Montag, 22. Mai 2017

Brief 331 vom 22.5.1942


Liebster, bester Ernst!                                       Konstanz, 22.5.42

Ich habe heute eine große Überraschung erlebt. Da kommt der Briefträger und gibt mir nach und nach 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 Briefe in die Hand. 6 für mich und einer für die Kinder. Ich habe es gar nicht glauben können, dass alle für mich sind. Es sind die Briefe vom 7., 8., 9., 12., 13. und 14. Da hatte ich viel zu lesen und viel Freude. Wie schon oft, bin ich immer wieder froh, dass du mir deine Erlebnisse berichtest. Ich bekomme doch dadurch ein wenig einen Begriff, wie du dort lebst. Von Eurer Fahrt bist du also wieder in deinem jetzigen Aufenthaltsort gelandet. Du hast ja in diesen Tagen mancherlei gesehen und erlebt.
Ich habe mich wirklich gewundert, dass es dort auch mal fließendes Wasser und WC gibt. Ich wurde da auch an eine Geschichte erinnert. Ich weiß nicht, habe ich sie gelesen oder gehört -, - nein, gelesen habe ich sie. Da fanden Soldaten auch ein WC in Russland. Es entstand ein kleiner Streit, wer diesen Luxus zuerst benutzen durfte. Endlich war der glückliche ausgewählt. Als er nun den Wasserzug in Bewegung setzen wollte, kam wohl kein Wasser, aber der ganze Wasserkasten herunter und dem Soldaten auf den Kopf. Glücklicherweise ist dir das nicht passiert.
Das Rezeptbuch meines Großvaters würde mich schon interessieren. Aber wer weiß, ob es Papa noch rausrückt.
Für die Butter danke ich dir schon im Voraus. Mal sehen, wann sie ankommt. Ich denke bestimmt, dass ich sie noch zum kochen brauchen kann. Die Briefmarken hebe ich mit auf.
Daß du einen Jammerbrief geschrieben hättest, denke ich bestimmt nicht, und es ist auch keiner. Daß du mir schreibst, was dir am Herzen liegt, ist doch wohl selbstverständlich. Ich tue es doch auch. Wir stehen uns doch nächsten. Ich kann es dir auch sehr gut nachfühlen, wenn du dich manchmal einsam fühlst. Du hast ja auch niemand dort, den du kennst, und die Kameraden, mit denen du Freund warst, sind auch nicht bei dir. Dazu die öde Landschaft und die Menschen. Ich bin hier in der gewohnten Umgebung und habe die Kinder, und doch habe ich so große Sehnsucht nach dir. Du fehlst mir so. Ich möchte mich manchmal mit dir aussprechen, gerade in letzter Zeit wegen meinem Vater. Ich habe dir ja da auch geklagt, nicht wahr? Aber ich musste es dir schreiben, ich wusste nicht mehr aus und ein. Hoffentlich ist es dir auch recht, was ich geschrieben habe. Ich denke, wir streiten uns deshalb nicht mit Papa herum.
Wie gerne hätte ich dich hier, es ist manchmal so einsam. Aber wir müssen ja durchhalten und ohne Sieg gibt es keinen frieden. Wir haben es ja 1918 gesehen. Wir wollen aber ganz, ganz fest hoffen, dass wir uns gesund wiedersehen.
Von den Storchennestern habe ich Helga und Jörg erzählt. Am liebsten würden sie es selbst sehen. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass es das wirklich gibt. Die anderen Vogelschilderungen haben mich auch erfreut.
Das ist echt sowjetisch, dass sie schon den Kindern ihre Parolen einhämmern. Man hat es ja früher bei uns gesehen, wie die Kommunisten die Kinder verhetzten. So haben es die Kinder eben gleich auf dem Teller stehen, was sie tun sollen. Aber es muss eben auch das nötige Essen da sein.
Du hast um Zeitungen gebeten und ich freue mich, dass ich schon vorher daran gedacht habe, denn gestern habe ich ja schon einige Zeitungen weggeschickt. Ich wollte es schon in der vergangenen Woche tun, da ich aber erst am Freitagnachmittag danach gefahren bin, war es schon zu spät. Es gibt Illustrierte Zeitungen ja nicht mehr so viel, wie früher, bzw. schicken viele Leute welche an die Front. Darum sind sie knapp. Diesmal bin ich schon eher gefahren und habe welche bekommen. 3 Stück schicke ich heute noch fort. Schimpf nicht, wenn es dir zu viel sind, du kannst dir ja das lesen einteilen, denn es ist ja nicht bestimmt, ob ich nächste Woche auch wieder welche erwische. Aber die Bodensee-Rundschau habe ich ab 1.6. für dich bestellt. Vorläufig für einen Monat. Ich hätte dir unsere geschickt, aber die liest Vater noch mit. Sollte die diese Zeitung nicht zusagen und du magst lieber eine andere, so schreibst du mir´s. Aber die Freude, dass ich dir eine Zeitung schicken kann, musst du mir schon lassen., du liebster, bester Kerl. Ich habe ja besonders in den letzten zwei Jahren so viel von dir genommen, dass es mich direkt froh macht, dir auch einmal einen kleinen Wunsch erfüllen zu können. Noch dazu, wo ich dir jetzt kein Geld mehr schicken soll. Da bin ich ja direkt wohlhabend. Aber du kannst mir glauben, verschwenden tue ich nicht. Ich kaufe, was wir brauchen und das andere lege ich zurück. Bis jetzt habe ich 253.-Mk auf der Kasse. 50.-Mk. gehen für das Kaspertheater ab.
Daß wir das Geld in Frankreich ausgegeben haben, brauchen wir wirklich nicht bereuen. Denn du hast mir wirklich sehr viel geholfen, mir manche Erleichterung verschafft und manchen Weg erspart. Den Nutzen spüre ich heute noch und wohl noch lange Zeit.
Die Dieterkarten schicke ich dir heute mit.
Es freut mich, dass dich der Oberst gelobt hat. So ist dir doch einmal eine kleine Anerkennung für deine Arbeit zuteil geworden. Anerkennungen sind ja meist so selten, wenn man auch sein bestes schafft.
Die Blumen zum Muttertag sind mir ja gebracht worden, wie ich dir schon schrieb, und es war eine wunderbare Überraschung. Eine größere Freude hättest du mir gar nicht machen können.
Dadurch, dass du einem Kameraden deine Briefe mitgegeben hast, sind sie nun schon nach 8 Tagen angekommen. Böse bin ich deshalb bestimmt nicht, es ist ja so fein, so schnell einen Brief zu erhalten.
Bekommt ihr eigentlich auch die Flugpostmarken, von denen in der Zeitung stand? 4 Stück sollte es doch geben, 2 für die Front, 2 für die Heimat pro Monat. Oder gilt das nur für die vorderste Front?
Mit deinen Erinnerungen an unsere früheren Fahrten hast du sie mir alle wieder ins Gedächtnis zurück gerufen. Schön waren die Fahrten ja alle, wenn wir uns auch damals von Schaffhausen ein ganzes Stück heimwärts quälen mussten.
Mit den großen Pfingstferien für die Kinder ist es ja nichts. Sie haben nur von Morgen, Samstag, bis einschließlich Dienstag frei. Ebenso sind die großen Ferien auf 4 statt 7 Wochen gekürzt worden, weil sie im Winter so lange frei hatten. Sie beginnen Ende Juli und enden im August.
Gestern habe ich ein Beet Weißkraut, 1 Beet Rotkraut und 1 Beet Wirsing gesetzt. In den nächsten Tagen kommt noch Salat und Rosenkohl dran. Grünkohl muß ich noch säen. Das hat ja auch Zeit.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich ganz herzlich, Deine Annie.
Etwas habe ich doch noch vergessen zu berichten, von der großen Freude der Kinder über deinen lieben Brief und die Karten. Helga und Jörg wollen dir in den nächsten Tagen schreiben. Die Bilder haben sie schon über ihr Bett gehängt.

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