Dienstag, 6. Dezember 2016

Brief 247 vom 5.12.1941


Mein liebster Ernst!                                                                                 Konstanz, 5.12.41              

Ich fange heute schon am Mittag an zu schreiben, da wir heute Nachmittag baden wollen. Da kann man hinterher nicht gleich wieder fortgehen und den Brief wegschaffen.
Heute Abend ist ja nun Nikolausabend. Helga sagte schon ein paar Mal: „Es ist so schade, daß wir jetzt wissen, daß es keinen Nikolaus gibt. Das war doch immer so schön. Wenn uns nur die Kinder nichts gesagt hätten.“ Aber so ist es eben. Erst sind die Kinder stolz, daß sie nicht mehr so klein sind und an den Nikolaus usw. glauben und dann sehnen sie sich doch zurück. Ich habe in letzter Zeit vor allen Dingen durch Mamas Tod auch viel daran gedacht, wie es zu Weihnachten doch immer schön war, als man noch Kind war. Mit welcher Spannung haben wir doch immer auf Weihnachten gewartet. Und als dann die Bescherung war und man konnte ins Zimmer. Erst wurden immer ein paar Lieder gesunden und Papa spielte Ziehharmonika. Dazu dann durften wir die Geschenke besehen. Während wir nachher schnell mal ein bißchen in dem Buch gelesen, oder die neuen Sachen probiert haben, ging Mama in die Küche und brachte Stolle und Kaffee. Das roch dann so gut und mit viel Appetit haben wir gegessen. Mit welchem Stolz habe ich nachher auch die neuen Sachen angezogen und bin runter gegangen. An eine hellgrüne Mütze und Schal kann ich mich jetzt noch genau erinnern. Das sind alles Erinnerungen, die man nie vergißt, auch wenn eins gestorben ist. Man glaubt es da manchmal gar nicht, daß Mama wirklich gestorben ist. In der Erinnerung lebt sie immer noch.
Nun sind es unsere Kinder, die sich so sehr auf Weihnachten freuen. Ich hoffe, daß sie sich genau so gerne später daran erinnern. Ich muß ihnen jetzt auch immer von Weihnachten erzählen, wo ich noch Kind war. Für die Kinder ist es ja wie ein Märchen, daß wir auch einmal Kinder waren, wie ich es bei meinen Eltern konnte.
Ganz ohne Etwas sollen unsere Kinder ja am Nikolaustag auch nicht sein. Ich werde ihnen heute Nacht die Apfelsinen von Dir, je 2 Äpfel, etwas Gebäck und ein paar Hütchenpralinen, die ich bekommen konnte, hinlegen. Dazu tue ich noch ein paar Bonbons von Kurt. Ich denke, daß sie zufrieden sein werden.
Ich wollte ja sehen, ob ich für Helga ein kleines ca. fingerlanges Püppchen bekommen, das sie für ihre Puppenküche haben wollte. Aber ich habe es aufgegeben. Ich konnte nirgends eins bekommen. Überhaupt haben die Geschäfte fast nichts, fast nur noch ein paar Spiele und damit sind ja die Kinder versorgt. Bei Schulz und Co. ist es so, daß an einzelnen Tagen von 6 - 7 verkauft wird und dann muß man sich anstellen und wird nur schubweise reingelassen. Da mache ich nicht mit, denn unsere Kinder haben ja schon so viele Spielsachen, daß sie damit schon auskommen. Ich habe es Helga auch schon gesagt, daß sie mit einem Püppchen nicht rechnen kann und sie ist auch ganz damit einverstanden. Sie ist ja einsichtsvoll. Ihr anderer Wunsch nach einem Kleid wird ja erfüllt, was ich ihr natürlich nicht gesagt habe. Papa hat ja geschrieben, daß er für die Kinder Bücher besorgt hat, so daß also auch dieser Wunsch in Erfüllung geht. Für Jörg ist ja auch gesorgt.
Ich backe für Weihnachten noch etwas Kleingebäck und wahrscheinlich 2 -3 kleine Stollen. Das Mehl wird mir vielleicht gerade dazu langen. Die Hauptsache ist ja, daß man direkt zu Weihnachten etwas hat und vor allen Dingen, wenn Du heimkommst.
Kannst Du ein paar Zigarren für Papa hierher schicken oder schickst Du sie direkt? Habt Ihr ab morgen eigentlich auch Feldpostsperre für Päckchen? Dann könntest Du`s ja nicht mehr senden.
Heute ist ja ein richtiger Weihnachtsbrief geworden. Aber es sind ja auch kaum noch 3 Wochen bis dahin.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.


Mein liebster Ernst!        Konstanz, 5.12.41       (möglicherweise ein Schreibfehler im Datum, evtl. 1942) 

Wenn Du diesen Brief liest, wird Weihnachten sein und ich hoffe, daß Du auch die gesandten Päckchen auspacken kannst und dadurch ein wenig Freude hast. Wir haben Dir gern eine kleine Freude machen wollen. Den Schal und die Socken habe ich so gern und mit viel Liebe für Dich gestrickt. Ich denke, daß Du die Sachen  brauchen kannst. Du liest ja auch gern, deshalb haben wir Dir die Bücher geschenkt. Hoffentlich gefallen sie Dir. Das kleine Kästchen soll für Deinen Rasierapparat sein. Er ist dann richtig versorgt. Ein wenig Gebäck ist ja auch dabei, damit Du etwas Heimatliches zu essen hast.
Wir werden so zwischen 5 und 6 Uhr bescheren und Du wirst sicher mit Deinen Gedanken bei uns sein, wie wir bei Dir sind. Das  Weihnachtsfest zusammen zu verleben ist uns ja, wie so vielen anderen, auch dieses Jahr nicht vergönnt. Das ist schwer, aber wir werden tapfer sein. Wir haben doch die Hoffnung, später wieder zusammen sein zu können, eine Hoffnung, die so vielen zerstört ist. Deshalb wollen wir dankbar sein, wenn wir alle gesund bleiben.
Du denkst sicher auch an die schönen Weihnachtsfeste, die wir schon zusammen verlebt haben. Und weißt Du, 1939, wo man nie wußte, ob du fort müßtest. Für dieses Weihnachten waren wir doch auch dankbar. Ebenso für das nächste 1940. Da waren doch die Weihnachtspäckchen zu Dir und zu mir schon unterwegs und plötzlich konntest Du doch zu Weihnachten kommen. Das war eine so große Freude. Ich stand Dir gegenüber ja mit leeren Händen da, aber mich hast Du so verwöhnt. Weißt Du noch? Ja, weißt Du noch. So könnte man vielmals fragen, denn wir haben doch viele schöne Erinnerungen zusammen, nicht wahr.
Für diese Weihnachten wünsche ich mir von Dir, daß Du mich immer lieb behältst, mich und die Kinder und immer mit Liebe an uns denkst. Wir haben Dich auch immer lieb und wünschen Dir, daß Du immer gesund bleibst und daß wir uns Alle gesund wiedersehen.
Wir wünschen Dir nun, soweit es möglich ist, frohe Feiertage und schicken Dir viele Küsse und herzliche Grüße  Deine Annie Deine Helga Dein Jörg.

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