Dienstag, 20. Dezember 2016

Brief 260 vom 25.12.1941


Mein lieber Ernst!                                                               Konstanz, den 25.12.41                     

Gestern bin ich leider nicht zum schreiben gekommen, da Vater abends bis 1/2 1 da war. Danach hatte ich keine Lust mehr zum schreiben.
Nun will ich Dir erst noch von vorgestern erzählen. Wir sind vorgestern Abend noch in die Stadt gegangen und haben zuerst die Bilder abgeholt mit, die ich Dir gleich noch mitgeschickt habe. Bei Jörgs Bild mit der Zuckertüte hatte ich gar nicht darauf geachtet, daß mein Schatten mit auf`s Bild gekommen ist. Ein Bild ist ja nicht gut geworden, das ist in der Wohnung am Fenster gemacht. Sonst bin ich mit den anderen soweit zufrieden.
Wir sind noch auf die Marktstätte gegangen und haben uns den brennenden Tannenbaum angesehen. Ich glaube, in Deutschland ist Konstanz die einzige Stadt, die abends den Baum brennen lassen kann, denn die anderen Städte sind ja alle verdunkelt. Die Stadtkapelle hat gerade gespielt, da haben wir also auch noch Konzert gehabt.
Wir sind dann durch den Stadtgarten heim gegangen.
Gestern Vormittag erhielt ich die Zeitungen mit den Umschlägen von Dir. Ein Brief an mich war ja nicht dabei, nur die verschiedenen älteren Briefe zum aufheben. Am Nachmittag kam das Päckchen Nr. 40 mit Mandarinen. Ich danke Dir für Beides sehr. Die Mandarinen werden uns über die Feiertage munden.
Wie ich Dir schon vorher schrieb, haben wir um 3/4 6 beschert. Ich habe mich direkt davor gefürchtet, denn mir kam alles so kahl und unfestlich vor, aber den Kindern war es doch feierlich  und sie haben sich sehr gefreut. Wir haben zuerst ein Weihnachtslied gesunden und dann haben sich die Kinder die Geschenke angesehen. Zuerst haben sie nur die Püppchen und das Spiel beachtet. Das ist Tatsache und ich schreibe es nicht, weil Du es Ihnen geschenkt hast. Die anderen Geschenke kamen erst in zweiter Linie dran. Helga war ganz begeistert und hat die Puppen überhaupt nicht mehr hinlegen wollen. Jörg habe ich noch am Abend 3 Kanonen zusammenbauen müssen und er hat den ganzen Abend mit nichts anderem gespielt und spielt auch heute schon den ganzen Vormittag damit. Nach ihrer Bescherung haben sie mir meine Sachen gebracht und ich muß sagen, ich war ganz erstaunt, was sie alles gekauft haben. 2 Hefte Löschpapier, 3 Postkarten, 2 schöne, mit bunten Blumen bemalte Untersetzer und 1 Buch „Der Pomeranzenzweig“. Ich habe mich sehr gefreut. Man glaubt immer gar nicht, daß sie schon mit so viel Verstand einkaufen können.
Nach der Bescherung haben wir Stolle gegessen und als wir gerade fertig waren, kam Vater. Da haben wir nochmals den Baum angebrannt und die Kinder haben das Lied „O Tannenbaum“ gesungen. Dann haben wir Vater seine Geschenke gegeben, über die er sich auch gefreut hat. Er brachte uns dann noch Pralinen. Wir haben dann noch in der Küche gegessen und haben zuerst Jörg`s Kanonen zusammengebaut. Dann habe ich für Vater die Mandeln geschält und gerieben und die Rosinen ausgekernt. Wir hatten es am Tage vorher ausgemacht, daß er sie mitbringt. Er will heute backen. Zum ersten Feiertag hat er ja nun unseren Kuchen. Die Kinder haben bis 10 Uhr gespielt und sind 1/2 11 ins Bett. Vater war noch bis 1/2 1 da und wir haben uns unterhalten.
Von Papa habe ich die Bücher „Junge Mutter Randi“ von Lise Gast, „Mutter erzählt von Adolf Hitler“ von Johanna Haarer, „Der Mutterhof“ von Felicitas Rose, „Lonny, die Geschichte einer jungen Ehe“ von Günter Less erhalten.
Von Papa kam heute morgen noch ein Paket mit 12 neuen Handtüchern, 6 Wischtüchern, 2 Kartons Taschentücher, alles Sachen von Mama. Ich schicke Dir den Brief von Papa mit.
Von Kurt kamen 2 Päckchen. Einer mit Bonbon und einer mit Sachen zum aufheben. Er schreibt, daß wir ihm  die später nicht schicken sollen. „Das wird keinen Zweck haben, die Sachen wären nur überflüssig. Gründe möchte ich sonst keine anführen“ schreibt er wörtlich dazu. Wahrscheinlich kommt er, wie er schon ahnte, nach Rußland.
Lieber Ernst, ich weiß heute gar nichts mehr zu schreiben. Ich habe so gar keine Weihnachtstimmung. Es täte vielleicht gut, sich einmal richtig ausweinen zu können, aber das ist mir jetzt nicht mehr gegeben und so tut eben das Herz weh. Vielleicht ist es morgen schon wieder etwas besser. Vorhin haben sie gerade im Radio „Träumerei von Schumann“ gespielt, was ja beim Begräbnis von Mama gespielt wurde und heute ist sie ja auch gerade 1/4 Jahr tot. Das hat mich noch ganz traurig gemacht.
Sei bitte nicht böse, wenn Du heute gar keinen fröhlichen Brief erhältst, aber ich kann heute nicht anders. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Es ist nun am Nachmittag. Ich habe alles aufgeräumt und Helga hat mir beim Abtrocknen geholfen. Nun haben mir unsere zwei lieben Kerlchen den Sessel aus der Stube geholt, haben Kissen darauf gelegt und wollen es mir ganz gemütlich machen. Da kann ich mich schön ausruhen. Das ist doch lieb, nicht wahr? Das will ich nun auch tun und mich über die Feiertage richtig ausruhen und faulenzen. Wo wirst Du heute sein?
Ich grüße und küsse Dich nochmals recht herzlich Deine Anni.

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