief von Dir bekommen konnte. Ich hoffe aber morgen bestimmt darauf, da ich ja jetzt ein paar Tage vergeblich warten mußte.
Nun kommt ja bald das neue Jahr heran. Ich weiß ja nicht, wie lange jetzt, wo besonders viel Post unterwegs ist, die Beförderung dauert. Damit aber meine Wünsche noch rechtzeitig eintreffen, möchte ich Dir heute schon ein recht gesundes Neues Jahr wünschen. Hoffentlich bleiben wir alle gesund und sehen uns immer gesund wieder. Mein nächster Wunsch ist dann, daß Du recht bald auf Urlaub kommst. Wir freuen uns ja schon so sehr darauf.
Ich denke, daß Vater am Sylvester heraufkommen wird, damit ich nicht ganz allein bin. Meine Gedanken werden immer bei Dir sein. Es ist schwer, ohne den liebsten Menschen, den man hat, ins Neue Jahr zu treten, aber es geht ja so vielen so, so daß wir nicht murren wollen.
Sei Du, mein liebster Mann, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Ich habe vorhin gleich noch an Kurt und Siegfried geschrieben.

Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz 27.12.41

Puh, ist aber heute ein scheußliches Wetter, kalt und dabei ein Schneetreiben, daß es einem fast zum Rad runter pustet. Daheim ist es heute schon schöner. Als ich heute vom einkaufen heimkam, war mir direkt die Lust alle. Gerade, als ich an der Haustür ankam, war auch der Briefträger da und brachte mir Deine beiden lieben Brief vom, 22.12, den einen mit Zeitungen und Deine Päckchen 42, 44, 45, mit Mandarinen, Puddingpulver und Mehl. Hab recht, recht vielen Dank dafür. Da kann ich öfter mal einen Pudding kochen, aber eingeteilt wird doch. Die Mandarinen erfreuen sich ja bei uns keines langen Lebens, die sind immer bald futsch. Wenn die Kinder welche sehen, bitten und betteln sie ja die ganze Zeit. Aber zum essen sind sie ja auch da. Mir munden sie auch.
Über die Sachen von meinem Vater habe ich mich gefreut. Deine Sachen wollte ich Dir ja gleich heute zuschicken, aber nun ist ja noch Sperre bis 4.1. Über den Kalender von Papa freust Du Dich also. Was wirst Du aber nun gesagt haben, als Du von mir zu Weihnachten auch noch einen bekommen hast? Ich konnte ja nicht wissen, daß Papa dieses Jahr wieder einen bekommen hat, nachdem es im vergangenen Jahr nicht klappte. Das war ja das kleine Geschenk von dem Du nicht mehr wußtest, daß Du Dir`s gewünscht hast.
Das Bild von Erna gefällt Dir also. Soweit ich sie kennen gelernt habe, kann man schon mit ihr auskommen. Sie ist ja am 18.12.  21. Jahre geworden. Also auch noch ziemlich jung. Wenn ich so mit ihr gesprochen habe, hatte ich gar nicht den Eindruck, viel älter zu sein, aber es sind ja immerhin 9 Jahre. Man muß nur immer die Kinder ansehen, da merkt man erst, daß man älter wird. Denke Dir, ich habe unsere Beiden gemessen. Jetzt fall aber nicht um, Jörg ist 1,33m  und Helga 1,44 m groß. Ist das nicht groß? Aber gesund sind sie und das ist das Allerwichtigste.
Die neue Regelung in der Stube kommt mir ganz praktisch vor. Hoffentlich gefällt es Dir auch. Den einen Vorteil hat es wenigstens jetzt gehabt, daß der Christbaum kein bißchen im Wege steht, so daß man sich überall gut bewegen kann.
Ich weiß auch nicht, ob es eine Schwäche oder Stärke von mir ist, das Räumen. Aber ab und zu kommen mir so die Gedanken, wie es vielleicht noch schöner und zweckmäßiger sein könnte. Da läßt es mir dann keine Ruhe, ich muß es versuchen. Klappt es, dann bin ich geneigt, die Räumerei als eine Stärke anzusehen, sieht es hinterher schlechter aus, dann empfinde ich es als eine große Schwäche, daß ich meiner Phantasie nachgegeben habe. Aber ich glaube, abgewöhnen kann ich es mir nicht gleich, wenn es mir manchmal auch quälend. ist.
Ich glaube, der Salzmann läßt sich seine Einladungen auch dadurch bezahlen, daß er jetzt allerhand Wünsche äußert.
Vater kam gestern Abend herauf und brauchte 2 kleine Kuchen für uns mit. Da hat er uns unseren Kuchen also eigentlich wieder zurück gegeben. Nur, daß er eben am 1.Feiertag dadurch etwas hatte. Von Frau Frick hat er 2 Pfund Fleisch und Kleingebäck geschickt bekommen. Das Letztere hat er uns mitgebracht, weil er zu viel Süßes nicht mag. Er hat noch zu dem Brief an Kurt etwas dazugeschrieben.
Du, mit den Kanonen hast Du ja Jörg eine Freude gemacht. Und die „Käpsele“, wie man hier sagt, knallen prima. Manchmal hört man hinterher überhaupt nichts mehr. Jetzt hat Jörg auch rausgefunden, daß die Granaten ja einen Schlitz haben, wo auch ein „Käpsele“ reingehört. Die Granate ist doch in der Mitte beweglich. Wenn Du sie nun mit der Spitze auf die Erde fallen läßt, schiebt sie sich zusammen und schlägt dabei auf die Kapsel. Das knallt dann so schön, daß Jörg überhaupt nicht mehr damit aufhören möchte. Nur gut, daß ich noch ein paar Schachteln zurückgehalten habe, von denen er nichts weiß. Da teilt er sich`s ein bißchen ein und ich habe ein bißchen Ruhe. Von früh bis Abend sitzt Jörg ja jetzt bei seinen Soldaten.
Helga sitzt jetzt nur noch entweder bei den Puppen oder ihren Märchenbüchern. Da ist es gut, daß noch Ferien sind.
Als die Ferien anfingen, sagte Jörg: „Ich muß jeden Tag lesen und schreiben.“ Ich sagte: „Das ist recht, hoffentlich machst Du es auch.“ „Ganz bestimmt, sonst verlerne ich`s bloß.“ Jetzt versucht er sich aber doch immer zu drücken, und wenn er`s macht, dann aber so schnell und so wenig als möglich. Die Spielsachen sind doch noch stärker.
Nun laß mich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von  Deiner Anni.

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