Sonntag, 2. Juni 2019

Brief 745 vom 30.05.1944


Mein liebster Ernst !                                                            Konstanz, 30.5.44

Heute erhielt ich Deine beiden lieben Brief vom 20. und 22.5., für die ich Dir recht sehr danke. Ich muß schon sagen, Wache mußt Du genug stehen. Da würde ich mich wahrscheinlich schwer dran gewöhnen, nach 1 oder 2 Stunden Schlaf aufzustehen und raus auf Wache zu gehen. Dir wird es wahrscheinlich auch nicht gerade leicht sein.
Ich will mal nicht so sein und Dich noch angucken, auch wenn Du beim schießen nicht an der Spitze stehst. Man sieht aber doch, daß Du schon schießen kannst. Wenn es mal nicht klappt, dann ist es eben Pech gewesen.  Es ist gar nicht schlimm, wenn Du mir nicht rechtzeitig zum Muttertag geschrieben hast. Ich habe schon gewußt, daß Du Dich erst mal dort einleben mußt und da nun nicht gerade an diesen Tag gedacht hast. Aber am Muttertag selber habe ich gemeint, daß Du an mich denken wirst. Und ich habe ja auch recht gehabt. Vom Tag selber habe ich Dir ja schon geschrieben.
Wenn Du recht hättest, daß wir den nächsten Muttertag zusammen verleben, das wäre herrlich. Daß die Kinder sich sehr große Mühe gegeben haben, das weiß Du ja durch meinen Brief auch. Ich sprach gerade gestern mit Resi. Ingrid versteht das nicht so.
Sie deckt keinen Tisch usw. und die kleinen Geschenke hat sie Resi schon am vorhergehenden Tag einfach in die Hand gedrückt.  Ich muß immer wieder sagen, daß Du Deine kurze Freizeit ausnutzt. Nun hast Du bald wieder Deine ganze Post erledigt. Da wirst Du doch sicher sehr froh sein.  Am Klausenhorn oder auf unserer Wiese waren wir nun zu Pfingsten nicht. Aber wir sind doch ins Freie gegangen. Davon schrieb ich Dir ja auch schon. Ja das wäre fein, wenn Du da wärst und wir machten eine richtige Fahrt.
Heute Mittag kam Jörg wieder heim. Er ist dann nicht in die Schule gegangen, da er zu müde war. Es hat ihm sehr gut gefallen. Darüber will er Dir selber schreiben.
Vielleicht hast Du inzwischen Jörg‘s Karte aus Meersburg erhalten. Er konnte sie in Mühlhofen leider nicht einstecken. Essen haben sie reichlich gehabt, natürlich meist Suppe zu Mittag. Aber gefreut hat Jörg sich doch, daß er heute wieder einmal in seinem Bett schlagen kann. Er hat mich auch immer wieder gefragt, ob ich mich freue, daß er wieder daheim ist.  Vater war heute Abend hier und hat gelesen. Er hat augenblicklich kritische Tage, denn es gibt immer kleine Reibereien. Am Samstag wollte er mir nicht glauben, daß ich heute schon meine 4 Eier auf „b“ holen könnte, weil in der Zeitung stand, daß erst die berücksichtigt werden, die die von „a“ noch nicht haben. Er hatte sie nun auch noch nicht. Aber nach einzelnen können sie sich doch nicht richten. Vaters erste Frage war nun heute, ob ich denn nun Eier bekommen hätte.  Daß ich sie nun doch hatte, war ihm gar nicht recht. Für mich wäre das nun nichts um sich zu aufzuregen, aber Vater kann da immer wieder anfangen. Dann hätte ihm nun Paula wieder verschiedene Schauermärchen aufgetischt. Als ich sie nun nicht glaubte, war er erbost. Er meinte, ich würde eben nur in meinen 4 Wänden hausen und würde deshalb nichts wissen.
Ich habe ihm gesagt, ich wüßte schon, daß verschiedenes wahr sei, aber ich könnte nicht sagen, was gerade wahr sei. Viele Leute würden doch nur das erzählen, was zu ihrem Vorteil spricht. Aber manche Sache hat eine Haken und es ist gar nicht wahr, das ihnen Unrecht getan wurde. Wenn ich es nun nicht weiß, dann erzähle ich auch nichts weiter. Bei dem Erzählen kommt doch nichts dabei heraus.  Aber sobald Vater bei Paula war ist er ganz kritisch. Da unterhält man sich am liebsten gar nicht viel.
31.5. Ganz fertig bin ich gestern Abend nicht geworden. Nun muß ich den Schluß jetzt schreiben. Jörg geht nachher in die Religion, da nimmt er den Brief mit. Helga ist geraden in die Schule gefahren. Ich war vorhin im Garten und habe die erste Hälfte der Kartoffeln gehackt. Jetzt soll das andere Stück folgen.  Laß mich darum jetzt schließen. Bleib mir immer gesund, mein liebster Mann und sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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