Mein liebster Ernst! Konstanz, 24.5.42
Deinen lieben Brief vom 11.5. habe ich heute erhalten. Nun
hast Du also ein festes Arbeitsgebiet bekommen. Wenn auch deine Tüchtigkeit für
mich keiner Bestätigung bedarf, so habe ich doch eine große Freude an dem Lob
des Oberinspektors und des Oberst und bin stolz auf dich, dass du die Aufgaben
meisterst.
Du schreibst, dass es bei Euch nicht warm werden will. Nun
hörte ich gestern im Radio, daß bei Charkow bis zu 30 Grad Wärme herrscht. Ist
das jetzt bei Euch auch der Fall?
Den Brief an Kurt hebe ich auf, bis ich seine neue Adresse
weiß, oder bis er her kommt.
Schönes Pfingstwetter herrscht bei uns nicht, es regnet.
Aber ich bekam heute noch ein Zeitungspaket von Papa. Da habe ich ja zu lesen.
Die zwei Bücher „Bodenseebuch“ und „Krieg im Westen“ von dir lagen auch bei.
Von Erna, bzw. Erna und Siegfried, kam ein Buch an „Luftwaffe von Sieg zu Sieg“
mit einer Widmung „Unseren Lieben gewidmet Erna und Siegfried“. Eine Karte lag
bei, in der Erna schreibt: “…dass ich noch nicht geschrieben habe, wirst du,
glaube ich, verstehen. Nach den Feiertagen bekommst du dann einen ausführlichen
Brief…“ Und darauf warte ich jetzt wirklich. Ich möchte gern wissen, was sie zu
schreiben hat. Und damit komme ich nochmals auf die Heiratsgeschichte. Du hast
ja sicher inzwischen Papa´s Brief und meine Antwort erhalten. Da wirst du ja
gesehen haben, dass ich auf manches in Papas Brief nicht eingegangen bin. Und
mit Absicht, denn es führt zu nichts und ich ärgere mich nur noch mehr. Aber
mit dir möchte ich deshalb doch noch einmal davon reden. Hast Du eigentlich
gefunden, dass mein vorhergehender Brief beleidigend gewesen ist? Hast Du
gemerkt, dass er erst schreibt, er sei mit Siegfried überein gekommen, bis Ende
des Krieges mit der Heirat zu warten (so schrieb mir auch Siegfried, Papa
schreibt ja jetzt „evtl.“), und hinterher gleich schreibt er vom heiraten im
Oktober oder November? Hast Du gemerkt, dass er schreibt, er hätte nicht an´s
heiraten gedacht, wenn nicht alles anders gekommen wäre, als er dachte, denn
Erna würde seit 1 – 2 Monaten nicht mehr so für ihn sorgen? Aber vom heiraten
war ja schon vorher die Rede. Ich kann Erna einesteils auch verstehen, denn
wenn man sieht, man wird so langsam zur Seite gedrückt, hat man auch zu nichts
mehr die rechte Lust. Ich bin sicher, dass Papa auch mit daran schuld ist. Dann
schreibt Papa, wie es uns passen würde, wenn man uns von vor herein verdammen
würde, das würde uns auch weh tun. Ich glaube, daran hat es uns, vor allem auch
dir, von seiner Seite aus nicht gefehlt. Was hat er dir alles vorgeworfen,
trotzdem er dich noch gar nicht richtig kannte. Ich bin auf alle diese Sachen
nicht eingegangen, weil ich, wenn es geht, einen offenen Bruch vermeiden will.
Es gäbe doch ein ewiges hin und her und ich bin der ganzen Sache müde. Es ist
jetzt wieder etwas besser, aber in letzter Zeit hatte ich jedes Mal, wenn so
ein Brief kam, so Kopfweh, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Ich werde ja nun sehen, was Papa schreibt. Sollte er mir wieder Vorwürfe
machen, wo ich doch bestimmt friedfertig geschrieben habe, dann ist meine
Geduld auch zu Ende. Solltest Du noch etwas schreiben wollen, so ist mir das,
was du schreibst, natürlich jederzeit recht, denn ich gehöre zu dir. Im
Allgemeinen bin ich der Meinung, dass das ganze reden gar keinen Zweck bei
dieser Sache hat. Doch nun genug davon.
Dein erstes Päckchen mit Dauerbrot ist heute früh auch gut
angekommen. Ich danke dir sehr dafür.
Von den Illustrierten Zeitungen, die Papa geschickt hat,
sende ich dir auch einige hin. Wenn sie auch nicht ganz neu sind, interessieren
werden sie dich vielleicht doch noch und vielleicht auch noch deine Kameraden.
Nun lass mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und
geküsst von Deiner Annie.