Sonntag, 2. Juni 2019

Brief 743 vom 28.05.1944


Liebster, bester Ernst !                                                         Konstanz, 28.5.44 

Gerade vorhin, um 10 Uhr, sind wir heim gekommen. Wir haben noch einen Pudding gegessen und ehe ich schlafen gehe, will ich Dir von heutigen Tag berichten. Um 10 Uhr  vormittags sind wir fortgefahren. 11,06 waren wir in Singen.  Wir haben dann erstmal zugesehen, wo wir essen konnten. Das Restaurant, wo wir mal waren, hatte Betriebsferien. Dann sind wir in drei weitere vergeblich gelaufen. Als es uns zu dumm wurde, sind wir einfach ins Centralhotel gegangen. Da haben wir aber ein gutes Essen bekommen. Schweinefleisch, Kartoffeln, Reis, Spinat, Kohlrabi, Soße und Salat. Das Essen kostete 1,60 Mk. Dazu haben wir ein Schorle getrunken.  Nach dem Essen haben wir uns auf den Weg zum Hohentwiel gemacht. Es war ein mächtig heißer Tag. Unterwegs haben wir uns einige Male ausgeruht. Wir haben uns alles angesehen. Dann haben wir uns noch eine Weile hingesetzt und haben war gegessen. Beim Abstieg sind wir noch in das Gasthaus gegangen und haben Selterwasser getrunken.  Wir mußten es mit raus auf die Wiese nehmen, denn im Haus war zuviel Betrieb.
Wir haben uns auf die Wiese gesetzt und uns ausgeruht. Ich weiß nicht, man war dauernd müd. Das kam
sicher von der großen Hitze. Später sind wir langsam in die Stadt gegangen. Wir sind noch im Café Graf eingekehrt und haben 1 Stück Kuchen und einen Erdbeersaft getrunken.
Hinterher sind wir noch in unser Café, gleich beim Bahnhof gegangen. Da haben wir 1 Linzertorte und 1 gefüllten Kuchen erhalten. Dazu haben wir einen Kaffee getrunken und die Kinder Limonade. Die restliche Zeit sind wir noch spazieren gegangen. Die Sonne war ziemlich untergegangen und es wehte ein erfrischender Wind. Gegen 8 Uhr sind wir dann auf den Bahnsteig gegangen, wo wir uns auf einer Bank ausruhen konnten.
Der Zug kam schon ¼ 9 Uhr und hatte ½ Stunde Aufenthalt. Wir sind gleich eingestiegen und bekamen dadurch Platz. Vorhin sind wir nun wieder angekommen.  Gel, eingekehrt sind wir heute genug? Aber es kommt auch nicht gleich wieder vor.  Morgen machen wir uns einen faulen Tag. Am Nachmittag sind wir zur Resi eingeladen. Ich nehme von unserem Kuchen mit. Strümpfe zum stopfen nehme ich auch mit, damit man nicht nur faulenzt. Die Kinder wollen sich wieder kostümieren und spielen. Es ist ganz eigenartig, wenn Jörg nicht da ist. Was er wohl jetzt tun wird. Ob er fest schläft? Ob es ihm auch im Lager gefällt?  Wir haben den ganzen Tag auch an Dich gedacht, was Du jetzt wohl tust. Vom Feiertag hast Du vielleicht wenig gemerkt.
Frei werdet Ihr wohl kaum gehabt haben.
29.5. Du weißt ja, wie es bei mir so geht. Plötzlich kann ich mich nicht mehr munter halten. So ging es mir auch gestern Abend. Mir fielen die Augen zu und ich wußte gar nicht mehr was ich schrieb. Da habe ich mich erst mal ins Bett gelegt und habe bis jetzt um 8 Uhr geschlafen. Helga schläft noch, sie ist sehr müd. Ich bringe diesen Brief noch auf die Post, damit er recht bald fort kommt.  Die Feiertage werden nun bald vorbei sein. Hätte man nur Päckchen schicken dürfen. Das hätte mich so gefreut.
So essen wir hier mehrere Kuchen und wissen, daß Du sowas nicht hast. Man kann es Euch draußen so gar nicht erleichtern und man würde es so gern tun.  Auch heute ist wieder ein herrlicher sonniger Tag. Ich glaube, unser Jörg wird ganz braun gebrannt heim kommen, denn die Buben sind doch dauernd im Freien. Schönere Tage hätten sie sich ja für ihre Fahrt nicht wünschen können.  Vom Hohentwiel selber habe ich eigentlich noch gar nichts erzählt. So schön wie damals, als wir mit Dir oben waren, das war es nicht. Es waren eine Menge Leute droben. Am Fernrohr haben sie bald angestanden. Aber einen neuen Gang habe ich doch wieder entdeckt.  Viele Ausländer waren auch oben. Einmal kam ein ganzer Schwarm Ostarbeiterinnen.  Es sah schlimm aus. In unmöglichen Aufzügen. Die eine hatte ein hellgrünes Seidenkleid an, das bald bis auf den Fußboden ging, dazu graue Socken und derbe Schuhe.  Die Sachen waren an sich nicht schlecht, aber wie sie getragen wurden, war einfach schauderhaft. Eine einzige machte einen halbwegs ordentlichen Eindruck. Zu allem haben sie natürlich noch ihre Kopftücher um. Geschmack nicht für´n Fünfer. Vorgestern kauften auch gerade welche beim Martignoni ein. Scheinbar bekommen sie erst Karten, damit sie sich halbwegs anziehen können, denn wie die im Laden standen, war schlimm. Sie hatten nun Röcke, Blusen usw., ja sogar Taschentücher gekauft.  Die Aussicht haben wir auf dem Hohentwiel nicht viel genossen, dafür sind wir eben in den Gängen rumgekrochen, denn Ingrid kannte ja alles noch nicht. _ Post habe ich vorgestern und gestern nicht erhalten und heute wird keine ausgetragen. Zu beantworten habe ich also nichts.  Laß mich deshalb jetzt schließen. Mein größter Wunsch ist immer wieder, daß Du gesund bleibst.
Laß Dich herzlich grüßen und fest küssen von Deiner Annie.

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