Liebster, bester Ernst! Konstanz,
22.5.42
Ich habe heute eine große Überraschung erlebt. Da kommt der
Briefträger und gibt mir nach und nach 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 Briefe in die Hand.
6 für mich und einer für die Kinder. Ich habe es gar nicht glauben können, dass
alle für mich sind. Es sind die Briefe vom 7., 8., 9., 12., 13. und 14. Da
hatte ich viel zu lesen und viel Freude. Wie schon oft, bin ich immer wieder
froh, dass du mir deine Erlebnisse berichtest. Ich bekomme doch dadurch ein wenig
einen Begriff, wie du dort lebst. Von Eurer Fahrt bist du also wieder in deinem
jetzigen Aufenthaltsort gelandet. Du hast ja in diesen Tagen mancherlei gesehen
und erlebt.
Ich habe mich wirklich gewundert, dass es dort auch mal
fließendes Wasser und WC gibt. Ich wurde da auch an eine Geschichte erinnert.
Ich weiß nicht, habe ich sie gelesen oder gehört -, - nein, gelesen habe ich
sie. Da fanden Soldaten auch ein WC in Russland. Es entstand ein kleiner Streit,
wer diesen Luxus zuerst benutzen durfte. Endlich war der glückliche ausgewählt.
Als er nun den Wasserzug in Bewegung setzen wollte, kam wohl kein Wasser, aber
der ganze Wasserkasten herunter und dem Soldaten auf den Kopf. Glücklicherweise
ist dir das nicht passiert.
Das Rezeptbuch meines Großvaters würde mich schon
interessieren. Aber wer weiß, ob es Papa noch rausrückt.
Für die Butter danke ich dir schon im Voraus. Mal sehen,
wann sie ankommt. Ich denke bestimmt, dass ich sie noch zum kochen brauchen
kann. Die Briefmarken hebe ich mit auf.
Daß du einen Jammerbrief geschrieben hättest, denke ich
bestimmt nicht, und es ist auch keiner. Daß du mir schreibst, was dir am Herzen
liegt, ist doch wohl selbstverständlich. Ich tue es doch auch. Wir stehen uns
doch nächsten. Ich kann es dir auch sehr gut nachfühlen, wenn du dich manchmal
einsam fühlst. Du hast ja auch niemand dort, den du kennst, und die Kameraden,
mit denen du Freund warst, sind auch nicht bei dir. Dazu die öde Landschaft und
die Menschen. Ich bin hier in der gewohnten Umgebung und habe die Kinder, und
doch habe ich so große Sehnsucht nach dir. Du fehlst mir so. Ich möchte mich
manchmal mit dir aussprechen, gerade in letzter Zeit wegen meinem Vater. Ich
habe dir ja da auch geklagt, nicht wahr? Aber ich musste es dir schreiben, ich
wusste nicht mehr aus und ein. Hoffentlich ist es dir auch recht, was ich
geschrieben habe. Ich denke, wir streiten uns deshalb nicht mit Papa herum.
Wie gerne hätte ich dich hier, es ist manchmal so einsam.
Aber wir müssen ja durchhalten und ohne Sieg gibt es keinen frieden. Wir haben
es ja 1918 gesehen. Wir wollen aber ganz, ganz fest hoffen, dass wir uns gesund
wiedersehen.
Von den Storchennestern habe ich Helga und Jörg erzählt. Am
liebsten würden sie es selbst sehen. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass
es das wirklich gibt. Die anderen Vogelschilderungen haben mich auch erfreut.
Das ist echt sowjetisch, dass sie schon den Kindern ihre
Parolen einhämmern. Man hat es ja früher bei uns gesehen, wie die Kommunisten
die Kinder verhetzten. So haben es die Kinder eben gleich auf dem Teller
stehen, was sie tun sollen. Aber es muss eben auch das nötige Essen da sein.
Du hast um Zeitungen gebeten und ich freue mich, dass ich
schon vorher daran gedacht habe, denn gestern habe ich ja schon einige
Zeitungen weggeschickt. Ich wollte es schon in der vergangenen Woche tun, da
ich aber erst am Freitagnachmittag danach gefahren bin, war es schon zu spät.
Es gibt Illustrierte Zeitungen ja nicht mehr so viel, wie früher, bzw. schicken
viele Leute welche an die Front. Darum sind sie knapp. Diesmal bin ich schon
eher gefahren und habe welche bekommen. 3 Stück schicke ich heute noch fort.
Schimpf nicht, wenn es dir zu viel sind, du kannst dir ja das lesen einteilen,
denn es ist ja nicht bestimmt, ob ich nächste Woche auch wieder welche erwische.
Aber die Bodensee-Rundschau habe ich ab 1.6. für dich bestellt. Vorläufig für
einen Monat. Ich hätte dir unsere geschickt, aber die liest Vater noch mit.
Sollte die diese Zeitung nicht zusagen und du magst lieber eine andere, so
schreibst du mir´s. Aber die Freude, dass ich dir eine Zeitung schicken kann,
musst du mir schon lassen., du liebster, bester Kerl. Ich habe ja besonders in
den letzten zwei Jahren so viel von dir genommen, dass es mich direkt froh
macht, dir auch einmal einen kleinen Wunsch erfüllen zu können. Noch dazu, wo
ich dir jetzt kein Geld mehr schicken soll. Da bin ich ja direkt wohlhabend.
Aber du kannst mir glauben, verschwenden tue ich nicht. Ich kaufe, was wir
brauchen und das andere lege ich zurück. Bis jetzt habe ich 253.-Mk auf der
Kasse. 50.-Mk. gehen für das Kaspertheater ab.
Daß wir das Geld in Frankreich ausgegeben haben, brauchen
wir wirklich nicht bereuen. Denn du hast mir wirklich sehr viel geholfen, mir
manche Erleichterung verschafft und manchen Weg erspart. Den Nutzen spüre ich
heute noch und wohl noch lange Zeit.
Die Dieterkarten schicke ich dir heute mit.
Es freut mich, dass dich der Oberst gelobt hat. So ist dir
doch einmal eine kleine Anerkennung für deine Arbeit zuteil geworden.
Anerkennungen sind ja meist so selten, wenn man auch sein bestes schafft.
Die Blumen zum Muttertag sind mir ja gebracht worden, wie
ich dir schon schrieb, und es war eine wunderbare Überraschung. Eine größere
Freude hättest du mir gar nicht machen können.
Dadurch, dass du einem Kameraden deine Briefe mitgegeben
hast, sind sie nun schon nach 8 Tagen angekommen. Böse bin ich deshalb bestimmt
nicht, es ist ja so fein, so schnell einen Brief zu erhalten.
Bekommt ihr eigentlich auch die Flugpostmarken, von denen in
der Zeitung stand? 4 Stück sollte es doch geben, 2 für die Front, 2 für die
Heimat pro Monat. Oder gilt das nur für die vorderste Front?
Mit deinen Erinnerungen an unsere früheren Fahrten hast du
sie mir alle wieder ins Gedächtnis zurück gerufen. Schön waren die Fahrten ja
alle, wenn wir uns auch damals von Schaffhausen ein ganzes Stück heimwärts
quälen mussten.
Mit den großen Pfingstferien für die Kinder ist es ja
nichts. Sie haben nur von Morgen, Samstag, bis einschließlich Dienstag frei.
Ebenso sind die großen Ferien auf 4 statt 7 Wochen gekürzt worden, weil sie im
Winter so lange frei hatten. Sie beginnen Ende Juli und enden im August.
Gestern habe ich ein Beet Weißkraut, 1 Beet Rotkraut und 1
Beet Wirsing gesetzt. In den nächsten Tagen kommt noch Salat und Rosenkohl
dran. Grünkohl muß ich noch säen. Das hat ja auch Zeit.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich ganz
herzlich, Deine Annie.
Etwas habe ich doch noch vergessen zu berichten, von der
großen Freude der Kinder über deinen lieben Brief und die Karten. Helga und
Jörg wollen dir in den nächsten Tagen schreiben. Die Bilder haben sie schon
über ihr Bett gehängt.
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