Mein liebster Ernst! Konstanz, 12.5.42
Gestern habe ich keinen Brief geschrieben, nur 4 kleine
100g-Päckchen an dich abgeschickt. Mit war der Kopf so benommen, dass ich gar
nicht wusste, was ich schreiben sollte. Heute erhielt ich deinen lieben Brief
vom 27. Nun bist du also an deinem Bestimmungsort angekommen. Wie ich aus
manchen Sätzen des Briefes ersehe, hast du scheinbar auch am Tag zuvor
geschrieben. Dieser Brief muss noch unterwegs sein.
Die Karte an Kurt schicke ich heute weiter. Sie geht noch an
seine alte Adresse.
Den Ort, wo du bist, habe ich auch stenografiert lesen
können. Ich habe ihn auf meiner Karte rot angestrichen.
Wieso brauchst du dort ein Kochgeschirr, Feldflasche usw.
und eine Decke? Vielleicht steht das in deinem vorhergehenden Brief. In
Frankreich brauchtest du das alles doch nicht? Wenn das Essen so bleibt, wie du
es in deinem Brief beschreibst, wäre es ja ganz gut, nicht wahr? Hoffentlich
ist dein Schnupfen wieder vorbei und du bist ganz gesund.
Bei uns vergeht ein Tag wie der andere. Augenblicklich habe
ich viel zu nähen und zu stopfen. Gestern habe ich wieder einmal den Keller und
Speicher aufgeräumt. Das ist auch immer mal nötig, damit alles in Ordnung
bleibt. Dann müssen zwischendurch wieder Schuhe ausgebessert werden und so ist
immer zu tun. Im garten werde ich in den nächsten Tagen Bohnen und Gurken
stupfen und zusehen, dass ich Tomatenstöcke bekomme. So 12 -15 Stück würde ich
nehmen, wenn ich sie bekommen kann. Die Sämlinge von den verschiedenen Gemüsen
machen sich gut heraus, vom S0pinat kann ich in den nächsten Tagen holen,
Möhren und Erbsen wachsen auch gut. Die Erdbeeren fangen zu blühen an. Vom
Apfelbaum schrieb ich dir ja schon. Er blüht an allen Seiten gleichmäßig schön.
Es ist eine Freude, ihn anzusehen. Nachdem ich den Zwiebelsamen von dir
bekommen habe, habe ich davon ausgesät, damit ich im nächsten Frühjahr
Steckzwiebeln habe. Ich bin sehr froh darum.
Helga und Jörg sind beide gesund und munter. Jörg
„verkitscht“ augenblicklich mal alles. Gute Sachen, die wir ihm geschenkt
haben, darf er ja nicht weg geben. Aber er hat ja noch andere Sachen. Für
Zigarettenbilder hat er ein Modellbogen-Haus getauscht, das hat er jetzt wieder
für eine Mühle weggegeben. Für einen Granateneinschlag hat er jetzt einen Unterstand
bekommen, für einen englischen Soldaten vom Papa einen Cowboy. Ich achte nur
immer darauf, dass sie ihn nicht über´s Ohr hauen. Im Allgemeinen bin ich ja
wenig für das tauschen.
Auf der Wiese vorm Haus hat sich Jörg mit den anderen Buben
vom Haus kleine Unterstände für die Soldaten gebaut. Gekämpft wird auch. Da
schmeißen sie mit Steinen. Dabei ist auch das kleine MG, das er von Siegfried
hatte, hin gegangen. Auf der Gegenseite ist ein Reiter vom Richard zerschossen
worden. Da Jörg ja unsere Soldaten mit nur einem Arm oder Bein hat, braucht er
unbedingt eine Krankenschwester. Die hat er gegen einen weiteren englischen
Soldaten eingetauscht. Die meiste Zeit ist Jörg jetzt mit seiner
Soldatenschachtel unterwegs.
Helga spielt mehr mit ihren Puppen. Damit unterhält sie sich
stundenlang. Auch den Kreisel hat sie viel in Betrieb. Heute Nachmittag ist sie
mit Margret zu deren Tante gegangen. Ab Freitag will sie ins KdF-Turnen in die
Luisenschule gehen. Schaden kann es ihr ja nicht. Einen Turnanzug habe ich ihr
gekauft. Helga geht mit mehreren Kindern aus ihrer Klasse hin.
Eine Neuanschaffung habe ich auch gemacht. Ich habe einen
dazu geeigneten Kleiderstoff für Gardinen gekauft. Ich wollte es schon längst
einmal tun, aber ich fand nie das richtige. Denn jedes Muster eignet sich ja
nicht dazu. Wir haben nun in unserem Schlafzimmer und Kinderzimmer neue
Gardinen. Es sieht gleich viel netter und freundlicher aus. Leider hat es schon
wieder den Neid erregt. Ich hatte kaum die Gardinen einen Tag dran, da sehe
ich, als ich im Kinderzimmer bin, wie die Gardi von Leimenstolls ans Fenster
kommt, auf die Gardinen sieht und, ehe ich hingehen kann, rauf läuft. An diesem
Tag hat Frau Leimenstoll den ganzen Tag rumgetobt. Sie ließ auch vernehmen,
dass wir faul seien und auch schaffen gehen müssten, sie hätte auch gehen
müssen. Es ist nur, ich rege mich gar nicht mehr auf.
Ich hatte dir auch noch nicht geschrieben, dass ich mit
Herrn Schwehr Krach hatte. Eigentlich kann man es nicht Krach nennen. Ich höre
eines Tages hinterm Haus Krach. Da unsere Kinder unten waren, sehe ich aus dem
Fenster, und kaum habe ich das getan, brüllt Herr Schwehr, der erst Krach mit
Frau Bolz gehabt hat, mich an. Ich war so verdutzt, dass ich gar nicht alles
verstanden habe, nur so viel hörte ich, dass es mir jetzt auch besser ginge,
als vor dem Kriege. Alle fragten mich hinterher, was Herr Schwehr denn mit mir
gehabt hätte. Er soll noch gesagt haben, da könnte man gut immer Heil Hitler
schreien. Das weitere haben auch die Leute nicht verstanden. Als er so brüllte,
fragte ich: „Was haben sie denn mit mir?“. „Nichts, aber ich habe Ihnen mal was
gesagt“ war die Antwort. Seitdem sehe ich den Mann gar nicht mehr, er kann mir
direkt vor den Füßen herumlaufen. Ich hoffe, dass du dich nicht über die Sache
ärgerst. Ich schreibe es dir nur, damit du weißt, was gelaufen ist. Es ist ja
auch schon lange her, kurz nach deinem letzten Urlaub.
Gerade ist Helga heim gekommen. Sie hat zwei große Sträuße
mit Taubnesseln heim gebracht, damit wir wieder Tee haben. Das ist doch lieb,
dass sie daran gedacht hat.
Wir haben uns so an unser neues Radio gewöhnt. Zum Spaß
hatte ich in der Stube mal den alten Apparat angeschlossen. Da hat man aber den
Unterschied gemerkt. Man hat richtig die Ohren spitzen müssen, um etwas zu
verstehen.
Vorgestern Nachmittag ist im Bettelgäßle der linke obere
Kastanienbaum bis auf den Stamm abgebrochen. Er war ganz morsch. Einige
Telegrafenstangen hat es gleich mit umgelegt.
Nun laß mich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich
recht herzlich deine Annie.
Liebes Vaterle! Auf
der Messe haben wir uns einen Kreisel gekauft, der geht jetzt so gut, wie noch
keiner, den ich gekauft habe. Viele Grüße und 10000000000 Küsse von Deiner
Helga.
Viele Grüße und
10000000000 Küsse von deinem Jörg.
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