Sonntag, 2. Juni 2019

Brief 739 vom 22.05.1944


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 22.5.44 

vorhin erhielt ich Deine lieben Briefe vom 14. und 15. mit Deiner neuen Feldpostnummer.
Ich habe mich nun gleich hergesetzt um Dir zu schreiben, denn Du mußt ja sowieso schon lange auf Post warten. Außer den obengenannten Briefen erhielt ich noch die vom 10., 11. und 13., die Du auf der Fahrt geschrieben hast. Für alle danke ich Dir recht herzlich. Du weißt ja, wie ich mich immer freue, wenn ich an Deinen Erlebnissen wenigstens brieflich teilnehmen kann. Daß Du von jetzt an nicht mehr so oft schreiben kannst, das hatte ich mir schon gedacht. Ich werde es natürlich halten wie bisher.
Wenn ich einmal nichts zu schreiben weiß, denn mir werden ja manchmal Deine Anregungen durch die Briefe schon fehlen und hier geht alles seinen Gang, so werde ich einmal einen Tag aussetzen. Aber sonst werde ich regelmäßig schreiben.  Heute will ich Dir erst mal die wichtigsten Sachen berichten, Einzelheiten schreibe ich so nach und nach. Gesund sind wir heimgekommen. Wir konnten auch sitzen und die Kinder auch recht gut schlafen. Daheim fanden wir alles richtig vor. In der Schule hat auch niemand etwas gesagt. Eine traurige Nachricht hörten wir aber gleich bei der Heimkehr. Der Emil Leimenstoll muß sterben. Er ging doch nach Überlingen zur Operation. Als man ihn am Rücken aufschnitt und das angebliche Gewächs herausholten wollte, welches wahrscheinlich auf den Nerv drückte, sah man, daß es Krebs ist und das ganze Rückgrat bis runter schon durchsetzt ist. Der Professor hat gesagt, es bestünde keine Hoffnung auf Genesung. Vor 2 Jahren hätten sie ihn noch retten können. Und da ist doch Frau L. schon herumgelaufen und kein Arzt hat es festgestellt. Emil selbst hat große Hoffnung und die Eltern haben jetzt nur den einen Wunsch, daß er stirbt, ehe er weiß, daß er sterben muß. Aber das Herz ist eben stark, dadurch muß er sich so quälen.  Die Briefmarken habe ich an den O.Gefreiten Hirscher geschickt. 2 Briefe sind aber schon zurückgekommen, denn die FP.Nr. 71 297, die Du mir angegeben hast, stimmt nicht. Es ist drauf gestempelt „falsche Feldpostnummer“. Vielleicht gibst Du mir die richtige noch an, dann schicke ich die Briefe gleich wieder weg.
Vater ist jetzt dabei, den Verschlag unten zu bauen. Er wird sehr ordentlich. Die Vorder und die Seitenwand steht schon, die Decke zum Teil. Die muß er noch fertigmachen, dann kommt die Tür dran. Ich werde allerhand unterstellen können. Ich helfe immer ein wenig mit, da schafft Vater lieber. Ich kann ihm immer etwas zureichen, Nägel, Zange usw. und Vater kann sich mit mir unterhalten. Paula hat vorige Woche silberne Hochzeit gehabt. Ich habe es nachträglich in der Zeitung gelesen. Ich hätte auch sonst nichts geschickt, denn sie zeigt sich immer sehr wenig von einer guten Seite. Vater sagte schon, das gibt bald mal wieder Krach. Auf ihre Frage hatte Vater zu Paula gesagt, daß es möglich sein kann, daß Ihr zu Res.Off. ausgebildet würdet.  Da meinte sie, da bekämst Du noch einen größeren Dünkel. Vater hat ihr aber gesagt, Du hättest bisher keinen gehabt und würdest auch keinen bekommen. Auch sonst hat sie schon gehässige Äußerungen gemacht. Es hat ja keinen Wert, sich darüber zu ärgern.  Resi hat von Fritz wieder Nachricht bekommen. Gestern war sie auch mal da und hat sich nach unserer Reise nach Leipzig erkundigt. Gleichzeitig fragte sie, ob wir nicht zu Pfingsten zusammen fortgehen wollte. Wir werden nochmals darüber reden.  Jörg ist ja sowieso nicht da, er geht von Samstag mittag bis Dienstag früh auf Fahrt.  Das soll scheinbar auch gleich die Pimpfenprobe sein. Danach dürfen sie Schulterriemen und Fahrtenmesser tragen.  Im Garten habe ich auch das  wichtigste geschafft. Die Stangen und Buschbohnen sind drin. Umgegraben habe ich alles noch fertig. Gurkenkerne sind zum großen Teil drin. Die restlichen habe ich mir am Samstag erst noch gekauft.  20 Tomatensetzlinge habe noch ausgepflanzt. Das ist mehr als sonst, aber sie sollen auch teilweise Brot ersetzen und dann will ich auch welche zu Soßen usw. einmachen.  Unser Apfelbaum hat wunderbar geblüht. Wir konnten es gerade noch sehen, als wir heim kamen. Kurz darauf fielen die Blüten ab. Hoffentlich gibt es auch richtig Obst, denn soviel haben die Bienen bei der kalten Witterung nicht fliegen können. Die Kartoffeln kamen bei unserer Heimkehr auch schon heraus. Es wächst alles ganz gut. Nur sollte es etwas wärmer werden. Es regnet öfter und dann ist es kühl.  Der Gauggel kommt dauernd nach Zigaretten. Ich habe aber gesagt, Du hättest von Dir keine schicken können und ich hätte meine an meinen Vater geschickt. Ich bin doch nicht Dauerversorger für den G.  Helga hat nicht mehr geimpft werden können. Es galt so.
Deinen großen Kaufladen haben wir uns hergerichtet. Wir haben das Oberteil abgeschraubt und umgekehrt aufgesetzt, so daß also die Fenster vorn sind. Oben habe ich eine Platte, also ein Brett drauf getan. Eigentlich sind es 2. Eins geht hochzuklappen, so daß man von vorn und von oben in den Schrank fassen kann, der jetzt Bücher enthält. Auf der Rückseite haben wir einstweilen Packpapier festgemacht. Oben an dem Brett ist ein Griff, so daß man es gut hochklappen kann. Hinten am Brett habe ich Bänder hingenagelt.
(so heißen sie doch)? So ist es netter Bücherschrank geworden.  Nun schließe ich heute. Morgen berichte ich Dir noch mehr. Bleib immer gesund und sei ganz herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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