Montag, 22. Mai 2017

Brief 330 vom 20./21.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                                                    Konstanz, 20.5.42

Einen Brief habe ich heute nicht an Dich abgeschickt. Ich wusste gar nichts zu schreiben. Am Morgen habe ich nur die Seifenkarten geholt und dann habe ich die ganze Zeit an einem Kleid für Helga genäht. So ist der Tag vergangen.
Warm ist es jetzt augenblicklich. Die Kinder laufen schon barfuß und sind ganz leicht angezogen. Auch das Federbett ist nicht mehr erwünscht. Es geht doch dem Sommer zu.

21.5.

Gestern Abend bin ich gleich schlafen gegangen. In der Nacht war von 11 bis gegen 4 Uhr Gewitter. Ringsherum hat es geblitzt und gedonnert, und dazu hat es geregnet, was vom Himmel runter wollte. Auch heute am Tag ist noch kein schönes Wetter.
Ich bekam heute den Brief von Papa, von dem er dir ja auch einen Durchschlag geschickt hat. Sieh, ich finde mich da nicht mehr zurecht. Hat Erna wirklich so nachgelassen? Das wär ja nicht gerade schön. Aber wie dem auch sei, ich rede nicht mehr dagegen, wenn Papa heiraten will. Er tut ja schließlich doch, was er will. Oft sind wir ja nicht mit ihm zusammen und Siegfried hat soweit schon darauf eingerichtet, dass sie später ausziehen. Mama sagte mir ja seinerzeit auch, wir sollten nicht dagegen reden. Ein Bild habe ich mir erbeten, damit ich mir überhaupt mal ein Bild von dem Fräulein machen kann. Wieso ich mich zwar beleidigend in meinem letzten Brief ausgedrückt haben soll, ist mir nicht klar. Aber das ist jetzt auch gleich. Was meinst du, hätte ich schreiben sollen, er soll mit dem Fräulein kommen? Aber ich rege mich immer noch zu viel auf. Jedes Mal habe ich Kopfweh, wenn die Rede auf die Sache kommt. Es ist mir alles zu plötzlich gekommen. Ich muß mich erst langsam umstellen. Jetzt fehlst du mir auch sehr, dass ich mich mit dir aussprechen könnte. Schreibe an Papa bitte auch nicht mehr viel von all dem.
Doch nun von etwas anderem. Bei uns kommen im Garten jetzt alle Kartoffeln heraus. Die Setzlinge sind schon so groß, dass ich Salat und Gemüse setzen kann. Vielleicht mache ich nachher schon ein Stück, vielleicht ein Beet, und morgen das andere. Da es immer etwas regnet, wächst es gut an.
Hier spielen die Buben nichts mehr anderes, als Soldaten. Jörg hat sich eine schöne Zielscheibe gemacht, wie sie die Soldaten haben, ein liegender Soldat, dahinter ist ein Stock genagelt, den man in die Erde stecken kann. Darauf wird dann mit Steinen geworfen. Die Zündblättchen von dir hat Jörg bei seinen „Kämpfen“ auch fest in Gebrauch. Seine Soldaten hat er jetzt die ganze Zeit beim Wickel. Der Cowboy ist wieder gegen 2 marschierende deutsche Soldaten umgetauscht worden, da ein Cowboy doch nicht richtig kämpfen kann, nicht wahr?
Eben klingelte es, und deine beiden lieben Briefe vom 5. und 6. Mai kamen an. Ich habe mich wieder sehr gefreut, dass du auch auf deiner Dienstreise so regelmäßig an mich schreibst. Ich hatte gedacht, ich müsste längere Zeit warten. Vielseitige Erlebnisse hast du ja wieder gehabt. Die Fahrt auf der Bahn ist ja dort besonders schön. Und dann das stecken bleiben im Dreck. Als wir uns jetzt mal eine Wochenschau angesehen haben, da sah man auch, wie die Autos auf den Straßen durch den tiefen Dreck fuhren und zuletzt stecken blieben. Da habe ich auch an dich dort denken müssen. Dadurch, dass du mir doch immer ausführlich schreibst, bekommt man doch eine Ahnung, wie es dort ist, wenn ich auch gewiß bin, dass alle Vorstellung hinter der Wirklichkeit zurück bleibt.
Wir haben heute gerade daran gedacht, dass du wohl jetzt bald den ersten Brief von uns bekommen wirst, und dass dann für dich auch die Wartezeit vorbei ist. Lange genug hat sie ja gedauert.
Von Kurt erhielt ich vorhin auch eine Karte, dass er am Dienstag von Meiningen entlassen wird, bzw. worden ist. Wann er auf Genesungsurlaub kommt, weiß er noch nicht, da seine wunde noch nicht ganz verheilt ist. Wo er aber inzwischen hinkommt, hat er nicht geschrieben.
Nun laß mich wieder schließen. Ich hoffe, dass du gesund bist und grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

Da Du jetzt nicht viel zum lesen hast, schicke ich dir heute 3 Illustrierte Zeitungen zu.

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