Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 31.5.41
Heute habe ich keinen Brief von Dir
erhalten, aber vorgestern sind ja gleich drei angekommen, da will ich nicht
ungeduldig sein.
Wenn ich die Schuhe ansehe, die Du für
mich geschickt hast, so tut es mir immer mehr leid, daß sie mir nicht passen.
Sie gefallen mir so gut.
Mir geht es heute etwas besser. Der Druck
auf den Kopf hat etwas nachgelassen. Gestern hatte ich sehr starkes Kopfweh, da
habe ich am Abend, kurz hintereinander, 2 Kopfwehpulver genommen. Dadurch habe
ich heute Nacht zum ersten Mal ein wenig ruhig geschlafen.
Von den Eltern erhielt ich gestern eine
Karte, in der sie mir das Zeitungspaket ankündigen. Für mich wird es ja jetzt
wenig Zweck haben, aber die Kinder werden sich sicher freuen. Vielleicht kommt
es noch bis Pfingsten an, da könnten sie sich die Feiertage damit vertreiben.
Aus Deinem Päckchen habe ich mir die zwei zusammengefalteten Blätter auch
aufgehoben. Auf einem steht gleich etwas von Lille.
Du hattest in einem Brief etwas von einer
Überraschung gesprochen. Die war doch im Schuhpaket nicht beigepackt? Ich frage
nur, weil der Karton an der einen Seite ziemlich aufgerissen war, daß es evtl.
verlorengegangen ist.
Von Gerhard Legler habe ich auch eine
Pfingstkarte bekommen.
Ich habe vorhin mit Helga zusammen noch einen
Streuselkuchen gebacken, sonst haben die Kinder ja überhaupt nichts von
Pfingsten. Wenn ich gesund wäre, wären wir sicher einmal über den See gegangen
bzw. gefahren. So müssen wir es eben auf später verschieben.
Gestern habe ich den ganzen Nachmittag mit
dem Liegestuhl im Hof gelegen. Den Kopf habe ich ja nicht direkt der Sonne
ausgesetzt. Da hatte ich einen Schirm aufgespannt. Aber schon durch die Wärme
allein hatte ich dann doppelte Kopfschmerzen. Das war also nichts. Heute stand
in der Zeitung, daß der Elser und der Strobel die Inspektorenprüfung bestanden
haben. Von Dir habe ich nichts gelesen. Es könnte nur sein, daß es damals
dringestanden hat, als Du noch hier warst. Da habe ich ja keine Zeitung gelesen.
Auf jeden Fall, lieber Ernst, ärgere Dich nicht über die liebe Stadtverwaltung.
Nun lass mich für heute schließen. Sei
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, den 2.Juni 1941
Gestern habe ich Dir einmal nicht
geschrieben. Du wirst mir aber sicher nicht böse sein. Einen Brief habe ich von
Dir zu Pfingsten nun doch nicht bekommen, so daß ich seit 4 Tagen keine Post
von Dir habe. Dein letzter Brief ist vom Samstag vor 8 Tagen. Hoffentlich hat
morgen die Post ein Einsehen.
Ein Pfingstfeiertag ist ja nun schon
herum. Wir merken ja nicht viel davon. Gestern Morgen kam Vater herauf. Ich
hatte ihn gebeten, mir doch etwas gegen den Husten zu besorgen, da mir Tussamag
absolut nicht geholfen hat. In den letzten Tagen habe ich husten müssen, daß es
mich ganz aufgelöst hat. Brechen habe ich dadurch auch müssen. Es war eine
Quälerei. Ich habe gekeucht wie eine alte Frau. Er brachte mir nun von Bayer
„Kresival“ und Bronchial- Tabletten. Die Medizin schmeckt nun nicht so angenehm
wie Tussamag, aber sie hilft wenigstens. Heute kann ich schon mit geschlossenem
Mund atmen. Das Kopfweh bin ich ja ganz los, nur schwitze ich jede Nacht noch
fest. Die meiste Zeit bin ich bei Tag schon auf.
Wie gesagt, Vater kam gestern morgen rauf.
Er fragte mich dann, ob er etwas helfen könnte und hat mir dann Kartoffeln
geschält. Auch Spinat hat er mir durchgedreht. Gegen Mittag ist er dann runter
und hat bei sich weitergemacht. Gegen 8 Uhr abends ist er dann noch eine Weile
raufgekommen. Heute will er schon am Nachmittag da sei. Er will an Kurt
schreiben.
Er ist immer noch in seinem Garten, hat
ihn jetzt zum dritten Mal umgegraben und beim letzten Mal hat er noch drei
Engerlinge gefunden. Das war ihm nun recht. „Siehst Du, hätte ich nur zwei Mal
umgegraben, dann hätten sie mir doch alles weggefressen. Mir soll keine Arbeit
zuviel sein.“ Aber es ist so, vor lauter graben kommt er nicht zum setzen und
wie bald ist der Sommer vorbei und er hat nichts oder nur ganz winziges Zeug.
Jetzt will er erst noch die Brombeeren raus schneiden. Meines Erachtens nützt
das Schneiden ja gar nichts, da müßte er schon ausgraben. Ich habe es ihm auch
gesagt, aber er glaubt es nicht.
Bei uns herrscht das herrlichste Pfingstwetter.
Hoffentlich ist es bei Euch auch so, daß Ihr Euch etwas vornehmen könnt. Die
Kinder sind ganz untröstlich, daß es einfach nicht gehen will, daß wir über den
See fahren. Jetzt haben sie mich nun gefragt, ob ich nicht wenigstens mit auf
den Fürstenberg gehen könnte. Ich habe ihnen aber sagen müssen, daß mir das
jetzt auch noch unmöglich ist. Ich habe sie jetzt einmal allein hingeschickt.
Hoffentlich stellen sie nichts an. Wenn sie nachher kommen, werde ich ja sehen,
wie es ihnen gefallen hat. Jörg interessiert sich vor allen Dingen für die Segelflieger.
Da habe ich ihm die Segelfliegerbilder von Dir, die wir weg tun wollten,
gegeben. Nun hat er so eine kleine Mappe, ungefähr wie die, wo ich Dir mein
Paßbild darin geschickt habe. Da tut er so ein Bild hinein. Auf der Seite, mit
der man zumacht, ist ein rundes Loch. Das ist nun sein Photoapparat. Er nimmt
immer ein paar Bilder mit. Wenn er nun einen Flieger sieht, tut er das ähnliche
Bild schnell hinein, macht zu, macht „knips“ und hat so den Flieger photographiert.
Sein Photo ist jetzt sein Wichtigstes. Gerade sind die Kinder heimgekommen. Sie
haben mir einen Blumenstrauß mitgebracht. Einen Flieger hat Jörg
„photographieren“ können, wie er mit Begeisterung erzählt.
Die zweite Frage war gleich „dürfen wir
heute Nachmittag wieder hin?“
Ich muß Dir überhaupt auch schreiben, daß
sich Vater besorgt um mich bemüht. Trotzdem er selber jetzt eine ganze Weile
nichts bekommen hat, brachte er mir doch in den letzten Tagen zwei Mal Pralinen
und Bonbons. Das ist doch lieb von ihm? Ein gutes Herz hat er doch immer
wieder, trotz seiner verschiedenen Eigenheiten. Wenn er jetzt da ist, wo ich
krank bin, ist er besorgt um mich wie eine Henne um ihr Junges. „Bleib liegen,
ich mache den Kindern schon auf.“ „Du sollst doch nicht immer aufspringen, das kann
ich doch auch machen.“ „Kinder, schreit nicht so, man ist doch still, wenn die
Mutter krank ist.“ usw. Am Samstagabend fragte er, ob ich etwas hätte backen
können, sonst würde er gleich noch backen und am Sonntagmorgen ein paar Stücke
rauf bringen. Das war ja nicht nötig, nachdem Helga mir beim backen eines
Streuselkuchens geholfen hatte. Für sich will er wahrscheinlich heute backen,
nachdem er gestern Vormittag hier war.
Lieber Ernst! Die vorigen Pfingstfeiertage
haben wir doch noch schön verbracht. Es waren ja die letzten Tage, ehe Du fort mußtest.
Die Erinnerung behält man doch immer. Dieses Jahr hättest Du ja nicht viel
davon gehabt, wenn Du auch zuhause gewesen wärst.
Im Laufe dieser Woche waren übrigens die
Kinder hinter den Siedlungshäusern und haben Erbsenreisig geholt. In den
nächsten Tagen gehen sie noch Mal, um für die Bohnen zu holen. Ich habe ihnen
nur gesagt, sie sollen sich immer in der Nähe der Häuser halten und nicht über
den Buckel gehen. Die zweiten Erbsen sind nämlich auch schon so groß, daß sie
dringend das Reisig gebraucht haben.
Ich würde Dir gern noch über den Garten
berichten, aber ich bin gar nicht richtig im Bilde. Ich muß mir erst alles
wieder ansehen. Arbeit wird es ja sicher genug geben. Soweit es möglich ist,
werde ich die Kinder damit anstellen.
Die Kinder wollen jetzt, nachdem wir zu
Mittag gegessen haben, wieder auf den Fürstenberg. Vorher sollen sie aber noch
diesen Brief wegschaffen. Zu unserem Briefkasten können sie ihn nicht bringen,
der wird erst morgen früh wieder geleert.
Da müßtest Du gar zu lange auf den Brief warten.
Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie