Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 751 vom 19.06.1944

Mein liebster Ernst !                                                           Konstanz, 19.6.44

Es wird dies nun schon der fünfte Geburtstag, den Du nicht daheim verlebst. Aber ich glaube, Du hast auch keinen davon weniger feiern können, als gerade diesen. Es ist ja leider so, daß man gar nichts schicken kann. Du bekommst also nicht einmal einen eßbaren Gruß von uns. Das wird mir wirklich schwer. Bisher konnten wir doch wenigstens immer einige Päckchen fertig machen. Jetzt steht man ganz hilflos da.
Und wie werden Deine Gedanken sein?  Aber wissen sollst Du, daß wir mit allen guten Wünschen immer bei Dir sind. Durch die Invasion und die Vergeltung hoffen wir doch, dem Frieden ein Stück näher gekommen zu sein. So wünschen wir vor allen Dingen, daß wir uns alle gesund wiedersehen und daß Du immer ganz gesund bleibst.
Gerade Gesundheit kannst Du doch jetzt, bei dem ziemlich harten Dienst, besonders brauchen. Dann wünsche ich Dir, daß Du in keinen zu harten Einsatz kommst. Sollte sich der Krieg doch noch lange hinziehen, so wünsche ich Dir sobald als möglich wieder einen Urlaub. Dies ist ja immer der Lichtblick in dieser Zeit.  Als der Krieg begann, dachten wir ja nicht, daß wir so lange getrennt sein würden. Wir haben uns auch hinein gefunden, aber unsere Sehnsucht steht doch immer nach einem dauernden Zusammensein.
Gerade in einem Urlaub sieht man immer wieder, wie schön das sein könnte. Aber vor der Erfüllung  unserer Wünsche stehen erst noch schwere Wochen oder Monate.
Wir wollen auch sie tapfer durchleben. Du hast es ja draußen bedeutend schwerer als wir daheim. Wir können davon noch nicht viel reden.  Etwas feierlich werden wir Deinen Geburtstag verleben. Feiern werden wir  zwar nicht, denn das kannst Du ja auch nicht. Und Du bist ja das Geburtstagskind und nicht wir.
Mit herzlichen Grüßen und Küssen und vielen guten Wünschen bin ich immer Deine Annie. 

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