Mein liebster Ernst! Konstanz, 14.5.42
Heute schreibe ich auch
wieder am Abend. Am Vormittag habe ich neben verschiedenen Sachen, die ich
geschafft habe, auch 15 Tomatenstöcke gekauft und eingepflanzt. Das Stück
kostete 20 Pfg. Am Nachmittag bin ich mit den Kindern in´s Kino gegangen und
hinterher haben wir eingekauft. Pralinen habe ich bekommen. Wir schicken sie
dir morgen. Die Kinder haben für mich zum Muttertag etwas eingekauft und dann
sind wir durch alle möglichen Geschäfte gepilgert und haben Steine für
Feuerzeuge gekauft. Ich habe auch einige bekommen, die ich dir morgen
mitschicke. Mehr gab es leider nicht.
Ich erhielt heute deine
lieben Briefe vom 1. und 4.5. Die interessieren mich immer sehr, denn du hast
ja jetzt so viel Neues gesehen, was du mir darin berichtest. Aus deinen Briefen
kann ich jetzt erst richtig sehen, wie gut wir es doch hier haben. Man nimmt
alles so selbstverständlich hin. Es ist aber gar nicht so selbstverständlich,
dass wir hier in Ruhe leben, dass wir ein Zuhause und unser Essen haben. Es ist
ganz gut, wenn man mal daran denkt.
Lieber Ernst, die Beurteilung
von deiner letzten Dienststelle ist eine ganz große Gemeinheit. Wenn du
tatsächlich unkameradschaftlich gehandelt und den Zwischenträger bei den
Klatschereien gemacht hättest, hätten sie vielleicht etwas Gutes geschrieben.
Auch im Militärdienst sollte ein Pfarrer eine anständige Gesinnung haben. Aber
daran hapert es ja schon meist im Frieden. Wir haben ja in dieser Beziehung
genug Erfahrung. Wenn du unkameradschaftlich wärst, hätte der Wittenburg
bestimmt nicht geschrieben, du seist ein guter Freund von ihm und der Tommy
hätte dich auch nicht so gern.
Es freut mich immer wieder,
dass die Versorgung dort gut ist. Lege nur richtig vor für magerere Zeiten. Das
Flicken musst du also jetzt auch allein besorgen, das wird dir sicher sehr
ungewohnt sein. In dieser Beziehung hattest du es ja bis jetzt noch gut.
Eine Abschrift der Unterlagen
von der Familienforschung von „Michel“ sende ich dir morgen mit. Heute Abend komme
ich nicht mehr dazu. Ich sehe auch nach, was wir aus Groß-Rosenburg usw.
zuletzt für Nachricht bekommen haben und gebe dir dann Bescheid.
Die alten Schulzeugnisse usw.
habe ich in Leipzig auch gesehen. Ich erzählte dir doch im Herbst schon davon.
Papa sagte mir damals, wir bekämen die Sachen später einmal.
Du denkst doch immer an uns.
Jetzt hast Du uns sogar das Dauerbrot geschickt, das du von deiner
Marschverpflegung übrig hattest. Es wird sicher bald bei uns eintreffen.
Jetzt wirst du ja schon von deiner
Fahrt mit dem Oberst zurück sein. Hoffentlich ist alles gut gegangen
Als wir heute heim kamen, war
eine Karte von Papa da. Er schreibt, er habe meinen Brief erhalten und sei
immer mehr erstaunt, mich in eine Idee hinein geraten zu wissen, die er nicht
verstehen könne. Er will mir zur Klärung in den nächsten Tagen einen Brief
schreiben. Wenn er mich doch mit dieser ganzen Sache in Ruhe ließe. Ich will
nichts mehr davon wissen. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Es quält mich
schrecklich. Ich habe ihm doch geschrieben, er soll wegen mir heiraten. Nur
mich soll er in Frieden lassen. Ich will mit der Frau nichts zu tun haben. Auf
jeden Fall jetzt noch nicht. Er soll mich doch nicht so quälen. Ein Unsinn war
es nur von mir, zu schreiben, dass dann eine Entfremdung eintreten würde. Das
ist ja nicht möglich, da sie schon längst besteht. Es st mir selber
schrecklich, aber ich empfinde gar nichts für meinen Vater. Manchmal überlege
ich mir, warum ich eigentlich gegen die Heirat geschrieben habe. Konnte ich denn
eigentlich annehmen, dass mein Vater, der der Lebenden nicht einmal die Treue
hielt, sie einer Toten halten würde? Doch eigentlich nicht, nicht wahr? Meine
Mutter war ja auch einverstanden, dass er wieder heiratet. Also soll er doch.
Nur mich soll er mit dieser Frau verschonen. Daran ändern auch alle Briefe
nichts, die er schreibt. Das Elternhaus ist für mich mit meiner Mutter
dahingegangen und lebt nur noch in Erinnerung. Mein letzter Brief an Papa muss
wohl ziemlich kühl geklungen haben. Aber ich kann es nicht ändern. Es ist mir,
als müsste ich an einen Fremden schreiben.
Lieber Ernst, laß mich für
heute schließen. Ich bin heute über die Karte aufgeregt. Du glaubst nicht, was
es für mich für eine Wohltat sein würde, wenn ich von der ganzen Heiratsgeschichte
kein Wort mehr hören müsste.
Bleib mir gesund und sei
recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.
Ach lieber Ernst, wie schön wäre es jetzt, wenn ich in
deinem Arm liegen könnte und du würdest mir gut zureden. Ich glaube, mir wäre
alles nicht so schwer. Aber ich werde mich schon durchbeißen, ich bin doch kein
schlapper Kerl, nicht wahr? Ich müsste mich ja vor dir schämen, wo du jetzt in
einem so trostlosen Land bist und auch nicht den Kopf hängen lassen darfst.
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