Lieber, lieber Ernst ! Konstanz, 23.5.44
Gestern konnte ich Dir von den wichtigsten Ereignissen
berichten, heute will ich Dir vom Muttertag erzählen. Am Morgen war ich um 5
einmal munter geworden, aber dann bin ich wieder fest eingeschlafen. Auf einmal
klopft es an die Tür und Helga und Jörg kamen herein. Sie hatten einen kleinen
Strauß Schlüsselblumen mit ein paar Stiefmütterchen in der Hand. Sie
beglückwünschten mich zum Muttertag und
dann durfte ich aufstehen. Als ich in die Küche kam, hatte sie schon den Tisch
gedeckt.
Ich wurde dann zum Geschenktisch geführt. Da standen 1
Fliederstrauß und 2 Margeritensträuße, daneben standen 3 Glasschüsselchen und 1
Bilderrahmen, den Jörg aus seinem kleinen Metallbaukasten gebastelt hatte. Da
steht Dein Bild jetzt drin. Dann lagen noch 2 Broschen da. 2 Briefbogen mit
Glückwünschen lagen auch da. Die Hauptsache hätte ich bald noch vergessen.
Helga hat mir ein sehr nettes Nadelkissen zum aufhängen gearbeitet, welches ich
sehr gut brauchen kann. So haben Beide also nicht nur etwas gekauft, sondern
auch gearbeitet. Nach dem Frühstück brachte mir die Briefträgerin einen Brief
von Dir. Das war eine große Freude für mich. Eigentlich wollten wir fortfahren,
aber es regnete den ganzen Tag, so daß man am besten daheim bleibt. Helga hatte
Ingrid eingeladen und sie haben schön zusammen gespielt. Sie haben sich
verkleidet als alte Frauen usw. Es war lustig. Jörg war mit Walter Leimenstoll
auf dem Trockenspeicher.
Da haben sie mit der Eisenbahn und den Soldaten gespielt.
Ich habe Radio gehört und dabei Strümpfe gestopft. So ist der Tag vorbei
gegangen. Am Abend kam noch Resi und erkundigte sich nach unserer Reise. Von unserer Reise heimwärts brauche ich Dir
ja nicht viel zu berichten, denn davon liest Du ja im beiliegenden Durchschlag.
Aber als wir hier ankamen, da kam uns Konstanz so still
vor. Das Ohr hatte sich schon an das Straßenbahngebimmel und Gekreisch und an
die Eisenbahn gewöhnt. Beim Auspacken daheim haben wir uns auch nicht gerade
wohl gefühlt. Es war alles so still und leer und dann die Unordnung durch das
ausgepackte Zeug. Inzwischen hat sich
alles wieder eingerichtet. Vom Garten habe ich Dir ja gestern erzählt. Vater meinte, als er das letzte Mal hier war
und wir auf die Reise zu sprechen kamen:
„ich will‘s offen sagen, als notwendig habe ich die Reise
nicht gerade angesehen, nachdem Ihr euch erst gesehen hattet. Das kostet doch
eine ganze Menge Geld.“ Als ich ihm sagte, daß das in diesem Fall gar nichts
ausmache, konnte er das nicht verstehen. Gel, wir bereuen es nicht, daß wir in
Leipzig waren? Es war voriges Mal in München so schön und diesmal haben wir auch
schöne Tage verlebt. Das Geld allein nützt uns auch nichts. Sonst sehe ich auch
zu, daß ich alles zusammenhalte, aber in solch einem Fall kann ich es ohne Reue
ausgeben. Für Dein Briefmarkenalbum
habe ich jetzt eine Tasche genäht, damit ich es mit in den Keller nehmen kann.
Die Tasche hat oben Reißverschluß, da kann das Album auch nicht
verstauben. Zum schreiben der
Aufstellung von den fehlenden Briefmarken bin ich leider noch nicht gekommen. Ich tue es aber bald. Jörg will zu Pfingsten auf Fahrt gehen. Da
waren wir wegen einem Affen bei Vater. Da haben wir nun einen ganz guten
gefunden, der aber noch zu schade ist. Den haben wir für Jörg als
Luftschutzhandgepäck hergerichtet. Dann war ein nicht ganz so guter da ohne Fell). Da fehlten unten die Haken und oben
die Riemen. Da hat Vater einen alten Rucksack dazu gegeben. Von dem habe ich
Riemen und Haken abgetrennt und nun an den Affen genäht. D.h. ganz fertig bin
ich noch nicht. Nachher werd‘s noch fertiggemacht. Die Schuhe habe ich auch
alle mal soweit wieder hergerichtet.
Gestern, als wir die Sandalen kaufen wollten, haben wir diese nicht
bekommen, dafür aber bezugsscheinfreie Strohpantoffeln für‘s Haus. Da will ich
heute ein Paar feste Stoffsohlen drunter nähen, damit die Schuhe auch eine
Weile halten. Von Deinem getrockneten
Brot haben wir jetzt schon einige Mal süße Brotsuppe gemacht. Die schmeckt
wirklich sehr gut und man braucht nicht zu viele Zutaten dazu. So können wir
das Brot immer wieder verwenden. Nun
bist Du schon wieder über eine Woche bei Deiner neuen Einheit. Die Umstellung
wird ja sicher immer noch schwer sei, denn die Anforderungen sind doch ganz
andere als vorher. Fritz Bautz meinte einmal in einem Urlaub, die ersten 6
Wochen wären sehr schlimm, dann gewöhnte man sich dran. Ich weiß ja nicht, ob es so ist. Daß Du Dich
durchsetzen wirst, das glaube ich sicher. Aber die erste Zeit ist es eben doch
hart. Leider kann ich ja immer nur in Gedanken bei Dir sein und kann Dir nichts
abnehmen oder es Dir leichter machen. Du weißt ja, wie gern ich es tun
würde. Nun schließe ich diesen Brief
wieder mit recht herzlichen Grüßen und Küssen an Dich, mein lieber Ernst. Deine
Annie.
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