Dienstag, 31. Mai 2016

Brief 167 vom 31.5./2.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, den 31.5.41        

Heute habe ich keinen Brief von Dir erhalten, aber vorgestern sind ja gleich drei angekommen, da will ich nicht ungeduldig sein.
Wenn ich die Schuhe ansehe, die Du für mich geschickt hast, so tut es mir immer mehr leid, daß sie mir nicht passen. Sie gefallen mir so gut.
Mir geht es heute etwas besser. Der Druck auf den Kopf hat etwas nachgelassen. Gestern hatte ich sehr starkes Kopfweh, da habe ich am Abend, kurz hintereinander, 2 Kopfwehpulver genommen. Dadurch habe ich heute Nacht zum ersten Mal ein wenig ruhig geschlafen.
Von den Eltern erhielt ich gestern eine Karte, in der sie mir das Zeitungspaket ankündigen. Für mich wird es ja jetzt wenig Zweck haben, aber die Kinder werden sich sicher freuen. Vielleicht kommt es noch bis Pfingsten an, da könnten sie sich die Feiertage damit vertreiben. Aus Deinem Päckchen habe ich mir die zwei zusammengefalteten Blätter auch aufgehoben. Auf einem steht gleich etwas von Lille.
Du hattest in einem Brief etwas von einer Überraschung gesprochen. Die war doch im Schuhpaket nicht beigepackt? Ich frage nur, weil der Karton an der einen Seite ziemlich aufgerissen war, daß es evtl. verlorengegangen ist.
Von Gerhard Legler habe ich auch eine Pfingstkarte bekommen.
Ich habe vorhin mit Helga zusammen noch einen Streuselkuchen gebacken, sonst haben die Kinder ja überhaupt nichts von Pfingsten. Wenn ich gesund wäre, wären wir sicher einmal über den See gegangen bzw. gefahren. So müssen wir es eben auf später verschieben.
Gestern habe ich den ganzen Nachmittag mit dem Liegestuhl im Hof gelegen. Den Kopf habe ich ja nicht direkt der Sonne ausgesetzt. Da hatte ich einen Schirm aufgespannt. Aber schon durch die Wärme allein hatte ich dann doppelte Kopfschmerzen. Das war also nichts. Heute stand in der Zeitung, daß der Elser und der Strobel die Inspektorenprüfung bestanden haben. Von Dir habe ich nichts gelesen. Es könnte nur sein, daß es damals dringestanden hat, als Du noch hier warst. Da habe ich ja keine Zeitung gelesen. Auf jeden Fall, lieber Ernst, ärgere Dich nicht über die liebe Stadtverwaltung.
Nun lass mich für heute schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, den 2.Juni 1941

Gestern habe ich Dir einmal nicht geschrieben. Du wirst mir aber sicher nicht böse sein. Einen Brief habe ich von Dir zu Pfingsten nun doch nicht bekommen, so daß ich seit 4 Tagen keine Post von Dir habe. Dein letzter Brief ist vom Samstag vor 8 Tagen. Hoffentlich hat morgen die Post ein Einsehen.
Ein Pfingstfeiertag ist ja nun schon herum. Wir merken ja nicht viel davon. Gestern Morgen kam Vater herauf. Ich hatte ihn gebeten, mir doch etwas gegen den Husten zu besorgen, da mir Tussamag absolut nicht geholfen hat. In den letzten Tagen habe ich husten müssen, daß es mich ganz aufgelöst hat. Brechen habe ich dadurch auch müssen. Es war eine Quälerei. Ich habe gekeucht wie eine alte Frau. Er brachte mir nun von Bayer „Kresival“ und Bronchial- Tabletten. Die Medizin schmeckt nun nicht so angenehm wie Tussamag, aber sie hilft wenigstens. Heute kann ich schon mit geschlossenem Mund atmen. Das Kopfweh bin ich ja ganz los, nur schwitze ich jede Nacht noch fest. Die meiste Zeit bin ich bei Tag schon auf.
Wie gesagt, Vater kam gestern morgen rauf. Er fragte mich dann, ob er etwas helfen könnte und hat mir dann Kartoffeln geschält. Auch Spinat hat er mir durchgedreht. Gegen Mittag ist er dann runter und hat bei sich weitergemacht. Gegen 8 Uhr abends ist er dann noch eine Weile raufgekommen. Heute will er schon am Nachmittag da sei. Er will an Kurt schreiben.
Er ist immer noch in seinem Garten, hat ihn jetzt zum dritten Mal umgegraben und beim letzten Mal hat er noch drei Engerlinge gefunden. Das war ihm nun recht. „Siehst Du, hätte ich nur zwei Mal umgegraben, dann hätten sie mir doch alles weggefressen. Mir soll keine Arbeit zuviel sein.“ Aber es ist so, vor lauter graben kommt er nicht zum setzen und wie bald ist der Sommer vorbei und er hat nichts oder nur ganz winziges Zeug. Jetzt will er erst noch die Brombeeren raus schneiden. Meines Erachtens nützt das Schneiden ja gar nichts, da müßte er schon ausgraben. Ich habe es ihm auch gesagt, aber er glaubt es nicht.
Bei uns herrscht das herrlichste Pfingstwetter. Hoffentlich ist es bei Euch auch so, daß Ihr Euch etwas vornehmen könnt. Die Kinder sind ganz untröstlich, daß es einfach nicht gehen will, daß wir über den See fahren. Jetzt haben sie mich nun gefragt, ob ich nicht wenigstens mit auf den Fürstenberg gehen könnte. Ich habe ihnen aber sagen müssen, daß mir das jetzt auch noch unmöglich ist. Ich habe sie jetzt einmal allein hingeschickt. Hoffentlich stellen sie nichts an. Wenn sie nachher kommen, werde ich ja sehen, wie es ihnen gefallen hat. Jörg interessiert sich vor allen Dingen für die Segelflieger. Da habe ich ihm die Segelfliegerbilder von Dir, die wir weg tun wollten, gegeben. Nun hat er so eine kleine Mappe, ungefähr wie die, wo ich Dir mein Paßbild darin geschickt habe. Da tut er so ein Bild hinein. Auf der Seite, mit der man zumacht, ist ein rundes Loch. Das ist nun sein Photoapparat. Er nimmt immer ein paar Bilder mit. Wenn er nun einen Flieger sieht, tut er das ähnliche Bild schnell hinein, macht zu, macht „knips“ und hat so den Flieger photographiert. Sein Photo ist jetzt sein Wichtigstes. Gerade sind die Kinder heimgekommen. Sie haben mir einen Blumenstrauß mitgebracht. Einen Flieger hat Jörg „photographieren“ können, wie er mit Begeisterung erzählt.
Die zweite Frage war gleich „dürfen wir heute Nachmittag wieder hin?“
Ich muß Dir überhaupt auch schreiben, daß sich Vater besorgt um mich bemüht. Trotzdem er selber jetzt eine ganze Weile nichts bekommen hat, brachte er mir doch in den letzten Tagen zwei Mal Pralinen und Bonbons. Das ist doch lieb von ihm? Ein gutes Herz hat er doch immer wieder, trotz seiner verschiedenen Eigenheiten. Wenn er jetzt da ist, wo ich krank bin, ist er besorgt um mich wie eine Henne um ihr Junges. „Bleib liegen, ich mache den Kindern schon auf.“ „Du sollst doch nicht immer aufspringen, das kann ich doch auch machen.“ „Kinder, schreit nicht so, man ist doch still, wenn die Mutter krank ist.“ usw. Am Samstagabend fragte er, ob ich etwas hätte backen können, sonst würde er gleich noch backen und am Sonntagmorgen ein paar Stücke rauf bringen. Das war ja nicht nötig, nachdem Helga mir beim backen eines Streuselkuchens geholfen hatte. Für sich will er wahrscheinlich heute backen, nachdem er gestern Vormittag hier war.
Lieber Ernst! Die vorigen Pfingstfeiertage haben wir doch noch schön verbracht. Es waren ja die letzten Tage, ehe Du fort mußtest. Die Erinnerung behält man doch immer. Dieses Jahr hättest Du ja nicht viel davon gehabt, wenn Du auch zuhause gewesen wärst.
Im Laufe dieser Woche waren übrigens die Kinder hinter den Siedlungshäusern und haben Erbsenreisig geholt. In den nächsten Tagen gehen sie noch Mal, um für die Bohnen zu holen. Ich habe ihnen nur gesagt, sie sollen sich immer in der Nähe der Häuser halten und nicht über den Buckel gehen. Die zweiten Erbsen sind nämlich auch schon so groß, daß sie dringend das Reisig gebraucht haben.
Ich würde Dir gern noch über den Garten berichten, aber ich bin gar nicht richtig im Bilde. Ich muß mir erst alles wieder ansehen. Arbeit wird es ja sicher genug geben. Soweit es möglich ist, werde ich die Kinder damit anstellen.
Die Kinder wollen jetzt, nachdem wir zu Mittag gegessen haben, wieder auf den Fürstenberg. Vorher sollen sie aber noch diesen Brief wegschaffen. Zu unserem Briefkasten können sie ihn nicht bringen, der  wird erst morgen früh wieder geleert. Da müßtest Du gar zu lange auf den Brief warten.
Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie

Montag, 30. Mai 2016

Brief 166 vom 30.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, den 30.5.41                                                                       

Vor allen Dingen möchte ich Dir erst einmal frohe Pfingstfeiertage wünschen. Das habe ich in den letzten Tagen ganz vergessen. Wenn die Wünsche jetzt zu spät eintreffen sollten, so nimm es bitte nicht krumm.
Vorhin kamen die beiden Pakete mit den Schuhen für Helga und mich. Ich muß Dir leider eine Enttäuschung bereiten. Meine Schuhe passen mir ganz und gar nicht. Sie sind aber auch nur eine Nummer größer wie Helga ihre. Ich habe sie auf der Sohle, ohne Wölbung gemessen. Helgas Schuhe sind 25 und meine 26 cm lang. Sind es Nr. 40? Nach dem Holzschuhmuster könnten sie ungefähr langen, wenn sie nicht so schmal oben verarbeitet wären. Du mußt dich aber nicht darüber ärgern. Ich hebe die Schuhe bis nächstes Jahr für Helga auf. Da kann sie sie bestimmt tragen.
Solltest Du noch Gelegenheit haben, welche zu bekommen, so sende ich Dir nochmals ein Muster von meinen bequemsten Schuhen, den schwarzen Schnürschuhen. Die eingezeichneten Linien sind die Größe der Schuhe, die Du mir gesandt hast. Wenn Du keine bekommst, so schadet es auch nichts. Ich habe ja noch zwei Paar Holzschuhe.
Helga ist von ihren Schuhen ganz begeistert. Am liebsten hätte sie sie gar nicht mehr ausgezogen. Sie gefallen ihr so gut. Ich habe ihr versprechen müssen, daß sie die Schuhe heute Nachmittag, wenn sie für mich einkaufen geht, einmal anziehen darf. Ich danke Dir, mein lieber Ernst, recht sehr für die viele Mühe, die Du Dir für uns gemacht hast.
Mir geht es schrittweise besser. Jetzt löst es sich im Hals, so daß es mir da vielleicht auch bald leichter wird. Nur der Kopf will einfach noch nicht. Da habe ich noch viel Kopfweh und schwindlig ist mir auch noch. Vor allen Dingen kann ich dadurch nachts nicht richtig schlafen. Du weißt vielleicht noch, wo Du mal aufs Rentamt gekommen bist, wo Du viel mit Zahlen zu tun hattest, da hast du doch auch nachts immer zusammenrechnen müssen. Nur wirbeln mir lauter Buchstaben vor den Augen herum und ich krieg und krieg sie nicht richtig in die Reihe. Meist wache ich dann auf und nun fängt der Husten an. Dann muß ich wieder einmal Platten aufeinander legen, was natürlich auch nicht gelingt. So geht die Komödie immer wieder von vorn los. Wenn ich dann aufwache, habe ich meist auch mächtige Kopfschmerzen. Auch bei Tag, wenn ich auf dem Liegestuhl liege, muß ich mir über die Augen ein zusammen gefaltetes Handtuch legen, damit kein heller Schimmer in die Augen kommt, denn auch bei geschlossenen Augen tut mir der Lichtschimmer im Kopf weh. So habe ich aber einmal ein bißchen Ruhe. Wenn das vorbei wär, da wär ich froh.
Wenn Dich dieser Brief noch vor Pfingsten erreicht, so möchte ich Dir sagen, daß Du Dir die Pfingstfeiertage ja nicht durch mich verderben lassen sollst. Wahrscheinlich werde ich bis dahin wieder Fortschritte gemacht haben. Wenn Ihr fortfahren solltet, so würde ich mich wieder sehr über einen Pfingstbericht freuen. Du weißt ja, so was lese ich von Dir sehr gern. Vor allen Dingen, wo Du so ein lieber, reiselustiger Kerl bist.
Heute ist bei uns ganz sonniges Wetter. Ich will sehen, daß ich mich am Nachmittag mit dem Liegestuhl in den Hof setzen kann. Ich sehe sowieso so weiß wie eine Wand aus. Von meiner Bräune ist überhaupt nichts mehr zu sehen. Das muß ich doch wieder aufholen.
Nun laß mich für heute schließen, mein lieber Schatz, und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 165 vom 29.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                          Konstanz, den 29.5.41                                 

 Ich schreibe heute doch wieder mit der Schreibmaschine, weil es nicht so anstrengt und ich auch schneller fertig bin.
Daß ich ganz gesund bin, kann ich Dir leider heute auch noch nicht schreiben. Mir selber geht die Besserung viel zu langsam vor sich. Es wartet ja so viel auf mich. Den Kindern wird`s auch schon langweilig. Da ist an den Schuhe etwas kaputt, da sind die Strümpfe zerrissen usw. Ich möchte den Kindern doch auch wieder einmal etwas Richtiges kochen. Meist haben meine Kräfte nur zu Kartoffelbrei oder Pudding gelangt. Es ist gut, daß ich auch noch Fleischmarken  von Dir habe, so hat es doch wenigstens Wienerle oder so etwas dazu gegeben. Heute schwinge ich mich einmal zu Eierkuchen auf, die sich die Kinder gewünscht haben. Ich selber habe bis jetzt auf nichts Appetit, höchstens einmal auf Pudding.
Gestern Nachmittag hat es einen Gewitterregen gegeben und heute Nacht hat es gestürmt und geregnet, daß alles, was nicht niet- und nagelfest war, durch die Luft geflogen ist. Heute Vormittag stürmt es immer noch, nur mit regnen hat es aufgehört. Die meisten Stützen beim Stachelbeerbäumchen hat es auch umgerissen, aber bei dem Sturm kann ich jetzt nicht runtergehen.
Eben bringt mir Jörg zwei Päckchen und drei Briefe von Dir, sowie ein Päckchen von Kurt. Ich will erst alles einmal aufmachen und schreibe dann weiter.
Da hatte ich ja viel zu tun. Zum lesen der Briefe habe ich mich wieder hingelegt. Es sind angekommen die Päckchen 8 und 10 mit den Schuhen für Jörg und den zwei Büchern. Die Schuhe passen prima. Sie sind auch sehr schön. Eines nur macht mir Sorge. Da sind doch ganze Gummiabsätze drauf. Meinst Du, die kann man hier auch wieder richten? Die Bücher freuen mich auch sehr. Nur schade, daß ich sie jetzt nicht lesen kann, aber dazu tut mir der Kopf zu weh.
Es freut mich, daß jetzt auch das Päckchen vom 15. angekommen ist, und daß es Dir langt.
Mit dem Schulranzen ist es so. Ich hatte ihn erst zu Böss geschafft, die mir sagten, daß sie ihn machen könnten. Als ich jetzt nach bald zwei Wochen hinkam sagten sie, daß sie es doch nicht machen könnten. Ich habe ihnen dann gleich gesagt, das hätten sie sicher auch vorher gewußt, da hätte ich nicht extra zwei Wochen warten müssen. Ich habe ihn dann zu dem Sattler gegenüber dem Jugendamt geschafft. Der sagte mir, daß er ihn machen kann. Er macht die Riemen für einen Mädchenschulranzen passend. Auch auffrischen kann er ihn, nur würde er natürlich nicht ganz  wie ein neuer. Das ist ja schließlich auch gar nicht nötig, wenn er nur wieder ordentlich aussieht. Ich will nun mal sehen, wenn ich ihn holen kann, wie er aussieht.
Mit dem neuen Briefmarkensatz ist es auch Geldschneiderei. Das sind die Briefmarken von der Post, die Du schon einmal hast, nur mit etwas anderen Farben. Herr Kuster hat sich auch darüber geärgert.
Du bist ein Schelm! Wenn Du mir nicht direkt schreiben darfst, wir sollen Dir nichts schicken, so tust Du es hintenherum. O, wenn ich Dich doch da hätte, daß ich Dich an Deinen Haaren reißen könnte. Das wäre die gerechte Strafe für Dich. Das mußt Du selber einsehen.
Mit dem ausgehen zu Pfingsten in den neuen Schuhen wird es wohl nun nichts. Aber ich werde ja auch später noch Gelegenheit haben, sie zu tragen.
Der Brief an Hellstern gefällt mir gut. Ich hatte erst schon gedacht, er wäre für den Bürgermeister bestimmt und war über den freundlichen Ton ganz erstaunt.
Sind Deine Wirtsleute nun freundlicher zu Dir? Bekommst Du sie öfter einmal zu Gesicht? Es ist ja allerhand, wenn sie extra eine Leitung für dich haben legen lassen.
Helga bekommt von morgen an bis nächsten  Donnerstag Ferien. Böse ist sie bestimmt nicht darüber. Denn das spielen ist doch das Hauptvergnügen.
Inzwischen ist es ja nun heraus, was in der Luft gelegen hat, daß Ihr keine Post bekommen habt. Der Angriff auf Kreta ist ja ein großartiges Unternehmen.
Es freut mich, daß Du beim schießen doch noch gut abgeschnitten hast. Es kann nichts schaden, wenn man sich auf jedem Gebiet Achtung verschafft.
Jetzt hast Du also wirklich einen Radioapparat. Da hast Du doch wenigstens Unterhaltung. Bei uns ist es ja jetzt so, daß wir meist Tanzmusik hören müssen, wenn wir nicht die Kammermusik vom Deutschlandsender hören wollen. Die anderen Sender, die so unterhaltendes Programm bringen, bekommen wir mit unserem Apparat nicht heran. Jetzt hören wir ja meist überhaupt nicht abends, weil wir schon zeitig ins Bett gehen.
Jetzt zu den Päckchen  von Kurt. Es waren für ihn zum aufheben zwei Steingutschalen und ein Pfeffer und Salzschälchen darin. Er schickt es mir, damit er es nicht doch noch zusammenschlägt. Jetzt ist aber unterwegs doch eine Schale kaputt gegangen. Wahrscheinlich wird er sich ärgern. Für Helga hat er ein kleines Stofftäschchen für das Taschentuch dazu gelegt.
Von der Stadt erhielt ich gestern das Schreiben, das ich beilege. Außerdem lege ich einige Zeitungsausschnitte bei. Das Ehepaar, von dem zwei Ausschnitte handeln, ist doch wirklich ein sauberes Ehepaar. Aber solchen Leuten schmeißt man das Geld hinterher, während sich andere um jeden Pfennig quälen müssen.
Nun will ich wieder schließen. Ich fange wieder an zu frieren und muß mich erst eine Weile hinlegen. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Samstag, 28. Mai 2016

Brief 164 vom 28.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 28.5.41            
                                            
Soweit geht es mir wieder gut, daß ich Dir mit der Hand schreiben kann. Ich habe nur noch einen festes Husten, da trinke ich Tussamag und für die Kopfschmerzen, die ich durch den Husten immer wieder bekomme, habe ich mir Kopfschmerzenpulver besorgt. Jetzt versuche ich schon, das Notwendigste selber zu schaffen. Dabei tritt mir nur immer noch der Schweiß aus allen Poren, so daß ich wie eine Speckschwarte glänze. Das ist eben noch Schwäche, aber ich komme mir dabei wie ein Erzfaulpelz vor, der vor Angst schwitzt, weil er arbeiten soll.
Gestern habe ich von der SS ein Heft für Kurt zugestellt bekommen. Ich soll es an ihn weiterleiten. Nun gefällt es mir aber so gut, daß ich es Dir erst einmal zuschicken möchte. Vielleicht kannst Du`s an Kurt weiterschicken. Er wird sicher nichts dagegen haben. Wo er jetzt keinen festen Standort hat, wird er`s sowieso nicht aufheben können.
Gestern gegen Abend bin ich schon einmal ein paar Minuten in den Garten gegangen und habe mir alles angesehen. Im großen Garten war ich ja nicht, das war mir ein bißchen zu viel. Es wächst alles gut. Auf die Setzlinge für die verschiedenen Krautarten, die ich gesät hatte, machen sich noch ganz gut heraus. Ich muß nur öfter Asche darüber streuen.
Einen Brief habe ich heute nicht von Dir bekommen. Aber in den letzten Tagen ist ja immer einer eingetroffen, da werde ich mich also schon einmal gedulden müssen und können.
Wir haben jetzt die letzten Tage ganz schönes Wetter. Meist scheint die Sonne. Nachts regnet es ja manchmal, aber das macht nichts.
Die Baumblüte ist jetzt vollständig vorbei. Unser Baum sieht nun ganz grün aus. Jetzt wollen wir mal sehen, ob sich Äpfel entwickeln.
Der Brief ist zwar ziemlich kurz geworden, aber ich möchte jetzt schließen. Sei mir bitte deshalb nicht böse.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
b.w. Ich hätte doch noch eine Frage. Ich hätte gern einmal die Bücher von Wilhelm Busch „Kritik des Herzens“ und „Zu guter Letzt“. Es sind beides Gedichte. Kannst Du die dort auch bekommen oder dürfte ich sie mir hier bei Gelegenheit anschaffen?

Brief 163 vom 26./27.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                              Konstanz, 26.5.41                               

Du mußt entschuldigen, daß ich gestern nicht geschrieben habe, ich war zur Abwechslung wieder einmal ein bißchen krank. Heute geht es mir ja auch noch nicht gerade ideal, aber doch schon viel besser als gestern. Ich schreibe deshalb auch mit der Schreibmaschine, das ermüdet nicht so.
Erst war das mit dem Bein. Da habe ich am Samstagabend fast nicht mehr laufen können. Ich weiß nicht, was mir dann noch angeflogen ist. In der Nacht zum Sonntag ist es mir schlecht geworden und dann habe ich geschwitzt, daß alles durchweicht war. Am Morgen wäre ich am liebsten nicht aufgestanden. Aber ich konnte die Kinder doch nicht einfach sich selbst überlassen. Ich habe mich dann in die Küche auf den Liegestuhl gelegt. Mir war ganz schwindlig und das schlimmste waren die furchtbaren Kopfschmerzen, die ich den ganzen Tag nicht losgeworden bin, trotzdem ich auch eine Kopfschmerzentablette genommen und kalte Umschläge gemacht habe. Heute Nacht habe ich auch wieder so sehr geschwitzt. Heute Morgen bin ich nun ziemlich kaputt, aber die Kopfschmerzen sind soweit weg. Ich denke, daß ich morgen wieder richtig munter bin.
Ich kann Dir sagen, ich war gestern so froh, daß ich unsere liebe, kleine Helga hatte. Sie wird ein recht liebes Hausmütterchen. Sie hat mir beim Betten machen geholfen, sie hat abgewaschen, sie hat mir zu trinken gebracht. Sie hat Jörg den Anzug geholt. Später hat sie sich neben mich gesetzt und hat mir vorgelesen. Ich habe sie direkt drängen müssen, daß sie eine Weile runter gegangen ist. Immer hat sie gesagt, sie möchte mich nicht allein lassen, wenn ich krank bin.  Abends hat sie für sich und Jörg Brote geschmiert. Ich konnte es gegen Abend nicht mehr auf dem Liegestuhl aushalten und bin ins Bett gegangen. Vorher habe ich nur noch verdunkelt, denn das kann sie beim besten Willen nicht. Sie hat dann dafür gesorgt, daß sich Jörg fertig gemacht hat. Später sind sie dann zu mir rüber gekommen und wir haben zusammen gebetet. Sie sind dann Beide ins Bett gegangen und haben sich ganz ruhig verhalten, damit ich einschlafen konnte. Heute Morgen sind sie dann Beide gleich gekommen und haben gefragt, wie es mir geht. Heute kann ich ja schon manches selber tun, nur muß ich mich öfter hinlegen. Heute Nachmittag geht Helga mit Jörg in die Stadt zum Einkaufen. Es ist doch etwas wert, wenn man schon so große Kinder hat, nicht wahr? Vorhin hat mir Jörg auch die Treppe geputzt.
Eben erhielt ich Deinen lieben Brief vom 20.5. Vielen Dank. Ich ersehe daraus, daß Du scheinbar das Briefpäckchen mit dem Inspirol immer noch nicht erhalten hast. Ich habe bestimmt gedacht, daß es wie ein regulärer Brief ankommt.
Die Leglers sind wirklich prompte Briefschreiber. Aber es ist ja nett von ihnen. Man sieht doch, daß sie ein Interesse am Briefschreiben haben.
Lieber Ernst, sei mir nicht böse, aber ich muß jetzt mit schreiben aufhören. Ich bin ganz kaputt. Übrigens, mein Bein ist jetzt wieder soweit in Ordnung.
Sei für heute rechtherzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Deinem Jörg.


 Mein lieber Ernst!                                                          Konstanz, den 27.5.41

Ich dachte bestimmt, daß ich heute wieder ganz auf der Höhe sei. Es ist aber noch nichts damit. Ich fühle mich ziemlich schwach. Das kommt, glaub ich daher, weil ich jede Nacht so sehr schwitzen muß. Ich schaffe ja heute schon wieder manches, aber die meiste Zeit liege ich noch auf dem Liegestuhl. Du wirst denken, na, das ist mir ein schöner Schlappschwanz. Aber ich kann wirklich nichts dafür. Mir ist es auch lieber, wenn ich wieder ganz gesund bin. Die Hauptsache ist aber, daß ich merke, es wird jeden Tag besser.
Gerade klingelte es und Dein lieber Brief vom 21.5. kam an. Er hat mich sehr gefreut.
Das ist ja schön, daß Du Schuhe bekommen hast. Zu teuer sind sie bestimmt nicht. Für Jörg seine letzten habe ich etwas über 10,-, für Helga ihre über 13,- bezahlt. Für mich bekomme ich Lederschuhe auch nicht unter 16/18,-Rm.
Wenn ich wieder Geld bekomme, schicke ich Dir dann 39,- Diesen Monat ist es mir nicht möglich und Du willst es ja auch gar nicht.
Nun wegen der Frau Bolz. Ich bin froh, daß Du so entschieden hast. Ich bin nämlich am liebsten allein und es hat mir ein bißchen gegraut, mich mit anderen Leuten so anzufreunden. Man ist dann so gebunden. Und es ist doch so, daß man dann dauernd reden muß und das ist mir schon lästig. Mir hat eigentlich nur die Frau leid getan und ich wollte sie nicht beleidigen. Aber nun werde ich schon immer eine Ausrede finden. Was ich richtig zu besprechen habe, das schreibe ich Dir, weniger wichtiges kann ich ab und zu mit Vater und den Kindern reden. Das langt mir gut. Das Verlangen, mich mit einer anderen Frau auszusprechen habe ich nicht. Man ist sich doch ziemlich fremd und um was dreht sich dann meist die Unterhaltung? Um die lieben Hausgenossen. Und das mag ich ja schon gar nicht. Also, über diese Sache herrscht Klarheit.
Den Muttertag haben unsere beiden kleinen Kerle mir wirklich festlich gestaltet. Sie haben sich selber auch fest gefreut. Natürlich haben wir alle Geschenke redlich geteilt und das hat die Freude noch erhöht. Es freut einen doch selber, wenn die Gesichter so strahlen. Die Küsse von Dir kann ich ihnen ja jetzt nicht geben, aber das hole ich später nach. Helga und Jörg sind jetzt gerade  unterwegs und holen Tussamag und etwas zum Mittagessen.
Ich habe doch, um das Brot zu strecken, immer abends Grieß oder Kartoffeln gekocht. Da ich das jetzt nicht konnte, ist natürlich der Brotverbrauch gestiegen, wenn ich selbst auch fast nichts gegessen habe. Da bin ich jetzt um die Urlaubsbrotmarken von Dir froh, die ich noch da habe. Da kann ich mir jetzt aushelfen.
Denke Dir, jetzt ist das Amaryllisblatt schon 2 1/2 cm groß. Wir beobachten jetzt schon das Wachstum mit dem Centimetermaß. Den Kindern macht es auch viel Freude.
Nun will ich aber wieder schließen. Heute bin ich nach dem schreiben schon nicht mehr so kaputt wie gestern. Das ist doch ein Fortschritt? Aber hinlegen tue ich mich nachher doch.
Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt (Das kann ich ja bei Dir jetzt trotzdem) von Deiner Annie.

Dienstag, 24. Mai 2016

Brief 162 vom 23./24.5.1941


Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 23.5.41                                                                                 

Einen Brief habe ich auch heute nicht von Dir bekommen. So will ich Dir von unserem Tagewerk berichten.
Gestern hat mir Helga fleißig geholfen, überall Unkraut zu entfernen. Da wir gleich zu zweien geschafft haben, sind wir auch gestern noch fertig geworden. Dann habe ich mich an die Schwarzwurzeln gemacht. Die fingen an zu blühen. Ich habe sie jetzt alle raus gemacht. Einen Teil kann ich verbrauchen, aber das meiste sind ganz dünne Stengel. Ich habe das Stück noch umgegraben. Da setze ich später Kraut hin. Gegen Abend habe ich das größere Stachelbeerbäumchen gestützt. Das war schon wieder nötig. Die Beeren haben jetzt die Hälfte ihrer Größe erreicht und haben schon ein ziemliches Gewicht. Heute Nachmittag werde ich wahrscheinlich die Salatsetzlinge setzen. Jetzt möchte ich Dir noch etwas von Helga erzählen. Da ich beim Stricken bin, habe  ich mir das Strickheft, nach dem ich die Jacke mache, angesehen. Helga auch. Da sind mehrere Damen abgebildet. Helga sagt: „Die sind aber geschminkt, das gefällt mir nicht. Bloß gut, daß Du Dich nicht schminkst.“ Ich sage darauf: „Wenn es nun aber Vaterle gern wollte?“ „Dann müßtest Du es auch machen“ sagt sie „aber Mutterle, dann bloß kußecht.“ Was sagst Du zu so einem Lauser?
Daß ich es nicht vergesse. Herr Kuster fragte mich, ob du dort nicht die neuen Marken von Petain besorgen könntest. Hier bekäme man sie sehr schwer und nur mit bedeutenden Zuschlägen. Er hätte dafür Interesse.
Heute ist es zum ersten Mal wieder schön. Wenn auch nicht immer die Sonne scheint, aber es ist ziemlich warm, d.h. gestern Nachmittag war es auch schon ganz schön, bis gestern Abend. Da mußte es natürlich wieder regnen.
Beim schaffen hatte ich mir gestern die Strümpfe ausgezogen. Da hat mich doch irgend so ein Viech so gestochen, daß ich heute ein ganz geschwollenes Bein habe. Das tut ziemlich weh. Vor allem beim laufen.
Es ist nun inzwischen Nachmittag geworden. Ich wollte warten, ob vielleicht noch ein Brief von Dir kommt. Ich bin einstweilen in den Garten gegangen und habe den Salat gesetzt, so ca. 50 Stück. Das reicht sicher für uns. Evtl. kann ich noch welche nachsetzen, denn Setzlinge sind noch genug da. - Ich weiß nun nicht, ob der Briefträger schon vorbei ist. Auf jeden Fall schreibe ich jetzt fertig. Es will nämlich doch schon wieder mit regnen anfangen. Vielleicht komme ich noch trocken heim.
Beim Baum fangen die Blüten an abzufallen. Der Garten sieht schon wie beschneit aus. Ich bin ja gespannt, ob wir dieses Jahr Äpfel bekommen. Wenn es auch nicht so viel wären wie voriges Jahr.
Beim Schlangenkaktus will die Blüte jetzt aufgehen. Die Außenblätter lösen sich schon.
Jetzt habe ich den Briefträger gesehen. Für mich hatte er aber leider nichts. Ich will nun ganz fest hoffen, daß ich morgen wieder einen Brief von Dir bekomme.
Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 24.5.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom Montag. Ich danke Dir sehr. Den Sonntag hast Du also gut verbracht. Das freut mich. Das ist Dir ja das liebste, wenn Du Dir viel ansehen kannst. Wahrscheinlich wirst Du nach dem Krieg ja auch nicht gleich wieder dorthin kommen.
Ich bin gespannt, was Du bei der Stadtverwaltung erreichst. Es ist ja recht, wenn von dort etwas dazugeschrieben wird. Die sind in dieser Beziehung hartnäckig, die Konstanzer, sobald sie etwas zahlen sollen. Es wird am meisten Bosheit von Lang sein.
Der Salat, den ich gestern gesetzt habe, hat sich schön aufgerichtet, nachdem es die ganze Nacht geregnet hat. Auch heute regnet es noch. In der Zeitung stehen heute lauter Sprüche, in denen allen der Mairegen gelobt wird. Damit wollen wir uns mal trösten, wenn uns der Regen zu lange dauert.
Ich gehe jetzt meist zeitig schlafen. Ich habe wieder oft Schmerzen am Brustbein und da ist es mir das liebste, wenn ich bald im Bett bin. Sobald ich etwas viel schaffe, fängt es an. Ich habe mich schon richtig daran gewöhnt. Aber warum soll ich mich da abends noch lange hinsetzen. Da schlafe ich doch lieber. Gestern Abend wollte ich um 9 auch ins Bett. Ich hatte schon zugeschlossen. Auf einmal kam Vater noch. Ich soll ihm ein Brot und Stumpen besorgen, da er heute auch bis 1/2 7 arbeitet. Er wollte zwar gleich wieder gehen, aber es ist dann doch 10 Uhr geworden. Ich habe dafür heute Morgen etwas länger geschlafen, da Helga keine Schule hat. Heute ist doch Jugendsporttag. Wo sie zwar bei diesem Regen Sport treiben wollen, weiß ich nicht.
Mit meinem Bein kann ich heute noch sehr schlecht gehen. Es ist immer noch angeschwollen. Das muß ein ziemlich giftiges Ding gewesen sein, das mich gestochen hat.
Die neue kleine Amarylliszwiebel macht mir Freude. Das kleine, erste Blatt ist schon 1 1/2 cm hoch. Man sieht es direkt wachsen.
Vorm Haus kommt jetzt die Kapuzinerkresse heraus. Ich denke, es wird ganz schön aussehen, wenn sie sich am Zaun hochrankt. Bei den Dahlien rührt sich noch nichts, aber ich glaube, die brauchen eine Weile, bis sie ausschlagen.
Da Vater nicht weiß, ob er seinen Garten behält (scheinbar hat er selber nicht mehr die richtige Lust) soll ich den Mist von ihm mit verbrauchen. Ich will ihm natürlich das Geld dafür geben. Ich brauche ja jetzt keinen mehr. Macht es etwas, wenn ich ihn bis zum Herbst liegen lasse?
Heute Nacht habe ich wieder von Dir geträumt. Das freut mich immer am meisten. Da sehe ich Dich doch wenigstens richtig vor mir und es ist, wenn auch nur für kurze Zeit, als wenn Du noch bei uns wärst.
Wenn nur bald mal längere Zeit gutes Wetter wär, damit wir in den Wald gehen und Erbsenreisig holen könnten. Auch sollten wir Sand haben, aber nasser Sand ist doppelt schwer. Extra abplagen mag ich mich auch nicht.
Verlebe nun den Sonntag recht gesund. Ich sende Dir viele Grüße und Küsse Deine Annie.
Ich schicke Dir noch eine Todesanzeige mit. Hast Du den Mann gekannt? In der Zeitung steht auch die Anzeige von einem Reichsbahnoberinspektor i.R., Otto Knorre, der gestorben ist. Ist das der Vater von dem Knorre, den Du kennst? Der Günther Prien ist ja nun auch nicht zurückgekommen. Es ist doch schade um den Mann. Es tut allen sehr leid.

Lieber Ernst!                                                       Konstanz, 24.5.41

Nun kommt wieder ein kleines Päckchen ohne Voranmeldung. Was wirst Du dazu sagen? Nur nicht schimpfen. Das verlohnt sich wegen so einem kleinen Päckchen auch gar nicht. Im übrigen hast Du ja selbst gesagt, daß man beim lesen ganz gut ab und zu etwas knabbern kann.
Laß Dir`s gut schmecken und sei ganz fest gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 161 vom 22.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                             Konstanz, 22.5.41                                                      

Als ich gestern vom Brieffortschaffen heimkam, sagten mir die Kinder, heute hat der  Briefträger nur eine Zeitung für uns gehab. Dabei machten sie aber so ein komisches Gesicht, daß es mir gleich nicht ganz geheuer vorkam und tatsächlich, unter meiner Strickarbeit hatten sie Deinen Brief vom 17.5. versteckt. Da habe ich mich sehr gefreut. Ich danke Dir sehr dafür.
Ich freue mich, daß Du nun einen festen Arbeitsplatz hast. Dir wird es sicher auch recht sein.
Nun ist der Muttertag schon wieder vorbei. Wir hatten uns an diesem Tag auch davon unterhalten, wie Ihr mich in den vergangenen Jahren immer beschenkt habt. Über die Vasen freue ich mich jetzt immer noch. Sie sehen auch so gut aus. Die große Vase ist eine richtige Zierde. Es ist dieses Jahr der zweite Muttertag gewesen, den Du nicht bei uns verbracht hast. Im vergangenen Jahr warst Du eben fortgefahren. Da war ich das Alleinsein noch weniger gewöhnt als jetzt. Ob Du nächstes Jahr wohl schon wieder bei uns bist? Aber Du hast recht, wir werden warten und schaffen inzwischen, wie es nötig ist.
Ich kann mir denken, daß Du über den Inhalt der Briefe von der Stadt nicht befriedigt bist. Aber augenblicklich wird sich wohl nichts machen lassen. Mit dem Zeugnis glaube ich, daß Du zufrieden sein kannst. Das „vollkommen befriedigend“ entspricht der Note 3 (vollwertige Leistung ohne Einschränkung). Du weißt ja, daß Fritz Bautz (den Du ja nicht für dumm ansiehst) sich damals auch geärgert hatte, weil er „befriedigend“ bekommen hatte, wo er sicher mit „gut“ gerechnet hatte. Hast Du schon mit Euerm Abteilungsleiter gesprochen?
Du wirst es mir bitte nicht übel nehmen, wenn ich wegen dem Gehaltszettel noch nicht zur Stadt gehe. Von nächstem Monat an bekomme ich ja wieder regelmäßig den mir zustehenden Betrag. Da kann ich mir dann ausrechnen, was sie diesmal abgezogen haben. Richtig wäre es natürlich, wenn sie die abgezogenen Beträge einzeln aufführen aber ich mag deshalb nicht extra reklamieren. Man macht sich da so verhaßt.
Im Herbst mache ich die alten Erdbeeren drüben raus und werde an dem schrägen Stück eine neue Sorte anpflanzen. Kauft man die beim Gärtner? Nachdem ich gestern von Dir Bescheid bekommen habe, bin ich gestern noch gegangen und habe Tomatensetzlinge gekauft, 12 Stück. 9 stehen hinterm Haus und 3 im großen Garten. Sonst hätten sie zu wenig Sonne bekommen. Auch die Gurken habe ich noch gelegt. Es hatte sich gestern gegen Abend etwas aufgehellt, so daß ich noch ein Weilchen im Garten schaffen konnte. Heute Nacht hat es wieder geregnet, so daß also die Setzlinge genug angegossen worden sind. Heute kann sich das Wetter noch nicht entscheiden, ob es schön werden will.
Jörg spielt oben Motorrad mit Anhänger. Er hat die lange Trainingshose an. Auf dem Rücken hat er die zusammengelegte rote Decke als Affen, in der Hand sein Gewehr. Manchmal fährt er plötzlich während der Fahrt heraus, läuft vor, schmeißt sich hin und schießt. Dann läuft er wieder zurück und weiter geht die Fahrt.
Ich habe die begründende Befürchtung, daß bei dieser Behandlung die Hose bald futsch sein wird. Aber sage selbst, kann man einem Soldaten verbieten, sich hinzuwerfen, wenn er schießen muß?
Vorhin erhielt ich Deine Päckchen 5 und 6. Recht  vielen Dank. Nun muß ich Dich noch etwas fragen. Du darfst es mir aber nicht übel nehmen. Du schriebst einmal, daß Du in der Hauptsache Milchschokolade gekauft hast. Außer den zwei Milch-Nußschokoladen war aber keine Milchschokolade dabei. Habe ich das in Deinem Brief vielleicht falsch verstanden? Mir schmeckt die andere Schokolade, also die bittere, ja fein. Nur die Kinder sind nicht erbaut.
Vorhin erhielt ich einen Brief von Siegfried mit einem Bild. Ich schicke Dir beides einmal mit. Mit Erna ist also alles wieder in Ordnung. Das neue Bild gefällt mir besser als das andere, das wir haben. Ich werde also später das neue Bild in den Rahmen tun.
In Deinem heutigen Päckchen war Nestle Schokolade  in weißem  Papier. Soll das vielleicht die Gesundheitsschokolade sein? Bei Gelegenheit werde ich auch davon einmal etwas probieren. Einstweilen habe ich sie noch mit weggetan.
Gestern  Abend war Vater oben. Er erzählte mir, daß er am Sonntag von morgens bis abends 6 Uhr im Garten geschafft hat. Am Montagabend hat er weiter gemacht. Er will sehen, daß er heute noch säen kann. Im Geschäft bei ihm schaffen sie jetzt zwei Wochen 10 1/2 Stunde täglich. Da kommt er erst 1/2 7  aus dem Geschäft. Da kannst Du Dir denken, daß er da natürlich nicht mehr viel zur Gartenarbeit kommt. Aber er hätte auch hören und sich Urlaub nehmen können, wie Du gesagt hast. Du weißt ja, wie es ist, er nimmt sich`s vor und dann macht er`s doch nicht. Aber er ist ja schon ein älterer Mann und ändert sich nicht mehr. Man muß ihn eben so nehmen  wie er ist.
Ich will gleich noch an Siegfried schreiben, damit das auch erledigt ist. Sei Du, mein lieber Ernst, für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Nun habe ich doch noch etwas zu schreiben. Ich war vorhin im Garten und habe wieder 16 Pfund Rhabarber geerntet. Dabei habe ich nur das geholt, was den anderen Stangen im Weg war. Es sind noch so viele da. Alle Stöcke sind gleich ertragreich, auch der Erdbeerrhabarber. Der hat dieses Jahr auch ganz dicke Stangen. Es ist nur schade, daß ich den Rhabarber so schlecht verwenden kann. Die Kinder essen fast gar keinen. Da muß ich mich jedes Mal ärgern. Auch Rhabarber-Kuchen essen sie nicht so gern. Es hat da fast gar keinen Zweck, wenn ich welchen einmache. Marmelade könnte ich evtl. kochen, aber ich möchte den Zucker lieber für Stachel- und Johannisbeeren aufsparen. Ich mache jetzt eigentlich nur Kompott für mich. Ich esse es gern. Wenn es noch Rhabarber gibt, wenn die Erdbeeren reif sind, könnte ich , soweit ich ihn dazu nicht selbst brauche, welchen an Frau Leimenstoll verkaufen. Sie mischt ihn mit Erdbeeren für Marmelade. Das mache ich natürlich auch, aber wir werden dieses Jahr nicht sehr viel haben. Abgesehen davon, freue ich mich doch, wenn sich die Stöcke so gut entwickeln, denn wenn wieder Friede ist, habe ich sicher wieder genug Zucker, um alles verbrauchen zu können.
Spinat habe ich auch wieder holen können.
Von den Kartoffeln, die Du noch mit gelegt hast, kommen jetzt schon welche raus. Auch die zweiten Möhren wachsen gut. Die Salatsetzlinge sind jetzt so groß, daß ich sie bald versetzen muß. Die Salatsetzlinge zwischen den Erdbeeren haben sich auch schön raus gemacht. Es wird nicht mehr solange dauern, bis ich sie verwenden kann. Ich will nun den Brief gleich fortbringen, denn es hat sich etwas aufgeheitert und ich denke, daß ich noch ein bißchen im Garten schaffen kann.
Nochmals viele Küsse von Deiner Annie.

Donnerstag, 19. Mai 2016

Brief 160 vom 19./20.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 19.5.41                                       

Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Ich soll eben nicht zu sehr verwöhnt werden. Der gestrige Tag ist ruhig vorbeigegangen. Eigentlich wollte ich mit den Kindern spazieren gehen, aber, nachdem es anfangs ganz schön war, fing es dann immer einmal mit regnen an. So sind wir zu hause geblieben. Ich habe meist gestopft und mir das Wunschkonzert angehört. Ich war ja schon am Samstagabend so müd´, konnte aber nicht zeitig ins Bett gehen, weil Vater da war. Gestern war ich immer noch ganz kaputt. Da Vater nicht kam, bin ich schon 3/4 9 Uhr schlafen gegangen. Heute ist es mir schon wohler, aber wenn es möglich ist, gehe ich heute auch wieder zeitig schlafen. Ich stehe dafür lieber früh zeitiger auf. Da geht mir die Arbeit leichter von der Hand.
Heute morgen habe ich wieder einmal alle Stuben eingewachst, das Sofa geklopft usw.
Wir haben doch eine Amaryllis. Ich denke wenigstens, daß sie so heißt. Die eine Zwiebel hat doch gut ausgeschlagen. Ich weiß nicht, ob Du Dich erinnern kannst, daß noch eine kleine Zwiebel da war, die ich an die Seite des Top fest gesteckt habe. Sie liegt ja nun schon über 2 Jahre drin, ohne sich zu rühren. Nun denke Dir, jetzt fängt sie an zu treiben. Ein winziges Blättchen ist schon da. Mal sehen, wie es sich weiter entwickelt. Glaubst Du, ich habe mich gefreut, daß sie nach ein paar Jahren nun doch noch mit Wachsen anfängt.
Ich weiß nicht, ob ich Dir schon geschrieben habe, daß wir jetzt auch die halbhohen und die Buschbohnen gelegt haben. Ich habe mir schon überlegt, ich hätte erst einen Teil der Stangenbohnen legen sollen, und nach ein paar Wochen den Rest. Da hätte ich nicht alle auf einmal gehabt. Aber nun läßt es sich nicht mehr ändern. Ich muß eben manches erst lernen.
Heute habe ich das erste mal eigenen Spinat geholt. Das ist eben doch etwas anderes, als wenn man ihn kauft. Er ist viel frischer und auch appetitlicher.
Aus unserem Baum herrscht reges Leben. Jetzt sitzen gerade wieder sechs Stare da. Die machen einen Krach. Wie ich gerade sehen kann, hat einer einen dicken Wurm im Schnabel. Sie sollen nur den Baum richtig ablesen. Da sind wir gar nicht böse.
Es müssen Junge im Nest sein. Die anderen Stare sind jetzt weggeflogen, aber wie der eine jetzt zum Nest geflogen kam, erhob sich darin ein Gezwitscher. So klein sie sind, machen sie doch einen tüchtigen Krach. Eigentlich haben sie doch eine schöne Wohnung, in lauter Blüten eingebettet. Aber ich glaube, ihnen werden die Würmer lieber sei als alle Blüten. Die Eltern strengen sich ja auch mächtig an, daß sie die Schreihälse satt bekommen.
Ich schicke heute drei kleine Schachteln an Dich ab. Nun mußt Du aber nicht denken, daß es ein großes Geschenk ist. Es ist nur eine kleine Kostprobe vom Muttertag. Du sollst doch auch Deinen Teil davon bekommen. Die Sterne habe ich selber gebacken und das andere Gebäck und die Pralinen habe ich von den Kindern bekommen. Aber bitte, nicht schreiben, wir hätten es selber essen sollen.
Sei nun, mein lieber Ernst, für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.


Mein lieber Ernst!                                                                   Konstanz, den 20.5.41

Du wirst Dich wundern, daß ich Dir heute mit Schreibmaschine schreibe. Ich bin aber gerade dabei und dachte, Du wirst es sicher nicht übelnehmen, wenn Du einen Schreibmaschinenbrief erhältst. Ich habe nämlich gerade den Brief an Elsa nochmals geschrieben. Meine Schwäche beim Briefeschreiben ist, daß ich fünfzig Mal „auch“ schreibe. Das war in dem Brief an Elsa der Fall und ich wollte ihn so nicht wegschicken.
Heute war ein ganz besonders schöner Tag für mich. Zwei Briefe und zwei Päckchen sind angekommen, Nr. 2 und 3. Das war aber eine Überraschung. Die schöne Pralinenschachtel für mich. Und wie lieb Du dazu geschrieben hast. Ich danke Dir ganz besonders herzlich dafür. Die Milchschokolade im anderen Päckchen hat das ganz besondere Interesse der Kinder gefunden. Eine Tafel habe ich geteilt, damit sie sich erst einmal richtig satt essen können und die andere wird aufgehoben. Von der geteilten Tafel essen sie aber auch nicht alles auf einmal, denn sonst würde es ihnen schlecht werden und soviel Verstand haben alle beide schon, daß sie sich nicht den Magen verderben.
Übrigens sind Deine beiden Briefe vom 15. und 16. 5. Ich will sie erst einmal beantworten.
Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich mich im Haus in nichts einmischen werde, was mich nichts angeht. Ich bin froh, wenn ich nichts damit zu tun habe.
Die Behandlung des einen Mannes, von dem Du schreibst, kommt einem schon eigenartig vor. Aber ich kann mir denken, dass man nicht ohne äußerstes Muß zu solchen Maßnahmen greift. Säufer sind ja im Allgemeinen besonders verstockte Menschen.
Von Kirschen und Erdbeeren usw. sieht man bei uns ja noch nichts. Bei uns blühen sie erst. Voriges Jahr hat bei uns auch ein kleines Körbchen Erdbeeren, aber Walderdbeeren, 75 Pfg. gekostet. Es handelt sich dort auch sicher um die ersten Beeren.
Bei Hess muß es wirklich so sein, daß ihn seine Kriegsverwundung übermannt hat, denn mit klarem Verstand wäre er doch nie auf eine solche Idee gekommen. Da hätte er sich doch sicher überlegt, was er schon allein dem Führer für Schmerz bereitet. Denn der Führer hat doch schon manche Enttäuschung erlebt und darf doch nie den Kopf verlieren. Er hat doch die Verantwortung für uns alle, denn wir vertrauen doch alle auf ihn.
Deine Stenographie bereitet mir keine Schwierigkeiten. Ich bin aber wieder davon abgekommen, Stenographie zu schreiben, denn es strengt mich viel mehr an, als wenn ich richtig schreibe. Ich meine immer, Du kannst es nicht richtig lesen und gebe mir viel Mühe um ja richtig zu schreiben. Dabei fliegen mir dann alle Gedanken davon und ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich schreiben wollte.
Ich habe es Vater auch gesagt, daß es kein Wunder ist, wenn seine Hacke weggekommen ist. Wenn ich bei uns die Hacke im Garten liegen lasse, auch nur ein paar Tage, bin ich sicher, daß ich sie nicht mehr finde. Außerdem wird sie beim Draußenliegen auch nicht besser. Er will sich jetzt keine mehr kaufen, weil sie ihm zu teuer ist. Da er aber Kartoffeln anpflanzen will, bin ich gespannt, mit was er sie häufeln will. Höchstens, daß er sich unsere Hacke borgt. Ich bin ja der Meinung, daß er doch nicht die richtige Lust zum Garten hat, jedenfalls fängt er mit allem zu spät an, aber er will den Garten nicht aufgeben und ich mische mich nun nicht mehr hinein. Er muß selber wissen, was er macht. Reden ist doch umsonst.
Ich bin froh, daß Du Dich über mein Päckchen gefreut hast, auch wenn es ohne Ankündigung angekommen ist. Ich habe wieder einige Briefe geschrieben, von denen ich Dir Durchschläge mit sende. Außerdem schicke ich Dir ein Kennkartenbild von mir mit. Auf dem Umschlag steht zwar, daß man das Bild gleich mitnehmen kann. Aber so ein Bild ist das nun nicht. Für Kennkarten werden diese billigen Bilder zum gleich mitnehmen nicht gemacht, weil sie wahrscheinlich nicht lange genug halten. Außerdem schicke ich Dir eine „Photographie“ mit, die Jörg von mir gemacht hat. Wie gefalle ich Dir da? Sie ist doch wunderbar geworden. Da Kurt außer von den Kindern auch von mir ein Bild wünscht, habe ich ihm auch so ein Kennkartenphoto mitgeschickt. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen. An meine Eltern werde ich wahrscheinlich auch noch eins schicken. Ich hatte noch einmal vier Abzüge machen lassen.
Bei uns herrscht seit gestern Regenwetter. Ich benutze gleich die Ruhepause, um mich ans Stricken zu machen. Sobald schönes Wetter wird, muß ich drüben zwischen den Erdbeeren Unkraut raus machen. Durch den Regen wuchert es wie wild.
Nachdem Jörg gestern trotz meiner Warnung wieder im Vorraum gesessen ist, hatte er heute Nacht einen Huste, daß es nicht mehr schön war. Ich bin aufgestanden, habe ihm Tussamag gegeben und, nachdem es gar nicht besser werden wollte, habe ich ihn mit zu mir ins Bett genommen. Erst  habe ich ihn richtig schnauben lassen, da er auch tüchtig den Schnupfen hatte Hinterher habe ich ihn eingepackt. Meine Decke habe ich noch halb mit drüber getan. Da hat er richtig mit Schwitzen angefangen und ist dabei eingeschlafen. Heute Morgen war er ganz nass, aber der Husten ist doch besser geworden. Ich hatte ihm heute Hausarrest gegeben. Nun ist es gerade günstig, dass es regnet, da kann er sowieso nicht raus.
Heute habe ich die neuen Taschentücher von Dir versorgt. Die sind sehr schön. Die Farben  gefallen mir gut. Jetzt habe ich einen ganzen Kasten voll guter Tücher.
Ich will jetzt schließen, denn ich muß Essen kochen. Alle haben sie Hunger. Außerdem muß Helga am Nachmittag zur Schule, da wollen wir nicht gar so spät essen.
Am Nachmittag hole ich die Bilder, die ich an Kurt schicken will. Für Nanni habe ich auch Abzüge machen lassen. Ich schicke sie Dir mit. Sollte es zu spät sein, wenn ich die Bilder erhalte, schicke ich sie Dir morgen mit. Ich habe sie in bräunlichem Ton machen lassen. Sollten sie Dir doch besser gefallen, kannst Du ja Deine Bilder, die Du dort hast, umtauschen. Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Helga schreibt in den nächsten Tagen einen Brief an Dich.
Vorhin erhielt ich noch einen Brief von den Eltern, den ich nun gleich mit beantwortet habe. Ich habe ihnen auch mit geschrieben, wo Du bist. Ich habe es unter den Brief geschrieben, auf dem Durchschlag an Dich steht es also nicht mit darauf.
Ich weiß nicht, ob Du von dem Brief, den meine Mutter an mich geschrieben hat, auch einen Durchschlag erhalten hast. Wenn nicht, so möchte ich Dir hier noch schreiben, was sie von Erika Lepper geschrieben hat. Ihr Mann war als Oberleutnant an der Front. Er war in Mannheim in einem Werk beschäftigt als Ingenieur. Er wurde vom Werk reklamiert und kam zurück. Er war kaum fünf Tage da, da kamen feindliche Flieger nach dort. Eben im Begriff, nach dem Luftschutzkeller zu gehen, erwischt ihn eine Sprengbombe und zerreißt ihn. Die Erika war noch bei ihrer Mutter in Unteruhldingen. Sie haben auch zwei Kinder, einen Bub und ein Mädel. Ist das nicht schrecklich? Gerade in der Heimat denkt man doch weniger daran, daß etwas passiert. Wie Mama schreibt, arbeitet Alice in dem Geschäft, wo Mama früher war, schon seit einem Jahr. Eigentlich sollte Mama kommen, aber es ging nicht mehr.
Die Butter, die ich Mama geschickt habe, ist übrigens gerade am Muttertag in gutem Zustand angekommen. Das  freut mich.
Es ist jetzt 4 Uhr.  Sonst würde ich jetzt wegfahren, aber heute muß ich noch ein bißchen warten, weil ich vor 1/2 6 Uhr kaum die Bilder bekommen werde, die ich doch mitschicken will. Bis dahin werde ich noch ein wenig stricken. Sei nun nochmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Von Deinen Geschenken zum Muttertag an mich habe ich mit Absicht nichts an meine Eltern geschrieben.

Brief 159 vom 17./18.5.1941


Guten Morgen!                                                                                        17.5.41                                          

Hast du auch gut geschlafen? Von mir kann ich es behaupten. Ich bin schon wieder zum fortfahren gerüstet, nachdem ich die Wohnung in Ordnung gebracht habe. Ich besorge alle Sachen gleich heute Vormittag, da habe ich am Nachmittag zum backen und evtl. noch für den Garten Zeit. Bis jetzt ist ganz schönes Wetter. Jörg ist schon wieder beim spielen. Er sagte heute Morgen, „wenn nur jeden Tag Schulanmeldung wär, so gut hat es mir in der Schule gefallen.“ Meinst du, das sagt er nach einem Jahr auch noch? Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Heute Abend fange ich gleich einen neuen Brief für Dich an, ich mache jetzt nur so schnell Schluß, weil es sonst zu spät wird.
Ich gebe Dir im Geist nochmals viele, viele Küsse, Deine Annie.


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 17.5.41

Wie ich es Dir versprochen habe, fange ich heute Abend wieder mit einem Brief für Dich an.
Vor allen Dingen brauche ich Deinen guten Rat. Ich schrieb Dir doch gestern, daß mich Frau Bolz gebeten hat, ihr zu klingeln, wenn ich zum anmelden gehe. Ich weiß nicht, was sie an mir findet, heute bat sie mich, ob ich nicht heute Abend ein bißchen zu ihr rüber kommen wollte. Samstag  sei der einzige Tag,, wo ihr Mann nicht da sei, da sei es sehr schön, wenn ich rüber kommen könnte. Ich muß sagen, ich war ganz überrascht. Ich kann die Frau sonst gut leiden, sie ist ganz nett und ich muß anerkennen, was sie sich für Mühe mit den Kindern gibt. Aber es ist mir so etwas ungewohntes, zu jemand zu gehen. Es kann sein, daß sich die Frau mit den Leuten hier nicht so anfreunden kann, da sie auch von Norddeutschland ist, von Hamburg. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich machen soll. Vor allen Dingen ist mir wichtig, was Du zu der Sache meinst. Gib mir also Deinen guten Rat, mein lieber Mann.
Für die Kennkarte habe ich mir heute einen neuen Zettel zum Ausfüllen geholt. Der Beamte sagte mir, ich sollte das Formular auch ausgefüllt zurückbringen. Sie hätten 5000 Stück, die abgeholt worden sind, nicht zurückbekommen. Da habe ich mir heimlich gedacht, da war ich auch mit dabei.
Am Nachmittag habe ich mit Helga noch die halbhohen und die Buschbohnen rein getan, nachdem ich gehört und gesehen habe, daß sie die anderen Leute auch schon drin haben. Nun kommen noch die Gurken dran.
Bevor die Kinder vorhin ins Bett gingen, war ganz großer Betrieb bei uns. Da wurde die Stube abgesperrt und drüben wurde aufgebaut. Ich darf natürlich ja nicht rüber. Beinahe auseinandergerissen haben sie mich vorhin unter dem Ruf „Du wirst Dich freuen, Du wirst Dich bestimmt freuen!“ Soeben haben sie mir gesagt, daß sie vor lauter Freude nicht einschlafen können. Einen mächtigen Stolz haben sie, daß sie von ihrem Geld etwas kaufen konnten, was ich noch gar nicht weiß. Du solltest nur sehen, wie vor Freude die Augen glänzen. Es sind doch zwei liebe kleine Lauser.
Du kennst doch auch den Kaiser, der die Sägemaschine hat. Wir haben unser Holz auch bei ihm schneiden lassen. Der hat sich an seiner Maschine am Donnerstagabend die ganze rechte Hand abgesägt. Er ist natürlich gleich ins Krankenhaus gekommen.
Heute habe ich von den Eltern eine kurze Karte erhalten. Sie wollen in den nächsten Tagen einen Brief schreiben. Sie werden sicher noch den Muttertag abwarten. Deinen Brief haben sie auch erhalten und wollen Dir in den nächsten Tagen schreiben.
 
 Mein lieber Ernst!                                                                                             18.5.

 Ich wollte gestern Abend noch weiter schreiben, aber ich bin direkt dabei eingeschlafen, so müde war ich. Dafür schreibe ich nun jetzt weiter.
Heute ist nun der große Tag. Am Morgen, nachdem wir uns angezogen hatten, haben mir die Kinder beschert. Erst haben sie mir natürlich gratuliert und hinterher haben sie mich in die Stube geführt. Da hatten sie ihre Geschenke schön aufgebaut. Den Briefhalter, 1/2 Pfund Pralinen, Apfelsinen und die große Überraschung, 1/4 Pfund Gebäck, das sie ohne Marken bekommen haben. So mußten sie gar nicht um Marken bei mir fragen und konnten mich überraschen. Dazu hatten Helga und Jörg etwas gemalt und Helga zwei schöne Verse mit bunten Stiften geschrieben. Ich habe mich wirklich gefreut. Dann wurde Dein liebes Päckchen aufgemacht. Das war wirklich eine große Freude. Du bist doch ein lieber Kerl. Ich danke Dir für die schönen Taschentücher und die Schokolade recht sehr. Von der Schokolade habe ich schon ein kleines Stück probiert. Sie schmeckt gut.
Vorhin erhielt ich noch einen Brief von Dir. Vom 14.5. Ich danke Dir dafür. Wie ich aus Deinen Briefen ersehe, verstehst Du Dich mit Dr. Thomas doch noch besser als mit Herrn Graser. Woher kommt das. Kannst Du Dich besser mit ihm unterhalten, oder habt Ihr mehr gemeinsame Interessen?
Meine Näherei ist in der letzten Woche wieder etwas liegen geblieben, da ich im Garten mehr zu tun hatte. Ich nähe aber immer zwischendurch eine Kleinigkeit. Für mich werde ich dieses Jahr sicher nicht viel nähen, denn ich habe noch genug Kleider zum anziehen. Ich will das erst einmal abtragen und nähe mir lieber nächstes Jahr etwas Schönes.
Wegen Vaters Kopf habe ich Dir ja schon geschrieben. Ich werde es ihm sagen, was Du geschrieben hast, wenn es noch einmal schlimmer werden sollte.
Bei unserem Baum sind jetzt fast alle Blüten auf. Es ist ein herrliches Bild. Am liebsten möchte man, daß es immer so bliebe.
Wenn es wegen Schuhen nicht geht, ist es auch nicht so schlimm. Ich werde sehen, daß ich für die Kinder noch ein Paar Holzschuhe bekomme. Dann reicht es ihnen schon. Du mußt Dich also nicht besonders bemühen.
Für das Päckchen danke ich Dir, das ist wirklich interessant. Wirklich ein großartiger englischer Sieg. Man kann es eigentlich gar nicht begreifen, daß es noch immer Leute in Frankreich gibt, die auf einen englischen Sieg hoffen, nachdem sie doch so schmählich in Stich gelassen wurden. Ich freue mich, daß Ihr dort ausreichend versorgt werdet und daß Ihr Euch immer noch etwas kaufen könnt. Im anderen Fall hätte ich Dir ja gern ab und zu etwas geschickt, denn so knapp sind wir ja nicht.
Ab nächsten Monat bekommen wir wöchentlich 100g Fleisch weniger. Das macht mir ja nichts aus, denn in den Sommermonaten ist mir Obst oder saure Milch oder so etwas, lieber als Fleisch. Ich habe ja jetzt schon immer Fleischmarken übrig gehabt. Wir bekommen auch ein bißchen Margarine weniger und dafür mehr Butter. Da ist ja Vater wieder sehr zufrieden. Wenn man Brotmarken übrig hat, bekommt man dafür Zucker. Das wird mir ja nicht viel nützen, denn meine Brotmarken brauche ich alle.
Von Kurt kam heute auch ein Brief. Sie sind jetzt an keinem festen Ort, sondern kommen viel herum. Er bittet mich um Bilder von uns allen, da er kein einziges bei sich habe. Es könnte noch lange dauern, bis er uns wieder sieht, denn es sei Urlaubssperre. In nächster Zeit schickt er auch einige Filme her, die ich ihm entwickeln lassen soll. Er hat dort keine Gelegenheit dazu. Er hat sich auch vorgenommen, in nächster Zeit an meine Eltern zu schreiben.
Ich lasse nun noch ein paar Bilder für Kurt und Nanni machen. Die für Nanni schicke ich an Dich, Du kannst sie dann weiterleiten. Für Photos habe ich diesen Monat schon ziemlich Geld ausgegeben. Es muß aber auch einmal sein.
Nun will ich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Ich danke Dir noch vielmals für Dein liebes Päckchen.

Brief 158 vom 16.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, 16.5.41                                                    

Heute bin ich dafür entschädigt worden, daß ich gestern keinen Brief erhielt. Gleich  2 habe ich bekommen, vom 10. und 12.5. und so lang sind sie, daß es direkt eine Freude ist, sie nur anzusehen. Jetzt will ich sie erst einmal der Reihe nach beantworten.
Für Deine Schilderung von den Leuten dort danke ich Dir sehr. Das interessiert mich immer. Daran, daß sich jetzt mehr melden, um bei uns zu arbeiten, sieht man schon, wie gut sie es hier haben. Ich glaube auch nicht, daß jemand klagen kann bei uns. Bei uns haben es ja sogar die Gefangene gut. Wenn man sie sieht, dann sind sie froh. Jetzt haben sie einmal beim Schauinsland Kohlen ausgeladen. Als wir vorbeikamen, waren sie gerade fertig. Da fuhr der eine noch auf dem kleinen Kinderkarussell im Hof und die anderen standen friedlich mit der Wachmannschaft vor dem Tor und haben gewartet, bis er kam. Dabei war ein Lachen und Geschnattere. Hinterher sind sie dann einträchtig in ihre Unterkunft gepilgert.
Dieses Mal ist also das Päckchen eher angekommen wie der Brief, wie ich Dir schon schrieb. Es ist doch das Päckchen Nr. 1. Angekommen ist es gut, nur auf der einen Seite war das Papier aufgerissen.
Mit der Schokolade hast Du wirklich einen großen Einkauf getätigt. Ich danke Dir recht sehr dafür. Du kannst versichert sein, daß auch die Kinder Schokolade mit Verstand esse. Ich werde sie auch entsprechend einteilen.
Am Garten habe ich wirklich meine Freude. Es macht einfach Spaß, wenn man seine Mühe belohnt sieht, wenn alles so gut wächst. Ich werde mir auch wirklich Mühe geben, daß ich alles in Ordnung halte. Heute Nacht hat es geregnet. Aber jetzt heitert es sich schon wieder ein wenig auf. So ist es ja recht. Auf dem Markt werden schon Tomatenpflanzen angeboten. Ich werde wahrscheinlich bald welche kaufen.
Bei uns war das Wetter auch schön die letzte Zeit. Aber nachts ist es auch immer kalt gewesen. Früh kann man immer noch den Mantel vertragen. Aber das wird sich ja sicher bald ändern.
Es ist schade, daß Euer Kriegsverwaltungsrat von dort fortkommt. Es hätte nichts geschadet, wenn er noch nach Konstanz hätte schreiben können, damit sie auch hier sehen, daß auch andere mit Deiner Arbeit zufrieden sind. Die Antwort der Stadt habe ich Dir ja zugeschickt. Ich weiß ja nicht, ob Du damit zufrieden bist. Wegen der Gehaltserhöhung vertrösten sie Dich bis nach dem Kriege. Es ist ja aber nicht nur wegen dem Geld allein, es ist auch wegen einer Anerkennung, die durch eine Beförderung zum Ausdruck gekommen wäre. Aber die ändern die Konstanzer nicht.
Du mußt dort erst in den Stadtgarten gehen, wenn Du die Vögel singen hören willst. Wir haben es ja da noch viel schöner. Uns sitzen die Vögel vor dem Fenster. An unserem Star habe ich immer wieder meine Freude, wenn er aus voller Kehle singt und dabei mit den Flügeln schlägt. Ich sehe es doch oft, aber immer wieder muß ich lachen, wie er sich anstrengt. Es ist ein friedliches Bild, wenn der Star in dem blühenden Baum sitzt. Ich glaube, daß sie wieder Junge haben, denn sie fliegen ein und aus.
Ich freue mich, daß es mit Deinen Wirtsleuten doch nicht so schlimm ist, wie es erst ausgesehen hat. Das ist ja auch kein gutes Wohnen gewesen, wenn man sich dauernd ärgern muß. Die Leute werden wahrscheinlich auch merken, daß Du immer anständig auftrittst und keine unberechtigten Forderungen stellst. Vielleicht macht es auch etwas aus, daß die Kinder Dich gern mögen. Kinder merken eben doch auch, wer es gut mit ihnen meint. Noch schöner wäre es natürlich, wenn ich Dich bei unseren Kindern haben könnte, aber es geht jetzt eben nicht zu ändern. Das ist der Krieg. Es ist ja ganz anständig, wenn sie Dir so ohne weiteres den Schlafanzug waschen. So hast du jetzt doch wenigstens in dieser Beziehung keinen Ärger. Es ist auch schön, daß die Kameraden versuchen, Dich in ihren Kreis zu ziehen. Kameradschaft ist in einem fremden Land doch notwendig, damit man sich nicht so einsam vorkommt. Bis  jetzt brauchst Du also die Post nicht schreiben. Das freut mich, daß ihr das durchsetzen konntet. Was sind das dort eigentlich für Fräuleins? Elsässer wie in Deinem früheren Ort oder Deutsche?
Heute morgen war ich in der Stadt wegen Vaters  Garten. Es ist mir gesagt worden, daß sich viele um den Garten bewerben, vor allen Dingen Leute mit Kindern, die sich darüber beschwert haben, daß ein einzelner Mann einen Garten hat und sie keinen bekommen. Und daß Dein Vater den Garten gar nicht ausnutzt, wenn er ihn bis zum Mai hinein brachliegen läßt. Ich soll doch Deinem Vater  bestellen, daß es ihnen sehr lieb  wäre, wenn er ihnen den Garten im Herbst überläßt. Ich habe ihnen natürlich erklärt, daß er nicht immer Zeit hat. Außerdem würde er im Herbst 65 Jahre und es wäre doch gut, wenn er dann, wenn er vielleicht nicht mehr schafft, so eine Nebenbeschäftigung hat. In dieser Beziehung hat sie mir wieder recht gegeben. Ich werde jetzt mit Vater sprechen. Ich finde ja, daß es vielleicht besser wäre, er gäbe ihn auf. Denn die richtige Lust hat er doch nicht und bis er ihn immer bepflanzt  ist schon der halbe Sommer vorbei. Das weißt Du ja selbst.
Heute Nachmittag gehen wir nun Jörg zur Schule anmelden. Das ist ein wichtiger Schritt. Hoffentlich lernt er später auch so gut wie Helga. Da könnten wir ja zufrieden sein.
Du wirst Dich vielleicht in den letzten Tagen gewundert haben, daß meine Briefe ziemlich kurz waren. Das darfst Du mir nicht übelnehmen. Weißt Du, ich habe mich in den letzten Tagen wieder ziemlich ärgern müssen mit den Kindern aus der Nachbarschaft und auch Frau Bautz ist mir so dumm gekommen. Du weißt ja, wie ich mich da immer aufrege, wenn ich auch nicht viel sage, aber innerlich rege ich mich schrecklich auf. Mein Kopf war ganz dumm. Ich konnte gar nicht richtig denken. Jetzt ist alles wieder recht und der Ärger ist auch vorbei. Es kann eben nicht immer eitel Sonnenschein sein.
Mein lieber Ernst! Immer wenn ich Deine lieben Briefe lese, ist es mir, als ob Du gerade mit mir redest und da habe ich immer große Sehnsucht nach Dir. Es war doch schön, als Du noch bei uns warst. Du weißt es ja dort auch, wie es ist, wenn man sich mit Niemandem aussprechen kann. Und nicht nur das Aussprechen ist es, was einem so fehlt, sondern auch das miteinander Schaffen und Leben und Sehen. Es war immer schon so schön, wenn ich gewußt habe, jetzt kommst Du bald aus dem Geschäft oder wenn ich mich darauf freuen konnte, daß wir sonntags zusammen mit dem Rad fortfahren wollten. Hoffentlich wird später alles wieder so schön. Wir wollen es fest hoffen. Schön ist es ja jetzt schon, daß ich so einen lieben Mann habe, der so liebe Briefe schreibt, nicht wahr, mein lieber Kerl? Mußt mich aber nicht auslachen, wenn ich Dir so alles schreibe.
Nun will ich schließen. Ich muß noch das Essen fertig machen, damit wir später fortgehen können. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                      Konstanz  16.5.41 abends

 Heute schreibe ich Dir am Abend noch, denn ich möchte den Brief morgen Vormittag gleich mit in die Stadt nehmen. Da brauche ich nachmittags nicht noch einmal fahren.
Wie ich Dir schon schrieb, haben wir heute Nachmittag Jörg zur Schule angemeldet. Zu Mittag kam Helga und sagte mir, Frau Bolz hätte gefragt, ob ich ihr nicht klingeln wollte, wenn ich fortgehe. Sie muß den Hermann anmelden. Das habe ich dann auch getan und wir sind zusammen gegangen.
Jörg spielt jetzt immer mit dem Buben und Helga paßt öfter auf die zwei Mädels auf. Ich habe mich direkt gewundert, wie gut Helga mit so kleinen Kindern umgehen kann.
Nach dem Anmelden mußte ich noch  in die Stadt, Helga und Jörg hätten aber gern mit den Kindern gespielt und so sind sie mit heimgegangen, nachdem sich Helga hundertmal versichert hatte, daß ich es bestimmt nicht übel nehme. Ich bin dann allein in die Stadt gegangen. Ich muß schon sagen, daß es mir ganz eigenartig vorgekommen ist. Fahren tue ich ja öfter in die Stadt, aber daß ich allein laufe, kommt doch fast gar nicht vor. Lustig war es heute anzusehen, wie an vielen Schaufenstern Kinder standen und nachsahen, ob ihr Geldbeutel für dies oder jenes Geschenk ausreicht. Überall hat man sie auch mit kleinen Päckchen gesehen. Unsere Kinder sind wegen dem Muttertag ja auch schon ganz aufgeregt. Jörg sagte heute schon wir sollten ihn am liebsten schon morgen feiern. Immer wird mir auch versichert, daß ich mich ganz bestimmt fest freuen werde, denn es sei so etwas Schönes, was sie gekauft hätten. Mir macht schon ihre Freude selbst Freude. Ich habe mir heute die Kennkarten-Bilder geholt. Die Aufnahme ist gar nicht so schlecht. Sollte ich für die Karte nur 3 Bilder brauche, schicke ich Dir eine mit. Ich wollte heute gleich die Karte beantragen, aber das Büro war schon zu. Ich gehe morgen gleich noch Mal mit vorbei, damit ich das hinter mir habe.
Als ich heimkam, habe ich gleich noch Bohnen rein getan, das heißt, ich habe die Löcher gemacht und Helga hat die Bohnen gelegt. Sie hat sich ganz gut dabei angestellt. Eigentlich müssen die Bohnen jetzt, nachdem sich unser kleiner Kerl so dabei angestrengt hat, noch einmal so gut wachsen. Das hoffe ich denn auch. Das waren heute die Stangenbohnen, morgen kommen die halbhohen dran. Die Buschbohnen sind, nach unserem Buche jedenfalls, noch nicht so eilig. Oder soll ich sie auch reinmachen? Auch die Gurken will ich bald fertig machen Muß ich die abends immer noch zudecken, solange es kühl ist, oder sind sie nicht so empfindlich? Nachdem wir Abendbrot gegessen hatten, habe ich mich noch an verschiedene Schuhe gemacht. Sie hatten alle kleine Defekte.  Nachdem es jetzt so lange hell ist, lasse ich die Kinder immer bis 3/4 8 rausgehen. Bis sie sich ausgezogen haben, ist es immer so 1/2 - 3/4 9 Uhr. Ist das zu spät oder macht es nichts? So ganz klein sind sie ja nicht mehr.
Es wurde wieder einmal Zeit, daß bei Jörg die Haare geschnitten werden. Er hat es immer wieder hinausgezögert, bis ich ihm heute sagte, mit so wilden Haaren darfst Du nicht in die Schule zur Anmeldung kommen. Das hat er eingesehen und so habe ich ihn wieder fein gemacht. Jetzt fühlt er sich viel wohler, wie jedes Mal nach dem Haareschneiden, aber bis zum nächsten Mal hat er`s vergessen und dann geht das Theater von neuem los. Das ist doch ein kleiner dummer Kerl.
Heute beim anmelden mußten wir in das Klassenzimmer von Helga. Da hättest du sie sehen sollen, wie stolz sie war. Alles hat sie Jörg gezeigt, wo sie sitzt, wo der „Fundplatz“ ist usw. Auf den Fundplatz kommen alle Sachen, die von  Kindern vergessen wurden. Diesen Platz hat sie bereichert, indem sie alle Bänke nachgesehen hat nach vergessenen Sachen. Sie hat tatsächlich verschiedenes entdeckt. Sogar Tafeln. Richtig stolz war Helga auf ihr Klassenzimmer, immer hat sie wieder gesagt: „Gell, ich weiß, wo alles ist.“ Richtig ein bißchen lausbubenhaft ist sie geworden. Du weißt ja, wie sie da sind. Sie ist auf ihren Platz gegangen, hat sich hingeflegelt und hat dann allen so zu verstehen gegeben, daß das ihr Zimmer ist. Also weißt Du, frech war sie nicht, nur richtig übermütig und ich muß sagen, ich habe meine Freude an ihr gehabt. Das hat mich auch so an die eigene Schulzeit erinnert. Ich habe richtig über sie lachen müssen, ich glaube, wir waren sicher auch einmal so.
Es ist nun inzwischen spät geworden, 1/4 12 Uhr, und ich will schlafen gehen. Schlaf auch Du gut, mein liebster  Mann, und wach ganz gesund wieder auf.