Sonntag, 2. Juni 2019

Brief 742 vom 27.05.1944


Mein liebster Ernst !                                                        Konstanz, 27.5.44

Es ist jetzt bereits ½ 11 Uhr abends. Aber eher kam ich nicht zum schreiben. Ich habe fast den ganzen Tag genäht. Zuerst habe ich mal die Decke für Jörg fertig gemacht.
Die gute Decke von Dir wollte ich nicht mitgeben. Da habe ich die schwarze Verdunklungsdecke vom Küchenfenster genommen. Die war nach der Fenstergröße etwas umgenäht. Das habe ich nun wieder herausgelassen und die Ösen zum aufhängen abgetrennt. Hinterher habe ich eine andere Verdunklung von Deinem Stoff genäht. Später habe ich noch aus einem Kleid von mir, welches unter den Ärmeln und am Rücken entzwei ging, für Helga einen Trägerrock genäht. Den zieht sie morgen an. Gegen Abend habe ich mir noch eine Dirndlbluse aus einem alten Nachthemd genäht. Sie ist am Hals rot umhäkelt und wird mit einer grünen Schnur zusammengezogen. Zwischen dem nähen habe ich die Sachen für Jörg zusammengepackt, habe Essen gekocht, habe gebügelt und gewaschen. Als ich vorhin gerade noch einen Apfelkuchen backen will, schaue ich mal so zum Fenster hinaus. Da sehe ich doch, daß unser großer Stachelbeerstock umgefallen ist. Da sind wir aber schnell gesprungen. Ich habe neue Spitzen an die Pfähle gemacht und habe sie neu eingeschlagen. Hinterher habe ich noch gebacken und nun sitze ich beim schreiben.  gestern, nachdem ich den vorigen Brief geschrieben hatte, bin ich noch in die Stadt gefahren. Zuerst habe ich für Helga ein Buch in die Bücherei gegen ein anderes umgetauscht, dann habe ich Helga noch vom Turnen abgeholt.
Wir haben zusammen den Brief weggeschafft und „Die Post“ geholt.
Dann haben wir noch Fleisch geholt und die restlichen Sachen zur Spinnstoffsammlung gebracht. Am Abend kam dann noch Vater. Ich war gerade beim backen von 2 Kriegskuchen (davon hat Jörg auf seinen Wunsch einen mit) und einen Hefekuchen. Auf Äpfel, die er mir mitbrachte, war ich nicht eingestellt. Ich habe sie noch heute Abend verwendet.  Es kommt mir ganz eigenartig vor, daß Jörg heute nicht daheim ist. Die Hauptsache ist, sie bleiben von Fliegern verschont. Gerade heute Mittag war wieder Alarm. Du hättest Jörg heute sehen müssen, wie er mit seinem schweren Affen losgezogen ist.
Damit Du siehst, was alles drin ist, schreibe ich Dir mal auf, was die Buben alles mitnehmen mußten. Es ist: Eßgeschirr, Besteck, Taschenmesser, Decke, Trainingsanzug, Turnhose, Turnschuhe, Badehose, Kamm, Seife, Zahnbürste, Schuhputzzeug, 1 Hemd, 1 Paar Strümpfe, Taschentücher, Schreibzeug, Verbandspäckchen, 50g Butter, Kaffee, Tee. 1 Suppenwürfel, 5 Eßlöffel Zucker, 1 Brot, Brotaufstrich (Wurst oder Käse) Dazu kommt noch 1 Kuchen, 5oog Brotmarken (erst sollten es 1000 sein, 150g Fleischmarken.
Dazu kommt die Winterbluse, die er mit eingepackt hat, da es zu warm war. Na, hat Jörg da nicht genug zu schleppen?  Heute früh habe ich Jörg nach längere Zeit wieder mal die Haare geschnitten. Er ist schon seit Donnerstag überall zum Friseur gelaufen, aber vor den Feiertagen nehmen sie keine Kinder mehr an. Da war Jörg dann wieder mit meiner Kunst zufrieden.  Von Papa erhielt ich heute einen Brief. Den Durchschlag hast Du ja bekommen. Er schickte auch den Brief von Dir mit. Was sind das für eigenartige Verhältnisse, von denen Du schreibst?  Morgen soll es nun nach dem Hohentwiel gehen. Hoffentlich ist schönes Wetter. Heute war es ja herrlich.  Vielleicht hält es an. Wir haben uns heute geeinigt, daß wir Dirndlkleider und Söckle anziehen. Warum soll man sich in die besten Kleider packen und kann dann nirgends herumlaufen. Die Kinder freuen sich schon sehr. Ingrid war ja noch nie auf dem Hohentwiel. Da kann Helga sicher ein bißchen angeben.  Heute schlafe ich im Bett von Jörg. Er war ganz stolz darüber und meinte, ob mir denn sein Bett auch gefällt.  Ich gehe nun auch schlafen, denn es ist bereits 12 Uhr geworden. Vorhin sind mir schon mal die Augen zugefallen. Da habe ich schnell was dazwischen geschafft, wo ich aufstehen und rumlaufen mußte. Dann ist es wieder gegangen. Aber nun bin ich zu müd geworden.  Bleib mir immer gesund, mein liebster, bester Ernst. Wie wirst Du Pfingsten verleben? Wir denken immer an Dich, das weiß Du ja. Ich grüße Dich und küsse Dich ganz fest.

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