Mein liebster Ernst! Konstanz, 20.5.42
Einen Brief habe ich heute
nicht an Dich abgeschickt. Ich wusste gar nichts zu schreiben. Am Morgen habe
ich nur die Seifenkarten geholt und dann habe ich die ganze Zeit an einem Kleid
für Helga genäht. So ist der Tag vergangen.
Warm ist es jetzt
augenblicklich. Die Kinder laufen schon barfuß und sind ganz leicht angezogen.
Auch das Federbett ist nicht mehr erwünscht. Es geht doch dem Sommer zu.
21.5.
Gestern Abend bin ich gleich
schlafen gegangen. In der Nacht war von 11 bis gegen 4 Uhr Gewitter. Ringsherum
hat es geblitzt und gedonnert, und dazu hat es geregnet, was vom Himmel runter
wollte. Auch heute am Tag ist noch kein schönes Wetter.
Ich bekam heute den Brief von
Papa, von dem er dir ja auch einen Durchschlag geschickt hat. Sieh, ich finde
mich da nicht mehr zurecht. Hat Erna wirklich so nachgelassen? Das wär ja nicht
gerade schön. Aber wie dem auch sei, ich rede nicht mehr dagegen, wenn Papa
heiraten will. Er tut ja schließlich doch, was er will. Oft sind wir ja nicht
mit ihm zusammen und Siegfried hat soweit schon darauf eingerichtet, dass sie
später ausziehen. Mama sagte mir ja seinerzeit auch, wir sollten nicht dagegen
reden. Ein Bild habe ich mir erbeten, damit ich mir überhaupt mal ein Bild von
dem Fräulein machen kann. Wieso ich mich zwar beleidigend in meinem letzten
Brief ausgedrückt haben soll, ist mir nicht klar. Aber das ist jetzt auch
gleich. Was meinst du, hätte ich schreiben sollen, er soll mit dem Fräulein
kommen? Aber ich rege mich immer noch zu viel auf. Jedes Mal habe ich Kopfweh,
wenn die Rede auf die Sache kommt. Es ist mir alles zu plötzlich gekommen. Ich
muß mich erst langsam umstellen. Jetzt fehlst du mir auch sehr, dass ich mich
mit dir aussprechen könnte. Schreibe an Papa bitte auch nicht mehr viel von all
dem.
Doch nun von etwas anderem.
Bei uns kommen im Garten jetzt alle Kartoffeln heraus. Die Setzlinge sind schon
so groß, dass ich Salat und Gemüse setzen kann. Vielleicht mache ich nachher
schon ein Stück, vielleicht ein Beet, und morgen das andere. Da es immer etwas
regnet, wächst es gut an.
Hier spielen die Buben nichts
mehr anderes, als Soldaten. Jörg hat sich eine schöne Zielscheibe gemacht, wie
sie die Soldaten haben, ein liegender Soldat, dahinter ist ein Stock genagelt,
den man in die Erde stecken kann. Darauf wird dann mit Steinen geworfen. Die
Zündblättchen von dir hat Jörg bei seinen „Kämpfen“ auch fest in Gebrauch.
Seine Soldaten hat er jetzt die ganze Zeit beim Wickel. Der Cowboy ist wieder
gegen 2 marschierende deutsche Soldaten umgetauscht worden, da ein Cowboy doch
nicht richtig kämpfen kann, nicht wahr?
Eben klingelte es, und deine
beiden lieben Briefe vom 5. und 6. Mai kamen an. Ich habe mich wieder sehr
gefreut, dass du auch auf deiner Dienstreise so regelmäßig an mich schreibst.
Ich hatte gedacht, ich müsste längere Zeit warten. Vielseitige Erlebnisse hast
du ja wieder gehabt. Die Fahrt auf der Bahn ist ja dort besonders schön. Und
dann das stecken bleiben im Dreck. Als wir uns jetzt mal eine Wochenschau
angesehen haben, da sah man auch, wie die Autos auf den Straßen durch den
tiefen Dreck fuhren und zuletzt stecken blieben. Da habe ich auch an dich dort
denken müssen. Dadurch, dass du mir doch immer ausführlich schreibst, bekommt
man doch eine Ahnung, wie es dort ist, wenn ich auch gewiß bin, dass alle
Vorstellung hinter der Wirklichkeit zurück bleibt.
Wir haben heute gerade daran
gedacht, dass du wohl jetzt bald den ersten Brief von uns bekommen wirst, und
dass dann für dich auch die Wartezeit vorbei ist. Lange genug hat sie ja
gedauert.
Von Kurt erhielt ich vorhin
auch eine Karte, dass er am Dienstag von Meiningen entlassen wird, bzw. worden
ist. Wann er auf Genesungsurlaub kommt, weiß er noch nicht, da seine wunde noch
nicht ganz verheilt ist. Wo er aber inzwischen hinkommt, hat er nicht
geschrieben.
Nun laß mich wieder
schließen. Ich hoffe, dass du gesund bist und grüße und küsse dich recht
herzlich Deine Annie.
Da Du jetzt nicht viel zum
lesen hast, schicke ich dir heute 3 Illustrierte Zeitungen zu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen