Montag, 15. Mai 2017

Brief 324 vom 14.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                                                    Konstanz, 14.5.42  

Heute schreibe ich auch wieder am Abend. Am Vormittag habe ich neben verschiedenen Sachen, die ich geschafft habe, auch 15 Tomatenstöcke gekauft und eingepflanzt. Das Stück kostete 20 Pfg. Am Nachmittag bin ich mit den Kindern in´s Kino gegangen und hinterher haben wir eingekauft. Pralinen habe ich bekommen. Wir schicken sie dir morgen. Die Kinder haben für mich zum Muttertag etwas eingekauft und dann sind wir durch alle möglichen Geschäfte gepilgert und haben Steine für Feuerzeuge gekauft. Ich habe auch einige bekommen, die ich dir morgen mitschicke. Mehr gab es leider nicht.
Ich erhielt heute deine lieben Briefe vom 1. und 4.5. Die interessieren mich immer sehr, denn du hast ja jetzt so viel Neues gesehen, was du mir darin berichtest. Aus deinen Briefen kann ich jetzt erst richtig sehen, wie gut wir es doch hier haben. Man nimmt alles so selbstverständlich hin. Es ist aber gar nicht so selbstverständlich, dass wir hier in Ruhe leben, dass wir ein Zuhause und unser Essen haben. Es ist ganz gut, wenn man mal daran denkt.
Lieber Ernst, die Beurteilung von deiner letzten Dienststelle ist eine ganz große Gemeinheit. Wenn du tatsächlich unkameradschaftlich gehandelt und den Zwischenträger bei den Klatschereien gemacht hättest, hätten sie vielleicht etwas Gutes geschrieben. Auch im Militärdienst sollte ein Pfarrer eine anständige Gesinnung haben. Aber daran hapert es ja schon meist im Frieden. Wir haben ja in dieser Beziehung genug Erfahrung. Wenn du unkameradschaftlich wärst, hätte der Wittenburg bestimmt nicht geschrieben, du seist ein guter Freund von ihm und der Tommy hätte dich auch nicht so gern.
Es freut mich immer wieder, dass die Versorgung dort gut ist. Lege nur richtig vor für magerere Zeiten. Das Flicken musst du also jetzt auch allein besorgen, das wird dir sicher sehr ungewohnt sein. In dieser Beziehung hattest du es ja bis jetzt noch gut.
Eine Abschrift der Unterlagen von der Familienforschung von „Michel“ sende ich dir morgen mit. Heute Abend komme ich nicht mehr dazu. Ich sehe auch nach, was wir aus Groß-Rosenburg usw. zuletzt für Nachricht bekommen haben und gebe dir dann Bescheid.
Die alten Schulzeugnisse usw. habe ich in Leipzig auch gesehen. Ich erzählte dir doch im Herbst schon davon. Papa sagte mir damals, wir bekämen die Sachen später einmal.
Du denkst doch immer an uns. Jetzt hast Du uns sogar das Dauerbrot geschickt, das du von deiner Marschverpflegung übrig hattest. Es wird sicher bald bei uns eintreffen.
Jetzt wirst du ja schon von deiner Fahrt mit dem Oberst zurück sein. Hoffentlich ist alles gut gegangen
Als wir heute heim kamen, war eine Karte von Papa da. Er schreibt, er habe meinen Brief erhalten und sei immer mehr erstaunt, mich in eine Idee hinein geraten zu wissen, die er nicht verstehen könne. Er will mir zur Klärung in den nächsten Tagen einen Brief schreiben. Wenn er mich doch mit dieser ganzen Sache in Ruhe ließe. Ich will nichts mehr davon wissen. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Es quält mich schrecklich. Ich habe ihm doch geschrieben, er soll wegen mir heiraten. Nur mich soll er in Frieden lassen. Ich will mit der Frau nichts zu tun haben. Auf jeden Fall jetzt noch nicht. Er soll mich doch nicht so quälen. Ein Unsinn war es nur von mir, zu schreiben, dass dann eine Entfremdung eintreten würde. Das ist ja nicht möglich, da sie schon längst besteht. Es st mir selber schrecklich, aber ich empfinde gar nichts für meinen Vater. Manchmal überlege ich mir, warum ich eigentlich gegen die Heirat geschrieben habe. Konnte ich denn eigentlich annehmen, dass mein Vater, der der Lebenden nicht einmal die Treue hielt, sie einer Toten halten würde? Doch eigentlich nicht, nicht wahr? Meine Mutter war ja auch einverstanden, dass er wieder heiratet. Also soll er doch. Nur mich soll er mit dieser Frau verschonen. Daran ändern auch alle Briefe nichts, die er schreibt. Das Elternhaus ist für mich mit meiner Mutter dahingegangen und lebt nur noch in Erinnerung. Mein letzter Brief an Papa muss wohl ziemlich kühl geklungen haben. Aber ich kann es nicht ändern. Es ist mir, als müsste ich an einen Fremden schreiben.
Lieber Ernst, laß mich für heute schließen. Ich bin heute über die Karte aufgeregt. Du glaubst nicht, was es für mich für eine Wohltat sein würde, wenn ich von der ganzen Heiratsgeschichte kein Wort mehr hören müsste.
Bleib mir gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Ach lieber Ernst, wie schön wäre es jetzt, wenn ich in deinem Arm liegen könnte und du würdest mir gut zureden. Ich glaube, mir wäre alles nicht so schwer. Aber ich werde mich schon durchbeißen, ich bin doch kein schlapper Kerl, nicht wahr? Ich müsste mich ja vor dir schämen, wo du jetzt in einem so trostlosen Land bist und auch nicht den Kopf hängen lassen darfst.

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